Nach 200 Jahren Fichten im Sauerland – kommt das Ende einer Ära?

27.09.2019 Wilfried Stichmann

Inhalt

Über Holzmangel und den Beginn des Fichtenanbaus

Noch im vorigen Jahrhundert sprachen Waldbauern im Sauerland vom "Hessenbaum", wenn sie die Fichte meinten. Grund dafür war, dass der Anbau der Fichten hier zu einer Zeit begann, als Hessen-Darmstadt kurzfris­tig – zwischen 1802 und 1815 – die Herrschaft im vormals Kurkölnischen Herzogtum Westfalen übernahm. Damals waren auf großen Flächen die Wälder durch Übernutzung verwüstet und zu Ödland, Heiden und Borstgrasrasen herabgewirtschaftet. Die bäuerliche Waldnutzung der Waldhude, der Laubheugewinnung und Streunutzung hatte zusammen mit der Fällung vor allem von Rotbuchen und Eichen für den Haus- und den Schiffsbau zu diesem Zustand geführt, der örtlich bereits einen Mangel an Bauholz nach sich zog.

In einer zeitgenössischen Waldbeschreibung heißt es, ein Eichhörnchen habe vom Möhnetal durch den Arnsberger Wald zwar bis Arnsberg von Ast zu Ast springen können. Auf derselben Strecke aber hätte man vergeblich nach einem Stamm Bauholz gesucht. So sehr überwogen Ende des 18. Jh.s anstelle des Hochwaldes Niederwald und Gebüsch.

Um der Holznot vorzubeugen und die devastierten und unter der Heide versauerten Böden wieder für die Anpflanzung von Laubbäumen herzurichten, säte man Fichten, die in Westfalen zuvor nicht heimisch waren, aber als besonders anspruchslos galten. Sie hatten ihre nächsten ursprünglichen Standorte in den kühlen und niederschlagsreichen Hochlagen von über 800 m ü. NN im Harz und im Thüringer Wald. Durch Beschattung und Nadelstreu sollte die dichte Decke aus Heidelbeeren und Besenheide aufgelockert und verdrängt werden.

Die heimische Bevölkerung war mancherorts damit gar nicht einverstanden und leistete vereinzelt sogar handgreiflich Widerstand. Sie hätte lieber die Beweidung des Offenlandes beibehalten und befürchtete – zu Recht – eine Einschränkung ihrer Huterechte.

Abb. 1: Fichtenwald als Monokultur im nördlichen Sauerland 2014 (Foto: Angelika von Tolkacz)

Wie es zur Monokultur kam

Doch die wirtschaftlichen Erfolge, die bereits mit Fichtenstangenholz zu erzielen waren, ließen kritische Stimmen verstummen. Der Holzbedarf des Bergbaus und der aufblühenden Indus­trie sprachen für die Ausweitung des Umbaus der waldfreien Flächen. Nach der Markenteilung standen auch bislang erhalten gebliebene Buchenwälder zur Disposition. Mit dem Siegeszug der Steinkohle verschwanden die Kohlemeiler in den Wäldern, in die zuvor ein großer Teil des Buchenholzes gelangte. Dadurch ging die Bedeutung der Buchen zurück, so dass sie leichter gefällt werden konnten. Parallel weitete sich der Fichtenanbau zusehens aus. Zusätzlich gefördert durch eine neue Wirtschaftstheorie, die sog. Bodenreinertragslehre, die eine maximale Verzinsung des Bodenkapitals zum Ziel hatte, wurde die Fichte im ganzen Sauerland zur vorherrschenden Baum­art. Monokultur und Kahlschlagwirtschaft wurden maßgeblich gefördert. Diese naturferne Wirtschaftsweise prägt auch heute noch in weiten Teilen des Sauerlandes das Landschaftsbild (Abb. 1).

Schon bevor mehr als die Hälfte der gesamten Waldfläche mit Fichten bestanden war, kamen warnende Stimmen unter Heimat- und Naturfreunden sowie auch den Forstleuten auf, die die Gefahr einer kompletten Verfichtung sahen. Bereits Anfang des 19. Jh.s wiesen Experten auf die Versauerung der Böden und der Fließgewässer durch die Rohhumusbildung der Fichtennadeln und auf die Instabilität vor allem älterer Fichtenbestände bei Sturm- und Schädlingskatastrophen hin. Doch deren Argumente wurden mit dem Slogan "Die Fichten fallen immer in die Kasse" abgetan. Der Artenschwund der Pflanzen- und Tierwelt in den Fichtenmonokulturen wurde damals nur von wenigen als Verlust betrachtet.

Immerhin nahm der Fichtenanteil in den Staatsforsten des Landes seit 1910 nicht mehr zu. Im Privat- und Kommunalwald aber endete die Ausweitung des Fichtenanteils an der gesamten Waldfläche erst in den 1960er Jahren. Solange erfolgte sie zunehmend zu Lasten des Niederwaldes und bis dahin noch erhalten gebliebener Rotbuchen.

Abb. 2: Heftigen Stürmen können Fichten in exponierten Lagen nur schwer standhalten (Foto: Angelika von Tolkacz)

Bedeutet der Klimawandel das Ende der Fichten?

Als Ziel war die Reduzierung des Fichtenanbaus schon angesagt, als der Klimawandel mit seinen Folgen für die Wälder stärker in die Diskussion kam. Aber erst die Sturm- und Dürrekatas­trophen der jüngsten Vergangenheit führten jedermann vor Augen, dass sich die Ära der Fichten im Sauerland ihrem Ende nähert (s. Beitrag Rohleder). Auf hektargroßen Flächen haben die Stürme die Fichten geworfen oder gebrochen (Abb. 2) und die Stehengebliebenen z.T. so geschwächt, dass sie anschließend zu Opfern der Borkenkäfer wurden. Und noch ist die Epidemie nicht gestoppt (Otto 2019)!

Abb. 3: Durch Windwurf und Käferbefall fällt in jüngster Zeit so viel Fichtenholz an, dass der Markt es trotz des extremen Preisverfalls nicht mehr komplett aufnimmt (Foto: Angelika von Tolkacz)

In weiten Teilen des Sauerlandes ereignet sich gegen Ende des zweiten Jahrzehnts des 21. Jh.s der größte Landschaftswandel seit Beginn der Fichten-Ära vor 200 Jahren. Während sich die Holzstapel türmen (Abb. 3), ist nach den Sturm- und Schädlingskatastrophen die riesige Menge Fichtenholz auch im Ausland kaum noch gewinnbringend abzusetzen. Dabei sind die Holzpreise so zusammengebrochen, dass sie nicht einmal mehr die Aufarbeitung des Sturm- und des Käferholzes abdecken. Dennoch ist mancherorts schon mit der Wiederaufforstung der Schadflächen begonnen worden, aber kaum noch mit Fichten. An anderen Stellen vertraut man auf die natürliche Sukzession, also auf den spontanen Waldentwicklungszyklus. In der Regel schmücken hierbei zunächst Fingerhut, Waldweidenröschen und Fuchskreuzkraut das Offenland, bevor es dichte Birken­dickungen überziehen.

Schon haben Freunde des gewohnten Bildes Sorgen, die hier ursprünglich nicht heimischen, aber vor allem im Winter malerischen Fichten könnten früher oder später ganz aus dem heimatlichen Landschaftsbild verschwinden. Dazu gibt es jedoch keinen Anlass! Etliche Fichtenbestände werden auch kommende Katas­trophen überstehen. Zumindest auf den höchsten Erhebungen und auf dem Kamm des Rothaargebirges ist wahrscheinlich damit zu rechnen, dass die klimatischen Bedingungen einen Fichtenanbau weiterhin ermöglichen. Manche Waldbesitzer werden auch in tieferen Lagen allen Empfehlungen und Ermahnungen zum Trotz auf ihren "Brotbaum" nicht verzichten wollen.

Den entscheidenden Beitrag zum Fortbestand ihrer Art im Sauerland wird die Fichte selbst beisteuern, die nach 200 Jahren trotz ihrer fremden Herkunft hier "Heimatrecht" erworben hat. Sie vermehrt sich auf den meisten Standorten eigenständig und setzt sich gegenüber anderen Gehölzen durch. Sie ist – wie viele andere Neophyten – zu einem Bestandteil der heimischen Pflanzenwelt geworden, auch wenn es künftig kaum noch große, neue Monokulturen geben wird. Vor allem dort, wo man statt auf Pflanzung auf die natürliche Sukzession setzt, gibt man der Fichte eine in das Gesamtgeschehen eingebettete Zukunft.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2019