Aus: Arno Herzig, Judentum und Emanzipation in Westfalen, Münster 1975, S. 12f., 14f.:
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„Als sich unter Napoleon erneut ein autoritäres Regime in Frankreich etablierte, wurde auch die Emanzipation der Juden durch ein Dekret teilweise wieder eingeschränkt. Aber die Idee von der allgemeinen Gleichheit war immer noch so stark, daß auch Napoleon die Emanzipation der Juden nicht beseitigen konnte. Als nach dem Tilsiter Frieden Deutschlands politische Ordnung durch Napoleon neu gestaltet wurde, wirkte sich Frankreichs Einfluß auch dahingehend aus, daß in den von Frankreich abhängigen Staaten die Emanzipation der Juden teilweise oder ganz durchgeführt wurde. Am fortschrittlichsten zeigte sich dabei Napoleons Bruder Jerôme, der seit 1807 König des neugebildeten Königreichs Westfalen war, zu dem – trotz des Namens – von Westfalen allerdings nur der östliche Teil gehörte. Jerôme ging in der Emanzipation der Juden weit über das hinaus, was Napoleon für erträglich hielt, was wiederum zu Differenzen zwischen den Brüdern führte. Durch das Decret vom 15.11.1807 erklärte er alle jüdischen Untertanen seines Reichs als den christlichen völlig gleichgestellt. Ähnlich wie Napoleon in Paris 1807 den großen Sanhedrin, eine Versammlung hochgeschätzter jüdischer Persönlichkeiten einberufen hatte, um den Prozeß der Assimilation zu beschleunigen, so ließ Jerôme im Februar 1808 eine jüdische Deputation aus seinem Königreich in Kassel erscheinen, um sich durch ihren Sprecher nicht nur die Loyalität, sondern auch die Mitarbeit der Juden als Soldaten, Kaufleute und Bauern im neuen Königreich versprechen zu lassen. Sprecher war der Braunschweiger Geheimrat und Bankier Israel Jakobson, der 1801 in Seesen eine Schule für christliche und jüdische Kinder errichtet hatte und die Assimilation der jüdischen Bevölkerung an die christliche Umwelt durch eine Reform des jüdischen Gottesdienstes zu forcieren suchte. Jakobson wollte die jüdischen Gemeinden ähnlich straff wie die christlichen organisieren und unterstellte sie, gestützt auf ein königliches Dekret vom 31.3.1808, einem Konsistorium, dessen Präsidium er selbst übernahm. Das Konsistorium sollte über die jüdische Religionsausübung, die Verwaltung der Gemeinden, die Schulen und Ausbildung der jüdischen Gemeinden im Königreich wachen. Trotz der kurzen Zeit, in der das Konsistorium existierte, führten Jakobson und seine Konsistorialräte zahlreiche Reformen durch.
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Das Königreich Westfalen war, was die Emanzipation der Juden betraf, seinerzeit der fortschrittlichste Staat in Deutschland. Auch in den übrigen Staaten gab es Ansätze, aber kaum eine völlige Emanzipation. Im Herzogtum Berg, in dem der kaiserliche Kommissar Graf Jaques Claude Beugnot die Regentschaft für den 1 1/2jährigen Neffen des Kaisers führte, erhielten die jüdischen Einwohner durch eine Verordnung vom 26.9.1808 die Gleichstellung mit allen übrigen Einwohnern des Staates zugesprochen. Zu dieser Zeit betrieb jedoch Napoleon selbst eine reaktionäre Politik gegenüber den Juden. Er war bestrebt, die ihnen 1791 zugesprochene totale Gleichstellung mit den christlichen Untertanen wieder einzuschränken. Auch Beugnot, der noch stärker als König Jerôme an die Weisungen aus Paris gebunden war, führte deshalb die Judenemanzipation nur mit gewissen Einschränkungen durch. So sah die Verordnung vom 26.9.1808 vor, "dieselben (die Juden) allmählich in die nämlichen Rechte und Freiheiten zu setzen, die die übrigen Einwohner des Großherzogtums und der damit vereinigten Staaten genießen". Im Gegensatz zum Königreich Westfalen mußten die jüdischen Einwanderer für die Niederlassung im Herzogtum Berg einen Konsens von der Regierung einholen, der nur solchen gewährt wurde, "welche eine gute untadelfreie Aufführung beweisen, ein nützliches Gewerbe im Großherzogtum einführen, oder liegende Gründe in demselben eigenthümlich erwerben". Ähnlich wie einst in dem absolutistischen Preußen so sah auch hier der Staat die Regelung der jüdischen Angelegenheiten unter fiskalischen und etatistischen Aspekten. Wie alle autoritären Staaten, so trat auch das napoleonische Regime den Juden gegenüber als Erzieher auf und maßte sich an, über die "gute, untadelfreie Aufführung der Juden" zu entscheiden und ihre freie Entfaltungsmöglichkeit zu beschränken. Für die jüdischen Einwohner gab es zwar nun keine persönlichen Abgaben mehr – das war gewiß ein Vorteil – aber sie wurden nun zur Militärpflicht und zu den öffentlichen Abgaben herangezogen wie alle anderen Untertanen auch. Im ganzen gesehen blieb die Emanzipation der Juden im Großherzogtum Berg ein Torso. Es wurde nicht einmal ein Gesetz erlassen, das allen Juden vorschrieb, sich einen Familiennamen zuzulegen, um sie somit auch äußerlich den christlichen Untertanen gleichzustellen. Eine Verordnung, die die gemeinsamen Schulden der ehemaligen jüdischen Korporationen regeln sollte, wurde zwar am 29.5.1813 erlassen, aber aufgrund der politischen Ereignisse nicht mehr wirksam. Nicht viel anders war es mit der Emanzipation der Juden in dem Teil Westfalens, der an das Kaiserreich Frankreich gefallen war. Auch hier wurden die Juden den christlichen Untertanen gleichgestellt. Einige jüdische Bürger wurden von den französischen Behörden sogar als Gemeinderäte in den politischen Gemeinden eingesetzt. Ein Dekret vom 1.3.1811 erklärte zwar die französischen Gesetze vom 10.12.1806 und vom 17.3.1808 auch für die neuerworbenen Gebiete des Kaiserreichs für verbindlich, aber sie kamen de facto nicht zur Anwendung. So wurde im Gegensatz zum Rheinland im westfälischen Teil Frankreichs weder ein Konsistorium eingerichtet, noch ein straffes hierarchisch geordnetes Gemeindesystem geschaffen.“
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