Aus: Kurt Dröge, Ländliche Wohnkultur im Wandel. Neue Möbel und Wohnformen, in: ..., S. 184:
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„Zur ‚Entmischung‘ von zuvor räumlich ungetrennten Tätigkeiten und Funktionen des Wohnens und häuslichen Wirtschaftens gehörte insbesondere die Separierung des Schlafens. Sie hat im städtischen Milieu ihren Ausgang genommen: Durch Hausum- oder einbauten Schlafkammern wurden gleichsam monofunktionale Schlafkammern geschaffen, die eine Privatisierung des Schlafbereichs einleiteten. Nach Möglichkeit nächtigten nur noch gleichgestellte Personen gemeinsam, doch blieb das gemeinsame Schlafen in einem Bett noch länger Zeit Normalität oder übliche Regel.
Baugeschichtlich ist die Entstehung ausgeprochener Schlafkammern zum Beispiel an einer kleinstädtisch-bürgerlichen Entwicklung vom Dielenhaus zum Flurhaus nach dem Vorbild zeitgenössischer Adelshäuser festzumachen. Im Laufe eines längeren Prozesses eine Vielzahl von Kleinräumen mit differenzierter Binnennutzung entstand eine Vielzahl von kleinen Räumen mit differenzierter Binnennutzung; dabei ging die Auslagerung der gewerblichen Funktionen in den verschiedenen betroffenen Berufszweigen mit zuweilen großem Zeitverzug vonstatten. Die generelle Übernahme solcher Entwicklungen im agrarisch-ländlichen Bau- und Wohnwesen erfolgte erst im Verlauf des gesamten 19., zuweilen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Ins Zentrum jeder Art von Beschäftigung mit der historischen Wohnkultur in Westfalen läßt sich die Betrachtung des zentralen Tageswohnraums, der Stube als Raumtyp, stellen. Sie ist typologisch sehr viel älter, bietet aber gerade für diese Zeit ein außerordentlich schillerndes Bild, das geeignet ist, die gesamtgesellschaftlichen Umbrüche in Wohnformen und Wohnverhalten zu dokumentieren. Als der zentrale Wohnraum des städtischen Bürgerhauses um 1800 läßt sich die Stube generell noch nicht von ihrer traditionellen Zusatzfunktion als Schlafraum trennen – erst recht nicht im ländlichen Bereich, in den Häusern der bäuerlichen und unterbäuerlichen Schichten. Doch sind hier vor allem funktionale Unterschiede zu berücksichtigen: Indem die Stube des Bürgers eher als heizbares Sonderzimmer des Hausherrn angesehen werden kann, fungierte die Stube des Bauern mehr als winterlicher Aufenthaltsort für die ganze Familie bzw. Hofgemeinschaft. Endgültig verlor sich die alte Zusatzfunktion als Schlafraum erst um 1900. Überhaupt konnte kurz nach 1800 von einer ‚Stube‘ in den kleinstädtischen Häusern der ärmeren Schichten, etwa des Handwerkerstandes, keine Rede sein. Vielmehr bemühte man sich dort auf engstem Raum, mithilfe von Einbauten mehr Raum zu schafffen, der sich vermieten ließ und somit dringend benötigte Einnahmen brachte. Von der Schaffung eines größeren Wohnkomforts war man noch weit entfernt.
Dennoch wurden der Wechsel von Schlafort und Schlafmobiliar – bis hin zum Schlafzimmer mit dem ehelichen Doppelbett als Ausdruck weitestgehender Separierungsbedürfnisse – sowie der Wandel der Stube zum Wohnzimmer kontinuierlich vollzogen. Den Kontext bilden dabei seit dem späten 18. Jahrhundert nicht nur Auflösungsprozesse des landwirtschaftlichen, sondern auch des handwerklichen und hausgewerblichen Arbeits- und Lebensverbandes. Mit der Freisetzung von Arbeitskräften und der Herausbildung veränderter gesellschaftlicher Unterschichten (Land- und Industriearbeiter) wurden neue Wohnformen in neuen Gebäudeformen praktiziert.“
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