Aus: Engelbert Schramm, Zu einer Umweltgeschichte des Bodens, in: Besiegte Natur. Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelspacher, München 1987, S. 87 - 95:
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„Trotz aller Veröffentlichungen zu den Neuerungen der Feldbewirtschaftung unterschied sich um 1800 die praktische Lage der Landwirtschaft kaum von jener der vorangegangenen Epochen: Zwar waren die Bauerngärten und die inneren Teile der Gemarkung recht gut mit Dünger versorgt; in den outfields dagegen waren (wie wenigstens für Mecklenburg bodenkundliche Analysen belegen) die Böden weitgehend erschöpft. Beim damaligen Viehbestand konnte der Dünger allenfalls von außerhalb besorgt werden – neben der Waldstreu und den Heideplaggen wurden aus den Städten Fäkalien herangekarrt; zum Teil wurde der Boden auch mit Mineralien aus kleinen Gruben innerhalb der eigenen Gemarkung aufgemergelt.
Durch Landesausbau und die Agrarstrukturreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde bis 1880 die Flächenproduktivität auf das Doppelte gesteigert. Die gemeinschaftliche, offene Mehrfelderwirtschaft mit dem Flurzwang wurde aufgegeben; die Brachen wurden nun planmäßig mit Klee oder Luzerne begrünt, so durch (unbewußt) der Stickstoffgehalt der Böden verbessert wurde. In Norddeutschland und im Allgäu entstanden bereits Höfe, die sich auf Vieh- und Milchlandwirtschaft konzentrierten; hier verbesserte der ausreichend vorhandene Mist die Nährstoffbilanz des Bodens. Zusätzlich gab es umfangreiche Anstrengungen, um die landwirtschaftlich genutzte Fläche zu steigern und neues Land zu gewinnen.
Die staatlichen Landgewinnungsprogramme in Nordwestdeutschland (Hannover, Oldenburg) und den Flußtälern von Oder und Havel konzentrierten sich auf das Trockenlegen großer, noch zusammenhängender Moorlandschaften, die nach holländischem Vorbild mit Kanälen entwässert werden sollten (= Melioration). Zwischen 1856 und 1911 war die Fläche trockengelegter Hochmoore zwar noch relativ gering; von 1,8 Millionen Hektar meliorisiertem Land in Preußen war jedoch bereits fast ein Drittel ehemaliges Niedermoor. Um 1880 starben so für Deutschland erste Pflanzenarten der an moorigen Flächen aus. Schon im Jahr 1901 hatte das preußische Landwirtschaftsministerium an den Leiter der Bremer Moorversuchsstation, Weber, ein Gutachten vergeben, das sich mit der Frage einer stellenweisen Erhaltung von Moorfauna und –flora, aber auch der ‚Gegenden von hervorragender Schönheit‘ beschäftigte. Weber prognostizierte den baldigen Untergang der Torfmoorbestände.
Erst nach der Gründung von Großkraftwerken 1909 im Emsland und bei Aurich gestaltete sich – im Gegensatz zur früheren (rein agrarischen) Fehnkultur – der Torfabbau so profitabel, daß die riesigen Hochmoorflächen zu inselartigen Reliktbiotopen innerhalb einer neuen Agrarlandschaft schrumpften; dies hatte erhebliche Folgen für die ursprünglich dort lebenden Tiere und Pflanzen, aber auch – kaum wahrgenommen – für den Wasserhaushalt und den künftigen Erhalt des Bodens.
Raschere Verbreitung fand die aus England eingeführte Drainage bei der Trockenlegung feuchter Flußtäler. Die erste Dränanweisung wurde 1857 von der Generalkommission für Schlesien erlassen. Neben Moor- und Sumpfarten wurden so die Lebensgemeinschaften der Feuchtgebiete und besonders der Auenwälder zurückgedrängt: ‚Selbst wenn der Wasserspiegel nur erniedrigt wird, geht die Bodenfrische in dem umgebenden Gelände zurück, und darunter leidet die dortige Pflanzen- und Tierwelt.‘ Wie hier, in jener Denkschrift von Hugo Conwentz, die schließlich die Institutionalisierung des staatlichen Naturschutzes zur Folge hatte, beschränkten sich die Klagen auf die direkt absehbaren biologischen Auswirkungen einer solchen Standortveränderung. Nicht diskutiert wurde, ob es auch zu indirekten langfristigen Folgen kommen müßte, d.h. die Frage nach der Belastbarkeit und der ökologischen Dynamik der Böden durch diese Eingriffe und nach deren Auswirkungen auf die Folge-Lebensgemeinschaft wurde nicht gestellt. Mit den damaligen Kenntnissen vom Boden (einschließlich Agrikulturchemie und –physik) hätte sie aber auch nicht beantwortet werden können.
In bestimmten regenreichen Naturräumen hatte die Landwirtschaft früherer Epochen verursacht, daß ein immer größerer Teil der oberen Bodenschicht zu Bleicherde verwitterte. Diese schweren Podsol-Böden konnten (z.B. in Dithmarschen und der Lüneburger Heide) nun mit Dampfpflügen wieder umgebrochen und nach zum Teil jahrhundertelanger Verheidung der Fruchtproduktion zugeführt werden. Der Heidekulturverein für Schleswig-Holstein etwa führte so von 1871 bis 1923 rund 70.000 Hektar dem Landbau zu. In der Lüneburger Heide wurde zum Teil auch aufgeforstet.
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Bereits in früheren Intensivierungsphasen der Landwirtschaft (Bronzezeit, Spätmittelalter) gab es einen Bodenabtrag durch das Regenwasser in Hanglagen mit starkem Gefälle. Um 1800 nahmen diese Erosionen erneut zu; als Gründe dafür werden die Agrarreform und die Produktionssteigerungen diskutiert, die dazu führten, daß stark exponierte Flächen unter den Pflug genommen wurden – Flächen, die bis dahin landwirtschaftlich nur extensiv (Streuobstanbau) oder fast nicht genutzt wurden (gelegentliche Schafweideflächen usw.). Der Bodenabtrag – zum Teil in Form von Erosions-gullies – nahm stellenweise solche Formen an, daß nach wissenschaftlichen Lösungsmöglichkeiten Ausschau gehalten wurde; beispielsweise wurde von der Göttinger Akademie der Wissenschaften ein Preisausschreiben ohne großen Erfolg initiiert.
Der aus Hanglagen abgetragene fruchtbare Boden lagerte sich zum Teil in den Tälern als ‚Auelehm‘ ab; die dortige Landwirtschaft bekam also mit den Frühjahrs- und Herbstüberschwemmungen eine kostenlose Düngung. Allerdings resultierten bei ‚wilden‘ Bächen und Flüssen, die gerade aus dem Quellgebirge austraten, daraus auch eine weitgehende Umgestaltung und geringe Stabilität der Flur. Von bäuerlicher Seite wurde entsprechend bereits um 1800 der Ruf nach staatlicher Regulierung der entsprechenden Wasserläufe laut.
Sofern die Flüsse und Bäche als Vorfluter benutzt wurden, um die Rückstände der vorindustriellen Produktion zu ‚beseitigen‘, konnte es zu frühen Bodenvergiftungen kommen. Einen entsprechenden Konflikt gab es bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Tal der aus dem Harz fließenden Innerste; deren Wasser wurde dazu verwendet, um die in Poch- bzw. Stampfwerken mechanisch zerkleinerten Münz- und Schwermetallerze voneinander zu trennen. Die bleihaltigen Pochsande wurden zum Teil mit dem Wasser davongetragen bzw. die entstehenden Abraumhalden bei Hochwasser fortgeschwemmt. In den Niederungen lagerten sie sich ab; die dort entstehende Bodenunfruchtbarkeit aufgrund der Schwermetallvergiftung wurde 1822 von G.W.F. Meyer in einer – ebenfalls Göttinger – Preisschrift ‚Die Verheerung der Innerste‘ ausführlich beschrieben. Als Sanierungsprogramm wurde eine Produktionsänderung und ein damit verbessertes Rückhalten der Pochsände vorgeschlagen. Im Innerstetal kam es aber noch bis ins 20. Jahrhundert hinein zu Bleivergiftungen des Viehs, vermutlich nicht nur durch Altlasten verursacht, sondern zum Teil durch neue, weiterhin mit abgeschwemmtem Bodenmaterial in die Talweiden gelangte Schadstoffe.
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Zum Schließen der Nährstofflücke der Äcker und Wiesen empfahl Liebig Mineralstoffe und besonders chemisch bereits ‚aufgeschlossene‘ Substanzen. Dies sei letztlich die einzige Möglichkeit, auf Dauer jene Mehrerträge aus dem Boden herauszuwirtschaften, die von den ‚rationellen Landwirten‘ seit etwa 1800 angestrebt wurden; chemische Analysen – wie sie z.B. Adolph Stöckhart in Tharandt durchführte – zeigten, daß die Böden ‚rationell‘ bewirtschafteter Güter ‚schrittweise ärmer an Kali, Talgerde, Kieselerde etc. (wurden), ja selbst an Phosphorsäure und Kalk in dem Falle, wenn der gebotene Ersatz den Verbrauch nicht vollständig deckt‘. Andererseits gingen nach Liebigs Ansicht in absehbarer Zukunft die leicht verwertbaren mineralischen Düngervorräte (‚Mammutfriedhöfe‘ oder der südamerikanische Seevogel-Guano) zu Ende. Durch die weitgehend von ihm entwickelten neuen Düngemittel konnte (ähnlich wie zuvor schon für Phosphor) für Kalium, später zum Teil auch für Stickstoff, die Nährstoffbilanz des Bodens gesichert werden. Allerdings lassen sich, wie wir heute wissen, mit der Methode der chemischen Düngung jene Stoffe, die aufgrund von Ernteausfuhr, Erosion usw. den biogeochemischen Kreislauf des Ackers verlassen haben, nur kurzzeitig durch ähnliche Verbindungen mit den gleichen Elementen ersetzen. Wenn – wie weitgehend in den konventionellen Betrieben mit Konzentration auf Getreidewirtschaft – die Rückführung organischen Materials (z.B. Stroh, Kompost, Mist, Mulch) auf den Boden versäumt wird, kommt es zu einem erheblichen Rückgang der im Boden lebenden Organismen (Destruenten und Produzenten), der sich indirekt auch auf die Bodenfruchtbarkeit auswirkt und zum Ausgleich wesentlich höhere Kunstdüngergaben erfordert.
Zu einem flächenhaften Durchbruch der Mineraldüngung kam es jedoch erst seit den 1880er Jahre, als Kalisalze sowie Thomasmehl als Nebenprodukte der Steinsalz- bzw. Stahlproduktion billig angeboten werden konnten. Selbst in den Kreisen der ‚rationell‘ orientierten Großgrundbesitzer wurde Stickstoffdünger erst ab 1880 häufiger verwendet; regelmäßig eingesetzt wurden sie jedoch, als mit dem Haber/Bosch-Verfahren eine zwar energieintensive, aber relativ ressourcenunabhängige Darstellungstechnik aus dem Luftstickstoff entwickelt worden war. Über die Mineraldüngung kann es so erst seit etwa 1920 zu jenen ökologisch unerwünschten Auswirkungen nicht nur auf die Pflanzen, sondern auch auf die "Bodengesundheit" gekommen sein, wie sie von den biologisch-organischen und den biologisch-dynamischen Landwirten schon im ersten Viertel unseres Jahrhunderts den konventionell düngenden Bauern angelastet wurde: Beide Richtungen der alternativen Landwirtschaft profilierten sich zunächst anhand einer Kritik der chemisch-organischen Düngung.“
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