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Der Westfalenreisende Justus Gruner (1777-1820), um 1810/12
Punktierstich von J. S. L. Halle
20,6 x 13 cm (Blatt), 17,2 x 10,8 cm (Platte)
WLMKuK Münster, Inv.Nr. C-506070 PAD
Foto: LWL-LMKuK (WLM), Münster, Rudolf Wakonigg
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Justus Gruner über das Fürstbistum Paderborn
"Der Himmel mag es wissen, woher das Sprichwort: „Unter dem Krummstab ist gut wohnen !“ – entstanden ist. Ich kann den Grund desselben nur in der Bigotterie der Vorzeit, oder der Frömmigkeit damaliger geistlicher Regenten finden: denn wer den Zustand der meisten Bisthümer nur einigermaßen kennt, der wird es wissen, wie bedauernswerth gewöhnlich ihr Loos ist. Von einem Herrn regiert, der meistens das Land als eine Börse ansieht, aus der er sich selbst und die ihn Umgebenden nur während seines Lebens bereichern kann, sucht er (jeder Privatmann macht es mit einem temporär unterhabenden Gute eben so) daraus zu schöpfen, so lange und so viel er kann; und es kümmert ihn nicht, daß der Beutel allmählig erschlafft, so lange er nur noch Etwas darin findet. Ganz ein Anderes ist es mit den weltlichen Fürstenthümern, die ein erbliches Eigenthum ihrer Regenten sind, bei denen daher weise Fürsorge und fleißige Industrie, durch die gegenseitige Idee von Vater- und Kinderpflichten, entstehen.
Paderborn drükt diese Schwere des Krummstabs sichtlich hart, und aus leicht zu erklärenden Gründen. Der Fürst soll nämlich, der ursprünglichen Verfassung nach, durch die Landstände, als Volksrepräsentanten, für das Beste des Landes berathen, und in seinen etwaigen gesez- und nuzwidrigen Handlungen beschränkt werden. Nun ist aber der mächtigste unter diesen Ständen das Domkapitel, die beiden andern, Ritterschaft und Städte, haben weder so viel Einkünfte noch Gewalt; auch ist das Interesse der ersteren gemeiniglich mit dem des Domkapitels eins. Der Fürst wird von dem Domkapitel erwählt – Dankbarkeit und Interesse knüpfen ihn daher an dieses, dessen zwei und zwanzig Glieder meistens aus Ausländern bestehen, die ihre ungeheuren Einkünfte dem Lande entziehen. Diese Einkünfte entspringen größtentheils aus den Besizzungen und Abgaben leibeigener Höfe, Privilegien, u. s. f. Darf man also wohl fragen: ob die Bauernklasse gedrükt ist ? Nehme man zu diesem Druk das temporäre Unglük eines geizigen Fürsten, und die Menge von Klöstern, die ebenfalls mächtige Besizzungen und Einkünfte haben, welche der Schweiß des Landmannes hervorbringt, um ein todtes Kapital anzuhäufen; - die harten Folgen eines willkührlichen Leibeigenthums und einer höchst schlechten Justizpflege: so wird man es begreifen, daß das Land einer sehr weisen Staatsverwaltung bedürfe, um solchen Uebeln entgegen zu streben, und ihnen unterliegen müsse, da es diese nicht hat.
[...]
Unter dem finstern Schatten des Krummstabes verbirgt sich auch hier eine langsame schlechte Justizpflege, mit all ihren verderblichen Folgen. Es wimmelt von Advokaten und Prokuratoren, die, vorzüglich die lezteren, vom Aufhezzen der streitsüchtigen Gemüther und von der Indolenz der Richter profitiren, um dem Landmanne das etwa Erübrigte allmählig für die Erhaltung seines Rechts zu rauben. Auch ist die Gerichtseinrichtung ganz dazu geeignet. Eine Menge von Instanzen machen es möglich, Prozesse so lang auszudehnen, als die Geduld und das Geld der Landleute dauert; und es ist eine Eigenschaft des westphälischen Nationalkarakters hier, höchst starrsinnig zu seyn. [...] Die Gerechtigkeit der Justizpflege läßt sich auch hier nicht rühmen; ich habe laute und bittere Klagen darüber gehört. Der zeitige Kanzler ist ein bejahrter schwacher Mann, und das Ruder dieser Geschäfte in den Händen eines Hofraths E., dessen harter und despotischer Karakter allgemeine Feindschaft sich zuzieht. – Man hat mir mehrere empörende Beispiele darüber erzählt. – Und auch hier hilft es leider ! nichts, sich an den Fürsten zu wenden, dessen ganze Gerechtigkeits- und Gnadenbezeigung darin besteht, Bericht zu fordern. Ob und wie dieser ausfalle, ist meistens einerlei, denn der bittende Unterthan erhält nur einen abschlägigen oder gar keinen Bescheid.
Diese verderbliche geistliche Indolenz erstrekt sich über alle Theile der Staatsverwaltung, und die Landespolizei ist in einem eben so kläglichen Zustande, als die Justizpflege. Positive Anstalten dafür existiren nur sehr selten, und wo sie sind, sehr mangelhaft. - Die Paderbornschen Landstädte sind die sprechendsten Belege dafür; und scheußlichere Wege, als in diesem Lande, kann man nicht wohl passiren. Bettelei ist an allen Heerstraßen zu Hause. Die Armenfonds sind zwar nicht unbeträchtlich, allein sie werden höchst partheiisch und zweklos verwendet. Armen- oder Arbeitshäuser gibt es nicht; und die bettelnden Bauern selbst werden wieder um milde Gaben angesprochen von – bettelnden Mönchen. Diese sind die unverschämtesten und schädlichsten Bettler des Landes, aber – privilegirt. [...]
Und mit dem bürgerlichen Druk geht der moralische brüderlich vereint. An zwekmäßige Unterrichts-Anstalten wird hier nicht gedacht. – Die Mönche, die überall ihren Einfluß behaupten, würden ihre Rechnung zu wenig dabei finden. – Die sogenannte Universität und Gymnasium zu Paderborn sind höchst dürftig. Die Landschulen befinden sich in einem elenden Zustande. Unwissenheit, Bigotterie und Aberglauben sind den Paderborner Landleuten eigen; doch regt sich ein etwas freierer Geist unter ihnen, als unter den Rittbergern. Aber finsterer Eigennuz und Herrschsucht verdunkeln jedes aufglimmende Licht.
Das sind die vorzüglichen Ursachen der unnatürlichen Armuth dieses Landes, dessen gänzlichem Ruin nur die herrliche Fruchtbarkeit seines Bodens zu sehr entgegenstrebt. Die Milde oder Habsucht seiner oft wechselnden Fürsten machen diesen harten Druk abwechselnd leichter oder schwerer.
Der jezt regierende Bischoff ist seit 1789 Franz Egon von Fürstenberg; ein Fürst, der durch die neueren Ereignisse in Hildesheim, das er ebenfalls regiert, genug bekannt geworden ist. In Paderborn scheint er nicht geliebt zu seyn. – Man hört wenig von ihm, denn Niemand weiß Etwas von ihm zu sagen. Man wirft ihm keinen Druk, keine Despotie vor, sondern Indolenz, gänzliche Unthätigkeit. Er lebt entweder zu Neuhaus oder Hildesheim in einer tiefen Stille, die nur von dem Geplärre französischer Priester, deren er eine grosse Schaar erhält, unterbrochen wird. - - Fromm an sich, ist er doch nicht intolerant, und was etwa in dieser Hinsicht geschieht, muß seinem geistlichen Rathe zur Last gelegt werden. Er selbst soll sich so wenig als möglich um kirchliche und weltliche Angelegenheiten bekümmern. Er beschäftigt sich zur Arbeit mit Beten, und zum Vergnügen mit der Jagd und Reiten. Aufwand ist an seinem kleinen Hofe völlig fremd, und höchstmöglichste Sparsamkeit ein Hauptzug seines Karakters. Für dürftige ausgewanderte Franzosen allein ist seine Börse geöffnet; selten und gering für die Armen seines Landes. [...] Dies ist um so unbegreiflicher, da seine Einkünfte sehr beträchtlich (über 60,000 Reichsthaler) sind, und er sie sogar auf mancherlei Art zu vermehren weis. So bekommt er z. B. jährlich viertausend Reichsthaler zur Besoldung einer Leibgarde, (leider! hält das Land für seinen Fürsten einige hundert Mann Soldaten, die jährlich gegen fünfzehntausend Reichsthaler kosten), die jezt gar nicht existirt, und wofür also das Geld in seine Kasse fließt. Der Himmel gebe, daß der Schaz, der sich in dieser aus dem Schweise der Paderborner Unterthanen aufthürmt, einst zu ihrem Besten verwandt wird, das sich um so sicherer hoffen läßt, da die reichen Verwandten des Bischoffs dieses Geldes nicht bedürfen, und ausserdem auch seine Anhäufung ungerecht und unpolitisch wäre.
[...]
Dem ächten Kosmopoliten bleibt kein anderer Wunsch für dies Land, als die Säkularisation desselben, da es unter einer bessern Regierung seinem natürlichen Flor nothwendig näher kommen muß. - Die Unterthanen selbst fühlen das auch wirklich immer mehr, und ich fand bei weitem den Widerwillen gegen eine Veränderung und Einführung eines weltlichen Szepters so groß nicht [...]. Was davon existirt, kommt aus dem Pfaffenreiche, und wird mit dessen Erstikken verschwinden. Nur hiedurch kann dies herrliche Land von seinem trägen Elende befreiet, blühend und kräftig, wie die Natur es wollte, und seine Bewohner reicher und besser werden."
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