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Friedrich Harkort in einem Brief an die Arbeiter, verfasst Ende Mai 1849:


„Einige Briefe habe ich Euch geschrieben, wohl aufgenommen als guter Rat von vielen, mißachtet von manchen, die Brot ohne Arbeit verlangen! In böser Zeit trete ich abermals auf und fordere vor Gericht jene falschen Propheten, welche dem Volke Aufruhr und Verrat predigen, um eine goldene Zeit herbeizuführen. Wo sind jetzt diese Maulhelden, welche anstatt für ihre faule Sache zu fechten, feige davon liefen und das irregeleitete Volk im Stich ließen. Schmach über die listigen Verführer und Reue über jene, so der Treue und Pflicht vergaßen!

Deutschlands Einheit ist ein großer Gedanke, allein Bürgerkrieg und Meineid sind wahrlich ein schlechter Kitt für die edle Sache. Wählt gesetzliche Mittel, um des Landes Stimmung auszusprechen, und bessere Männer werden auf Eurer Seite sein. Wer die wahre Freiheit will, der muß durch Sinn für Gesetz und Ordnung sich ihrer würdig machen. Selbstverleugnung heißt die edle Tugend, welche wahre Eintracht schaffen kann, die übe, wer hoch steht oder niedrig, jeder in seinem Stande. Die Wühler haben Euren Eigennutz aufgestachelt gegen jene, welche die Früchte des Fleißes und der Sparsamkeit besitzen. Bedenkt doch, wenn das Eigentum nicht mehr sicher ist, so wird aller Verkehr erliegen und Verwilderung und Mangel das Los aller sein. Niemand wird säen, wenn er nicht weiß, daß die Ernte sein eigen ist. Nicht durch Lottospiel erwirbt der Fleiß sein Kapital, sondern durch Arbeit. Seid vernünftig, bedenkt, daß niemand Geld verdienen kann, ohne andere mitverdienen zu lassen. Wenn ein Kaufmann für hundert Taler Tuch verkauft, so verdient er 10 Taler und 90 Taler die Arbeiter und jene, so die Wolle und Farbe geliefert haben. Nicht ein Ring zieht den Eimer aus dem Brunnen, sondern eine lange Kette, und aus ihm füllen sich viele Becher für Durstige!

Selbst der Reichste, und wenn er Millionen besitzt, kann nur ein Hemd tragen und nicht mehr essen und trinken als wie ein Mann; das übrige verteilt sich durch mancherlei Kanäle an viele. Wäre das Kapital an alle zu gleichen Teilen verteilt, so würde in Mangeljahren niemand imstande sein, ein Schiff auszurüsten und zu befrachten, um auf seine Kosten und Gefahr Korn aus fremden Ländern zu holen und dem Hunger zu wehren. Wer würde die feine Leinewand oder Spitzen der armen Spinnerinnen kaufen oder das Gemälde des Malers? Wer könnte 100000 Taler daran wagen, um ein Bergwerk zu eröffnen, welches 500 Menschen ernährt? Verteilt die Habe, und das Land wird eine Armenkolonie, die ohne Kunst, Wissenschaft und Bildung der Barbarei anheimfällt! Gibt es nicht unter uns Fabrikherren, Handwerker und Bauern, die früher Arbeiter waren und sich emporgeschwungen haben durch Fähigkeit, Glück und den Fleiß ihrer Hände? Keinem unter Euch ist derselbe Weg verschlossen, wenn Ihr Euch tüchtig macht und es Gottes Wille ist, dessen Ordnung Ihr nimmer brechen könnt. Gönnt jedem Mitbürger das Seine und vergrabt Euer Pfund nicht, damit auch Ihr zu den Getreuen des Evangeliums gerechnet werdet. Nicht alle können auf einem Posten stehen, allein jeder ist berufen, seinen Platz mit Ehren auszufüllen. Die treue, fromme Dienstmagd, welche dem Kindlein das erste Gebet lehrt, gilt vor Gott so viel als der Bischof mit seinem Hirtenstabe! Der Name des Wehrmanns, welcher sein Leben für das Vaterland in die Schanze schlug, steht auf der Denktafel in der Kirche eingeschrieben neben dem seines Generals, und die arme Frau, welche vor Sonnenaufgang das harte Lager verläßt, um durch schwere Arbeit für die Kinder und das Haus zu sorgen, braucht einer Fürstin nicht zu weichen! Zufriedenheit heißt das edle Kraut, welches die Wünsche der Menschen stillt, das pflanze jeder in seinem Garten, und es wird besser stehen mit uns allen! Es ist gesagt worden, der Lohn muß so gestellt werden, daß jeder Arbeiter leben kann. Gerne sage ich ja, wenn mir jemand die Möglichkeit zeigt. Hat denn jeder Arbeiter einen Brotherrn? Arbeiten nicht viele auf eigne Hand auf dem Acker oder beim Handwerk? Und wenn nun von diesen einer Weizen säet, wo nur Hafer wächst, oder der andere gutes Leder zu schlecht genähten Schuhen verschneidet, wer soll da für den Pfuscher auslohnen? Herrschen Ordnung und Gesetz in den Ländern, so geht viel Geld um, jeder kauft, und es blüht das Handwerk, und der Lohn steigt für die Fleißigen. Wenn aber Barrikaden die Städte schließen und Freischärler durch die Dörfer schweifen, wo wird dann Arbeit zu finden sein? Man rechnet, daß Elberfeld und Umgegend täglich 80000 Taler verloren haben durch die Unruhen. Schaut hinüber nach dem Lande Baden oder der Rheinpfalz, wo das Gesindel aller Länder zusammenläuft, um den ehrlichen Leuten die neue Freiheit zu verleiden, und werdet klüger durch anderer Schaden! Wenn ein Volk Mangel und Armut schaffen will, so fange es nur Unruhen an, das Mittel ist sicherer als Wassersnot und Feuersbrunst! Macht jeden Arbeiter fleißig und verständig, und ich bürge dafür, daß alle zu leben haben.

Die, welche Euch verführen wollen, predigen den Haß gegen die Fürsten und die Pfaffen. Die Fürsten sind Menschen wie wir, allein es ist nicht fein, von ihren Fehlern mit Übertreibung zu reden und die Tugenden zu verschweigen; solches geschieht aber von vielen undankbaren Gesellen, welche ihre Wohltaten genossen haben. Wenn Ihr auf dem Throne säßet, täglich umlagert von tausenden von Bitten und Beschwerden, Querköpfen, Augendienern und redlichen Leuten, Ihr würdet bald inne werden, daß auch ein König saueres Brot ißt! Kein Regiment gedeiht, wo nicht einer befiehlt, das schaut Ihr täglich im eigenen Hause, in der Fabrik und in der Gemeinde, also sei es auch im Staate.

Das Wort Gottes spricht: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist!" Deshalb klingt es schlecht im Ohr der Wühler. Ich aber sage Euch: Wenn Ihr am Sarge Eurer Lieben oder letzten Hoffnung steht, dann werden sie leidige Tröster sein. Ein Volk ohne Religion kann nicht bestehen, und selbst die, welche sie leugnen möchten, horchen in ihrem Gewissen mit Schrecken auf das Urteil des ewigen Richters, vor dem allein alle gleich sind.

Es kann und darf nicht alles beim alten bleiben, vieles kann besser werden, wenn man es vernünftig angreift, nichts unmögliches verlangt und jeder seine Schuldigkeit tut. Da spricht man viel von Proletariern, ohne das Wort zu deuten. Einen Proletarier nenne ich den, welchen seine Eltern in der Jugend verwahrlost, nicht gewaschen, nicht gestriegelt, weder zum Guten erzogen noch zur Kirche und Schule angehalten haben. Er hat sein Handwerk nicht erlernt, heiratet ohne Brot und setzt seinesgleichen in die Welt, welche stets bereit sind, über anderer Leute Gut herzufallen und den Krebsschaden der Kommunen bilden. Warum sorgen die Gemeinden selbst nicht besser für die Ausrottung dieser Zuchthauskandidaten? Ferner heiße ich Proletarier: Leute, die, von braven Eltern erzogen, durch die Verführung der großen Städte zugrunde gegangen sind; Wüstlinge und Zecher, die den blauen Montag heiliger halten als den Sonntag; verlorene Söhne ohne Reue, denen Gesetz und Ordnung ein Greuel ist. An den Innungen wäre es, solcher Schande des Gewerks vorzubeugen und Zucht und Sitte herzustellen, anstatt ihre Fahnen den Demokraten vorzutragen. Diese beiden Klassen bilden die echten Hilfstruppen der Aufwiegler, bestehend aus verdorbenen Schreibern, schlechten Rechnungsführern, Haarspaltern und Doktoren ohne Kranke, Judenjungen, weggejagten Militärs und allen Taugenichtsen, die ohne Mühe zu Ehren und Ansehen gelangen wollen! Sagt mir: Wer von Euch hätte wohl gedacht, daß Deutschland so reich sei an solch' sauberer Gesellschaft? Nicht aber rechne ich zu den Proletariern den braven Arbeiter, dem Gott durch die Kraft seiner Händ4e und den gesunden Menschenverstand ein Kapital verlieh, welches ihm niemand rauben kann, es sei denn Krankheit oder Alter. Der wird schon durchkommen, wenn jene bösen Buben die Ruhe und öffentliche Wohlfahrt nicht stören. Diesen ehrenwerten Leuten muß geholfen werden durch Hebung der Gewerbe, Vorschußkassen, guten Unterricht für die Kinder und Sicherstellung gegen Krankheit und Invalidität.

Schaut auf die Bergleute, dort ist schon ein guter Anfang gemacht. Um dahin zu gelangen, schafft Ruhr im Lande und wählt Leute in die Kammer, so nicht erbittert mit der Regierung zanken, sondern zum Wohle aller aufrichtig Hand an das Werk legen. Fast zwei Jahre habt Ihr es versucht mit Schreiern, macht jetzt einmal die Probe mit Männern von gemäßigter Gesinnung, so die Freiheit wollen, gesichert durch gesetzliche Schranken nach unten und oben, und dann fällt ein unparteiisches Urteil! Gebraucht das einfache Hausmittel und heilt selbst den Schaden ohne kostspielige politische Quacksalber. Seid Ihr anderer Meinung, so bedauere ich Blut, Geld und verlorene Zeit, allein die bittere Erfahrung führt uns später sicher zusammen, bleiben wir deshalb Freunde nach wie vor.“

 
Zitiert nach: Wilhelm Schulte, Volk und Staat. Westfalen im Vormärz und in der Revolution 1848/49,
Münster 1954, S. 319-322.


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