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Runderlass des Staatskanzlers Hardenberg an die Oberpräsidenten in Preußen vom 5.9.1817:


„Die große Verlegenheit, in welche fast alle Fabrikländer gegenwärtig geraten sind, erfordert außer den augenblicklichen Unterstützungen, welche die Menschlichkeit gebeut, sehr ernstliche Untersuchungen über die Mittel, wodurch es überhaupt zu verhindern ist, daß die Fabrikation, von welcher die Kultur und der Wohlstand der blühendsten Länder ausgeht, nicht eine zahlreiche Menschenklasse erzeuge, die in den besten Jahren dürftig und bei jeder Mißernte oder jeder Stockung des Absatzes dem tiefsten Elende preisgegeben ist.

Die Vollkommenheit der meisten Fabriken beruht darauf, daß die Arbeiter von früher Jugend an dazu erzogen werden, indem nur dadurch die erstaunenswürdige Fertigkeit in schweren Handgriffen und die Gewöhnung an die Ausdauer bei einer höchst einförmigen Beschäftigung erzeugt werden kann, wovon die Möglichkeit, wohlfeil und gut zugleich zu fabrizieren, wesentlich abhängt.

Sehr viele Fabrikarbeiten können von Kindern verrichtet werden, und die Unternehmer finden sehr ihre Rechnung dabei, die Kinder ihrer Arbeiter so früh als möglich dabei anzustellen. Den Arbeiterfamilien wird die Möglichkeit gegeben, mit sehr geringem Lohn für die Person zu bestehen, wenn auch die achtjährigen Kinder schon etwas erwerben, und die Fabrikation wird dadurch im ganzen sehr viel wohlfeiler. Jedes Kind ist ein Band mehr, welches den Arbeiter an die Fabrik fesselt, und diese bei der Fabrik erzogenen Menschen werden durch die früheste Gewöhnung von ihr abhängig. Die Fabrikarbeiter heiraten in der Regel früh, weil ihre einförmige Lebensart sie zur Häuslichkeit führt und die Frau gemeinhin auch bei der Fabrik Arbeit findet, und sie vermehren sich schnell, weil die Kinder auch bald etwas erwerben können, folglich die Haushaltung wenig belästigen.

Indem nun hierdurch die Anzahl der Arbeiter schnell wächst, geht andererseits die Erfindung von Maschinen und Erleichterungen des Verfahrens immer weiter, wodurch mit gleicher Anzahl von Menschen immer mehr und mehr geleistet werden kann, und gleichzeitig hiermit geht auch das Bestreben aller Staaten fort, neue Fabriken bei sich zu errichten und nicht nur den Arbeitslohn für ihren eigenen Bedarf zu verdienen, sondern auch Arbeit für fremde Länder an sich zu ziehen und dadurch Erwerb auf Kosten des Auslandes zu erlangen. Es liegt in der gesamten Wirkung aller dieser Verhältnisse, daß die Arbeit sich sehr bald über die Möglichkeit des Absatzes vermehrt und daß der Preis der Arbeit durch die gehäufte Konkurenz sinkt, während der Preis der Lebensmittel durch die wachsende und auf einen Punkt zusammengedrängte Bevölkerung steigt.

So einleuchtend es scheint, daß die Vernunft und das wohlerkannte eigene Interesse jeden Menschen veranlassen sollten, sich nur einer solchen Beschäftigung zu widmen, bei welcher er mit Wahrscheinlichkeit Unterhalt zu finden erwarten darf, so ist doch der Erfahrung nach gar nicht darauf zu rechnen, daß durch dieses Prinzip die Fabrikation in denjenigen Grenzen erhalten werden könnte, wobei dem Arbeiter noch ein hinlänglicher Unterhalt gesichert bleibt. Die so sehr frühe Gewöhnung artet in eine Verwöhnung aus; die Menschen werden zu Fabrikarbeitern erzogen, ehe sie eine Wahl haben, und wenn die Jahre eintreten, wo vernünftige Überlegung über ihre Zukunft bestimmen sollte, haben sie schon alle Neigung und häufig selbst die Fähigkeit verloren, eine andere Lebensart zu ergreifen. So entsteht die Möglichkeit, daß es an Tagelöhnern für den Ackerbau und an Gesinde für die gemeinen häuslichen Verrichtungen, selbst sogar an Handwerkern für das Bauwesen und andere Arbeiten fehlen kann, die ihrer Natur nach nicht fabrikmäßig betrieben werden können, während das Land mit Fabrikarbeitern überhäuft ist, die aus Mangel an Beschäftigung selbst bei dem niedrigsten Lohn darben.

Außer dem Nachteil, welche diese Verwöhnung für die einzelnen Menschen erzeugt, greift sie auch selbst höchst verderblich in die höheren Staatszwecke ein. Die ausschließlich frühe Gewöhnung der Menschen an die unaufhörliche Wiederholung eines einzelnen Handgriffes gibt ihnen zwar in diesem eine unglaubliche Fertigkeit, aber sie macht dieselben auch in gleichem Maße unfähig, zu irgendeiner anderen Verrichtung überzugehen. Und es ist bekannt, daß die Fabrikunternehmer selbst die größte Schwierigkeit, Verbesserungen einzuführen, in der Gewöhnung ihrer Arbeiter an das von Jugend auf geübte Verfahren finden. Der Mensch wird herdurch in dem Maße abhängig von gewissen Verhältnissen und Umgebungen, daß er einen großen Teil seiner moralischen Freiheit verliert, lieber in das tiefste Elend versinkt und endlich in der äußersten Not zu Verbrechen seine Zuflucht nimmt, als eine Lage ändert, die ihm durch Erziehung von der frühesten Kindheit an zur anderen Natur geworden ist. Erwägt man nun hierbei, wie sehr viele Fabriken bloß auf einem veränderlichen Geschmack beruhen, wie leicht Surrogate erfunden werden, die das Bedürfnis auf andere Art besser befriedigen und dadurch den Absatz ganzer Fabrikzweige vernichten, wie oft Land- und Seekriege und Veränderungen in den Handels- und Zollgesetzen fremder Staaten den Verkehr unterbrechen und ihm eine andere Richtung anweisen, so kann man den Leichtsinn bedauern, welcher das Schicksal der Bewohner ganzer Städte und Landstriche von solchen Zufälligkeiten fast unbedingt abhängig macht. Wie wenig endlich Menschen, welche in der Werkstätte bei der unaufhörlichen Wiederholung eines Handgriffs erzogen wurden, geschickt sind, das Vaterland in der Stunde der Gefahr zu verteidigen, wo nicht guter Wille allein, sondern Körperkraft, Geistesgegenwart, Abhärtung gegen die Einflüsse der Witterung und Leichtigkeit, sich in die ungewohntesten Lagen zu finden, über den Erfolg entscheiden, kann auch keinem Zweifel unterworfen sein.

Es kann nicht im entferntesten die Absicht sein, den Fortschritten der Fabrikation irgendein positives Hindernis entgegenzusetzen, wohl aber scheint es mir eine unerläßliche und bisher zu großem Nachteil versäumte Pflicht, zu verhindern, daß die frühe Gewöhnung zur Fabrikation in eine Verwöhnung ausarte, daß die Erziehung zum Fabrikarbeiter auf Kosten der Erziehung zum Menschen und Staatsbürger betrieben werde und daß der Mensch genötigt werde, die höchste mechanische Fertigkeit in einem einzelnen Handgriff mit dem Verlust seiner moralischen Freiheit zu erkaufen, selbst ehe er erkennen kann, wieviel dieser Kauf ihn kostet.
Die Handwerke haben eben deswegen einen ganz anderen Stamm von Menschen geliefert als die Fabriken, weil der Lehrling in der Regel erst mit dem vierzehnten Jahr aufgenommen wird, weil die Beschäftigung desselben mannigfaltiger ist als die des Fabrikarbeiters und weil die Wanderjahre ihn in vielseitige Verhältnisse bringen. Der Zunftgeist ist auf Kosten des Fleißes und der Häuslichkeit hierin oft zu weit gegangen; aber zwischen beider Äußerstem muß ein Mittelweg bestehen, dessen Auffindung eine der gemeinnützigsten Aufgaben sein dürfte.

In der Verfassung des Staates liegen unverkennbar Mittel, der Jugend eine Freiheit zu sichern, die gegen frühe Verwöhnung schützen könnte. Die allgemeine Verpflichtung, die schulfähigen Kinder bis zur Konfirmation zur Schule zu halten, widerstreitet – vollständig durchgeführt – ihrer allzu frühen Verwendung zu mechanischen Arbeiten. Die allgemeine Militärpflichtigkeit entzieht die Jünglinge gleichfalls in einem noch biegsamen Alter dem unbedingten Mechanismus der Werkstätten. Wohlmeinde Fabrikherren und Verleger müssen endlich selbst fühlen, welche Anforderungen an sie dadurch entstehen, wenn sie die frühe Kindheit schon für ihre Zwecke in Beschlag nehmen und wie unmöglich es sei, daß der Staat sie bei Vorteilen schütze, welche in solchem Maße seinen höheren Zwecken entgegengesetzt sind.

Ich verkenne keineswegs, welche Schwierigkeiten die Armut und Indolenz der Eltern, der Wunsch der Fabrikherren, sie wohlfeile und geübte Arbeiter durch frühe Gewöhnung anzueignen, der Fabrikenneid, welcher die Verbreitung der Arbeiter zu verhindern sucht, und vornehmlich das Bestehen einer Menge Gewohnheiten und Anstalten, die auf die jetzigen Verhältnisse berechnet sind, aller ernstlichen und zweckmäßigen Besserung hierin entgegenstellen. Auch wird immer mehr von der anfangs unmerklichen, aber zuletzt alles überwältigenden Wirksamkeit der öffentlichen Meinung, der Sitten und des Geistes der Verfassung als von positiven Anordnungen zu erwarten sein. Um so mehr aber kann ich nur aus diesem höheren Standpunkte Euer Hochwohlgeboren reiflicher Erwägung diese Bemerkungen hingeben mit dem Vertrauen, daß Sie ohne vorläufige unzeitige Beunruhigung der Gemüter in den Erfahrungen, welche Ihnen die Ihrer Sorgfalt anvertrauten fabrikreichen Provinzen täglich anbieten, in ihrer tiefen Kenntnis der örtlichen Bedürfnisse und Gewohnheiten und in Ihrem Überblick über das allgemeine Interesse des Staates Mittel finden werden, mir nach einiger Zeit Vorschläge zukommen zu lassen, deren Vereinigung zu dem Entwurf wirksamer Maßregeln gegen die vorerwähnten großen Übel leiten und den wohlverstandenen Vorteil der Fabriken selbst in bessere Übereinstimmung mit den allgemeinen Staatszwecken stellen kann.

Ich werde Ihren Mitteilungen hierüber bei meiner Zurückkunft entgegensehen, nachdem mir inzwischen die eigene erneuerte Ansicht der fabrikreichsten Provinzen des Staates nähere Data zu deren Prüfung und Benutzung verschafft haben wird.“

 
Zitiert nach: Jürgen Kyczinski, Hardenbergs Umfrage über die Lage der Kinder in den Fabriken und
andere Dokumente aus der Frühgeschichte der Lage der Arbeiter, Berlin 1960
(Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Teil 1, 8), S. 23-26.

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Die Antwort des westfälsichen Oberpräsidenten Ludwig von Vincke vom 6.9.1818:


„In betreff häuslicher Erziehung der Fabrikarbeiterkinder haben Euer Durchlaucht bereits am 5. September v.J. mein bisher im Drange anderer Arbeiten zurückgebliebenes Gutachten über die beabsichtigte wohltätige Einschreitung zu erfordern geruht, um dem Übel einer Verwöhnung der Fabrikjugend zu Fabrikarbeit Maß und Ziel zu setzen.

Die aus der Natur der Sache entnommenen allgemeinen Bemerkungen, welche Euer Durchlaucht Teilnahme für diesen wichtigen Gegenstand angeregt haben, sind im allgemeinen gewiß sehr gegründet; sie finden sich indessen nur beschränkt in dieser Provinz bestätigt. Die Mannigfaltigkeit der als Regel an einem Orte vereinigten Erwerbszweige schützt gegen Einseitigkeit, gestattet leichteren Übergang von einem zum anderen und bei einem günstigen Stande der Gewerbe im allgemeinen, welcher augenblicklich freilich leider nicht stattfindet, erzeugt dieser selbst eine den Arbeiten wohltätige Konkurrenz der Fabrikinhaber.

Ich glaube, über den Stand der Sache folgendes im allgemeinen zu bemerken und unterscheiden zu müssen:
1.
Bei den metallischen, seit Jahrhunderten gegründeten Fabriken des Sauerlandes (südlicher Teil von Mark und Westfalen), den wichtigsten und achtbarsten von allen, weil sie bloß inländische rohe Stoffe, Eisen, Stahl, Kupfer, Messing pp. mit inländischen Hilfsmitteln, Holz und Steinkohlen, Galmei pp. veredelnd verarbeiten, ist die Freiheit und Unabhängigkeit der Arbeiter völlig gesichert; indem alle in verschiedenen Verrichtungen mehrerer Gewerbe gleich geübt und fertig, mit Leichtigkeit von dem einen zu dem anderen, augenblicklich überwiegenden, übergehen können, ohne den Ort zu verändern. Die Beschäftigungen der Hüttenleute, Osemunds-, Stabeisen-, Stahl-, Amboß-, Sensen-, Blech-, Messer- und Gerätschaftsschmiede, Feilenhauer, Drahtzieher, Knopffabrikanten, Bronzearbeiter usw. schließen die Anwendung von kleinen Kindern von selbst aus, das weibliche Geschlecht gänzlich; bloß Jungen von 14-16 Jahren können hier zuerst eintreten; diese Arbeiter stellen einen kräftigen Schlag Menschen dar, welcher in den letzten Feldzügen ohne Ausnahme freiwillig in die Landwehr eintretend, mit ausgezeichneter Tapferkeit gefochten hat.
In der Regel haben diese Arbeiter auch ihr mäßiges Auskommen, weil dieses Gewerbe, wenn auch durch die heillosen niederländischen Vexationen äußerst bedrückt, doch immer noch am besten, wenigstens in einzelnen wechselnden Zweigen, besteht.
Hier ist keine Verwöhnung möglich, bloß des Staates kräftiger Schutz zur Wiedererlangung der früheren Durchgangsrechte durch die leider unumgänglichen – auch ein Kanal zur Ems kann nicht den Rhein und die Verschiffungsgelegenheit in alle Welt der holländischen Häfen ersetzen – Niederlande, welche doch nie vergessen dürfen, was sie Preußen danken und daß dieses allein sie zu halten vermag! Damit diese herrliche nützlichste Fabrik nicht dem Mangel an Absatz für ihre so guten und preiswürdigen Waren unterliegt.

2.
Eine Ausnahme in der hier bezogenen Hinsicht macht die Näh-, Strick- und Stecknadelfabrik in Altena und Iserlohn, die Panzer- (allerlei Drahtwaren) und Karkassen- (Drahtgeflecht)fabrik an letzterem Orte; bei diesen trifft die Verwöhnung wirklich ein, besonders bei der ersten sehr bedeutenden Fabrik, wo die Arbeit des Einschlagens der Öhren von kleinen Kindern verrichtet wird, eine außerordentliche Anzahl beschäftigt und die Vermehrung derselben begünstigt. Hier ist es Gewinn für die Eltern, viele Kinder zu haben, welche auf Kosten der physischen und sittlichen Ausbildung schon im siebenten Jahr anfangen, später eine kurze Zeit als Gesellen arbeiten, sehr früh heiraten und sich selbst zu Meistern erheben, dann in die Lebensweise der Eltern wieder eintreten. Früher bestand für diese Fabrik eine eigene Art von Zunftordnung. Unter der Fremdherrschaft aufgelöst habe ich auf deren Herstellung nach einer umfassenden Revision angetragen; es ist solche von der höheren Behörde zwar nicht gebilligt worden, dieses indessen meines Erachtens das einzige Mittel, hier die Ordnung herzustellen und dadurch dem bemerkten Übel entgegenwirkend vorzubauen. Der Eigennutz unsittlicher gewinnsüchtiger Eltern wird hier alle anderen Maßregeln scheitern machen, wie bisher die Versuche wohldenkender Fabrikinhaber bei dem Mangel gesetzlicher, die Lehr- und Gesellenzeit, den Übergang zur Meisterschaft regelnder Bestimmungen, es erwiesen haben.

3.
Anders wie bei der alten metallischen Fabrikation stellt sich ebenfalls die Sache in den Gegenden von Schwelm, Elberfeld, wo die Weberei von Siamois (Wolle und Linnen), baumseidenen (Baumwolle und Linnen) und baumwollenen Waren und die Baumwollenspinnerei ihren Sitz haben. Die sitzende Lebensart erzeugt hier sieche, verkrüppelte Menschen, nur an leichte Anstrengung gewöhnt, für andere Arbeit wenig brauchbar, durch jeden Umschlag, durch kurze Stockung im Absatz des Fabrikats schon der Armenkasse zur Last. In den sieben Jahren der Kontinentalsperre hat sich insbesondere die Fabrikation der feinen Baumwollenwaren außerordentlich vermehrt, die Anzahl der Weber unglaublich vervielfältigt; jetzt in den Schranken freier Konkurrenz vermag dieselbe gegen die unerreichbare Überlegenheit der britischen Manufakturen auf wohlfeileres Material, auf die vollkommenste immer sich noch unbegrenzt vervollkommnende Maschinerie, auf unermeßliches Kapital und leichteren Debit in allen Weltteilen so fest begründet, auch mit ihrer wirklich guten Ware nicht zu bestehen. Hier scheint keine Hilfe möglich; selbst von der unmöglichsten Erfüllung des Problems einer allgemeinen wechselseitigen Handelsfreiheit ist die Herstellung des gestörten Gleichgewichts zwischen Fabrikation und Verbrauch nicht zu erwarten. Hier scheint das Übel indessen auch nicht sowohl in der Verwöhnung der Kinder, welche bei im ganzen doch nur wenig bedeutender Maschinenspinnerei keine so frühe und ausgedehnte Anwendung bei der Weberei finden als in der großen Anzahl derselben (wie sie erfahrungsmäßig allgemein im Gefolge der Armut) in der Armut und Dürftigkeit der Eltern und als Resultat aus dieser in ihrer körperlichen Schwäche und Verdorbenheit zu beruhen. Auch hier scheint von gesetzlichen Bestimmungen, welche die Vermehrung der Weber wohltätig beschränken, insbesondere das frühe und leichte Etablissement der Weberfamilie erschweren, indem sie bestimmte Jahre für den Lehrlings- und Gesellenstand, gewisse Erfordernisse der Meisterschaft festsetzen, die einzige Hilfe wirksam erwartet werden zu können.

4.
In fast gleich unglücklicher Lage sind und geraten immer mehr durch ähnliche absolut unabwendbare Konjunkturen die zahlreichen Weber von grober (Leinwand) und feiner (Warendorfer, Bielefelder pp.) Leinwand, vornehmlich im Ravensbergischen, Tecklenburgischen und vielen Gegenden des Münsterlandes. Sie genießen vor jenen den Vorzug der Unabhängigkeit hinsichtlich ihres eigenen inländischen Stoffes; allein dieser ist und wird immer mehr durch die allherrschende Baumwolle verdrängt, jetzt sogar schon Drell und Damast aus dieser bereitet, und ihr leichteres, gefälligeres, wohlfeileres, mehr noch als durch Mode und Luxus gehobenes Gewebe besiegt immer mehr die festere, haltbare, aber teure Leinwand. Es ist leider wohl keinem Zweifel unterworfen, daß diese Fabrikation forschreitend ebenmäßig sinken wird als die für die bemerkten und viele anderen norddeutschen und preußischen Länder gleich wichtige Garnspinnerei, teils durch den minderen Verbrauch der Siamoisen- und Baumseidenzeuge, teils durch die Flachsspinnmaschine. Dieses muß den Menschenfreund und den Staatswirt betrüben, der für den in der allgemeinen Verbreitung so bedeutenden Verdienst des alle leeren Zwischenaugenblicke der sämtlichen Landbewohner beiderlei Geschlechts ausfüllenden und diese nutzbar machenden Spinnens keinen Ersatz zu entdecken weiß und mit dieser wichtigen häuslichen Industrie eine gleich erhebliche Nahrungsquelle versiegen und unaufhaltbar vergehen sieht. Dieses Spinnen und Weben erleichterte und beförderte bisher die Ansiedlung vieler Familien; es ist die einzige Quelle des großen Menschenreichtums von Ravensberg, aber es war für die Kindern nicht verderblich; es gewöhnte sie früh an Tätigkeit, aber diese war nicht einzig auf Spinnen beschränkt und gereichte dem Schulbesuch so wenig zum Abbruch, als es sie von anderer Beschäftigung verwöhnte und dazu unfähig machte. Auch die Eltern genießen eines starken gesunden Körpers, weil das Spinnen bloß Nebenarbeit ist; nur bei den eigentlichen Webern von Profession tritt eigentliche einseitige Beschäftigung, aber doch auch in der Regel temporär mit anderen Arbeiten gemischt, ein; auch findet bei diesem fester in der Örtlichkeit gegründeten, mit größerer Unabhängigkeit verbundenen Gewerbe nicht der Grad von Dürftigkeit statt, als bei den leichtfertigen ephemerischen Baumwollenwebern.

Als einziges Mittel auch bei dieser letzten Klasse erscheint mir die möglichste indirekte Erschwerung der Vermehrung und Ansiedlung dieser Gewerbetreibenden, deren Hauptbeschäftigung die Leinwandfabrikation ist.

Es ist überall zu wünschen, daß Maßregeln ergriffen werden, das leichtsinnige und zu frühe Heiraten und die Leichtigkeit, sich auf die eigene Hand zu setzen, zu erschweren. Die allgemeine Gewerbsungebundenheit hat bisher den wohltätigen Erfolg in praxi nicht bewährt, welchen die reine Theorie davon berechnet hatte, vielmehr nur die Stümper und Bettler, in deren Gefolge Diebe und Missetäter, vervielfältigt.

Gewiß sind Armut, Elend und Verzweiflung in ihren Folgen der Sittlichkeit noch nachteiliger als möglicherweise das Nicht- oder Späterheiraten derselben werden können. Gewiß macht nicht sowohl die Zahl der Seelen als die Zahl zufriedener, nicht darbender, glücklicher Menschen das Glück der Staaten.

Beschränkung der Freiheit, soweit das eigene und allgemeine Beste heischt, ist notwendige Bedingung alles bürgerlichen Vereins. Genossenschaftliche Verbindungen der Gewerbetreibenden können wohl stattfinden ohne die Bocksbeuteleien und sonstigen Übel der alten mit der Zeit nicht fortgeschrittenen Zünfte.

Wenn es so bleibt wie es jetzt ist, so wird man in dieser Provinz wenigstens nur darauf Bedacht zu nehmen haben, die Auswanderung zu befördern und neben der Erlaubnis hierzu, wie sie schon jetzt ohne Schwierigkeit erteilt wird, die Auswanderer auch mit Rat und Tat von Staats wegen zu unterstützen, damit es die unglücklichen Menschen, welchen die Heimat das Leben nicht zu fristen vermag, nicht geradezu ins Verderben führt.

So wie es jetzt ist, kann wahrlich die außerordentliche Zunahme der Bevölkerung bei gleichzeitiger Versiegung aller Verdienstquellen nur betrüben und mit banger Sorge erfüllen.

Wohl ist noch eine größere Vervollkommnung des Ackerbaus, der Viehzucht, der Holzkultur in dieser Provinz zu wünschen; es gibt besonders im Münsterischen ungeheure, mancher Kultur fähige Heiden, im Arnsbergischen große holzleere Gebirge. Allein diese Kultur läßt sich nicht erzwingen; die Hindernisse derselben werden allmählich sich beseitigen lassen, dann auch wird es nie und nirgends an tätigen industriösen Händen für ihre Kultivierung fehlen. Deren Mangel hat solche nicht verzögert und drückt uns nicht, sie sind überall reichlich zu finden, wo ein bleibender Verdienst sie fordert. Es fehlt hier an Tagelöhnern, an Gesinde, an Bauhandwerkern nicht, nur über die Verdorbenheit der beiden letzteren ist häufige und gerechte Klage und die bemerkten Maßregeln, neben der angelegentlichen Fürsorge für zweckmäßigeren Schulunterricht und ordentlichen Schulbesuch, für ihren Wirkungskreis erfüllende Religionslehrer, für die Erhaltung des Ansehens und der Würde der Kirche, vornehmlich auch durch würdevolles Benehmen und Beispiel der weltlichen Staatsbeamten, wohl die geeignetsten, um in deren Vereinigung das einschreitende Übel zu beschwören und demselben wirksam zu steuern.“
 
Zitiert nach: Jürgen Kyczinski, Hardenbergs Umfrage über die Lage der Kinder in den Fabriken und
andere Dokumente aus der Frühgeschichte der Lage der Arbeiter, Berlin 1960
(Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Teil 1, 8), S. 50-53.

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