[ Start | Die Folgen | Über Arbeitsverhältnisse im Wuppertal um 1800 ]
   
  zurück
„Die Wiesen an der Wupper, welche das ganze Thal bekränzen, und zwischen den schönsten Häusern offen gelassen sind, werden auf das sorgfältigste zum Garnbleichen benuzt; und man nimmt nicht zu viel an, wenn man behauptet, daß im Barmer Thale jährlich über hunderttausend Zentner Garn gebleicht werden. Dies wird nun in den zahlreichen Fabriken jeder Art benuzt. Hier sind die größten Spizzen-Manufakturen, (unter denen sich vorzüglich die der Gebrüder Engel auszeichnet), Siamoisen-, Seiden- und Baumwollen-, Tuchfabriken, große Band-Fabriken, von dem so unbedeutend scheinenden baumwollenen und leinenen Bande, das hier in ungeheuern Quantitäten verfertigt, und bei dessen Fabrikation mancher Spekulant ungeheuer reich wird. Diese großen Unternehmungen sezzen eine Menge kleinerer in Bewegung, und beschäftigen so viele Menschen, daß man allein sicher auf 6 bis 8000 Weberstühle rechnen darf. Hier arbeitet Alles, und reges Leben ist überall sichtbar; keine Kraft der Natur bleibt unbenuzt. Jedes Flekchen Land ist von unendlichem Werthe, und wird entweder als Bleiche oder zu einer Fabrikanlage braucht. Die kleine Wupper muß durch unendliche Krümmungen, Erhöhungen und Ableitungen, tausend Räder treiben, tausend Maschinen in Bewegung sezzen. Mann und Weib, Greis und Kind muß zur Erhaltung des Allgemeinen den täglichen Zoll seiner Arbeit beitragen – Alles ist thätig.Durch die Aemter-Eintheilung sind diese Fabrikorte zwar geschieden, und Elberfeld hat einen eigmen Magistrat, doch ist das Verwaltungssystem einerlei, und wenn man gleich zum Theil über Justizmängel klagt, so scheint doch (was hier die Hauptsache ist) die Polizei in gutem Stande zu seyn, und für öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit zu wachen. Man hört weder von Diebstählen noch sonstigen öffentlichen Exzessen reden; und das Einzige, was dem Fremden ehedem lästig auffiel, war die hier sehr starke Gassenbettelei. Diese mußte hier natürlich, beim Mangel an Armenanstalten, stärker seyn, als in andern Orten, weil der Arbeitslohn der Fabrikarbeiter sehr niedrig und kaum hinreichend ist, ihre Familie zu ernähren, wenn nicht alle Glieder derselben durch Arbeit dazu beitragen. Der Tod eines Hausvaters oder eine dauernde Krankheit desselben aber stürzt nun eine ganze erwerblose Familie in Hunger und Elend. Diese und andere, theils durch sonstige Unfälle, theils durch eignes Verschulden verarmte Unglükliche suchten bisher ihre karge Nahrung durch Allmosenbetteln, welches vorzüglich im Kriege, durch das Hinzukommen auswärtiger Armen und Vagabunden, zu einer unglaublichen und kaum erträglichen Last ausartete. Diese ward dann aber glüklicherweise die Veranlassung, daß man endlich auf eine allgemeine und zwekmäßige Armenpflege sann, die seit einigen Jahren mit dem herrlichsten Erfolge organisirt ist. Sie [...] ebenfalls nach den Grundsäzzen der Hamburgischen Armenanstalt errichtet, [...] beruht auf freiwillig regulirten Beiträge der Einwohner. Fremde Bettler bekommen einen angemessenen Zehrpfennig. Hausarme werden von den Armeninspektoren wöchentlich zweimal besucht, um sie, so wie Kranke, gehörig unterstüzen. Arme Kinder werden in den neuerrichteten Freischulen unterrichtet und gebildet und seit Kurzem ist auch ein allgemeines Arbeitshaus organisirt, in welchem nun künftighin alle Arme eine dem Staate nüzliche Versorgung finden werden.“

 
Quelle: Justus Gruner, Meine Wallfahrt zur Ruhe und Hoffnung oder Schilderung des sittlichen und bürgerlichen Zustandes Westphalens am Ende des achtzehnten Jahrhunderts, 2 Teile, Frankfurt a. M. 1802/1803, S. 31f.
Zum Seitenanfang 
 
Der LWL -  Freiherr-vom-Stein-Platz 1 -  48133 Münster -  Kontakt -  Impressum