Aus dem Bericht des Regierungsrates Bitter aus Minden, der 1853 eine Reise durch die Senne machte, um sich über die Lage der Spinner zu informieren:
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„Man trete in die Hütten hinein! In kleinen elenden Gemächern von Rauch geschwärzt, ohne Hausrath und irgend welche Zeichen eines Besitzes, der auf ein mehreres als das bloße nackte Leben hindeutet, erblickt man einen Kreis blasser Menschen, Männer, Frauen, Mädchen, Kinder am Spinnrade sitzen und unverwandt die Fäden von dem Rocken durch die abgemagerten Hände ziehen. Wohl ihnen, wenn das Dach, das sich über ihrer Hütte breitet, sie vor Sturm und Regen schützt, wenn an Fenstern und Wänden, Balken und Simsen nicht wucherische Pilze hervor schießen, ein trauriges Zeichen ungesunder, widriger Feuchtigkeit. Mit kaum befremdetem Blick sehen sie auf die fremden Erscheinungen, die sich durch die enge Thür in den kleinen Raum drängen. Vergebens sucht das Auge während der Mittagszeit nach dem Zeichen des nothdürftigen Mahles, nach einem Brode, nach dem Kartoffelbrei oder nach dem braunen Cichorientrank, dem steten Nahrungsmittel der armen Bevölkerung in übersetzten Landstrichen. Nur in einem schmutzigen Winkel entdeckt man endlich den bescheidenen Napf, in dem die Reste von Steckrüben oder Wurzeln erkennbar sind. Zwischen Spinnrad und Haspel aber und zwischen die zerlumpten Jammergestalten hindurch erblickt man die Bibel und das aufgeschlagene Gesangbuch aus dem der hungernde Spinner hin und wieder bei der Arbeit sich Trost und Zuspruch erholt. Unter dem Simsbrett hängen einige Stücken Garn und der karge Vorrath schlecht gereinigten Flachses, den ihnen der Garn-Mäkler leihweise zu hohem Preis aufgedrungen hat. Ein Blick in die Kammer vermehrt die traurige Einsicht in die Lage dieser Unglücklichen. Kein Bett, nur in Bretter eingeschlagen, auf bloßer Erde ein Lager von altem Stroh, Heide und Geisterkraut und Lumpen, ohne Decke, ohne Schutz vor Kälte, die feucht aus der offenen Erde des Bodens aufsteigt. Hie und da fällt der Blick auf bleiche Gestalten, die, in ihre Lumpen gewickelt, vor Fieberfrost und Kälte schauernd, sich in dem schlechten Lager ein Plätzchen der Ruhe gesucht haben, wenn die Kraft ihres geschwächten Körpers zum Spinnen nicht mehr ausreicht.
Fragt man, wodurch diese elende Bevölkerung ihr kümmerliches Dasein fristet, wovon sie sich ernährt, so lautet die Antwort: ‚durch das Spinnrad‘. Fragt man jedoch weiter, was eine solche Familie auf diese Weise verdient, so bleibt die Antwort freilich aus.“
Aus: C.H. Bitter, Bericht über den Nothstand in der Senne zwischen Bielefeld und Paderborn, in: 64. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg 1966, S. 1-108.
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Wilhelm von Laer berichtete 1851 über die Lage der arbeitenden Klassen des Kreises Herford an das Kgl. Preußische Landes-Ökonomie-Kollegium:
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„Wir wenden uns nach dieser allgemeinen Übersicht zu einer genauen Betrachtung der einzelnen Verhältnisse. Da haben wir nun zunächst unter den Heuerlingen zwei Hauptklassen zu unterscheiden. Am schlechtesten gestellt sind diejenigen, die bei einem Erbpächter oder Neubauer wohnen; denn da es meist diesen Leuten selbst an Land gebricht, so können sie natürlich auch ihren Heuerlingen nur wenig abgeben, und Arbeit haben siefür dieselben fast gar nicht. Die Letzteren haben daher oft nur ½ oder 1 Scheffelsaat Land. Wir wollen hier einen Durchschnitt von 1½ Scheffelsaat annehmen. Darauf kann der Heuerling nur eine Ziege halten; er baut auf seinem Lande Klee für seine Ziege, ¾ seines Kartoffelbedarfs und sein Gemüse. Die Bestellung und Ernte beschäftigt ihn etwa vier Wochen jährlich auf demselben. Bei seinem Erbpächter findet er selten Arbeit; die Kolonen haben deren kaum für ihre eigenen Heuerlinge; er ist also beschränkt auf öffentliche Arbeiten. Eine solche Familie, bestehend aus Mann, Frau und drei Kindern, von denen zwei zur Schule gehen, eines noch nicht sechs Jahre alt ist, hat nun folgende notwendige jährliche Ausgaben:
1. Wohnung und Landmiete 12 Tlr. - Sgr. - Pfg.
2. Für seine Ziege:
6 Ztr. Stroh à 12 Sgr. 6 Pfg. 2 " 15 " - "
2 Ztr. Heu à 20 Sgr. 1 " 10 " - "
50 Pfund Schrot - " 22 " 6 "
3. Nahrungsmittel:
17 1/3 Scheffel Roggen à 1½ Tlr. 26 " - " - "
Backelohn hierfür pro Sch. 2½ Sgr. 1 " - " 4 "
4 Scheffel Hafer à 20 Sgr. 2 " 20 " - "
2 Scheffel Gerste à 1 1/3 Tlr. 2 " 20 " - "
1 Scheffel Weizen 2 " - " - "
1½ Scheffel Erbsen à 2/3 Tlr. 2 " 15 " - "
½ Schock Weißkohl - " 25 " - "
9 Scheffel Kartoffeln à 10 Sgr. 3 " - " - "
22½ Pfd. Fett à 5 Sgr. 3 " 22 " 6 "
13 Pfd. Kaffee à 6 Sgr. 8 Pfg. 2 " 26 " 8 "
80 Pfd. Salz à 11 Pfg. 2 " 13 " 4 "
4. Feuerung und Licht:
19½ Pfd. Öl à 3½ Sgr. 2 " 8 " 3 "
2 Fuder Torf à 4 Tlr. 8 " - " - "
5. Kleidung:
a) für den Mann:
2 Mannshemden 1 " 15 " - "
2 Hosen 2 " 15 " - "
2 Kamisole 2 " 20 " - "
2 Westen - " 25 " - "
2 Paar Strümpfe - " 25 " - "
2 Paar Holzschuhe - " 10 " - "
½ Paar Schuhe, ½ mal versohlt 1 " 2 " 6 "
1 Kittel 1 " - " - "
1/10 Rock à 5 Tlr. - " 15 " - "
1½ Halstücher - " 11 " 3 "
½ Mütze - " 12 " 6 "
b) für die Frau:
2 Hemden 1 " 15 " - "
1 Rock von gefärbter Leinwand 2 " - " - "
2 Kamisole 2 " - " - "
2 Paar Strümpfe - " 25 " - "
2 Paar Holzschuhe - " 8 " 4 "
½ Paar Schuhe, ½ Reparatur - " 22 " 6 "
2 Tücher - " 15 " - "
2 Mützen - " 15 " - "
c) für die drei Kinder:
6 Hemden 3 " - " - "
6 Paar Holzschuhe - " 20 " - "
1 Paar Schuhe - " 12 " 6 "
6 Paar Strümpfe 1 " 15 " - "
für Röcke, Hosen, Kamisole und Westen 4 " 15 " - "
Mützen und Halstücher - " 22 " 6 "
6. Abnutzung des Hausgeräts und
Handwerkszeugs: 6 " - " - "
7. Klassen- und Kommunalsteuer: 1 " 10 " - "
8. Für zwei Kinder Schulgeld: 2 " 10 " - "
9. Etwaige Krankheiten: 2 " - " - "
10. Seife: - " 20 " - "
11. Flachs 16 " 20 " - "
Belauf der Ausgaben:
133 Tlr. 9 Sgr. 8 Pfg.
Wir nehmen an einem mittelmäßigen Spinner, der 18 Stück Garn für 1 Taler geben muß. Derselbe bedarf zu diesen 18 Stück für 15 Sgr. Flachs. Er sowohl als seine Frau können 12 Stück wöchentlich spinnen. Beide spinnen aber nur die Hälfte des Jahres. Das älteste Kind verspinnt die Hede, während das mittlere das jüngste verwahren muß.
Die Einnahmen der Familie bestehen in folgendem:
Garn aus dem Flachs 33 Tlr. 10 Sgr.
Garn aus der Hede 8 " 15 "
120 Tage Arbeitslohn à 7½ Sgr. 30 " - "
71 Tlr. 25 Sgr.
Es ergibt sich mithin ein Defizit von 61 Tlr. 13 Sgr. 8 Pfg. Dies scheint ganz unglaublich; doch möchte dieser Schein schwinden, wenn man bedenkt, daß dies Verhältnis sich erst jetzt nach dem Aufhören der öffentlichen Bauten so bedenklich herausstellt, daß ferner die Preise der Lebensmittel augenblicklich weit unter dem in der Taxe angenommenen Durchschnitt stehen. Und trotz dieser niedrigen Preise ist ein großer Teil der Heuerlinge gezwungen zu betteln.
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Aus: Beiträge zur Geschichte des westfälischen Bauernstandes. Im Auftrage des Vorstandes und des Ausschusses des Westfälischen Bauern Vereins hrsg. von Engelbert Frhr. v. Kerckerinck zur Borg, Berlin 1912, S. 217-221.
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