[ Start | Kultur | Kirche und Religion | Verlust oder Funktionswandel | Karl von Kerssenbrock, letzter Abt von Liesborn, um 1800 ]
   
  zurück
Karl von Kerssenbrock, letzter Abt von Liesborn, um 1800
Karl von Kerssenbrock, letzter Abt von Liesborn (1798-1803), um 1800
Bildnachweis
Karl von Kerssenbrock, am 16. Dezember 1750 in Vreden als Sohn eines Juristen geboren, war in fünfter Generation direkter Nachfahre des münsterischen Domschulrektors und Historiographen der Täuferbewegung, Hermann von Kerssenbrock. Als Sprössling einer kinderreichen Familie wurde er wie zwei seiner Brüder zum geistlichen Stand bestimmt. Sein Bruder Anton wurde Kreuzherrenpater zu Bentlage.

1769 trat Karl von Kerssenbroch in das Kloster Liesborn ein, empfing 1771 die niederen Weihen und 1775 die Priesterweihe. 1779 erhielt er die Approbation als Seelsorger und wurde 1780 als Novizenmeister zuständig für die Ausbildung des Nachwuchses, 1782 Kaplan für die Pfarrgemeinde. 1796 übertrug man ihm das verantwortungsvolle Amt des „Kellners“, der die Güterverwaltung des Klosters zu leiten hatte: 1803 besaß das Kloster 432(!) eigenhörige Höfe und Kotten und war damit eines der reichsten im Münsterland.

Kerssenbrock wurde 1798 zum 35. Abt des Klosters gewählt und hinterließ eine umfangreiche Beschreibung seiner Amtstätigkeit in Form eines Tagebuches. Daraus geht hervor, dass er nach Aufhebung des Klosters Liesborn nach Münster zog, wo er am 20. November 1829 verstarb.
Seinem Tagebuch zufolge führte er auch die Aufsicht über die Benediktinerinnenklöster Vinnenberg und St. Aegidii in Münster und nahm Geistliche zur Besserung ihres Verhaltens auf. Er schaffte den besonderen Mittagstisch für Abt, Kellner und Küchenmeister ab, speiste zusammen mit den Konventualen und beschränkte den Weinkonsum der Konventualen auf zwei Karaffinen (etwa 0,25 l Wein) pro Tag. Mehrere Benediktinerpatres, die aus Lüttich emigriert waren, beherbergte er im Kloster. Im Dorf Liesborn sorgte er für die Durchführung der Schulpflicht nach der im September 1801 erlassenen Ordnung.

Sein Tagebuch überliefert darüber hinaus einen Abriss zu Geschichte und Aufgaben des Klosters Liesborn, den er am 29. August 1802 der preußischen Verwaltung in Münster auf deren Anforderung hin einreichte.




 
Auszüge aus Tagebuch des letzten Abtes zu Liesborn, Carolus von Kerssenbrock (Bernhard Heinrich Wilhelm), [...], hg. von Eugen Eick, Dortmund 1903, S. 120-122, 70f, 109-114:


„Zufolge des Allerhöchsten Königlichen Reskriptes vom 11ten August 1802 wird auf uns den 29ten August zugekommenen Befehl eines hochwürdigen Vicariats allerunterthänigst berichtet:

Die Abtei Liesborn war anfänglich ein von Kaiser Carl dem Grossen um die Zeit 783 gestiftetes Frauenkloster, welches um das Jahr 1130 von dem münsterischen Bischof Egbert mit Genehmigung des Kaisers und Papstes in ein Benedictiner-Mannskloster umgeschaffen wurde, weil die Nonnen sich nach allen vorhergegangenen Ermahnungen, Verordnungen und Drohungen gar nicht bessern wolleten. Was zur Zeit der Nonnen zu dieser Fundation gehöret habe, davon ist uns wenig bekannt. Zur Zeit der Translation muss sie gering gewesen sein, nach und nach aber wurde die durch Ersparung und gute Wirtschaft, durch Vermächtnisse und Dotationen der hineingehenden Professen, durch vortheilhafte Ankaufung liegender Gründe so vermehret, dass sie itzt als eine ordentliche Stiftung bestehen kann.

Der Endzweck dieser Stiftung war offenbar die Urbarmachung des damals noch öden Bodens, die Einführung und Verbreitung des Christenthumes, die Bildung mehrerer dem Staate nützlicher Menschen, die Absonderung von der für manchen einen gefährlichen Welt, der tägliche und nächtliche Gottesdienst, die Verrichtung des Gebethes für die Landes-Obrigkeiten und den ganzen Staat, die Bearbeitung seiner und anderer Seelen Seligkeit, welcher Endzweck von unseren Vorfahren stets rühmlichst erfüllet worden ist und noch alle Tage, wie in der hiesigen ganzen Gegend bekannt ist, erfüllet wird.

Die Pfarrei hierselbst, die 1240 der Abtei vom Papst und münsterischen Bischof einverleibet und wovon der zeitliche Abt zu Liesborn immer Pastor primarius ist, wird von dreien von ihm benannten Herren, wovon der älteste den Namen Pfarrer führet, die beiden anderen Kapläne heissen, allzeit administriret. Vier eigens dazu bestimmte Catechisten geben alle Sonntage im Sommer und alle Tage von Aschermittwoch an bis Ostern christlichen Unterricht. Die Schulen des Kirchspieles Liesborn, nämlich eine Hauptschule und zwei Nebenschulen, werden von dem jetzigen Herrn Prior als Kommissarius archidiaconalis mit Beihülfe der drei obigen Seelsorger dirigiret. Diese drei Schulen sind nicht dotiret, die Hauptschule, wenn die bisherige Zulage dabei bleibet, braucht auch nicht besonders dotiret zu werden. Die Nebenschulen könneten und müsseten auch wohl dotiret werden, worüber wir aber Königlicher Majestät das Weitere auf Befehl vorzulegen bereit sind. Mit der Hauptschule ist eine Industrie- und Nähschule verbunden. In dieser Industrie-Schule sind seit dem 11ten October 1801 bis den 10ten August 1802 an Strümpfen, Handschuhen, Geldbeuteln, Kinder-, Frauen- und Manns-Strümpfen, alles zusammengerechnet – nämlich von den Buben und Mädchen – 617 Paar gestricket worden. Über das Stricken in den Nebenschulen wird kein Register geführet. Wirklich lebende Bäume sind aus dem Kern von den Kindern gezogen worden. Einem jeden Kinde, das sich in diesen oder jenen von obigen Punkten am Besten hervorgethan hat, wird im October öffentlich in Gegenwart von sehr vielen Menschen eine Prämie von der Abtei Liesborn gegeben. Auf diese Weise nebst genauer Erfüllung der übrigen Pflichten glauben wir dem Endzweck unserer Fundation zu entsprechen und der gnädigsten Huld unsers Königs würdig zu werden.
[...]
[...]

1801, den 6ten September, bin ich mit dem P. Prior nach Münster gereiset, um bei dem Kaiserlich und Königlichen Gesandten, Herrn Grafen von Westphalen, meine unterthänigst gehorsamsten Glückwünschungen wegen der einstimig getroffenen Wahl auf den Erzherzog Anton Victor zum Fürsten und Bischof vom hiesigen Lande abzustatten.

[...]

Wie fröhlich und feierlich diese so innigst von allen Münsterländern erwünschete Wahl am 9ten September vorgangen und beschlossen worden ist, ist aus den Intelligenzblättern zu sehen. Ganz besondere und äusserst wichtige Ursachen hatte auch das ganze Münsterland, sich über diese Wahl zu erfreuen, weil von allen Ecken uns damit gedrohet wurde, dass das ganze Münsterland unter preussische Regierung kommen würde; gewiss ist es auch, dass der König von Preussen dies auf dem Reichstage zu Regensburg gesuchet hat etc. etc. Von Münster aus schrieb ich dem P. Kellner als Senior des Convents, er möchte die glückliche Wahl den Lippstädtern durch Schiessen bekannt machen, einem jeden aus’m Convent einen Becher Wein zukommen lassen; des lautern Colloquium solle darüber sein, wenn ich wiederkäme. Den 10ten ist darauf so geschossen, dass der Lippstädtische Zeitungsschreiber in die Zeitung hat setzen lassen: „Heut wurde uns die Wahl des Erzherzoges Anton Victor zum Fürstbischofe durch den Donner der Kanonen von der Abtei Liesborn bekannt gemachet.“ Im Herzen indessen wünschen die Lippstädter, dass auch wir unter dem eisernen Scepter des Königs von Preussen wären etc.

[...]

Von einem, der ganz gewiss weiss, was sich 1mo nach der von dem Münstrischen Dom-Capitul geschehenen Wahl des Anton Victor zum Fürsten von hiesigem Lande – was sich 2do seit der Zeit der nicht bis heute dato ausdrücklich von Anton Victor angenommenen Wahl, – und was sich 3tio folglich bei der jetzigen Regierung, von dem jetzten Dom-Capitul, zugetragen hat, bin ich für ganz gewiss benachrichtiget worden, dass unter anderm wahr sei alles folgende:
General Blücher hat den 26ten Juli dem Dom-Capitul angekündiget, dass er den 3ten August, an welchem Tage der Geburtstag des Königs ist, von der Stadt Münster etc. Besitz nehmen würde.

[...]

Gott weiss, was für ein Auftritt es am Dienstag, den 3ten August, 9 Uhr morgens zu Münster geben wird, wo die preussischen Truppen in die Stadt Münster einmarschiren werden!

Um alles desto sicherer und eher zu erfahren und auch um zu vernehmen, was ich des hiesigen Gotteshauses wegen bei diesen so für alle Klöster gefährlichen und schrecklichen Zeiten zu thuen und zu lassen habe, habe ich gestern, als den 4ten August, einen Expressen nach Münster zu dem Herrn Pater in Egidi und meinem Herren Bruder zu Münster geschicket, der heute gewiss wiederkommet. Ich sagete soeben: bei diesen für die Klöster so gefährlichen und schrecklichen Zeiten: denn nicht nur in ganz Frankreich, sondern auch in den von Frankreich eroberten Plätzen, als im Mainzischen und Kölnischen etc. etc. sind alle Klöster, alle Abteien und Stifter aufgehoben; ein jeder von den dasigen Einländer, er sei Domherr oder Capuciner, Abt oder gemeiner Pater, wenn er unter 60 Jahren ist, bekommet jährlich nur 500 Franken, ist er über 60 Jahre, so erhält er 600 Franken oder, was das nämliche ist, 100 französische Kronenthaler; ein jeder der nicht im Mainzischen oder Kölnischen geboren worden ist, muss das Land vor dem 10ten August laufenden Jahres auf ewig verlassen und bekommet ungefähr 35 Rthlr. Reisegeld und nachher nichts mehr. Der katholische Kurfürst von Bayern selbsten hat in diesem Jahre auch schier alle Klöster aufgehoben. Gott! welche Zeiten! – Wie muss jenen ums Herz sein, welche der Welt dem Herzen nach abgestorben waren und nun darin wieder erscheinen müssen! – jenen, die das Brot hatten, und es nun auf allerlei Art wieder suchen müssen! den Eltern, welche ihre Kinder meinten standesgemäss angebracht, völlig versorgt zu haben und nun wieder, ohne alle Aussichten für selbe, wieder zu Hause bekommen! Verwandten, die bei ihren Brüdern, Schwestern, Vettern und Nichten per professionem in ordine suo alles geerbet hatten, die aber auch nun ihren kindlichen Antheil an dem elterlichen Vermögen wieder fordern werden und auch können! Ordensgeistlichen, die in ihrem Stande ganz zufrieden lebten und nun so ganz gegen ihren Willen diese heilige Zufriedenheit aufopfern und nichts, als was den Geist und ihr Herz drücket, vor sich sehen!

[...]

Erwäget man dabei, dass die Franzosen in der Stadt Köln alle Pfarreien auf 8 und alle Caplaneien auf 16 reduciret haben! dass die preussische Regierung acatholisch ist, dass diese solche Beispiele von Churbayern siehet, dass diese nicht nur die Hauptstadt Münster und östlichen Theil, sondern auch am 3ten August Paderborn und Hildesheim zum ewigen Besitze eingenommen hat, welche, o welche Aussichten für die katholische Religion, für die mit Akatholischen geschlossen werden könnenden Matrimonia, für die Erziehung der Kinder, für die katholischen, in diesen 3 Ländern jetzt regierenden Herren, Geheimen-, Hof-, Kriegs-Räthe, Beamten, Gogräfen, Richtern etc. etc., für die Dom-Capitule, Stifter, Abteien, Klöster etc. etc. Deus miseretur nostri! etc. etc.

[...]

Dienstag, den 3ten August, um 7 Uhr morgens, kamen schon verschiedene Patrouillen in Münster, um halber Zehn das ganze Corps unter klingender Musik und Fahnen, welches gleich die Haupt- und andere Wachen ablösete, doch nicht die dicasterische, bei der Hauptwache an jeder Seite 2 Kanonen und 2 brennenden Lunten und 2 Pulver-Wagen etc., eine mit der Aussicht nach Lambertiund die andere nach Egidi Kirchhof hinsetzete und eben so auf einen Platz 6 Kanonen hinpflanzete. Darauf musseten unsere Truppen (die gemeinen Soldaten) auf einem Platz, umzingelt von preussischen Truppen mit aufgestelleten und unseren Soldaten zugehaltenen Bajonettern dem König schwören und kriegeten gleich Preussen zu ihren Offizieren; unsere Offiziere wurden von Blücher dimittiret mit Vorbehalt ihrer Gage bis auf weitere Ordre. Übrigens wurde unsern gemeinen Soldaten angekündiget, dass sie nach Verlauf ihrer dem seligen Fürsten versprochenen Dienstzeit wieder frei wären oder unter Preussen oder sonst wieder Dienst nehmen könneten. Allen diesen Auftritten sah man zu Münster nicht nur ohne den mindesten Widerstand zu, sondern bei Vielen, sehr Vielen ist gesehen worden, dass ihnen die Thränen aus den Augen rolleten; dabei weiss man ganz zuverlässig, dass in vielen Häusern geweinet wird. Des Nachmittags wurden an allen Thoren die Adler aufgehangen, und die Pfenningkammer, Hofkammer, Geheimrath etc. selbst die Archive des Dom-Capituls noch des Abends um 8 Uhr versiegelt.

Mittwochen, als am 4. August, sah man auch schon die Adler vor der Hauptwache und vor dem Haus der fahrenden Post. Das Domkapitul hat nichts mehr zu sagen, es herrschet in Münster so eine fürchterliche Stille und Melancholie, als wenn alles sterben soll. Mancher einer holt sich von diesem so schrecklichen über Münsterland gekommenen Verhängnisse noch sein Unglück und seinen Tod. General Blücher, der ein recht guter Herr ist, sagete: Die Münsterländer sind gute Leute, aber ein preussisches Herz kriegen sie nie.
[...]“

Zum Seitenanfang 
 
Der LWL -  Freiherr-vom-Stein-Platz 1 -  48133 Münster -  Kontakt -  Impressum