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Text des gesamten Artikels aus dem Rheinisch-Westfälischen Anzeiger vom 22. Mai 1819, Sp. 786-790:


„Vaterländische Verfassungen.

Wir haben neulich bei der Anzeige von Sommers trefflicher Schrift über die Verfassung Westfalens die beiden Schreiben angeführt, so ihm vom Fürsten Staatskanzler und dem Minister v. Beyme geworden.
Folgendes ist das Schreiben, womit ihn der Minister v. H u m b o l d beehrt hat:
Frankfurt a.M. 31. März 1819.
Ew. Wohlgeboren haben mir durch Ihre Schrift ein sehr schätzbares Geschenk gemacht und ich habe dieselbe mit verweilender Aufmerksamkeit und lebhaftem Interesse durchgelesen. Es wäre ungemein zu wünschen, daß alle Theile des preußischen Staates sich gleich gründlicher und gunstvoller Darstellungen und Beurtheilungen ihrer ehemaligen oder bisherigen Verfassungen zu erfreuen hätten.
Daß neue Verfassungen, wo sie dauerhaft und beglückend seyn sollen, so viel als möglich, müssen auf einen historischen Grund gebaut werden, daß man bei ihnen von gut geordneten Gemeindeverfassungen auszugehen hat, um aus festen und lebendigen Elementen ein organisches Ganzes zusammenzufügen, und daß der wesentliche Nutzen landständischer Einrichtungen in der Erweckung und Erhaltung eines wahrhaft staatsbürgerlichen Sinnes in der Nazion gesucht werden muß, in der Gewöhnung der Bürger an dem gemeinen Wesen einen, von isolirender Selbstsucht abziehenden, Antheil zu nehmen, zu dem Wohle desselben von einem, durch die Verfassung selbst bestimmten, Standpunkte aus mitzuwirken, und sich auf diesen, mit Vermeidung alles vagen und zwecklos aufs Allgemeine gerichteten Strebens, zu beschränken; darüber müssen alle einig sein, welchen ein Urtheil über diesen Gegenstand gebührt. Jeder Deutsche wird auch mit Freude erkennen, daß die Vorbilder solcher Verfassungen nicht brauchen aus Staaten hergenommen zu werden, die als neu entstanden, keine Vergangenheit besitzen, oder die sie muthwillig zerstört haben, sondern daß sich dieselben in unserer vaterländischen Geschichte reichlich vorfinden, so wie noch viele Elemente in noch fortbestehender Einrichtung. Die Frage kann nur seyn, wie das Neue an das Alte zu knüpfen, wie das örtlich Einzelne zum Allgemeinen verschmolzen werden kann? Und was hernach vom Bisherigen und vom Lokalen aufgeopfert werden muß? Und hierzu liefert Ew. Wohlgeboren Schrift wichtigen Stoff der Betrachtung.
Indem ich Ihnen meinen Dank für die Mittheilung derselben wiederhole, bitte ich Sie, die Versicherung meiner aufrichtigen Hochachtung anzunehmen.
H u m b o l d
An den Herrn Hofgerichtsadvokaten Sommer,
Wohlgeb. in Kirchhundem
im Herzogthum Westfalen bei Arnsberg.

Dieser Brief des Ministers von Humbold ist um so wichtiger, da man in ihm die Ansichten des Mannes findet, der zunächst berufen, das Verfassungswesen in Preußen zu bearbeiten, und der, nachdem er lange in Frankfurt geweilt, jetzt nach Berlin abgegangen, um das Portefeuille des Ministeriums der Verfassung zu übernehmen.
Man sieht, daß der Minister einen großen Werth auf die Freiheit und Selbständigkeit der Gemeinen setzt, weil die Gemeinen die ersten Elementes sind, aus denen der Staat zusammengesetzt ist, und in deren freien Verfassungen sich der Bürgersinn und die Anhänglichkeit an den vaterländsichen Boden entwickeln muß.
Dann bemerkt der Minister, daß gerade in der Selbständigkeit der Gemeinen alle Ambitionen ihre Arena fänden, und daß hierdurch am leichtesten das zwecklose politische Streben in seiner nächsten Nähe seine Befriedigung fände ...
Ferner sieht man, daß der Minister den historischen Standpunkt beim Verfassungswesen gewonnen, indem er die neue Verfassung auf die fortbestehenden Elemente der alten aufbauen will. Unter diesen Elementen ist unstreitig das wichtigste das altgermanische Element d e s f r e i e n u n d u n a b h ä n g i g e n A c k e r b a u e r n , der seinen Ackerboden mit völliger Herrlichkeit besaß, und keinen Lehn- oder Zwingsherrn über sich erkannte. Dieses Element, was im Laufe der Zeit vielfach gelitten hatte, ist jetzt überall wieder hergestellt worden, und deswegen werden die neuen Verfassungen dauerhaft werden, eben weil sie wieder auf den altdeutschen Elementen beruhen, auf der G e m e i n e n E h r e , wie Möser es nennt. - Die Vertretung der Landschaft wird jetzt wieder so werden, wie in alter Zeit, wo alle Landsassen auf den Placiten erschienen, wo der Landtag ein e i g e n t l i c h e r E r b e t a g war, so wie Prof. Brewer in Düsseldorf dieses noch neuerlich aus einer alten Urkunde gezeigt, er aufs neue hat abdrucken lassen.
Bei diesem Zurückgehen auf das Alte fallen verschiedene Mißbräuche von selber weg, so sich in neuern Zeiten eingeschlichen. Hierhin gehörte, daß die Abkömmlinge der Dienstmannschaft sich auf ihre eigene Hand gesetzt, und für sich allein Landtag gehalten, von denen sie die anderen Landsassen, so nicht zu dieser adeligen Knappschaft gehörten, dadurch ausschlossen, daß sie Niemanden zuließen, der nicht mit 8 Schilden beweisen konnte, daß seine Großväter und Großmütter Meisters Söhne und Meisters Töchter gewesen und mit zu dieser Innung gehört hätten. So wurden, wie Sommer gezeigt, noch im Jahr 1584 im Herzogthum Westfalen a l l e L a n d s a s s e n zum Landtage verschrieben. Im Jahr 1601 machte aber die adelige Dienstmannschaft den Beschluß: daß sie auf dem Landtage nur solche Landsassen zulassen wollten, die zu der Krieger-Knappschaft gehörten, und die mit 8 Schilden beweisen konnten, daß ihre Eltern und Urältern ebenfalls dazu gehört. Im Jahr 1654 machten sich diese Nachkömmlinge der alten Dienstmannschaft auch von den gemeinen Landessteuern los. ...
Man sieht, alle diese Mißbräuche stammen überall bloß aus neuerer Zeit, und indem man auf das Alte und auf das Urkundliche zurückgeht, so bekommt man eine ganz vortreffliche Verfassung, und ohne daß man genöthigt ist, was neues zu machen. Sobald wie die ganze Landschaft bei Geldverwilligungen von der Landeshoheit begrüßt wird, so wie im Bergischen im Jahr 1363, so haben wir alles, was wir brauchen. Denn die Steuerverwilligung - ist im Repräsentationensysteme Moses und die Propheten.
Der arme Dr. Schlosser kommt freilich mit seiner Denkschrift für den Adel eben so übel weg, als seine Kommittenten. Allein warum haben diese sich auch so einen neumodischen Historiker von Frankfurt verschrieben, der die Geschichte bloß vom Hörensagen kannte, und nie Urkunden gelesen?
B[enzenber]g.“
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