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Auszüge aus Arnold Mallinckrodts Schrift über die „possessorischen Klagen auf Leistung der Hand- und Spanndienste“, 1812:
„ [...]
§ 4.
Wäre es mit der landesväterlichen Absicht Sr. Kaiserl. Majestät vereinbar, daß man die Unterthanen nur durch Proceß der Wohlthat theilhaftig werden lassen wollte, welche ihnen das Gesetz fest und unbedingt zusichert?

Wer wird diese Frage zu bejahen wagen? Unstreitig gibt es im Großherzogthum mehrere tausend Bauerngitter, auf welche das gedachte Kaiserl. Decret Anwendung findet. Und die Gerichtsbehörden wollten alle diese Tausende, jeden zu einem Processe sowohl bey den Friedensgerichten und bey den Tribunalen zwingen, und sie so lange von der Kaiserl. Wohlthat des klaren aufhebenden und verbietenden Gesetzes ausschließen? Wahrlich – das wäre eine schreckliche, landesverderbliche Maßregel, welche die obern Justiz- und übrigen hohen Landesbehörden nicht billigen werden, welche unser gerechter Kaiser, an den sich der Bauernstand in dieser für ihn so höchst wichtigen Angelegenheit aufs neue unmittelbar wenden müßte, schrecklich ahnden würde.
Ist es doch Sr. Kaiserl. Majestät erklärter Wille, daß bey den Domainengütern die Kaiserl. Decrete vom 12ten Dec. 1808 und 13ten Sept. 1811 aufs pünktlichste zu Gunsten der Höfner angewandt werden sollen, welches dem zufolge von der Domaine auch bereits größtentheils geschehen, insbesondere keine weitere Dienstleistung gefordert ist. Und die einzelnen Privaten wollten sich ein mehreres Recht anmaßen, als der Landesherr selbst, und die Gerichtsbehörden, welche auf strenge Vollziehung der Gesetze und der Gerechtigkeit vereidet sind, wollten Sie in ihren gesetzwidrigen Versuchen begünstigen!

§ 5.
Welches Rechtsmittels wird man sich gegen die ergangenen verurtheilenden possessorischen Erkenntnisse der Friedensgerichte bedienen müssen?

Da alle diese Sachen in der Regel einen höhern Capitalwerth als 100 Francs haben, ja als dingliche Sachen eigentlich gar nicht einmahl zur Competenz der Friedensgerichte gehören: so findet auf jeden Fall das Rechtsmittel der Appellation gegen solche Urtheile Statt. Nicht weniger aber findet auch wegen vorhandener Incompetenz der Friedensgerichte und der Verletzung eines klaren Kaiserl. Decrets das Rechtsmittel der Cassation in diesen Fällen Statt. Und wahrlich verdienen solche Friedensrichter, denen ein klares Kaiserl. Gesetz nicht heilig ist, daß man sich gegen ihre Urtheile des Rechtsmittels der Cassation bediene.
Zum Schlusse werden hier zwey solcher Erkenntnisse von Friedensgerichten, das eine wider, das andere für, angehängt. Die Beklagten sind beyde Leibgewinner. Außerdem sind noch acht solcher, die Bauern, welche sämmtlich Leibgewinner sind, in possessorio verurtheilender Erkenntnisse seit kurzem ergangen, und zu fürchten ist, daß dieser gangbar gewordene Weg bald allgemein wird eingeschlagen werden, wenn nicht von den hohen Behörden bald ein Riegel vorgeschoben werden möchte.
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Beylagen.
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1.
Im Namen Sr. Majestät des Kaisers der Franzosen, Königs von Italien, Napoleons I., erkennt das hiesige Großherzogliche Friedensgericht in Sachen des Freyherrn von Rincke zu Ickern, Klägers, gegen den Colon Heidfeld, Mairie Waltrop, Beklagten, zu Recht:

Der Beklagte entrichtet seine von seiner Colonie abgehenden Pächte an den Kläger, und hat in Gemäßheit des Pachtbriefes wöchentlich einen Handdienst auf dem adelichen Hause Ickern, wovon Kläger Eigenthümer ist, zu leisten. Diesen wöchentlichen Dienst hat Beklagter bis letztverflossenen St. Martini richtig geleistet, ist aber von da an ausgeblieben, und hat sich nicht bequemen wollen, die Dienste fortzuleisten. Kläger hat daher gegen den Beklagten die possessorische Klage angestellt und aus dem Grunde verlangt, beym Besitz dieser Dienste gehandhabt zu werden, weil die Existenz des in diesem Falle kündigen Pachtvertrags allen Bezug auf das Kaiserliche Decret vom 13ten Sept. anni praeteriti nach Art. 12 für den Beklagten vereitle. Beyde Theile sind zur heutigen Audienz gehörig vorgeladen worden und erschienen.
[...]
Vergleich hat nicht zu Stande kommen können. Nach dem Geständniß des Beklagten ist der Besitz des Klägers außer allen Zweifel gesetzt. Es fragt sich also in diesem Falle einzig, ob das vom Beklagten angeführte Gesetz das bisherige Recht des Klägers, somit auch seinen Besitz völlig abgeschafft habe. Kläger hat in Abrede gestellt, daß die dem Beklagten verpachtete Colonie unter die Art Güter gehöre, wovon das mehrbesagte Decret Art. 11 Meldung thut. Beklagter ist also schuldig, den Beweis zu führen, den der nachfolgende Artikel ausdrücklich vorschreibt; Beklagter hat sich aber zu solchem Beweis nicht erboten, wozu er doch verpflichtet gewesen: denn wollte er solchen durch Urkunden stellen, so war er verbunden, solche gleich in der Audienz zu produciren, nach dem Art. 58. der bestehenden Proceßordnung Nr. 34. der herzoglich Arensbergischen Verordnungen. Wollte er den Beweis durch Zeugen stellen, so mußte er denselben nach dem Art. 69. ebenfalls gleich anbieten. Allein, wenn sich auch Beklagter zum gehörigen Beweis anerboten hätte: so würde sich desfalls auf der Stelle keine Entscheidung haben hoffen lassen, es sey denn, daß derselbe in continenti völlig gestellt worden.
[...]
Urtheil. Daher wird der Kläger beym Besitz des wöchentlichen Handdienstes gehandhabt, und der Beklagte für die nicht geleistete Dienste den Kläger zu entschädigen angewiesen. Zudem wird der Beklagte in alle aufgegangene Kosten verurtheilt.

Gegenwärtiges Urtheil ist dem Dimensionstempel unterworfen. Alle geschehen und geurtheilt Recklinghausen den 30sten Januar 1812.

Mesener. Eyßermann.

Für gleichlautende Ausfertigung ausgehändigt auf Ansuchen des Klägers.

Bornheim, Gerichtschreiber.“
 
Quelle: Arnold Mallinckrodt, Ist der aufgehobene Besitz über das aufhebende Gesetz und über den Kaiser?
Oder: die possessorischen Klagen auf Leistung der Hand- und Spanndienste wider das kaiserliche Decret
vom 13ten Sept. 1811, Dortmund 1812.

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