Auszüge aus den Protokollen des Stadtrates und des Regierenden Domkapitels in chronologischer Reihenfolge
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27.7.1801
„Glaser Maler Amt c. Böcker. Gildemeister des combinirten Glaser- Maler p. [= usw.] Amts erschienen und beschwerten sich darüber, daß der Wagenmachermeister Böcker
a) Wagen auf- und abhange,
b) das Lederwerck an die Wagen einschmiere,
c) die Federn mit Packgarn bespönne, und
d) Wagenüberzüge mache.
Da die gemelte Gildemeister diese Punkte als exclusiva aller Sattler behaupteten, der Meister Böcker aber solches nicht zugestehen wolte, so ist nach genommener Einsicht der Rolle à Magistratu vordersamst in Vorschlag gebracht:
1) das Auf- und Abhangen der Wagen solte, soweit es bey der Wagenmacher-Arbeit nothwendig würde, dem Meister Böcker verstattet seyn,
2) Das Schmieren der Wagen solte dem Böcker nicht verstattet seyn.
3) Dagegen würde dem Meister Böcker erlaubt, die Federn zu bestimmen.
4) Das Überzüge machen aber mögte er lediglich dem Amte überlassen.
Über welche Vergleichsvorschläge dann beyde Theile binnen 14 Tagen sich so bestimmt zu erklären hätten, wiedrigenfalls dieselbe für angenommen gehalten seyn solten.“
10.8.1801
„Von Seiten Wagenmachers Böcker wurde übergeben schriftliche Erklärung
Relative ad Protocollum de 27. Praeteriti erschiene des combinirten Glaser- Maler p. Amts Gildemeister Reinhold und erklärte, daß er die von Magistrate gemachten Vergleichsvorschläge annehme, jedoch verstünde es sich dabey von selbsten, daß unter dem darinne befindlichen Ausdrucke Amte nur blos die Sattler zu verstehen wären. Würde der Wagenmacher Böcker die Vergleichsvorschläge resolutionsmäßig nicht annehmen, so wolte sich näheres Anrufen vorbehalten haben.“
16.8.1801
„Bockers nachgesuchte Octroi [Privileg] seiner Wagenfabric
Ist verlesen Supplic [Eingabe] des combinirten Maler Glaßer Sattler und Wagenmacher Amts, worin dieselbe bitten, dem Wagenmacher Bücker keine vom Hochwürdigen Domcapitul vielleicht nachzusuchende Octroi seiner angelegten Fabriquer in Gnaden nicht zu ertheilen, als der Nahrung ihres Amtes und anderen Zünften nachtheilig, worauf resolviret, Supplicanten wird ohnverhalten daß dem Hochwürdigen Domcapitul von dem vorgegebenen combinirten Amte nichts bekannt seye.“
[Daraufhin legte das Amt seine Amtsrolle zur Bestätigung durch das Domkapitel vor!]
[Am 24. August 1801 wurde die ablehnende Entscheidung des Domkapitels gegen den Antrag des Wagenmachers Böcker dem Rat bekanntgeben].
5.9.1801
„Ad supplicam [zur Eingabe] des Wagenmacheren Bücker um die gnädige Verstattung, die zu seinem Metier erforderlichen Handwercker-Arbeiter als Schloßer, Schmiede, Sattler etc. selbst halten zu dörfen. Wäre der Herr Domdechant der Meinung, zum Geheimrath zum guthachtlichen Bericht, wie der Fabric des Wagenmacher Bucker durch Gewährung seiner Bitte zur beßeren Aufnahme des Fabrikenwesens, wodurch kenntlich der Nahrungsstand so vieler Leute und Handwercker in der Stadt gefördert, und verbeßert würde, aufzuhelfen seyn wolle.
Dem H. Kammerpraesident von Spiegel wurde vom Hochwürdigen Domcapitul aufgetragen, seine geäußerte Meinung hierüber morgen ausführlich dem Domcapitul vorzutragen, und ist die Resolution hierüber ausgestellet.“
6.9.1801
„Herr Domcapitular v. Spiegel gabe zum Protocoll - in gefolg gestriger Äußerung B schrifftliches Votum in betref des Wagenmacher Bucker folgenden Inhalts.
Mit richtigen staatswirtschaftlichen Maximen läßt sich die Erhaltung der Zünfte nicht vereinbahren, und wann hier dieser Zwang, welcher dem Gewerbfleiß dadurch angelegt wird, noch bestehen soll, so kann nur die Rücksicht, daß die Zunft Verfaßung genau mit den hießigen städtischen verbunden ist, eine Ausnahme in der Nothwendigkeit ihrer Abschaffung hervorbringen. Sie darf meinem Bedüncken nach uns nicht hindern, die Zunftzwangbarkeit dort einzuschräncken, wo wir dies für nützlich halten und es ohne völlige Aufhebung der Zünfte thuen können. Solcher Fall scheint mir seine Anwendung bei der Vorstellung des Wagenmacher Bucker zu finden.
Dieser treffliche Bürger hat eine Anlage gemacht, die nur alsdann von ausgedehntem Nutzen sein kann, wenn selbige biß zu einer vollständigen Fabric errichtet werden kann, alsdann wird er durch den Verkauf ins Ausland große baare Summen einführen können.
Um aber eine vollständige Wagenfabricque einrichten zu können, muß der Bücker nothwendiger weiße sich durch eine freie Auswahl der zur Instandsetzung eines Wagens concurrirenden [zusammentretenden, beteiligten] Handwercker den Vortheil verschaffen können, daß die Arbeiter völlig von ihm, nicht aber er von seine Arbeiteren abhange, er muß seine Schloßer, Sattler, Schreiner und Mahler dort hernehmen können, wo er Sie zu seiner Absicht am tauglichsten findet. Diese Freiheit wird auf Güte und Wohlfeilheit seiner Waaren einen entscheidenden Einfluß haben. Diese Betrachtung aus der Natur der Sache hergenommen, bewegt mich, dahin zu stimmen, daß
1. ihm erlaubt werde, die zu seiner Wagenfabric nötige Handwercker nach seiner Willkühr anzunehmen und sich nicht zunftmäßige Einschränken zu müssen, dagegen aber
2. soll er verbunden sein, diejenigen aus seinen Handwerckern, welche nicht zunftmäßig, sie bei ihrer Annahme der jenigen Gilde, wozu das in Frage stehende Handwerck gerechnet wird, anzuzeigen, damit diese darauf wachen kann, daß keiner aus denen, welche zu des Supplicanten Fabrique bestimmt sind, sich unterstehen, für andere Bewohner hießiger Stadt außer der Fabrique zu arbeiten, und wofern
3tio. der Bocker zugibt, daß [wenn] die vor ihm und für seine Fabriq unzünftige, [für] anderen aus der Stadt arbeiten, ohne daß er die Arbeiter sogleich außer Verdienst sezt, so soll er ipso facto dieses ihm ertheilten Privilegii auf immer verlustig seyn.
4. Damit nicht aus der Verleihung dieses Privilegii auf eine Abschaffung der Zunft-Constitution geschloßen werden mögte, so könnten dem Geheimenrath die Ursache des dem Bocker ertheilten Privilegii genau angezeigt, und Ihm aufgetragen werden, daß er hirnach auch den Stadtrath dahier anzuweißen hätte,
H. Domdechant: Sie ließen sich dieses auf die Person des Supplicanten unter den vom H. von Spiegel angezeigten Bestimmungen [gefallen, daß das Privileg ihm] gegeben werde,
H. Domprobst, H. Domscholaster, H. Vicedom wie H. Domdechant.
H. v. Fürstenberg: Sie wären der entgegen gesetzten Meinung, aus der Ursache, weil eben dadurch, daß er die Wagens viel wohlfeiler geben könnte, als andere Wagenmacher, so würde allen Wagenmechern indirecte das Handwerck verlegt, und wann durch einen Zufall die Wagenfabric scheitert, so würden wir ohne Wagenmacher seyn, daß dergleichen Fabriquen scheitern, ist nichts ungewöhnliches, daß es aber beßer seye, diese Fabrique empor zu helfen, als der gantzer Zunft ihre Nahrung zu laßen, wäre Ihnen noch sehr zweifelhaft, wüßten auch nicht, als mit recht geschehen könnte, in sonderheit da sie fürchteten, daß der Verkauf ins Ausland nur eine geringe Summe Geldes vielleicht ins Land bringen, hingegen aber diese Fabric indirecte ein Monopolium für das innere werden würde.
H. Domprobst declarirten hierauf die Supplic wäre zum Geheimenrath zum Gutachten zu schicken.
H. Vicedom sie änderten ihre Meinung und stimmten dem H. v. Fürstenberg bei, da es zweifelhaft angegeben würde, daß es mit recht geschehen könne.
Hierauf ist beschloßen, hierüber vom Geheimenrath einen gutachtlichen Bericht, jedoch mit der Bemerkung abzufordern, daß das Hochwürdige Domcapitul in Ansicht der in dem Voto des Herrn Kammerpraesidenten von Spiegel enthaltenen Gründen wohl geneigt seye, der Bitte des Böcker zu deferiren, wenn das Gegentheil nicht etwa erhebliche Ursache anrathen würde.“
10.10.1801
„Ist verlesen Geheimen Raths Bericht rücksichtlich auff die vom Wagenmacher Böcker einpraesentirte Supplic um Verleihung eines Privilegii die zu seiner anzulegenden Wagenfabric nötige Handwercker nach seinem Gutdüncken halten zu dörfen.
Der Herr Domdechant äußerte nach reiflich überdachten Umständen, erwogenen Berichts des Geheimenraths und Suppliken des combinirten Glaßer Mahler Satteler und Wagenmacher-, auch Schmiede, Schlößer etc Amts dem Wagenmacher Bocker zu bescheiden: das Domcapitul fände Bedencken, das Privilegium wie gebeten zu ertheilen, indem diese Ertheilung die völlige Abhängigkeit der hießigen Handwercker von Ihme zur Folge hätte, anderen Meistern die Arbeit entzög, und Preis und Güte von seiner Willkühr abhing, auch seze die Annahm eigener Gesellen, vom Sattler, Schloßer und Schmiedehandwerck ein großes Vermögen und hinlänglichen Raum voraus, dann müßten die Arbeiter nach Maaßgabe der Ausdehnung der Fabric bestimmet werden, über welche Gegenstände beim Geheimrath die Erklärung geschehen müßte.
Dann seye auch dem Geheimrath auf deßen Bericht vom 21. 7ber zu rescribiren, das Domcapitul fände die Anmerckungen des Geheimenraths der Sache angemeßen, fände aber bei Ertheilung des Privilegii annoch Anstand, und wäre die Abschrift des zu nehmenden Resoluti ad Supplicam des Böcker mitzutheilen, so wie die eingekommenen Suppliken der verschiedenen Ämter zu communiciren, mit der Bemerkung, daß die gebetene Confirmation des Sattler- Glaßer Mahler und Wagenmacher Amts noch nicht ertheilet seye, [...].
Auch wäre der Bericht des Stadtsmagistrats beizuschließen, um bei ferneren Melden des Bocker beim Geheimrath gründlich mit Erwägung sämtlicher Einreden gutachtlich dem Domcapitul berichten zu können. Anwesende HH. haben sich diese Meinung gefallen laßen.
Herr Domdechant verlaße Entwurf Decreti ad Supplicam des Bocker, so wie auch Rescripti zum Geheimrath, welches gutgeheißen.“
8.2.1802
„Auf geschehene Klage zweier Gesellen des Meisteren Böcker aus Zeitz und Hannover, daß sie gestern in der Werckstätte bei Böcker von dem SchmiedeAmts Meister Wenner geschimpft worden, und gegen ihren Meister, daß er ihnen Ruhe und Sicherheit gegen ihre Mitgesellen verschaffen sollte, geklagt, indem sie mit selben Streit gehabt hätten [...]“
21.6.1802
„Gildemeister des Schmiede Amts erschienen und zeigten an, vernommen zu haben, daß der Schlößer Hagedorn seine Aeße [Esse = Feuerstelle] nach des Wagenmacher Bocker Hauß verlegen, und daselbsten die Arbeit für den Böcker verrichten wollte, da nun dieses ihrem Amte höchstens nachtheilig, besonders unter den Gesellen viele Irrungen verursachen würde, denn auch, wenn ein Meister außer seinem Hause eine eigentliche Schmiede Werckstatt hätte, dieses zu offenbaren gesetzwidrigen Unordnungen und Unterschleifen Anlaß gebe, auch es wohl bei der Lage der Sache seine auffallende Richtigkeit hätte, daß der Hagedorn nicht eigentlich Ppal. [Prinzipal, das heißt sein eigener Herr] bleibe, sondern die ganze Werckstatt hauptsächlich von dem Boeker und zum Nutzen deßelben abhangen würde, da doch der Böcker am Schmiede Amte keinen Theil haben dürfte, auch sie anbei in sicherer Erfahrung gebracht hätten, daß der Bocker auf seiner Rechnung den großen Ambos des Schlößers Bernzen an sich für 51 Rthlr. gekauft, auch worcklich eine Provision von Eisen und Stahl gemacht hätte; so baten sie auf den Fall der Hagedorn und Anlegung der Aeße dahier einkommen dörfte, dessen Gesuch abzuschlagen.
Gemelter anhero citirter Schlösser Hagedorn erschien und präsentirte gehorsamste Vorstellung und Bitte,
Worauf derselbe befragt worden,
1. ob er auch in des Wagenmachers Böckers Hauß sich heußlich mitt Frau, Kindern und Gesellen niederlaßen wolle?
R[espondit] Er wolle für itzt allein, seine Aeße in des Böckers Hauß verlegen, und daselbst arbeiten.
2. Wie er denn dort arbeiten wollte?
R. so wie er itzt arbeite, für seine Arbeit würde er bezahlt.
3. Ob er künftig für den Bocker allein arbeiten würde?
R. Ja, denn er hätte nicht viele andere Arbeit.
Resolutum. Es wäre diese Sache mit der von den Gildemeistern des Schmiede Amts eingelieferten Amtsrolle Dno. Syndico [= dem Herrn Syndikus, dem städtischen Rechtsberater] zuzustellen.
Citetur ad proximam der Wagenmacher Bocker.“
[Hier bricht das Ratsprotokoll ab; es finden sich leider keine weiteren Einträge zu dem Streitfall] |
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Quellen: Staatsarchiv Münster, Domkapitel Münster Nr. 4999: Domkapitelprotokolle 1801 (Bl. 417-418: 16.8.1801, Bl. 635-636: 5.9.1801, Bl. 641-647: 6.9.1801, Bl. 683: 11.9.1801, Bl. 787-789: 10.10.1801; Stadtarchiv Münster, Ratsarchiv, A II 20: Bd. 211 Ratsprotokolle 1801; Bd. 212: Ratsprotokolle 1802.
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Erläuterungen
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Domkapitel
Gremium von (in Münster 41, in Paderborn und Osnabrück 24) Domherren, die nach dem Tode eines Bischofs das Bistum verwalten, die Regierungsgeschäfte führen und den neuen Bischof wählen.
Domdechant
Leiter des Domkapitels, der die Disziplinargewalt über die Domherren und die Herrschaft über die Domimmunität - das heißt den Bezirk um die Domkirche - ausübt, damals seit 1799 Ferdinand August von Spiegel zu Canstein (1764-1835); 1813 von Napoléon zum Bischof von Münster ernannt, doch nicht päpstlich bestätigt; 1825-1835 Erzbischof von Köln.
Dompropst
Vornehmster Domherr und ursprünglich Vorsteher des Domkapitels; im 18. Jahrhundert zugleich Präsident des Geheimen Rates, der landesherrlichen Regierungsbehörde; seit 1800 amtierte Engelbert von Wrede (1742-1808) aus Haus Melschede im Sauerland.
Domscholaster
Drittvornehmster Prälat des Domkapitels, ursprünglich für die Domschule zuständig; damals Johann Matthias von Landsberg (1732-1813), Onkel des Domdechanten und zugleich münsterischer Hofkammerpräsident, damit Chef der landesherrlichen Finanzverwaltung.
Vizedominus
In der Rangfolge vierter Prälat des Domkapitels, den der Landesherr zur Vertretung seiner Interessen im Domkapitel besetzte, damals Heinrich Johann von Droste-Hülshoff (1768-1836), später ab 1822 Dompropst des neu berufenen Domkapitels.
Hofkammerpräsident und Domherr von Spiegel
Franz Wilhelm von Spiegel (1752-1815), Halbbruder des Domdechanten, kurkölnischer Hofkammerpräsident seit 1786, nach der Besetzung der Rheinlande durch die Franzosen seit 1794 überwiegend in Münster lebend.
Domherr von Fürstenberg
Gemeint war Franz von Fürstenberg (1729-1810), der damalige Generalvikar (Leiter der geistlichen Regierungsbehörde und des Bildungswesens) und frühere, von 1762 bis 1780 amtierende Minister, der seit 1748 eine Domherrenstelle in Münster besaß, daher Senior (ältester Domherr) war und als solcher als erster nach den fünf Prälaten abstimmen durfte.
Das Domkapitel zerfiel zu der Zeit in zwei Parteien - deren eine der junge Domdechant Spiegel, die andere der alte Generalvikar Fürstenberg anführte.
Nach dem Kundenkreditbuch der münsterischen Buchhandlung Theissing 1790-1811 wurde zwischen 1791 und 1799 die englische Ausgabe von Adam Smiths „Inquiry ...“ (Basel 1791) sechsmal, die deutsche Ausgabe (in der Übersetzung von Schiller 1776 und Garve 1794/1796) viermal verkauft, alle an Domherren und Adelige, darunter auch an Spiegel und Fürstenberg.
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