Die Haubergswirtschaft im südwestfälischen Bergland

01.12.2017 Richard Pott

Eine noch heute für das Siegerland, das Lahn-Dill-Bergland und das südliche Sauerland typische Waldform ist der Niederwald, der mit Restflächenanteilen von über 30.000 ha das ehemals weit größere Wald- und Landnutzungsgebiet der Hauberge des südwestfälischen Berglandes kennzeichnet. Der Haubergs-Begriff beinhaltet in forstlich-waldbaulicher Sicht genossenschaftlich bewirtschaftete Parzellen mit Stockausschlag, wo der Wald auf ein und derselben Fläche als Stangenholzlieferant zum Meilerbetrieb für die lokale Eisenverhüttung, als Eichenschälwald zur Gerbrindengewinnung sowie als rotationsmäßiger Acker genutzt wurde und neben der allgemeinen Brennholzgewinnung noch der Waldweide diente. Als historisch gewachsene Gemeinschaftswälder stehen diese Niederwälder vielfach bis jetzt im Besitz traditionsreicher Zusammenschlussformen wie der Haubergsgenossenschaften, Marken-, Jahn- und Konsortenschaften oder der Wittgensteiner Waldgenossenschaften. Noch heute gibt es etwa 200 Haubergsgenossenschaften im Siegerland, wobei die größeren rund 1.000 ha, die kleineren ca. 200 ha Flächenanteil besitzen.

Von der Niederwaldwirtschaft mit ihren vielfältigen Nebennutzungen hat sich bis heute nur der Stockholzabtrieb für die Brenn- und Kleinholzgewinnung mit gebietsweise beträchtlichen Flächenanteilen erhalten. Bei der herkömmlichen Hiebart werden Stangenhölzer verschiedenen Alters mit variablen oder geregelten Umtriebszeiten von etwa 10 Jahren in wenigen Dezimetern Höhe am Wurzelstock abgeschlagen; die Verjüngung des Waldes erfolgt in der Regel auf vegetativem Wege. In den seit dem 15. Jh. genossenschaftlich bewirtschafteten Haubergen des Siegerlandes und des südlichen Sauerlandes diente der Niederwald darüber hinaus vor allem den speziellen Waldfeldbaunutzungen.

Abb. 1: Handtuchstreifenartige Haubergsschläge und Eichen-Birken-Niederwald (Foto: R. Pott 1984)

Der Hauberg entstand in den stark geneigten Gegenden des südwestfälischen Berglandes – in den Bereichen bis etwa 500 m Meereshöhe, wo aus Mangel an wirtschaftsfähigem Acker- und Weidegrünland in einzigartiger Weise auf dem ehemaligen Waldboden die Bedürfnisse der Land- und Holzwirtschaft aufeinander abgestimmt waren. Darüber hinaus können diese Mittelgebirgsregionen mit ihren leicht gewinnbaren, manganreichen Eisenerzen heute in Nordwestdeutschland als Zentren früher Eisenverhüttung gelten.

Nach archäologischen Befunden reichen die Anfänge des Erzabbaus und der Verhüttung sowie der damit einhergehenden Holzkohleproduktion in Meilerhaufen bereits in die beginnende Eisenzeit um 700 v. Chr., als hallstattzeitliche Erzgräber begannen, sukzessive die Wälder des Gebietes zu roden und zu lichten (Abb.1). So bestehen z.B. die heutigen Niederwälder der Hauberge in ihrer Artenkombination größtenteils nicht mehr aus der Buche (Fagus sylvatica), sondern aufgrund von Veränderungen der Böden und von Selektionsprozessen bei andauernder Stockausschlagwirtschaft aus regenerationsfähigen Eichen- und Birkenstangenhölzern mit Quercus robur, Quercus petraea und Betula alba. Diese Artenumschichtungen stellten sich im Laufe der Zeit meist unbeabsichtigt als Folge der extensiven Holznutzungen ein.

Vor allem die Eichen zeigen im bodensauren Milieu gute Ausschlagsfähigkeiten bei Umtriebszeiten von 15–25 Jahren. Die Buche hat unterschiedliche Ausschlagkraft: Junge Stöcke sind regenerationsfreudiger als ältere, und auf ihren Optimalstandorten treiben Buchenstöcke besser als auf Extremstandorten.

Mit Beginn eisenzeitlichen Holzeinschlages und prähistorischer Landwirtschaft gingen aber die Buchen bei gegenläufigem Anstieg von Eichen und Birken kontinuierlich zurück, wie uns die Pollenanalysen zeigen. Eine hallstattliche Siedlungsausweitung zeigt auch eine archäologische Bestandsaufnahme des Gebietes, wobei fast überall im Siegerland und im Lahn-Dill-Gebiet im Bereich potenzieller Buchenstandorte eine intensive Holzkohlenproduktion betrieben wurde, deren Relikte in zahlreichen Eisenverhüttungsplätzen, Meilern sowie Siedlungen erhalten sind.

Auch archäologische Funde von latènezeitlichen Meiler- und Hüttenplätzen ergaben, dass schon damals Hölzer von nur 5–21-jährigen Stangen aus Buchenholz für die Holzkohleproduktion verwandt worden sind (Speier & Pott 2005).

Mittelalterliche Landnahmen im 8. Jh. mit entsprechendem Landausbau und Rodungstätigkeiten erbrachten in der Mitte des 9. Jh.s unter gleichzeitiger Zunahme der Bevölkerung immer neue Siedlungsphasen, wobei die Siedler in eine bislang unbesiedelte Waldwildnis oder in Gebiete mit Sekundärwäldern vordrangen und dabei neue Hofstellen begründeten. Zeugen dieser spätkarolingischen-frühottonischen Rodungsphase sind die zahlreichen "-inghausen"-Orte.

Abb. 2: Rotationssystem und Dauer von Holz- und Waldfeldbaunutzun- gen der zyklischen Haubergswirt- schaft (Quelle: R. Pott 1990)

In einer zweiten Phase der hochmittelalterlichen Binnenkolonisation bis zum 13. Jh. wurden immer neue Rodungsinseln geschaffen, die bis in Höhenlagen über 400 m verbreitet waren. Ausschlaggebend bei der Standortwahl solcher mittelalterlichen Siedlungsgründungen war stets eine möglichst geringe Entfernung zum Wasser. So wurden die Gehöfte – an Auen oder Quellen orientiert – zunächst in den Tallagen angelegt, wobei der feuchte Talgrund der Aue als Futterbasis für die Waldhude und die Grasheugewinnung genutzt wurde und geeignete trockenere Talhänge dem Ackerbau dienten. Durch Übernutzung wurden die Wälder verwüstet, ihre Böden durch Degradation und Podsolierung z.T. verändert, mit extensiver Landwirtschafts- und Waldnutzung sogar bis hin zur völligen Devastierung und Degradation (Pott & Caspers 1989).

Das ausgehende Mittelalter war sogar nach zusätzlicher Steigerung der Eisenverhüttung durch Erzgrabungen in Tagebaustollen und Einsatz mit Wasserkraft getriebener Gebläse- oder Hammerhütten deshalb zeitweise durch akute Holzverknappung gekennzeichnet. In den Forstakten der damaligen Zeit lässt sich nachlesen, dass man von Olpe nach Siegen gehen konnte, ohne einen "halbwegs vernünftigen" Baum zu sehen. Wegen der auftretenden Holznot wurden schon im 15. Jh. von landesherrlicher Seite erste Regelungen zur Waldschonung und entsprechende Verbote erlassen, z.B. im Jahre 1472 und 1498 (Pott 1985, 1990), die in umfangreichen Holz- und Waldordnungen für viele Teile des Süderberglandes durch die Grafen von Nassau im Jahre 1562 ihre Fortsetzung fanden.

Nadelholzanbauten in der Neuzeit mit Kiefer (Pinus), Fichte (Picea), Lärche (Larix) und Tanne (Abies) machten der Waldauflichtung und -zerstörung ein Ende, und der Bau der Eisenbahnlinie von Siegen nach Köln veränderte den Transport der Erze und reduzierte den Bedarf an Holzkohle. Besonders die Fichte wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jh.s eingeführt und diente vor allem der Aufforstung von Heiden und stark degradierten Niederwäldern. Boden und Klima sagen der Fichte zu, und das heutige Vegetationsbild des südwestfälischen Berglandes ist durch großflächige Fichtenforste bestimmt (s. Beitrag Stichmann).

Im Jahre 1467 wird der Begriff Hauberg erstmals urkundlich erwähnt (Pott 1990). Charakteristisch für dieses Betriebssystem ist die Bewirtschaftung jeder einzelnen Haubergsgemarkung, welche zunächst in so viel Jahresschläge – "Jahne" oder "Haue" – aufgeteilt wurde, wie Umtriebsfolgen für den Hauberg vorgesehen waren, so dass jährlich nur ein Schlag zum Abtrieb gelangte.

Die Genossenschaften können dabei alle Hauberge einer Gemeinde als gemeinschaftliches Eigentum bewirtschaften; es ist aber auch möglich, dass sich mehrere Haubergsgenossenschaften innerhalb einer Gemeinde etablieren. Die einzelnen Genossen sind an der Nutzung des Gesamteigentums entsprechend dem Anteil ihres früheren Privatbesitzes beteiligt, wobei eine individuelle Bearbeitung einzelner Schläge dieses hochentwickelten Waldnutzungssystems vor allem in der Phase der ackerbaulichen Nutzung erfolgen konnte (Abb. 2).

Abb. 3: Holzkohlenmeiler im Siegerland (Foto: R. Pott 1983)

Da zusätzlich seit dem 17. Jh. das Schälen der Eichenrinden durch vermehrte Einrichtungen von Gerbereien entscheidend an Bedeutung gewann, kam der sog. "Güldenen Jahnordnung" von 1718, die erstmalig die Lohgerberei in den Wirtschaftszyklus einbezog, mit ihren genauen Bewirtschaftungsvorschriften bis zum allgemeinen Ende der Haubergsnutzungen im 20. Jh. eine entscheidende Bedeutung zu. Eine nachfolgende Preußische Haubergsordnung von 1834 baute auf den alten Gesetzen zur Unteilbarkeit des genossenschaftlichen Waldbesitzes auf. Neuerliche forstliche Umwandlungen und Reformen des Wirtschaftsbetriebes wurden unter Beibehaltung der eigentumsrechtlichen Bindungen erst mit der Einführung einer dritten Haubergsordnung von 1879 möglich, welche im Wesentlichen auch in das neue Gemeinschaftswaldgesetz von 1975 eingegangen ist (Pott 1993).

Diese Nutzungsformen des Waldes finden sich als sog. Reuttebetriebe – regional modifiziert – in ganz Europa, von den Pyrenäen bis nach Finnland. Da bei ist allerdings zu sagen, dass z.B. Stangenholzgewinnung zur Herstellung von Holzkohle nicht unbedingt mit Waldfeldbau gekoppelt sein muss. Diese spezielle Form der Montanwirtschaft liefert Holz für die Metallverhüttung, Gerbrinde für die Lederindustrie und Getreide in Form des Haubergkorns. Die rhythmisch-zyklische Nutzung der Hauberge war nachhaltig im heutigen Sinne (Pott 1993, Speier & Pott 2005).

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2016