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Beschreibung der Gesellschaft und des öffentlichen Lebens in Osnabrück 1803


Ueber die Einwohner Osnabrücks. Aus einem Schreiben eines Reisenden.

. . . . . Und dieses Frauenzimmer im jüngern Alter – es schien mir, als sey ihr Herz von Güte u. Menschenliebe beseelt. – Ich urtheilte richtig; sie ist von dem liebenswürdigsten Character, und es ist ihr eigentlichstes Geschäft, um sich her Heiterkeit u. Glück zu verbreiten. Da – eine Dame, an der man die höhere Bildung ihres Geistes erkennt! Welch eine Würde in diesem Gesicht, und diese gemildert durch Herzlichkeit und Güte! Ihres Vaters Bilde gleichen diese Züge. – – Ja gewiß sie ist es, – des unsterblichen Mannes, einer der Zierden des deutschen Vaterlands, Tochter.
In meinen Bemerkungen über Einzelne der Gesellschaft unterbrach mich die Musik. Man stellte sich in dem schönen Saale zum Tanz. Wenn es gleich an Tänzern u. Tänzerinnen nicht fehlte: so zogen sich doch noch viele von diesem Vergnügen zurück, unter den Frauenzimmern auch jüngere Verheyrathete. Unter den Tänzerinnen schien mir der Ausdruck der Bewegung nicht ohne eine gewisse Härte, wenigstens ohne Grazie zu seyn. Doch da schwebte ein Mädchen daher, das eben herangewachsen ist. Wie verweilen die Au- [Sp. 386] gen der jungen Männer auf ihr!“ Welch ein vielversprechendes Auge! Welcher sanfte Umriß des Körpers! Welche Reitze der Gestalt! Gar zu jungfräulich war das Frauenzimmer eben nicht gekleidet; nach griechischem Busen sehen Sie sich vergeblich um, doch ist es eine gute Art Menschen. Den Zuschauer ergötzt die Fülle der Gesundheit; man überzeugt sich, daß hier noch Reinheit der Sitten zu Hause ist. Von dieser schien mir auch dieses einheimische Frauenzimmer zu seyn. Es fehlt hier nicht an einer gewissen Gebildetheit; doch höre ich, daß einige zu sehr dem Vergnügen nacheilen. Aber auch das weiß ich, daß unter diesen Damen sich wieder andere finden, die, wenn sie einmahl in ihren Zimmern sind, recht tüchtig zu arbeiten verstehen. Warum verbinden sie nicht mehr das Nützliche mit dem Angenehmen, als sie thun! – Man liebt auch hier den Walzer, aber man sollte es umso weniger, da er nicht eben schön getanzt wird. Aber welch ein Gedränge! welch ein Treiben und Rennen, als man sich zu Tische setzen wollte! Es ist eine Fehler der Einrichtung, der sich verbessern ließe, indessen ist man der Freyheit einmahl gewohnt; man will sich nicht geniren lassen – man sieht es der Gesellschaft an; wohlhabend sind die Einwohner; es ist da [Sp. 387] keine Gedrücktheit und Gebücktheit, u. man findet da Viele, welche auf Hochachtung Anspruch machen, die man ihnen gern bezeigt.
Man hat Prunkgesellschaften, man hat freundschaftliche Gesellschaften. Mit den erstern gaben sich bis jetzt nicht gar viele ab, und daran thun sie sehr wohl. – Sie sollten es wohl nicht glauben, daß selbst Männer sich in das Einzelne so sehr vertiefen, daß die Zettel nach sorgfältiger Prüfung von ihnen rangirt werden. Sie lächeln? was ich Ihnen sage. Und die Zettel? das sind Blättchen von Karten, gezeichnet mit dem Nahmen dessen, dem da, wo der Zettel liegt, sein Platz, wo er sitzen soll, von der Wirthin, und auch wohl, wie oben steht, von dem Herrn des Hauses als zeitlichem Zeremonienmeister, angewiesen wird. Führt sie der Bediente nicht an den Platz, oder fordern Sie nicht eine gütige Dame, die neben Ihnen sitzen wird, auf, so haben Sie, wenn die Gesellschaft zahlreich ist, hin und her zu suchen, ehe Sie ihren Zettel finden. – Ob die Critik gegen die getroffene Wahl nicht eine Erinnerung zu machen wisse? Wahrlich das zu entscheiden, erfordert den scharfsinnigen Blick des Kenners. – Es gibt auch gemischte Gesellschaften; wie soll ich sie Ihnen andeuten – ein Zwischending von freundschaftlicher Annäherung und doch nicht ohne gewisse Feyer. Der liebevolle Geist eines Wirths oder der Wirthin ist es, der diesen Zirkeln das Leben gibt. – Erinnern Sie sich noch unsers alten biedern – – – Jeder ging da bey ihm aus und ein, der Freund, der Verwandte, der Fremde. Seine Gesellschaften bildeten oft die ausgebreitetsten Zirkel. Nur Geselligkeit war ihr eigenthümlicher Character. Geselligkeit kann in jede Gesellschaft gebildeter, nur nicht verbil- [Sp. 388] deter oder leerer, Menschen gebracht werden, und ohne sie sollte man sie nicht halten, versteht sich, ich meine hier nicht die diplomatischen Gesellschafte in Städten, wo große Höfe sind.
Heute ist unser Sonntag! Diese Benennung errathen Sie wohl schwerlich eben so wenig, als wenn Sie (nur deuten Sie mir die Vergleichung nicht übel) mir von dem blauen Montag erzählten und ich die Bedeutung hiervon nicht wüßte. Einige Familien verbinden sich, ein Kränzchen zu halten, den einen Sonntag in diesem, den zweyten in einem andern Hause. Sind sie bloß auf Spiel berechnet: so sind diese Gesellschaften ohne Werth und zur Ausfüllung der langen Weile. Dieses ist aber nicht der Fall. Vielmehr weiß ich, daß in einigen Häusern wahre Geselligkeit herrscht.
Und so sind noch viele kleinere Gesellschaften. Da sehen sie öfters die Glücklichen, die Herzensfreunde vereinigt. Brüder, Schwestern, nahe Verwandte schließen diese schönen Verbindungen. Möge jenes Rauschen und Treiben nie diese kleinern Zirkel zerstören, mögen sie immer ihre Verbindungen fortwähren lassen! So lange dieses seyn wird, wird man da noch so viele biedere gute Menschen finden, wie ich hier traf.
Man hat eine litterärische Gesellschaft errichtet; man hat einen Clubb. Aber so recht will es damit nicht fort. Was mag davon die Ursache seyn ? Etwa ein gewisses Dunkel in dem Character der Westfälinger überhaupt ? Wohl nicht! Denn ich habe zu viel herzliches Lachen unter dem weiblichen Geschlechte, und besonders an den Versammlungsplätzen junger Männer Jovialität bemerkt, als daß ich diesen dunkeln Zug gelten lassen könnte. Oder bringt der Osnabrücker [Sp. 389] in die Gesellschaft zu sehr den Geschäftssinn? Wie verschieden wäre das von X. Da ist jeder gesittete Mann gleich; da vergißt der Beamter sein Amt; Künstler, Gelehrte, sind sie auf ihren Zimmern, in ihren Geschäften, auf ihren Gerichtsstellen. Wenn jenem so wäre, und man wollte einen litterärischen Clubb – o! die Musen würden vor der Amtsmiene erschrecken und entfliehn. Woran mag es doch also liegen, daß es mit diesen Einrichtungen nicht fort will! Sollte ein Mangel des allgemeinen Wohlwollens irgend einen Grund darbeiten, wenigstens in Ansehung des Clubbs? Das wünschte ich nicht, ich, der ich so gern das Bessere weltbürgerlich wünsche.
An verdienten Männern fehlt es nicht, – der Hofmedicus Klinke. Er verbindet mit der Einsicht in seine Kunst als Arzt, eine seltene Ordnungsliebe. Sie sehen ihn unermüdlich in seinem Berufe beschäftigt. In seiner Lebensweise hat er diejenige Urbanität, die so eigentlich den Umgang verschönert. Vorhin soll er die Gesellschaften viel besucht, sie mit seinen schätzbaren Kenntnissen mancherley Art eine nützliche Unterhaltung verschafft haben. Er ist zugleich ein gutmüthig-tugendhafter Mann; seiner Pflege u. Sorgfalt eröffnet er die dunkelsten Hütten, wo er dem Unglücklichen und Armen als Arzt und Mensch hilft und nützt. Schade, daß er seine Erfahrungen aus seiner ausgebreiteten Praxis nicht bekannt macht; oder eckelt ihm etwa das Geschrey unserer Systematiker an, welche die unendlich mannigfache Natur unter ein Princip zwingen wollen? – Unter seiner Pflege wuchs ein Jüngling heran, der sich, wie man zu hoffen gute Ursache hat, unter die vorzüglichsten Männer gesellen wird, [Sp. 390] die aus Osnabrück hervorgegangen seyn. – Der Bürgermeister Stuwe betrieb und beförderte unter Zuziehung und auf Gutachten, besonders der beyden geschickten Schullehrer, des Rectors u. des Conrectors Fortlage , zweyer Brüder, eine bessere Einrichtung des Osnabrückischen Gymnasiums und anderer nützlichen Anstalten; so hat er auch an der Strassenverbesserung vielen Antheil gehabt.
Der Canzleydirector Lodtmann, dieser lebendige Quell, woraus sich jetzt dieses und dann jenes ergießet, ein Mann von eisernem Fleiße, und dem bey diesem Fleiße die Freyheit des Geistes nicht beschränkt wird, wer sollte ihn nicht mit Achtung nennen! er mag entweder auf die Verbesserung der Schulen auf dem Lande, oder einer Prediger-Wittwen-Casse (und was soll ich weiter anführen!) bedacht seyn. Die Acta Osnabrugensia sind von ihm, auch ein Codex constitutionum Osnabrugensium. Erstere enthalten schöne Beyträge zur Geschichte; so auch die letztern, denen jedoch in der Anlage, oder in der Ausführung, oder in beyden zugleich, die leichte Uebersicht fehlt, welche denn freylich auch Arbeiten dieser Art nicht ohne große Schwierigkeit mitzutheilen ist.
Sein Bruder, Canzleysecretär. Ich sah ihn: er war von wenig Worten. Als Schriftsteller kenne ich ihn in den Provincialcharacterzügen und der Geschichte des Protestantismus. In den estern ist sein manier scharf. In der letztern ist sein Gang ruhig, sich annähernd.
Ich sah auch den Rath Vezin, der bey vielen Kenntnissen zugleich ein Mann für die Welt ist. Sie kennen den Werth, den seine [Sp. 391]Werke in vieler Hinsicht haben. Man zeigte mir einen Aufsatz, den er als Richter verfaßt hat, der zwar den in seinen Gegenstand eindringenden Verfasser verrieth, wovon mir der Vortrag jedoch etwas zu kostbar oder zu künstlich schien, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich dieses auch von denjenigen Schriften bemerke, die er dem Publicum vorgelegt hat.
Der Doctor Klüntrup lebt wohl nur auf seiner Stube. Ich habe ihn persönlich nicht kennen gelernt. Er hat schriftstellerische Verdienste um das Vaterland. Genug Ursache, ihn unter den Männern des Landes anzuführen, die sich auf irgend eine Weise auszeichnen. Auf seiner Meinung, dünkt micht, verharrt er zu sehr. Auf diese Weise wird er intolerant, überhebt sich auch über Männer, denen er wohl schwerlich gleich steht.
Vorzüglich erregte meine Aufmerksamkeit der Syndicus von Lengecken, Ein seltener Mann, unbefangen, wie die Jugend, ob er gleich der Jüngste eben nicht mehr ist, findet man ihn nur unter jungen Leuten, die ihn sehr schätzen. Sein Kleid ist ihm eine Nebensache, wie jede Umständlichkeit, womit freylich oft genug die Leerheit und Geistesarmuth verdeckt wird. Aber gebildet und edel ist sein Geist. So geht er seinen ganz eigenen Weg.
Herft ist der Bildhauer u. Schöpfer seiner selbst. Was er ist, einer unserer ersten deutschen Redner, das dankt er nur sich. Zuerst zog er einige Kirchenväter zu Rathe, dann die Schriften Jerusalems. Er studirte zu Münster . Auf einer Landpfarre, wo er Vicariatsdienste versah, übte er sich zuerst in den Vorträgen, wurde dann am Dom Prediger. Sein Verdienst verschaffte ihm [Sp. 392] ein Canonicat vom römischen Stuhle, und zuletzt wurde er Dechant an einer der vornehmsten Stiftungen des Hochstifts. Aber die Muse der Beredsamkeit blieb ihm, oder er ihr in jedem Verhältniß getreu. Er würde sich gleichen, wenn er auch eine der ersten Stelle der römischen Kirche bekleidete. Er ist durchaus derselbe, ist Wohlthäter derer, die sich ihm nahen u. seiner bedürfen, einfach in seinen Sitten, Vielleicht gleicht er Mösern am meisten; denn Sie urtheilen, Männer, wie diese, sind in ihrem Einfachen groß, und sich gleich.
Gegen ihm über, als Redner, steht Gruner da, nur daß zu wünschen wäre, daß er ein gebildetes Publicum hätte; denn seine Predigten tragen das Gepräge des Genies und zugleich den Beweis des fleißigen Bearbeiters seines wohlgewählten Materials.
Dem Superintendenten Ringelmann dankt das evangelische Publikum sein Osnabrückisches Gesangbuch, eines der ersteren Besseren in seiner Art. Die Gebete im Anhange scheinen mir aus Zollikofer entlehnt zu seyn; wären sie von ihm: so verdiente er im Auslande bekannter geworden zu seyn, als er es jetzt ist.
Die Banquiers Schwarz, der Kaufmann Schröder – ehrenwerthe Nahmen! Aber genug für heute, leben Sie wohl.
 
Aus: Westfälischer Anzeiger, Dortmund: Arnold Mallinckrodt, Bd. 10 (1803), Num. 25 (29.3.1803), Sp. 385-392.

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