Barrierefreier Tourismus in Nordrhein-Westfalen

02.12.2016 Kai Pagenkopf

weiterer Autor: Peter Neumann

Inhalt

Abb. 1: Die touristische Servicekette

Potenziale eines barrierefreien Tourismus

Aufgrund des demographischen Wandels, der u.a. mit einer Zunahme älterer und mobilitätseingeschränkter Menschen einhergeht, ist der barrierefreie Tourismus ein echter Wachstumsmarkt (Neumann et al. 2008). Nach einer aktuellen Studie der EU-Kommission unternehmen mobilitäts- und aktivitätseingeschränkte Gäste jährlich rund 783 Mio. Tages- oder Mehrtagesreisen innerhalb der EU. Sie generieren damit derzeit einen Gesamtumsatz von 786 Mrd. Euro, was einem Anteil von 3% am Bruttoinlandsprodukt der EU entspricht (2012). Unter der optimistischen Annahme einer deutlichen Steigerung der Barrierefreiheit tourismusrelevanter Einrichtungen könnte der Beitrag dieser Gäste um fast 40% steigen (EU 2014). Da von barrierefreien Angeboten im Tourismus aber nicht nur ältere und behinderte Gäste profitieren, sondern auch z.B. Familien mit kleinen Kindern – darüber hinaus alle Urlauber, die Wert auf Qualität und Komfort legen –, dürften die ökonomischen Impulse des barrierefreien Tourismus deutlich höher liegen.

Um diese Potenziale zu nutzen, bedarf es jedoch einer Steigerung der Angebotsqualität, die über rein touristische Leistungen hinausgeht. Schließlich besteht aus Sicht des Gastes das Urlaubserlebnis nicht nur aus einem – barrierefreien – Hotelzimmer oder Restaurant. Die Herausforderung für die Destination besteht vielmehr darin, die gesamte touristische Servicekette für alle Gäste erlebbar zu machen (Abb. 1). Dies beginnt bei der Information über Urlaubs- und Freizeitangebote im Internet und in Printprodukten und schließt auch die Transportmöglichkeiten zur und innerhalb der Destination ein.

Vorreiter Eifel

Auch in Nordrhein-Westfalen stellen sich mehr und mehr Reiseziele den Herausforderungen eines sich wandelnden Marktes. Ein auch im deutschlandweiten Vergleich herausragendes Beispiel ist die Eifel, eine bundesland-überschreitende Destination in NRW und Rheinland-Pfalz, die zu den Gründungsmitgliedern der "Arbeitsgemeinschaft barrierefreie Reiseziele in Deutschland" gehört. Der auf nordrhein-westfälischer Seite liegende Nationalpark Eifel hält zahlreiche Naturerlebnisangebote bereit, von denen der "Wilde Weg" im Naturerlebnisraum "Wilder Kermeter" eine besondere Attraktion darstellt. Der Weg ist für Rollstuhlfahrer und Kinderwagen bequem befahrbar. Darüber hinaus erschließt er mit zehn Erlebnisstationen die Buchenwälder und bietet Informationen über den Naturraum u.a. in leichter Sprache und Brailleschrift (Blindenschrift). So gelingt es, neben Familien und älteren Besuchern auch Gästen mit kognitiven Einschränkungen und blinden Menschen den Nationalpark näherzubringen (Abb. 2).

Abb. 2: Gut begeh- und befahrbare Wege, ausreichend Sitzgelegen- heiten, Leitstreifen für blinde Besucher sowie gut lesbare Hinweisschilder mit Brailleschrift machen den "Wilden Weg" erlebbar für alle Gäste (Foto: K. Pagenkopf)

Barrierefreier Tourismus in Westfalen

Barrierefreie Naturerlebnisangebote finden sich auch in Westfalen. In den Rieselfeldern Münster sind mehrere Beobachtungshütten und weite Teile des Wegenetzes barrierefrei zugänglich. Vor Ort können zudem Rollstühle ausgeliehen werden. Die Führung "Barrierefrei durch das Naturerlebnis Rieselfelder Münster" wird in regelmäßigen Abständen angeboten.

Ein besonderes Angebot hält der Kreis Steinfurt mit dem integrativen Reitweg bereit, der im Rahmen der Regionale 2004 entstand. Der breite, zu allen Jahreszeiten gut bereitbare Weg ist in unterschiedlich lange Wegabschnitte unterteilt und an die rund 1.000 km lange Münsterland-Reitroute angeschlossen. Die Stationen des Reitwegs verfügen über Parkmöglichkeiten für Auto und Anhänger, einige haben Rampen zum Aufsitzen und behindertengerechte Toiletten.

Mehr noch als für Naturerlebnisangebote im ländlichen Raum besteht für Städte die Notwendigkeit, eine barrierefreie Infrastruktur nicht nur für Gäste, sondern auch für die Einwohner bereitzuhalten. Einen guten Weg beschreitet hier die Stadt Münster, die mit der internetbasierten KOMM-Datenbank beide Gruppen über die barrierefreie Zugänglichkeit zahlreicher Points of Interest informiert. Zahlreiche kulturelle Angebote, die die Vielfalt unterschiedlicher Nutzergruppen berücksichtigen, machen Münster zu einem Reiseziel für Alle. Vielfach wird der komfortabel zugängliche Öffentliche Personennahverkehr in Münster gelobt. Viele Haltestellen sind mit kontrastreichen und taktil wahrnehmbaren Leitstreifen ausgestattet, die blinden Menschen und Menschen mit Sehschwierigkeiten gute Orientierungsmöglichkeiten bieten. Der Einsatz von Niederflurbussen erleichtert Fahrgästen im Rollstuhl, mit Rollatoren und mit Kinderwagen den Einstieg und kommt allgemein allen Menschen zugute, die keine Treppen zum Fahrzeug überwinden können oder wollen. Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie sehr nicht nur Touristen, sondern auch Einheimische von barrierefreien Angeboten entlang der touristischen Servicekette profitieren.

Abb. 3: Bahnsteig in Münster mit Leitstreifen und Aufmerksam- keitsfeldern. Die Bahnsteige sind über Treppen, Rolltreppen und Fahrstühle zugänglich (Foto: K. Pagenkopf)

Die Bedeutung verlässlicher Informationen

Auf Ebene des Bundeslandes hat sich Tourismus NRW e.V. zum Ziel gesetzt, seinen Gästen verlässliche Informationen hinsichtlich der barrierefreien Zugänglichkeit und Erlebbarkeit der touristischen Angebote zur Verfügung zu stellen (Tourismus NRW 2014). Ein wesentlicher Beitrag zur Erreichung dieses Zieles ist die Beteiligung am bundesweiten Kennzeichnungssystem "Reisen für Alle" (Abb. 4). Das System stellt den Gästen detaillierte, verlässliche und geprüfte Informationen zur Verfügung, denn insbesondere Gäste mit Mobilitäts- und Aktivitätseinschränkungen benötigen transparente und verlässliche Informationen hinsichtlich der Zugänglichkeit und Nutzbarkeit des Angebots. Die bundesweit einheitliche Kennzeichnung "Reisen für Alle" wurde in Abstimmung mit Experten, Betroffenenverbänden sowie touristischen Verbänden und weiteren Akteuren im Rahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Projekts "Tourismus für Alle" entwickelt (DSFT o. J.).

Abb. 4: Die Kennzeichnung "Reisen für Alle"

Ausblick

Nordrhein-Westfalen verfügt schon jetzt über zahlreiche barrierefreie Tourismusangebote und ist mit der Teilnahme am bundesweiten Zertifizierungssystem "Reisen für Alle" auf einem guten Weg, seine Gäste über erlebbare Angebote detailliert zu informieren. Darüber hinaus hat Tourismus NRW als Herausgeber des Praktikerleitfadens "Barrierefreier Tourismus in NRW", der Leistungsträger über die Potenziale des barrierefreien Tourismus informiert und wichtige Hinweise zu dessen Umsetzung gibt, einen wichtigen Schritt zur Einbindung von Anbietern im Tourismus unternommen.

Bei der Entwicklung des barrierefreien Tourismus muss zukünftig neben der Verbesserung der Infrastruktur der Servicegedanke noch stärker im Mittelpunkt stehen. Denn die Herstellung von Barrierefreiheit beschränkt sich keinesfalls auf die Infrastruktur. Ein am Kunden orientierter Service, der die Vielfalt der Gäste und die Differenziertheit ihrer Anforderungen berücksichtigt, ist von ebenso großer Bedeutung.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2016