„Edikt den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner betreffend“, Memel, 9.10.1807:
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„Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, etc. etc. tun kund und fügen hiermit zu wissen:
Nach eingetretenem Frieden hat Uns die Vorsorge für den gesunkenen Wohlstand Unserer getreuen Untertanen, dessen baldigste Wiederherstellung und möglichste Erhöhung vor allem beschäftigt. Wir haben hierbei erwoben, daß es bei der allgemeinen Not die uns zu Gebot stehenden Mittel übersteige, jedem einzelnen Hilfe zu verschaffen, ohne den Zweck erfüllen zu können, und daß es ebensowohl den unerläßlichen Forderungen der Gerechtigkeit als den Grundsätzen einer wohlgeordneten Staatswirtschaft gemäß sei, alles zu entfernen, was den einzelnen bisher hinderte, den Wohlstand zu erlangen, den er nach dem Maß seiner Kräfte zu erreichen fähig war; Wir haben ferner erwoben, daß die vorhandenen Beschränkungen teils im Besitz und Genuß des Grundeigentums, teils in den persönlichen Verhältnissen des Landarbeiters Unserer wohlwollenden Absicht vorzüglich entgegenwirken und der Wiederherstellung der Kultur eine große Kraft seiner Tätigkeit entziehen; jene, indem sie auf den Wert des Grundeigentums und den Kredit des Grundbesitzers einen höchst schädlichen Einfluß haben, diese, indem sie den Wert der Arbeit verringern.
Wir wollen daher beides auf diejenigen Schranken zurückführen, welche das gemeinsame Wohl nötig macht und verordnen daher folgendes:
§ 1. Jeder Einwohner Unserer Staaten ist ohne alle Einschränkung in Beziehung auf den Staat zum eigentümlichen und Pfandbesitz unbeweglicher Grundstücke aller Art berechtigt; der Edelmann also zum Besitz nicht bloß adeliger, sondern auch unadeliger, bürgerlicher und bäuerlicher Güter aller Art, und der Bürger und Bauer zum Besitz nicht bloß bürgerlicher, bäuerlicher und anderer unadeliger, sondern auch adeliger Grundstücke, ohne daß der eine oder der andere zu irgendeinem Gütererwerb einer besonderen Erlaubnis bedarf, wenngleich nach wie vor jede Besitzveränderung den Behörden angezeigt werden muß. Alle Vorzüge, welche bei Gütererbschaften der adelige vor dem bürgerlichen Erben hatte, und die bisher durch den persönlichen Stand des Besitzers begründete Einschränkung und Suspension gewisser gutsherrlicher Rechte fallen gänzlich weg.
In Absicht der Erwerbsfähigkeit solcher Einwohner, welche den ganzen Umfang ihrer Bürgerpflichten zu erfüllen durch Religionsbegriffe verhindert werden, hat es bei den besonderen Gesetzen sein Verbleiben.
§ 2. Jeder Edelmann ist ohne allen Nachteil seines Standes befugt, bürgerliche Gewerbe zu treiben, und jeder Bürger oder Bauer ist berechtigt, aus dem Bauer- in den Bürger- und aus dem Bürger- in den Bauerstand zu treten.
§ 3. Ein gesetzliches Vorkaufs- und Näherrecht soll fernerhin nur bei Lehnsobereigentümern, Erbzinsherren, Erbverpächtern, Miteigentümern und da eintreten, wo eine mit anderen Grundstücken vermischte oder von ihr umschlossene Besitzung veräußert wird.
§ 4. Die Besitzer an sich veräußerlicher städtischer und ländlicher Grundstücke und Güter aller Art sind nach erfolgter Anzeige bei der Landespolizeibehörde, unter Vorbehalt der Rechte der Realgläubiger und der Vorkaufsberechtigten (§ 3), zur Trennung der Radikalien und Pertinenzien, sowie überhaupt zur teilweisen Veräußerung, also auch die Miteigentümer zur Teilung derselben unter sich berechtigt.
§ 5. Jeder Grundeigentümer, auch der Lehns- und Fideikommißbesitzer, ist ohne alle Einschränkung, jedoch mit Vorwissen der Landespolizeibehörde, befugt, nicht bloß einzelne Bauernhöfe, Krüge, Mühlen und andere Pertinenzien, sondern auch das Vorwerksland ganz oder zum Teil und in beliebigen Teilen zu vererbpachten, ohne daß dem Lehnsobereigentümer, den Fideikommiß- und Lehnsfolgern und den ingrossierten Gläubigern aus irgendeinem Grunde ein Widerspruch gestattet wird, wenn nur das Erbstands- oder Einkaufsgeld zur Tilgung des zuerst ingrossierten Kapitals oder bei Lehen und Fideikommissen in etwaiger Ermangelung ingrossierter Schulden zu Lehn oder Fideikommiß verwendet, und in Rücksicht auf die nicht abgelösten Realrechte der Hypothekengläubiger von der landschaftlichen Kreditdirektion der Provinz oder von der Landespolizeibehörde attestiert wird, daß die Erbverpachtung ihnen unschädlich sei.
§ 6. Wenn ein Gutsbesitzer meint, die auf einem Gute vorhandenen einzelnen Bauerhöfe oder ländlichen Besitzungen, welche nicht erblich, erbpacht- oder erbzinsweise ausgetan sind, nicht wiederherstellen oder erhalten zu können, so ist er verpflichtet, sich deshalb bei der Kammer der Provinz zu melden, mit deren Zustimmung die Zusammenziehung sowohl mehrerer Höfe in eine bäuerliche Besitzung als mit Vorwerksgrundstücken gestattet werden soll, sobald auf dem Gute keine Erbuntertänigkeit mehr stattfindet. Die einzelnen Kammern werden hierüber mit besonderer Instruktion versehen werden.
§ 7. Werden die Bauerhöfe aber erblich, erbpacht- oder erbzinsweise besessen, so muß, bevor von deren Einziehung oder einer Veränderung in Absicht der dazu gehörigen Grundstücke die Rede sein kann, zuerst das Recht des bisherigen Besitzers, sei es durch Veräußerung desselben an die Gutsherrschaft oder auf einem andern gesetzlichen Wege, erloschen sein. In diesem Fall treten auch in Absicht solcher Güter die Bestimmungen des § 6 ein.
§ 8. Jeder Lehns- und Fideikommißbesitzer ist befugt, die zum Retablissement der Kriegsschäden erforderlichen Summen auf die Substanz der Güter selbst, und nicht bloß auf die Revenuen derselben, hypothekarisch aufzunehmen, wenn nur die Verwendung des Geldes von dem Landrat des Kreises oder der Departements-Landschaftsdirektion attestiert wird. Nach Ablauf dreier Jahre seit der kontrahierten Schuld ist der Besitzer und sein Nachfolger schuldig, von dem Kapital selbst jährlich wenigstens den 15. Teil abzutragen.
§ 9. Jede keinem Obereigentümer unterworfene Lehnsverbindung, jede Familien- und jede Fideikommißstiftung kann durch einen Familienschluß beliebig abgeändert oder gänzlich aufgehoben werden; wie solches in Absicht der ostpreußischen (mit Ausschluß der ermländischen) Lehne bereits im Ostpreußischen Provinzialrecht, Zusatz 56, verordnet ist.
§ 10. Nach dem Datum dieser Verordnung entsteht fernerhin kein Untertänigkeitsverhältnis, weder durch Geburt, noch durch Heirat, noch durch Übernehmung einer untertänigen Stelle, noch durch Vertrag.
§ 11. Mit der Publikation der gegenwärtigen Verordnung hört das bisherige Untertänigkeitsverhältnis derjenigen Untertanen und ihrer Weiber und Kinder, welche ihre Bauergüter erblich oder eigentümlich oder erbzinsweise oder erbpachtlich besitzen, wechselseitig gänzlich auf.
§ 12. Mit dem Martinitage eintausendachthundertundzehn (1810) hört alle Gutsuntertänigkeit in Unsern sämtlichen Staaten auf. Nach dem Martinitage 1810 gibt es nur freie Leute, so wie solches auf den Domänen in allen Unseren Provinzen schon der Fall ist, bei denen aber, wie sich von selbst versteht, alle Verbindlichkeiten, die ihnen als freien Leute vermöge des Besitzes eines Grundstücks oder vermöge eines besonderen Vertrages obliegen, in Kraft bleiben.
Nach dieser Unserer Allerhöchsten Willensmeinung hat sich ein jeder, den es angeht, insonderheit aber Unsere Landeskollegia und übrigen Behörden genau und pflichtmäßig zu achten, und soll die gegenwärtige Verordnung allgemein bekannt gemacht werden.“
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Zitiert nach: Stein, Briefe und amtliche Schriften, Bd. 2, T. 2, hg. von Erich Botzenhart und Walther Hubatsch, Stuttgart 1959, S. 457-460.
Anmerkung:
Das deutsche Recht bestimmte, daß das Fideikommiss als Familienvermögen geschlossen in der Hand eines Familienmitglieds blieb. Der Fideikommissbesitzer konnte jedoch nur über den Vermögensertrag frei verfügen. Diese Einrichtung diente vor allem dazu, den Grundbesitz des Adels festzulegen.
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