Immobilien- und Standortgemeinschaften als Instrument des Quartiersmanagements in NRW

01.01.2011 Robert Köwener

Inhalt

Stabilisierung und Aufwertung sind zentrale Schlagworte im Quartiersmanagement von Innenstadtlagen und Stadtquartieren. In Zeiten leerer Kommunalkassen sowie einem auch hierdurch bedingten Steuerungsdefizit wird diese Aufgabe zunehmend von privaten Akteursgruppen in die Hand genommen. Der Strukturwandel im Einzelhandel macht es inhabergeführten Geschäften schwer, sich an diesen Standorten zu behaupten. Steigender Leerstand, Trading-Down-Effekte und baulich-strukturelle Defizite zeigen den Bedarf an privater Initiative an.

Ein Business Improvement District (BID) nach nordamerikanischem Vorbild wurde in Deutschland erstmals 2005 in Hamburg eingeführt, nachdem die Hansestadt Ende 2004 den rechtlichen Rahmen für diese öffentlich-private Kooperation geschaffen hatte.

Es folgten weitere Landesgesetzgebungen, welche die Erhebung einer quartiersbezogenen Steuer ermöglichten, u. a. das (ISGG NRW) Gesetz über Immobilien- und Standortgemeinschaften Nordrhein-Westfalen im Jahr 2008. Die Pflichtabgabe wird jedoch bisher von keiner ISG genutzt. Dies hat zur Folge, dass auch Nicht-Mitglieder von Maßnahmen im Quartier profitieren, ohne sich daran zu beteiligen (Trittbrettfahrerproblem) (Baasch 2006, S.35).

Das "ISG-Modellprojekt" des Mi­nis­teriums für Bauen und Verkehr NRW förderte bereits in den Jahren 2003–2007 22 ISG-Initiativen; darunter 11 in Westfalen (s. auch Beiträge Benecke und Köchert). Es wurde eine Anfangsunterstützung bei der Initiierung von privaten Initiativen bereitgestellt; diese ermöglichten eine fundierte Be­standsaufnahme im Quartier und entwickelten im professionell moderierten Rahmen ein darauf aufbauendes Organisations- und Konzeptprogramm. So konnten erste Umsetzungsmaßnahmen stattfinden, die vom Konsens der Akteure getragen wurden.

Im Idealfall kann eine ISG bei ihrer Gründung an Arbeitsstrukturen anknüpfen, die in Stadtmarketing- oder Werbegemeinschaften vorhanden sind. Es wurden in der Regel bestehende Gutachten zu Einzelhandel und Städtebau aufgegriffen, sowie Planungen der Kommune berücksichtigt. Die Stärke einer ISG gegenüber oben genannten Initiativen liegt in der Einbeziehung von Immobilieneigentümern in das Management ihres Quartiers. Traditionelle Interessen- und Werbegemeinschaften sowie das klassische Citymarketing binden diese wichtige Akteursgruppe meist nicht ein.

Nach Ablauf des Förderprojektes ist es in NRW gelungen, 245 Immobilienbesitzer, 302 Einzelhändler und 112 Dienstleister im ausgewogenen Verhältnis zu beteiligen (Imorde 2007, S.19). Allerdings konnten bei der Evaluation des Modellprojektes unter den 22 befragten ISG insgesamt nur 28 Anwohner als Mitglieder gewonnen werden. Die durchschnittliche Förderung der Projekte im Förderzeitraum (2003–2007) betrug 90.000 € und wurde zu 60% vom Land und zu 40% von Kommune und ISG-Initiative getragen, wobei deren Beteiligung mindes­tens 10% zu betragen hatte. Die Projektergebnisse wurden zwar insgesamt positiv be­wertet, es konnten jedoch ebenso ISG identifiziert werden, deren Ziele weitgehend nicht erreicht wurden (Imorde 2007, S. 32).
 

Tab. 1: Zusammenfassung der Ergebnisse

Fallbeispiele

Im Folgenden soll dargestellt werden, wo der Einsatz einer ISG als Instrument des Quartiersmanagements sinnvoll sein kann und wo Grenzen aufgezeigt wurden. Die Darstellungen der Innovationsagentur (2009) sollen als Grundlage dienen, die Erkenntnisse auf ei­nen neueren Stand zu bringen. Die "ISG Ber­muda3Eck Bo­chum e. V." und die "ISG Graf-Adolf-Straße Düsseldorf e. V." wurden, da sie strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen, nach den vier Merkmalen "Anlass der Initiative", "Ziele", "Maßnahmen" sowie "zukünftige Herausforderungen" untersucht (vgl. Tab. 1). Sie befinden sich beide in Cityrandlage bedeutender Oberzentren. Die Anzahl der potenziellen Mitglieder ist mit 280 und 275 nahezu gleich, so dass ähnliche Herausforderungen und Chancen in den Arbeitsbereichen der ISG (bspw. Mitgliederakquise) vermutet werden können. Mit Organisationsgraden (Anteil der Mitglieder) von 22,5% und 11,3% befinden sie sich im Mittelfeld aller ISG.

Abb. 1: Konrad-Adenauer-Platz in Bochum – eine der Spitzen des Bermuda3Ecks (Foto: H. J. Wiese)

► ISG Bermuda3Eck in Bochum
Mit über vier Mio. Gästen pro Jahr und über 60 Gastronomen in Mitgliedschaft ist die ISG Bermuda3Eck Bochum e. V. eine der bedeutendsten ISG in Nordrhein-Westfalen. Das Quartier liegt in Cityrandlage östlich des Hauptbahnhofes in direkter Verbindung zu den Hauptlagen der Innenstadt. Als gewachsenes Kneipen- und Gastronomieviertel hat es seit über 30 Jahren seine hohe kulturelle Bedeutung mit Live-Musik, Theater, Kino und Lesungen gegenüber neuen und nicht integrierten Standorten im Ruhrgebiet behaupten können (Abb. 1).

Die Schattenseiten des auftretenden "Partytourismus" waren ausschlaggebend für die Gründung der ISG. Alkoholmissbrauch, Vandalismus und Drogenprobleme konnten von den zersplitterten Werbegemeinschaften und Cityinitiativen nicht effektiv bekämpft werden. Auch die Individualität der eingesessenen Gastronomie sieht sich durch den steigenden Filialisierungsgrad im Gastronomiebereich bedroht, und das Viertel läuft Gefahr, dieses Alleinstellungsmerkmal einzubüßen. Ziel der ISG war es, zunächst die vorhandenen Initiativen zu bündeln und somit den Interessen der Mitglieder eine gewichtigere Stimme in der Öffentlichkeit zu verleihen. Neben den Gastronomen wurden auch Immobilienbesitzer eingebunden. Insgesamt gilt es, das ISG-Gebiet in ökonomischer, städtebaulicher und sozialräumlicher Hinsicht aufzuwerten (vgl. Innovationsagentur 2009, S.29f.).

Hierzu wurden verschiedene Maßnahmen, wie die Einrichtung einer Geschäftsstelle, einheitliche Beschilderung, Laternenreinigung, Einrichtung von Parkhaltebuchten und die Installation zusätzlicher Fahrradständer getroffen. Die Fassade eines auf das gesamte Quartier negativ wirkenden Parkhauses wurde verkleidet. Das Müllproblem wird von einem Quartiersmeister eingegrenzt, der auch kleinere Reparaturen im öffentlichen Straßenraum vornimmt (vgl. Innovationsagentur 2009, S.29f.).

Seit dem Ablauf der Förderung finanziert sich die ISG-Bermuda3Eck aus Mitgliedsbeiträgen. Es konnten zusätzliche Investitionen sowohl in die Bausubstanz der Immobilien im Quartier seitens der Immobilienbesitzer als auch in die Erneuerung von Straßen und Gehwegen seitens der Kommune angestoßen werden. In der Zukunft gilt es, solche und ähnliche Maßnahmen zu initiieren und fortzusetzen, aber sich auch wieder auf die alten Stärken des Viertels zu besinnen und sich neue Ziele in Kultur- und Szenethemen zu setzen.

Abb. 2: Eröffnung des begrünten Gleisbettes mit historischer Straßenbahn an der Graf-Adolf-Straße in Düsseldorf (Foto: www.graf-adolf-straße.de)

► ISG Graf-Adolf-Straße in Düsseldorf
900.000 € für Aufwertungsmaßnahmen im öffentlichen Straßenraum, ein Straßenhausmeister, die Begrünung des S-Bahn-Gleisbettes (Abb. 2) und der Einsatz eines Sicherheitsdienstes sind die wichtigsten Erfolge des eingetragenen Vereins "ISG Graf-Adolf-Straße Düsseldorf".

Dieses ISG-Gebiet erstreckt sich in Ost-West-Richtung. Es beginnt am Hauptbahnhof und folgt der Graf-Adolf-Straße über ein Kilometer. Ehemals eine eindrucksvolle Einkaufs- und Flaniermeile mit ähnlichem Status wie die kreuzende Königsallee, wurde die Graf-Adolf-Straße im Zweiten Weltkrieg weitestgehend zerstört. Die hohe Bedeutung in der Stadtstruktur konnte die Straße nie wieder gewinnen und geriet ab Anfang der 1970er Jahre in einen Trading-Down-Prozess. Insbesondere die wachsende Standortkonkurrenz zu Multiplexkinos in Nordrhein-Westfalen hatte zur Schließung von Kinos und Theatern entlang der Straße geführt und sollte diese bis heute schwächen. Im Jahr 2008 wurde die 2005 ge­gründete ISG auf den Bahnhofsbereich ausgeweitet, man er­hofft sich daraus eine größere Einflussnahme auf die dortigen Entwicklungen. Dieser kurze Abschnitt der Straße ist durch Sex-Shops und Nachtlokale geprägt und strahlt auf die übrigen Lagen aus.

Zielsetzung der ISG ist es, die Attraktivität des Quartiers für Anlieger und Kunden zu steigern. Ne­ben den eingangs dargestellten Maßnahmen konzentriert man sich auf Marketingarbeit und Events. Neueröffnungen werden durch Einweihungsfeiern öffentlichkeitswirksam publik gemacht und sollen das Image verbessern (vgl. Innovationsagentur 2009, S.26ff.).

Grenzen und Potenziale der ISG – ein Zwischenfazit

Wie die meisten ISG in NRW sind auch die vorgestellten Fallbeispiele noch jung und müssen erst beweisen, ob sie auch ihre langfristigen Ziele erreichen. Durch das koordinierte Engagement der Initiativen in beiden Fällen konnten neben eigenen Projekten bereits hohe zusätzliche Investitionen angestoßen werden. Auf einen Rückgang der Leerstände und gezielte Verbesserung des Branchenmixes wartet man allerdings bei der ISG Graf-Adolf-Straße noch vergebens – wenn auch die Organisation eines Sicherheitsdienstes und hohe zusätzliche Investitionen in die Ge­bietsausstattung sowie die durchgängige Begrünung des Gleisbettes durchaus als nennenswerte Erfolge gewertet werden können.

In Bochum steht die Bündelung der verschiedenen Quartiersinitiativen im Vordergrund. Somit konnten die negativen Folgen des "Partytourismus" gemeinsam abgebaut werden. Auch wenn größere Baumaßnahmen und eine geplante Verbesserung des Branchen­mixes noch ausstehen, konnte die Arbeit mit der Kommune und anderen Akteuren doch stark verbessert werden. Kurzfristige Ziele wie etwa Events, Imageverbesserung und Verbesserung der Aufenthaltsqualität sind in beiden Initiativen realisiert worden.

Trotz gesetzlicher Grundlage besteht aber hier wie bei vielen anderen ISG das Trittbrettfahrerproblem fort. Somit müssen zu viele Ressourcen der ISG für Mitgliederakquise und die Sicherung der finanziellen Basis verbraucht werden und gehen für die eigentlichen Projekte verloren.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2011