[ Start | Die Folgen | Über die Ursachen der sozialen Krise ]
   
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Das „Ravensberger Volksblatt“ berichtete am 30. August 1848 über die Ursachen der Krise:


„Unsere Leinenindustrie erfreute sich bis vor circa 12 Jahren eines lebhaften Aufschwungs, sie war bis dahin fortwährend im Zunehmen begriffen und gewährte einer äußerst zahlreichen, arbeitsamen und genügsamen Bevölkerung hinreichende und lohnende Beschäftigung. Unser Fabrikat fand nicht allein im Inlande sondern auch im Auslande, namentlich in Holland, Belgien, Frankreich, Spanien, Italien und Westindien einen guten Markt, und der Segen einer blühenden Industrie, Wohlhabenheit, ja selbst Reichthum kehrte bei uns ein. Das ist nun anders geworden. Seitdem die Maschinenspinnerei in England und dann auch in Belgien und Frankreich einen so großen Aufschwung genommen hat, sind uns nicht allein die oben genannten auswärtigen Märkte nach und nach verloren gegangen, sondern auch im Inlande findet Maschinengarn und Leinen von England und Belgien einen bedeutenden Absatz.

Eine so ungünstige Gestaltung der Verhältnisse drückt natürlich sehr schwer auf unsere Industrie, und die schlimmen Folgen davon treten uns täglich mehr vor die Augen.

Wenn sich der Absatz von Leinen noch nicht gemindert hat, so ist derselbe durch Mittel erzielt worden, welche unsere Weber und Spinner, die sich noch vor 10 Jahren einer gewissen Wohlhabenheit erfreuten und in einer behaglichen Lage waren, zum großen Theil arm gemacht haben. Es war eben nur Absatz aber kein Verdienst. Die ungeheure Konkurrenz, welche uns die Maschinenspinnerei bereitet, drückt fortwährend auf die Preise, drückt dem Arbeiter den letzten Groschen aus der Tasche. Die Lage der Weber ist schlimm, aber sie haben doch noch Absatz, die Lage der Spinner dagegen ist zum Theil ganz trostlos. Man kann dreist annehmen, daß die Hälfte unserer Spinner sich bei einem Industriezweige beschäftigen, der, wir fürchten uns fast es auszusprechen, untergegangen ist.“

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Wilhelm von Laer schrieb 1851 über die Lage der arbeitenden Klassen des Kreises Herford an das Kgl. Preußische Landes-Ökonomie-Kollegium:


„Die Verhältnisse der ländlichen Bevölkerung unseres Kreises sind ganz eigentümlicher Art. Um dieselben richtig würdigen zu können, muß man notwendig die frühere Entwicklung derselben ins Auge fassen.

Noch um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts gab es hier fast überall nur größere Kolonate, die meist in Bauernschaften und Dörfern beisammen lagen. Auf jedem Hofe befanden sich mehrere sogenannte Kotten, in denen Heuerlinge wohnten. Jeder Heuerling hatte 5 bis 6 Scheffelsaat Land zur Miete; dafür zahlte er eine äußerst billige Pacht. Für die Wohnung gab er ebenfalls nur 2 Tlr. Miete jährlich. Dagegen war der Heuerling verpflichtet, dem Kolon zu helfen, so oft dieser es verlangte. Er bekam dafür bei freier Kost 2 Sgr. 6 Pfg., seine Frau 1 Sgr. 8 Pfg. Tagelohn. Da die Zahl der Heuerlinge das Bedürfnis nicht überstieg, so fand jeder hinreichend Arbeit. In Muße- und Zwischenstunden bestellte er sein eigenes Land und erntete von diesem so viel, daß er damit seinen ganzen Haushalt bestreiten und eine Kuh erhalten konnte. Die Verarbeitung des Flachses war eine vortreffliche Füllarbeit, und aus dem Garn wurde manches schöne Stück Geld gelöst.

Endlich gehörte fast zu jeder Bauernschaft eine Gemeinheit, auf der die Heuerlinge ebensowohl als die Kolonen Huderecht hatten. So war der fleißige Heuerling in den Stand gesetzt, seinen Unterhalt zu erwerben und auch wohl noch einen Notpfennig zurückzulegen.

Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts aber begann man, die Gemeinheiten zu teilen. Die Heuerlinge gingen dabei meist leer aus. Auf den geteilten Grundstücken bauten sich Erbpächter und Neubauern an, die nur wenige Morgen Land erhielten. Um diese Zeit kam der Bielefelder Leinwandhandel immer mehr in Flor; noch mehr Garn als hierzu verbraucht wurde, wurde nach Belgien ausgeführt und dort zu Band verwebt. Die Spinnerei war ein einträgliches Gewerbe. Die Bevölkerung wuchs. Da fanden es die Erbpächter und Neubauern in ihrem Vorteil, Mietsleute ins Haus zu nehmen, die nun nur noch dem Namen nach Heuerlinge waren. Sie gaben denselben wenig oder gar kein Land; dieselben ernährten sich durch Spinnen. Bei den günstigen Handelskonjunkturen vermehrte sich diese Klasse außerordentlich. Da stockte vor einigen Jahren plötzlich der Handel. Die Leinwandindustrie und der Garnhandel erhielten einen furchtbaren Stoß. Hat erstere sich auch einigermaßen von demselben erholt, so hat doch das Handgespinst seine alte Bedeutung verloren; es wird immer mehr verdrängt durch das Maschinengarn. Dadurch sind nun tausende von Familien brotlos geworden. Zum Glück gewährte gerade in der Zeit, als der Leinwandhandel gänzlich darniederlag, der Bau der Köln-Mindener-Eisenbahn und mehrerer Chauseen einer großen Anzahl Menschen Beschäftigung, aber diese Arbeiten sind beendet, und die Lage vieler Arbeiter ist jetzt schrecklich. Nur der äußerst billige Preis aller Lebensmittel mildert sie für den Augenblick etwas.
[...]“
 
Aus: Beiträge zur Geschichte des westfälischen Bauernstandes. Im Auftrage des Vorstandes und
des Ausschusses des Westfälischen Bauern Vereins hrsg. von Engelbert Frhr. v. Kerckerinck zur Borg,
Berlin 1912, S. 217f.

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