Aus: Dieter Dowe, Fallstudien. II. Legale Interessenvertretung und Streik. Der Arbeitskampf in den Tuchfabriken des Kreises Lennep (Bergisches Land) 1850, in: Streik. Zur Geschichte des Arbeitskampfes in Deutschland während der Industrialisierung, hg. von Klaus Tenfelde und Heinrich Volkmann, München 1981, S. 37-39:
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„Während der Revolution von 1848/49 war in Lennep ein Arbeiterverein entstanden, der einige Filialvereine, auch in dem zu Lüttringhausen und Radevormwald gehörenden Teil des Wuppertales, besessen hatte. Dieser Verein, der überwiegend aus Textilarbeitern bestand, befaßte sich zunächst nur mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen, wandte sich jedoch im Verlaufe der Revolutionszeit auch politischen Fragen zu und nahm schließlich am Kongreß der ‚demokratisch-sozialen‘ Vereine am 6. Mai 1849 in Köln teil. i 848/49 gab er eine eigene Zeitung heraus, das ‚Arbeiter-Blatt. Organ für die Interessen der arbeitenden Klasse‘, das [...] zwar einerseits handwerkliches Bewußtsein (etwa in der Kritik am Maschinenwesen) ausdrückte, den Arbeitern andererseits aber auch das Gefühl der Klassenzugehörigkeit vermittelte und wohl im Kontext der gesamten Revolutionsereignisse zum Aufbrechen des alten patriarchalischen Verhältnisses zwischen ‚Fabrikherren‘ und Arbeitern beitrug. Eine ganze Reihe der im November 185o erhobenen Arbeiterforderungen treten in der einen oder anderen Form bereits in diesem Arbeiterorgan auf. Wenn auch der in Lüttringhausen und Rädevormwald gebildete sog. ‚Wuppertaler Arbeiterverein‘ ohne Zweifel erst nach der Niederschlagung der Revolution, im Sommer 1850, zusammentrat, so stand er doch ganz offensichtlich in der direkten Tradition seines wahrscheinlich auf Grund der Verordnung vom 29. Juni 1849 eingegangenen Vorgängers aus der Revolutionszeit. Gegen die Neugründung wurde seitens der Behörden nicht eingeschritten, weil der Verein ‚lediglich als die Beförderung des Wohles der Arbeiter in friedlicher, ungefährlicher Weise gerichtet‘ eingestuft wurde. Die Tätigkeit des Vereins im Sommer und Herbst 18 war eindeutig bestimmt von einem Gedanken oder besser einer Illusion: Er glaubte, eine Reihe von sozialpolitischen Forderungen, wie sie etwa von der auch im benachbarten Elberfeld präsent gewesenen Allgemeinen Deutschen Arbeiterverbrüderung und im Volkswirtschaftlichen Ausschuß der Frankfurter Nationalversammlung vertreten worden waren, könne mit Hilfe einer neuen gesetzlichen Regelung realisiert werden. Dabei handelte es sich um die ‚Verordnung vom 9. Februar 1849, betreffend die Errichtung von Gewerberäten und verschiedene Abänderungen der Allgemeinen Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845/lsquo;, die jedoch erst am 30. Januar 1850 in Kraft getreten war. Ob diese Verordnung ein Sieg handwerklicher Vorstellungen oder aber nur ein geschickter taktischer Schachzug des Handelsministers von der Heydt war, um auf sozialpolitischem Gebiet wieder Ruhe eintreten zu lassen, soll hier aus dem Spiel bleiben. Jedenfalls nahmen die Meinungsführer der Tuchfabrikarbeiter und durch ihre Vermittlung die Arbeiter im Kreise Lennep selbst die sozialpolitischen Möglichkeiten sehr ernst, die diese Verordnung anscheinend bot, um in ihrem Bereich, wenn auch in beschränktem Maße, ein wenig überbetriebliche Mitbestimmung und konkrete Verbesserungen ihrer Lage zu erreichen. Sie sahen zwar offensichtlich nicht, daß die Gewerberäte mit ihren drei Abteilungen Handwerk, Handel und Industrie nicht nur insgesamt keine paritätische Besetzung aufweisen sollten, sondern daß die Lohnabhängigen auch in der Fabrikabteilung in der Minderheit bleiben mußten. Aber sie waren so optimistisch, anzunehmen, daß bei Ausbleiben einer gütlichen Einigung mit den Fabrikanten bei den jeweiligen Beratungen - Beschlußrecht stand den Gewerberäten ohnehin nicht zu - die Bezirksregierung sich letztlich von den so an die Öffentlichkeit gedrungenen guten Argumenten und ‚gerechten‘ Forderungen der Arbeiter zu einer Entscheidung zu ihren Gunsten bestimmen lassen werde. Diese Auffassung spricht aus nahezu allen Eingaben der Arbeiter an die verschiedenen Behörden. Worum es bei den Gewerberäten inhaltlich ging, das war nicht weniger als die ganz wesentliche Befugnis, einheitlich für einzelne Fabrik und Handelszweige eines Ortes selbständig die Arbeitszeit festzulegen, womit erstmalig in Preußen für die erwachsenen Arbeiter - 1839 hatte es bereits ein Regulativ ‚über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken‘ gegeben - ein Maximalarbeitstag zu erreichen gewesen wäre. Außerdem konnte der Gewerberat bestimmen, daß die Arbeiter eines Ortes Unterstützungskassen beitreten mußten, zu denen die Fabrikanten bis zur Hälfte des Beitrages der Arbeiter zuzuschießen hatten. Da die Gewerbebetreibenden auch noch für die laufenden Geschäftskosten des Gewerberates aufkommen sollten, war ihr Widerstand gegen bzw. ihr Desinteresse an dieser neuen Institution – in Lennep, Lüttringhausen und Radevormwald ganz im Gegensatz zu den Arbeitern - geradezu vorprogrammiert, zumal sie sich durch die Handelskammern besser vertreten fühlten.“
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