Fortsetzung des Artikels
Beispiele dieser Heldentugenden gaben die Schweizer und Niederländer, diese beiden Zweige unserer großen Familie, unglücklicher Weise als Abschließe ausgesprochen durch den, die Zerknickung Deutschlands im Busen tragenden westfälischen Frieden. (Möchten diese Bruderfamilien nun sich wieder anschließen an den deutschen Bund, ans Mutterland!)
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Dieser Freiheitssinn hat sich bis auf den heutigen Tag in unverkennbaren Spuren gezeigt und erhalten, wenn gleich das eigentliche Volk in der neuern Zeit, unglücklicher Weise für Deutschland! immer mehr entfernt wurde von der Theilnahme am National-Gemeinthum, das sicherste Mittel, Gemeinsinn und Freiheitssinn zu ersticken. Am regsamsten zeigte sich derselbe noch, wenn auch hie und da zuweilen auf possirliche Art, bis zur letzten Zeit in den meisten Reichsstädten, und reiner und kräftiger in mehreren Gebirgsgegenden. Jetzt hat er angefangen allgemeine r wieder zu erwachen, wozu das beste Mittel Theilnahme Aller an der Vaterlandsvertheidigung ist und kräftig wird er nun aufschießen in jugendlichen Sprossen, dieser hochhebende Sinn, fähiger als irgend etwas, eine Nation, wie die Menschheit zu veredlen. Nur ihm entkeimt alles Große und Schöne. – Und deutsche Tapferkeit? Sie ist nicht erstorben; bis zur neuesten Zeit ließen alle übrige Nationen dem Deutschen die Gerechtigkeit wiederfahren, er sei ein guter Soldat. Was hat nicht Napoleon durch die Deutschen, leider gegen ihre Brüder! ausgerichtet? Was richteten nicht unsere Landwehrmänner aus, und muthig gehen sie noch heute dem Feinde entgegen? Nur nicht Söldlinge mehr, nur freie Männer; nur ein Vaterland, und dem Tapfersten nicht wird der Deutsche weichen, gilt es Schutz diesem Vaterlande.
Des Deutschen zweiter Grund-Charakterzug, Ehrlichkeit und Redlichkeit, lebt vornemlich doch in seinen Sprichwörtern, und schwerlich gibt es ein Volk in der Welt, das deren dieser Art so viele oder mehrere hätte; sie sind ein ewiges Ehren-Denkmahl für die Nation. Ehrlich, so heißen sie, währt am längsten; Ein Wort ein Wort, ein Mann ein Mann; Unrecht Gut gedeihet nicht; Der ungerechte Pfenning verzehrt den gerechten Thaler; Unrecht Gut kommt nicht auf den dritten Erben; Wie gewonnen, so zerronnen; Rechthun läßt sanft ruhn, Thue Recht und scheue niemand; Besser Unrecht leiden, als Unrecht thun; Treue Hand geht durchs ganze Land; Untreue schlägt sich selbst; Ein Tagedieb ist auch ein Dieb; Ehre verloren, alles verloren. Die Geschichte bewährt, wie die Sprichwörter, diese Tugenden; vornemlich liefern die frühere Ritterzeit, vor ihrer nachherigen Ausartung, und die Blüthezeit der Hanse schöne Beispiele davon. Spät hat sich die Redlichkeit unter den Deutschen, insbesondere bei den deutschen, so wie den, ihnen zugehörigen niederländischen Kaufleuten als fast allgemeine Regel und als Kaufmanns-Ehre erhalten. Erst die Kipper- und Wipperzeit der letzten zwanzig Jahre hat diese altdeutsche Ehre der Kaufleute, und des deutschen Volkes überhaupt zu knicken angefangen. Sellten dachte man vorher an schriftliche Verträge und an Quittungen. Goldene Zeit, warum bist du uns entflohen! Doch nein, nur entwichen auf kurze Zeit im Strudel der gewaltsamen Weltbegebenheiten bist du, du wirst wiederkehren, wenn jener Krüppelstand aufhört, wiederkehren jetzt, das Gefühl von Freiheit und Kraft und Würde die Nation neu veredelt; noch sind wir nur durch gewaltsamen Stolz aus dem Geleise gekommen Deutsche, nicht ausgeartete Bastarde, nicht Schandflecke unserer Väter, und ihrer deutschen Ehre. Es wird wiederkehren jene Zeit der Treue, jene Zeit der Gerechtigkeitsliebe, der Achtung für die Gesetze, wiederkehren jene Zeit der Wahrheitsliebe, der Geradheit und Offenheit, der Freimüthigkeit, aller dieser Tugenden, welche in Deutschland so viele große, kraftvolle Männer erzeugt haben. Noch heißt in unserer Sprache ein deutscher Mann so viel als ein biederer, redlicher, rechtschaffener, gerader Mann; Deutsch sprechen so viel, als: wahr, offen, freimüthig sprechen; ein deutsches Wort so viel, als ein: wahres, kräftiges Wort. In diesen Ausdrücken liegt ein sprechender Beweis des deutschen National-Charakters, zugleich Hinweisung auf deutsche National-Würde, und kräftige Mahnung an alle Deutsche, zu seyn, was ihre Väter waren.
Den dritten National-Grundzug: Religiosität, hob schon Tacitus als einen ehrwürdigen Zug des deutschen Volks-Charakters aus. „Die himmlischen Wesen, sagt er, sind ihnen zu groß, als daß sie sie zwischen Mauern einschließen, oder unter menschlicher Gestalt abbilden sollten. Haine und Wälder weihen sie, und benennen mit Götternamen jenes geheime Wesen, das sie blos im Schauer der Ehrfurcht wahrnehmen.“ „Dann betet, bey öffentlicher Rathfrage der Priester des Volks, in Privatsachen der Hausvater zu den Göttern, hebt mit gen Himmel gerichteten Blicke einzelne Reiser
„dreimahl auf, und deutet sie nach den darauf befindlichen Zeichen. Verbieten sie, so wird die Sache am nemlichen Tage nicht weiter vorgenommen.“ Und sie hielten fest an dem Glauben ihrer Väter; daher fand das, damals schon verunläuterte Christenthum spät erst bei ihnen Eingang, doch leichter durch Bonifazens sanfte Belehrung und Ueberzeugung, als durch Karls blutigen Zwang. Welches Volk stämmte demnächst muthiger sich gegen neuere Verdrehungen des Christenthums, insbesondere gegen Gregors, gegen Roms freche Eingriffe in die Gewissen, als das deutsche? Hauptsitz der Religions-Reinigung wurde späterhin Deutschland, von dem aus sie sich nach allen Seiten, vornemlich in Europas nördliche Länder verbreitete. Wo dachte und schrieb man soviel über Religion, als hier, wo hing man wärmer an ihr, wo hat man mehr Opfer gebracht der Glaubens- und Gewissensfreiheit, welches Volk hat so viele geistliche Oden und Lieber, als das deutsche, welches hat ihrer so viel gute, kräftige und innige! Welches hat insbesondere ein so ergreifendes, als das Kern-Lied Luthers: Ein’ feste Burg ist unser Gott! Welche Nation einen so religiösen, ins Leben practisch übergehenden Sinn, als die deutsche und schwedische? Wo hat sich die heilsame, aufs practische Leben mehr, als man jetzt glaubt, wirkende Sitte des Morgen-, Tisch- und Abendgebets so lange fast allgemein erhalten, als bei den Deutschen? Wie schön endlich bekundet sich der Deutschen religiöser Sinn in ihren Sprichwörtern: An Gottes Segen ist alles gelegen; Der Mensch denkts, Gott lenkts; Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen; Wenn die Noth am größten, dann ist Gott am nächsten; Bete und arbeite? Freilich haben die beiden letzten wirbelnder Jahrzehende auch hierin viel, gewaltsam und leichtsinnig zerstörend, geändert. Aber die heilsame Grundquelle ist nur getrübt, sie ist nicht versieget; schon fängt sie an, ihre Rechte wieder zu behaupten, und geläutert wird sie, Segen verbreitend, schöner sich ergießen, als je. Auch wird die deutsche Sittlichkeit, unser Nationalstolz, mit ihr zurückkehren. „Die Ehe ist hier strenge, sagt Tacitus, und kein Theil ihrer Sitten verdient höheres Lob; sie, unter den rohen Völkern fast die einzigen, begnügen sich mit Einem Weibe.“ „So leben sie in gesicherter Keuschheit.“ „Nicht Schönheit, nicht Jugend, nicht Reichthum schaft ihr (der Unkeuschen) einen Mann. Denn da lacht niemand über Laster; verführen und verführt werden, heißt nicht (wie bey den entarteten Römern) Weltsitte.“ „Mehr leisten gute Sitten hier, als anderswo gute Gesetze.“ „Spät folgen die Jünglinge der Liebe; daher unerschöpfte Mannheit. Auch die Jungfrauen eilen nicht zur Ehe. In der nemlicher Jugend und Reife vereinigt sich das gleiche kraftvolle Paar, und von der Eltern Stärke zeugen die Kinder.“
Ist es ja doch bis in die neuern Zeiten bei den Deutschen eine Schande des Mannes geblieben, eine Geschwächte sitzen zu lassen; und Landgemeinen kennt man noch jetzt, in welchen seit mehr als einer Generation keine uneheliche Geburt, geschweige denn ein Ehebruch bekannt ward. Hochgeehrt stand insbesondere schon zu Tacitus Zeiten, dann zur goldenen Richterzeit, und auch späterhin, das deutsche Weib da, und wurde mit einer, bei nicht gebildeten Nationen seltener Zartheit behandelt.“
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