Tourismus in Winterberg – Status quo und Perspektiven

07.11.2016 Daniel Fischer

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Winterberg, touristische Hochburg Westfalens, hat in den letzten Jahren einen erheblichen Entwicklungsschub erfahren. Im Jahr 2012 war die "Ferienwelt Winterberg" die übernachtungsstärkste Destination im Sauerland. Vor dem Hintergrund massiver Infrastrukturinvestitionen betitelte eine Immobilien-Fachzeitschrift Winterberg gar als "100 Mio.-Euro-Städtchen".

Familiäre Atmosphäre und gelbe Nummernschilder

Winterberg mit seinen 15 Ortsteilen und etwa 13.000 Einwohnern liegt an der Landesgrenze zu Hessen im südöstlichen Nordrhein-Westfalen. Aus touristischer Sicht betrachtet weist Winterberg Merkmale einer typischen deutschen Mittelgebirgsdestination auf. So sind die Übernachtungsbetriebe mit hohen Anteilen an Betten in Ferienwohnungen (39% im Jahr 2014) kleinteilig strukturiert. Der größte Hotelbetrieb besitzt eine Kapazität von 555 Betten. Zu den Quellmärkten Winterbergs zählen in erster Linie die Region Rhein-Ruhr sowie die Niederlande.

Bei der Entwicklung der Übernachtungszahlen fällt auf, dass eine deutliche Steigerung der Zahlen erst mit dem Jahr 2011 einsetzt. Dies hängt mit der schrittweisen Eröffnung des "Landal Green Parks" mit einer Kapazität von derzeit 1.360 Betten in Ferienwohnungen zusammen und ist auch an der Entwicklung der Bettenzahl erkennbar. Getragen wurde die Entwicklung in erster Linie von Gästen aus den Niederlanden. So ist der Anteil dieser Gruppe an den Übernachtungen von 32% im Jahr 2009 auf 45% im Jahr 2012 gestiegen. Ein Grund für diese Entwicklung mag darin liegen, dass die Marketingaktivitäten des Landal Parks auf den niederländischen Markt ausgerichtet sind. So konnte im Jahr 2012 erstmals die Grenze von 1 Mio. Übernachtungen in gewerblichen Betrieben überschritten werden. Mit dem "Oversum" besitzt Winterberg nun auch ein architektonisches Highlight. Als PPP-Projekt bündelt das Oversum zahlreiche touristische Infrastruktureinrichtungen (Tourist-Information, Stadthalle, Schwimmbad, Hotel, Wellness-Anlage, Medizinisches Versorgungszentrum). Das Hotel erfreut sich einer guten Auslastung und bildet eine wichtige Angebotsergänzung im sog. 4-Sterne-Superior-Segment. Nicht in der amtlichen Statistik erfasst sind Betriebe mit weniger als neun Betten. Daher ist von deutlich mehr Übernachtungen auszugehen, da in Winterberg nennenswerte Anteile an Privat- und Kleinvermietern vorherrschen. Hinzu kommen groben Schätzungen zufolge etwa 1,5 Mio. Tagesgäste pro Jahr.

Tourismus als Wirtschaftsfaktor

Mit der Fertigstellung der Bahnlinie (Obere Ruhrtalbahn) vom Ruhrgebiet nach Frankenberg wurde Winterberg im Jahr 1906 verkehrstechnisch und damit touristisch erschlossen. In Winterberg haben sich in der Folgezeit im Gegensatz zu anderen Kommunen in Südwestfalen keine größeren Betriebe des produzierenden Gewerbes angesiedelt. Somit dominiert das Tourismusgewerbe die lokale Wirtschaftsstruktur. Ein Gutachten der ift Freizeit- und Tourismusberatung GmbH kommt zu dem Ergebnis, dass in Winterberg im Tourismus im Jahr 2008 rund 142,1 Mio. Euro erwirtschaftet wurden. Umgerechnet ergeben sich daraus rund 2.300 Vollzeitstellenäquivalente. Davon entfallen 1.700 Vollarbeitsplätze auf das Gastgewerbe, rund 300 auf den Einzelhandel und rund 100 Arbeitsplätze auf das Handwerk oder touristische Dienstleister wie Werbeagenturen.

Begünstigt durch eine hohe Zahl von Tagesausflüglern und die Möglichkeit, als Kurort an 40 Sonntagen im Jahr bestimmte Einzelhandelsgeschäfte öffnen zu können, kann Winterberg im Jahr 2013 mit dem Wert 140 eine hohe Einzelhandelszentralität vorweisen (dritthöchster Wert im Kammerbezirk Arnsberg-Hellweg).

Abb. 1: Moderner Sessellift im Skigebiet Winterberg (Foto: Skiliftkarussell Winterberg)

Wir sind schneesicher: Investitionen in die Wintersport-Infrastruktur

Vor dem Hintergrund eines wetterbedingten Einbruchs im Wintersporttourismus in den 1990er Jahren wurde ein Maßnahmenplan entwickelt, um künftig in einem wirtschaftlich tragfähigen Rahmen von 80 Betriebstagen pro Saison Wintersport zu ermöglichen. Zu den Maßnahmen zählte die Gründung der "Wintersport-Arena Sauerland", einem Marketingverbund von mittlerweile 57 Skigebieten mit insgesamt 400 Loipenkilometern. Im Zuge des Masterplans Wintersport-Arena wurden mit Hilfe von Fördermitteln des Wirtschaftsministeriums des Landes NRW und weiterer Institutionen zahlreiche Projekte umgesetzt, um die benötigte Zahl an Betriebstagen zu sichern. Beispielsweise wurden Beschneiungsanlagen installiert und Loipenspurgeräte angeschafft. Darüber hinaus führten Modernisierungen der Liftanlagen zu deutlich erhöhten Beförderungskapazitäten.

Diese Anschubfinanzierung hat Früchte getragen: In der Folgezeit haben die privatwirtschaftlichen Skigebietsbetreiber in Winterberg und den Ortsteilen allein seit 2010 mit Eigenmitteln rund 75 Mio. Euro in Liftanlagen und maschinelle Beschneiung investiert. Neue Skipisten sind allerdings kaum entstanden, sodass sich der Eingriff in die Natur in Grenzen hielt. Das "Skiliftkarussell Winterberg" bezeichnet sich derzeit als "das größte Skigebiet nördlich der Mainlinie".

Vor dem Hintergrund des großen Investitionsvolumens stellt sich die Frage, wie lange Wintersport in den deutschen Mittelgebirgen in Zeiten des Klimawandels überhaupt noch möglich sein wird? Der Masterplan Wintersport-Arena kommt nach Auswertung von Klimadaten der letzten zehn Jahre zu dem Ergebnis, dass die Schneesicherheit für den alpinen Wintersportbetrieb ohne technische Beschneiung nicht gewährleistet werden kann. Deshalbwurde für die Investitionssicherheit der Maßnahmen Konzentrationszonen für den Wintersport ausgewiesen. Weiterhin ist davon auszugehen, dass sich durch technischen Fortschritt bei den Beschneiungsanlagen die Schneesicherheit erhöhen wird.

"Wir können auch Sommer": Zuwachsraten in der grünen Saison halten Schritt

Die Übernachtungszahlen nach Monaten im Jahresverlauf sind geprägt durch ein Maximum im Februar als Kernmonat der Wintersaison sowie einen Teil der Sommerferien. Auf nennenswerte Anteile kommt zudem in der Regel der Oktober. Grundsätzlich konnten die Übernachtungszahlen in der Sommersaison mit denen der Wintersaison hinsichtlich der Steigerungsraten Schritt halten.

Dies mag u.a. an der deutlichen Ausweitung und Attraktivierung der touristischen Sommerangebote im Bereich Aktivtourismus liegen. Im Rahmen der "Bike Arena Sauerland" wurden 700 km an ausgeschilderten Mountainbike-Strecken in Winterberg ausgewiesen. Für jüngere Zielgruppen ist der "Bike Park Winterberg" (Areal mit infrastrukturell erschlossenen und aufwändig gestalteten Mountainbikestrecken) ein beliebter Anziehungspunkt. Seit 2015 schließt ein "Trail-Bike-Park" mit familienfreundlichen Strecken die Angebotslücke zwischen Bike-Park und den Strecken der Bike-Arena Sauerland. Im Bereich Wandern kommt Winterberg mittlerweile auf 460 km ausgewiesene Wanderwege. Hierzu zählen zahlreiche zertifizierte Wander- sowie bekannte Fernwanderwege wie der Rothaarsteig (s. Beitrag v. d. Lippe).

Im Bereich der Freizeitinfrastruktur konnte mit dem "Erlebnisberg Kappe" eine Bündelung an Angeboten etabliert werden. Zum Erlebnisberg Kappe in unmittelbarer Nähe der Bobbahn zählen eine Sommerrodelbahn, die "Panorama Erlebnis Brücke", ein Kletterwald sowie der Bike Park Winterberg. Die leistungsfähige Infrastruktur ist auch Voraussetzung für medienwirksame Großveranstaltungen (WOK WM, Dirt Masters Freeride Mountainbike Festival, Snowboard Weltcup oder Bob & Skeleton WM 2015), die den Marketingmix sinnvoll ergänzen und Übernachtungen generieren.

Dem Trend von Kartensystemen als Marketing- und Kundenbindungsmaßnahme kann sich auch Winterberg nicht entziehen. Mit der "WinterbergCard Plus" wurde im Jahr 2011 eine All-Inclusive-Karte eingeführt, die von teilnehmenden Übernachtungsbetrieben ausgegeben wird und im Übernachtungspreis inkludiert ist. Mit der Karte können während der grünen Saison zahlreiche Freizeiteinrichtungen kostenlos genutzt werden.

Sind die Weichen für die Zukunft gestellt?

Nach dem Rekordjahr 2012 stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung verstetigt werden kann. Der Aufschwung wurde im wesentlichen durch erhöhte Bettenkapazitäten und steigende Anteile an Gästen aus den Niederlanden getragen. Im Jahr 2013 bekam auch das Sauerland die in den Niederlanden noch virulente Wirtschaftskrise zu spüren. In der ersten Jahreshälfte gingen die Übernachtungen von Niederländern um 13% zurück. Langsam erholt sich jedoch der Abwärtstrend. Von daher ist perspektivisch nach diesen Einbrüchen von einer Konsolidierung der Übernachtungszahlen auf jährlich knapp über 1 Mio. auszugehen.

Das Angebot an Übernachtungsbetrieben weist weiterhin qualitative Lücken auf. Trotz zahlreicher zertifizierter Betriebe lässt das Angebotsniveau von Kleinbetrieben bei steigenden Qualitätsansprüchen der Gäste oftmals zu wünschen übrig. Das Luxus-Segment bleibt weiterhin unterbesetzt. Im Bereich der Freizeitinfrastruktur fehlen wetterunabhängige Angebote. Positiv ist jedoch zu vermerken, dass Angebote wie der Bike Park und Veranstaltungen wie das Dirt Masters Festival zu einer Zielgruppenverjüngung beitragen.

Offen ist die Frage, wie angesichts der Entwicklung der kommunalen Finanzen ein nachhaltiges Destinationsmarketing gesichert werden kann. Möglicherweise müssen sich die Destinationsmarketingorganisationen zusätzliche Geschäftsfelder erschließen.

Zusammenfassend betrachtet haben die Investitionen in die Wintersportinfrastruktur und die Ausweitung der Bettenkapazitäten in den letzten Jahren der Ferienwelt Winterberg einen signifikanten Entwicklungsschub beschert. Die Saisonalität bei den Übernachtungen im Jahresverlauf konnte jedoch nicht signifikant verringert werden, so dass für Winterberg angesichts der Wetterrisiken im Wintersport auf längere Sicht ein wirtschaftlicher Unsicherheitsfaktor bestehen bleibt – gerade vor dem Hinblick des dominierenden Tourismus und der Lücken im Sommerangebot.

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Weiterführende Literatur/Quellen

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Erstveröffentlichung 2016