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Künstler


Andreas Köpnick

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Über das Schöne  2003

Eine elektronisch gesteuerte Textinszenierung

"Bist du das geworden und hast es erschaut, bist du rein und allein mit dir selbst zusammen, und nichts hemmt dich auf diesem Wege eins zu werden, und keine fremde Beimischung hast du mehr in deinem Innern, sondern bist ganz und gar reines, wahres Licht, nicht durch Größe gemessen, nicht durch Gestalt umzirkt in engen Grenzen, auch nicht durch Unbegrenztheit zu Größe erweitert, sondern gänzlich unmessbar, größer als jedes Maß und erhaben über jedes Wieviel: wenn du so geworden dich selbst erblickst, dann bist du selbst Sehkraft, gewinnst Zutrauen zu dir, bist so hoch gestiegen und brauchst nun keine Weisung mehr, sondern blicke unverwandt, denn allein ein solches Auge schaut die große Schönheit. Wer aber die Schau unternimmt mit einem durch Schlechtigkeit getrübten Auge, nicht gereinigt, oder kraftlos, der ist nicht Manns genug das ganz Helle zu sehen, und sieht auch dann nichts, wenn einer ihm das, was man sehen kann, als anwesend zeigt. Man muß nämlich das Sehende dem Gesehenen verwandt und ähnlich machen, wenn man sich auf die Schau richtet; kein Auge könnte je die Sonne sehen, wäre es nicht sonnenhaft; so sieht auch keine Seele das Schöne, welche nicht schön geworden ist."  (Plotin, Über das Schöne, Enneaden I.6 in Plotins Schriften Bd.1., Übersetzung von Richard Harder, Rudolf Beutler und Willy Theiler)

Das Textzitat aus Plotins Abhandlung über das Schöne ist Zentrum und Ausgangspunkt einer in Echtzeit generierten Licht- und Tondramaturgie, die über Bewegungssensoren vom Besucher ausgelöst und je nach Aufenthalt im Raum modifiziert wird.

Der essenzielle neuplatonische Text – gelesen vom Künstler – liegt verborgen, überlagert und zerworfen hinter der akustischen Kulisse einer Flughafen-Schalterhalle und Fragmenten des Marylin Monroe-Evergreens "I wanna be loved by you". Welche dieser drei Audioebenen das Gehör und die Aufmerksamkeit des Besuchers dominiert und beschäftigt, ist im doppelten Sinne von dessen eigener "Position" abhängig:

Zum einen von der persönlichen Vorliebe, die entweder den metaphysischen Betrachtungen des altertümlichen Philosophen folgt oder den Charme Marylin Monroes vorzieht oder beidem ausweicht und im mondänen Fernweh einer Airportkulisse Zuflucht sucht.

Zum anderen steuern die Bewegungen des Besuchers mittels entsprechender Sensoren unmittelbar die Verteilung der drei Tonkanäle auf das Lautsprechersystem, wodurch jeweils ganz unterschiedliche akustische Charakteristiken zugeordnet werden: Neben hochwertiger Wiedergabe über Stereoboxen ist nämlich auch technisch minderwertiges Abspielen über primitive Kleinlautsprecher vorgesehen, wodurch kontrastreiche Wechsel in der akustischen Präsenz der jeweiligen Tonspur erfolgen.

Während die hochwertige Beschallungstechnik entsprechend an den Wänden montiert ist, finden sich die Kleinlautsprecher an provisorisch wirkenden Konstruktionen zusammen mit halbdurchsichtigen Spiegeln und Halogenstrahlern. Lautsprecher und Strahler sind gegenüberliegend auf beide Seiten dieser Spiegel ausgerichtet, welche eine Hälfte des Lichtstrahls reflektieren, die andere Hälfte durchlassen.

Gekoppelt an das Umschalten der Tonspuren auf die unterschiedlichen Lautsprecher werden auch die Lichtstrahler ein- bzw. ausgeschaltet, wodurch immer neue Licht/Schattensituationen im Raum entstehen, die mit entsprechenden akustischen Wechseln einhergehen und in ihrem intermedialen Zusammenspiel auch für den Nichtsehenden nachvollziehbar werden.

Die Spiegel-Konstruktionen, von denen sechs Stück im verdunkelten Raum von der Decke hängend verteilt sind, machen zwar den Eindruck einer technisch funktionalen Installation oder eines bedeutsamen laborativen Experimentes, erweisen sich bei genauer Prüfung aber als redundante Konfigurationen, die letztlich nur auf die Grundparameter der Gesamtinszenierung hinweisen: Licht/Schatten, Sehen/Nichtsehen, Ton/Bild. Durch die frei hängende Montage geraten sie bei kleinsten Berührungen ins Schwanken, wodurch auch die entsprechenden Licht-Schatten-Muster an den Wänden in andauernder Bewegung gehalten werden.

Für den Nichtsehenden mag das Ertasten dieser geheimnisvollen Konstruktionen einen besonderen Reiz darstellen, da sie wegen ihrer freien Beweglichkeit keiner festen Raumgeometrie zugeordnet werden können, in sich aber ein eigenes metaphorisch lesbares Gefüge bilden. Das "Erfassen" dieser Gebilde aus Lautsprechern, Strahlern und Halbspiegeln gewinnt im Zusammenhang mit Plotins Formulierungen zur Metaphysik des Sehens eine ganz eigene Bedeutung.

Trotz aller funktionalen Zusammenhänge versteht sich das Gesamtszenario als ein lyrisches, selbstkorreliertes Gefüge, das weder logisch erschlossen, noch rein sensualistisch rezipiert werden will. Als intuitives Mobile zwischen Banalem und Existenziellem zielt es auf verborgene Dreh- und Angelpunkte in den Wahrnehmungsprozessen des Besuchers.

Andreas Köpnick

Abbildung des KunstwerksD Abbildung des KunstwerksD Abbildung einer FlughafenszeneD Abbildung von Marilyn MonroeD

(Die Abbildungen wurden aus dem Fotobesitz des Künstlers zur Verfügung gestellt.)