Römisch-germanische Bleiwirtschaft in Westfalen

01.01.2010 Reinhard Köhne

Inhalt

Am Südrand der Westfälischen Bucht liegen zwei natürliche Rohstoffvorkommen nur etwa 25 km auseinander, die in der Wirtschaftsgeschichte schon in der Römischen Kaiserzeit in einen technologischen Verbund eintraten. Solequellen finden sich im Hellweggebiet entlang eines Quellhorizonts zwischen Unna und Paderborn (s. Beitrag Harnischmacher), und im südlich angrenzenden Süderbergland hat sich Bleiglanz hydrothermal in den Spalten und Klüften des südwestfälischen Erzgebirges niedergeschlagen. Durch Gase oder aufsteigende heiße Wässer sind die Mineralien in die Klüfte und Spalten des Mittelgebirges eingelagert worden. Das in der Ernährung und im Kult unentbehrliche Salz wurde bereits in der Eisenzeit durch Sieden in erhitzten Tonbechern (Briquetagen) gewonnen, wie die Grabung einer Salzsiederei in Werl 2008 belegte.
 

Germanische Bleibarren aus dem Nordsauerland

Bleiobjekte aus dem 1. u. 2. Jh. n. Chr. wurden 1951 in der Siedlung Fülsenbeck bei Brilon gefunden, darunter ein gelochter Kleinbarren, der damals als Gewicht interpretiert wurde. 10 ähnliche Kleinbarren aus der frühen römischen Kaiserzeit erbrachte ein bei Balve-Garbeck ergrabener germanischer Verhüttungsplatz. Im Zuge der Grabung Soest-Ardey von 2000 bis 2005 konnten erstmalig im Hellweggebiet fünf kleine Bleibarren und ungewöhnlich viel Bleigussabfall des 1. Jh.s n. Chr. geborgen werden. Der Gussabfall stammte aus einer Gussproduktion auf hohem technischen Niveau. Durch Metalldetektorfunde wurden ca. 70 weitere Kleinbarren aus Oberflächenfunden mit Schwerpunkten auf der Briloner Hochfläche und im Umfeld der Solequellen des Hellweggebietes geborgen (Abb. 1). Es handelt sich überwiegend um trapezförmige Barren, etwa 8 cm hoch, 2 cm dick, mit einem durchschittlichen Ge­wicht von 400 g. Damit stellte sich erneut die Frage der Herkunft und Funktion der Kleinbarren.

Abb. 1: Bergbau im Herzogtum Westfalen vor 1800 (Entwurf: R. Köhne, Quelle: Arbeitskreis Bergbau im Sauerland)

Bleiglanz aus den Klüften des Briloner Massenkalks

Die Kartierung der historischen Bergbauplätze durch den "Arbeitskreis Bergbau im Sauerland" erwies die unmittelbare Nähe des alten Bleiabbaus zu den Barrenfundorten. Es handelt sich überwiegend um oberflächennahen Schachtpingenabbau des Bleiglanzes in den verlehmten Karstspalten des devonischen Massenkalks auf der Briloner Hochfläche. Auch obertägig anstehenden Erz­nes­tern im Massenkalk wurde teilweise durch den Einstieg in Bachschwinden oder Karsthöhlen nachgegangen, bis eindringendes Grundwasser Grenzen setzte. Die Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Geowissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ergab eine weitgehende Übereinstimmung der Bleiisotopendaten von 50 Kleinbarren mit den Bleilagerstätten der Briloner Hochfläche. Namentlich die formalen Ähnlichkeiten der Kleinbarren in der regionalen westfälischen Fundprovinz sprechen für die Herkunft des Bleis aus dem rechtsrheinischen Schiefergebirge. Da sie anderenorts nicht vorkommen, können linksrheinische römische Bergbaugebiete in der Eifel ausgeschlossen werden. Nunmehr erschloss sich eine neue Produktionskette: Germanischer Bergbau und Verhüttung im Nordsauerland und Weiterverarbeitung der Kleinbarren im Hellweggebiet, namentlich in Siedlungen des 1. Jhs. n. Chr. bei Soest. Ein römisches Großbarrenfragment von Sassendorf-Heppen weist umlaufende Oxidschichten in etwa einem cm Abstand auf, die auf das wiederholte Einfüllen kleinerer Chargen schließen lassen. In der Börde um Soest dürfte daher eine Manufaktur zu suchen sein, in der die Kleinbarrenproduktion des benachbarten Bleireviers im Sauerland für den Fernhandel umgeschmolzen wurde. Auffällig ist auch die Korrelation der Barrenfundorte mit den Solequellen des Hellwegs. Hier liegt die Vermutung nahe, dass Bleipfannen bei der Salzgewinnung verwendet wurden. Archäologisch ist dieses Produktionsverfahren bisher nur für das Frühmittelalter in Soest nachgewiesen, es geschah allerdings nach römischen Vorbildern.

''Die Westfalen errichten aus Kohlen einen Haufen am Fuße des Hanges'' (Georg Agricola)

Diese überraschende Umkehrung der Handelswege vom früher vermuteten Importhandel zu autochtonen Montanaktivitäten erweiterte auch das Wissen um das Erwerbsspektrum der im Sauerland ansässigen Bevölkerungsgruppen. Viehwirtschaftlich orientierte Bauern wussten durchaus die montanen Ressourcen zu nutzen. Das Wissen um die schwierigere Verhüttung von Eisen war immerhin schon seit der älteren vorrömischen Eisenzeit vorhanden, wie Ausgrabungen der LWL-Archäologie Olpe auf dem Madfeld südlich von Bleiwäsche belegen. Der Wissenschaftler Georg Agricola be­schreibt im 16. Jh. in "Vom Berg- und Hüttenwesen" eine einfache westfälische Methode Bleiglanz zu verhütten, indem man auf einen Holzkohlehaufen Erzstücke auflegt und später die entstehenden Bleikuchen erneut über einem Tiegel durch Erhitzen im Holzfeuer (Schmelzpunkt 328°C) reinigt und auffängt. In der weißlich blauen Schla­cke finden sich dann noch kleine Bleiglanzstückchen, geschmolzene Bleikügelchen und Holzkohlereste.

Germanische Bleibarren im Mittelmeer

Einen unerwarteten Fund erbrachte die französische Unterwasserarchäologie 1989 in einem römischen Schiffswrack bei Saintes-Maries-de-la-Mer in der Rhonemündung. Die Inschriften der 99 Großbarren (5,5 t) lieferten neben dem Händlernamen Lucius Flavius Ve­rucla auch den der Produktionsregion plumbum germanicum (= germanisches Blei). Auch an der Nordküste von Sardinien bei Rena Maiore konnten 2,8 t Bleibarren germanischer Herkunft durch Wracktauchen geborgen werden. Die Bleiisotopenanalyse von beiden Fundpunkten weist auf die Nordwesteifel oder das Nordsauerland hin. Auffällig sind auch die Namensübereinstimmung des Großbarrenfragments von Sassendorf-Heppen Lucius Flavius mit der Eigentümerinschrift der Wrackladung (Lucius Flavius Vercula) sowie die Inschrift PUDENS auf einer Bleiplatte von Brilon-Altenbüren mit der Kennzeichnung PUDENTIS GERM (= Germanisches Blei des Bleiproduzenten Pudens) auf einem Großbarren aus einem Wrack an der Nordküste Sardiniens. Somit erschließt sich der Fernhandel mit Blei in Augus­täischer Zeit aus den Bleilagerstätten im Nordsauerland zu den Hafenstädten des Imperium Romanum. Blei wurde beispielsweise für Wasserleitungen, Dächer, Schiffsrümpfe und Schleuderbleie verarbeitet. Der Transport lief wohl über die Lippe und den Rhein-Rhone-Graben zu den Hafenstädten am Mittelmeer. Das Römerlager Kneblinghausen bei Rüthen am südlichen Rand der Westfälischen Bucht, in Zwischenlage von Hellweggebiet und Briloner Hochfläche errichtet, könnte als Handelsstation fungiert haben. In jedem Fall bestätigt sich die Hellweglinie als Handelsachse für den Warenverkehr der frühen römischen Kaiserzeit. Die Bleifertigprodukte aus dem Soester Raum tauchen in zeitgleich bestehenden westfälischen Siedlungen nicht auf, waren also für den Export ins linksrheinische Imperium Romanum bestimmt. Die althistorische Forschung geht von einem römischen Bergbau im Sauerland in der Zeit des Augustus aus. Auch im 1. Jh. n. Chr. gab es germanische Montanaktivitäten, wahrscheinlich durch römischen Technologietransfer gefördert, die Rom trotz militärischer Niederlagen den Zugriff auf diese Ressourcen sicherten.

Beitrag als PDF-Datei ansehen/speichern (Größe: < 1 MB)

↑ Zum Seitenanfang


Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2010