Gentrification in innenstadtnahen Wohnquartieren: Das Kreuzviertel in Münster

01.01.2007 Christian Krajewski

Abb. 1: Renoviertes Gebäude mit Jugendstilfassade an der Nordstraße/ Ecke Raesfeldstraße (Foto: Chr. Krajewski)
Nördlich der heute von einem Promenadengürtel umschlossenen Münsterschen Altstadt befindet sich das 101 ha große Kreuzviertel, welches im Norden durch den zweiten innerstädtischen Tangentenring (Friesenring, Cheruskerring), im Westen durch die Grevener und im Osten durch die Kanalstraße begrenzt wird. Im Zuge der gründerzeitlichen Stadterweiterung wurde das in der Bauerschaft Uppenberg gelegene Gebiet 1875 nach Münster eingemeindet. Zwar existierten bereits vor dieser Zeit mit den sogenannten Gartenhäusern vereinzelt Gebäude auf dem Areal, eine systematische Bebauung größeren Umfangs erfolgte aber erst seit der Wende zum 20. Jh. Bis zum Beginn des 1. Weltkriegs entstanden vor allem zwei- bis dreigeschossige Wohnhäuser, häufig mit repräsentativen Fassaden mit historisierenden (Jugend)Stilformen (Abb. 1) und zumeist in Blockrandbebauung, was zu einer hohen baulichen Dichte führte. In den folgenden Jahrzehnten bis zum 2. Weltkrieg wurde der südliche Teil des Viertels nahezu vollständig bebaut. Nachdem die höhere Bildungsanstalt in Münster 1902 zur Volluniversität erhoben wurde, zog das nah gelegene Kreuzviertel besonders Professoren und Universitätsbedienstete an. Diese, die zahlreichen Beamten und Offiziere der Verwaltungs- und Garnisonsstadt sowie die ansässigen Geschäftsleute und Handwerker trugen zum typischen Charakter des Stadtteils als einem gehobenen Wohnviertel für die Mittel- und Oberschicht bei.

Während die Altstadt Münsters im 2. Weltkrieg zu 90% zerstört wurde, waren die Kriegsschäden im Kreuzviertel mit 40% vergleichsweise gering. So prägen gründerzeitliche Blockrandbebauung sowie Wohnhäuser aus den 1920er u. 30er Jahren insbesondere den südlichen Teil des Gebietes bis heute. Nach dem 2. Weltkrieg setzte sich die Bautätigkeit im Quartier viel kleinmaßstäbiger vor allem als Ersatz für Kriegsschäden und baufällige Häuser, aber auch als Ergänzung im nördlichen, bisher unbebauten Teil des Kreuzviertels fort.

Seit seiner Entstehung wird das Kreuzviertel, in dem heute 12400 Menschen leben, durch die Wohnfunktion dominiert. Im Zentrum des Quartiers, in der Mitte eines elliptischen Platzes, in den aus den vier Himmelsrichtungen vier Straßen münden, befindet sich - städtebaulich wirkungsvoll plaziert - die Kirche Heilig Kreuz. Seit ihrer Erbauung (1898 bis 1902) stellt die neugotische Werksteinbasilika das Wahrzeichen des Viertels dar. Namensgebend für Kirche und Stadtquartier war eine alljährliche, bis ins 16. Jh. hier stattfindende Kreuzprozession. Den kulturellen Leuchtturm des Viertels bildet das in den 1950er Jahren gebaute, wegen seiner typischen Architektur denkmalgeschützte Schlosstheater mit seinem vielfach prämierten Programmkino. Die wohnstandortnahe Grundversorgung wird durch zahlreiche Supermärkte und kleinere Einzelhandelsfachgeschäfte der Nahrungsmittelbranche sowie entsprechende lokale Dienstleister sichergestellt. Im Bereich Nordstr./Hoyastr./ Kreuzkirche konzentrieren sich sowohl Versorgungseinrichtungen für die Quartiersbevölkerung als auch Restaurants, Cafés und Kneipen.

Seit den 1970er Jahren wurde das Kreuzviertel als studentisches Wohnquartier immer beliebter, denn hier ließen sich recht günstig "Studentenbuden" oder Wohnungen für Wohngemeinschaften anmieten. Den Eigentümern war so trotz nicht erfolgter Investition maximaler Mietzins für veraltete, bauliche Mängel aufweisende Wohnungen garantiert. Mit der zunehmenden Anzahl Studierender und anderer zuziehender Singlehaushalte verschärfte sich die problematische Verkehrs- und Stellplatzsituation im Viertel. Das Defizit an Grün- und Freiflächen sowie an Spielmöglichkeiten für Kinder führte dagegen neben bausubstanziellen Mängeln und Ausstattungsdefiziten zu einer verstärkten Abwanderung von Familien mit Kindern ins suburbane Umland. Allein zwischen 1975 und 1987 verlor das Kreuzviertel 9% seiner Bewohner (1975 bis 2005: -24%). Der Studierendenanteil an der Wohnbevölkerung im Kreuzviertel stieg von 14% 1970 auf über 19% im Jahr 1985. Damit gehörte jeder fünfte Bewohner zur Gruppe der meist zwischen 18 und 30 Jahre alten Studierenden.

Vor dem Hintergrund sehr einseitiger Alters- und Sozialstrukturen einerseits und zunehmender städtebaulicher Mängel anderseits wurde der Stadtteil ab 1977 in das "Innenstadtprogramm zur Verbesserung der Wohnqualität" aufgenommen, welches umfangreiche Stadterneuerungsmaßnahmen zur Folge hatte. Während die Ziele "Erhaltung des Viertels als innenstadtnahes Wohngebiet" und "Erhaltung des typischen Erscheinungsbildes" im Zuge der Stadtsanierung erreicht wurden und diese zu einer sichtbaren Aufwertung des Kreuzviertels geführt hat, konnte das dritte Ziel, familiengerechte, preiswerte Großwohnungen durch Modernisierung zu erhalten bzw. wiederherzustellen, jedoch kaum realisiert werden. Die Abwanderung von Familien ins Umland hat sich zwar abgeschwächt, der Anteil der unter 18-Jährigen (als Indikator für Familien) ist heute mit 11% aber immer noch unterdurchschnittlich (Münster 2005: 16%). Auch haben sich der Studierendenanteil mit zur Zeit rd. 10% und der Anteil der 18 - 30-Jährigen (26% im Jahr 2005) dem städtischen Durchschnitt angenähert. Das Kreuzviertel ist aber ein Quartier der Singles geblieben: Zwei Drittel der insgesamt 7450 Privathaushalte (2005) bestehen aus nur einer Person; nur in 6% der Haushalte leben vier oder mehr Personen (durchschnittl. Haushaltsgröße: 1,5 Pers., Münster insges.: 1,9 Pers.).

Das Kreuzviertel hat sich in den letzten vier Jahrzehnten also im Zuge von zunehmenden städtebaulichen Mängeln und Wohnraummissständen zunächst von einem Bürgerviertel zu einem studentischen Wohnviertel entwickelt. In den letzten 20 Jahren ist der hohe Studierendenanteil dann vor allem zugunsten von Bewohnern mit höheren Einkommen in dem Maße zurückgegangen, in dem durch Modernisierung der Altbausubstanz und Neubauten preiswerter Wohnraum verschwand.

Einen solchen Wandlungsprozess, bei dem die bauliche Aufwertung von einem umfassenden Wechsel in der Bewohnerschaft hin zu hochqualifizierten, häufig besser verdienenden und zumeist in kleineren Haushalten lebenden Personen (z. B. Yuppies, Dinkies) begleitet wird, nennt man in der Stadtforschung Gentrification. Häufig wird diese Gentrifizierung von einer funktional-infrastrukturellen Aufwertung des Viertels sowie einer aus "positiver" Kommunikation und Image-Verbesserung resultierenden symbolischen Aufwertung begleitet. Jüngere Bevölkerungsgruppen - wie Studierende - mit explizit urbanen Lebensstilen und Konsummustern werden auch als Pioniere der Gentrification bezeichnet, die durch ihren Zuzug und ihre Wohnumfeldaktivitäten Aufwertungsimpulse in einem in einen Downgrading-Prozess geratenen Wohnviertel auslösen können.
Abb. 2: Bewertung von ausgewählten Ausstattungsmerkmalen im Kreuzviertel im Vergleich zur Innenstadt (Entwurf u. Foto: Chr. Krajewski, Quellen: Stadt Münster 2005, WWU Münster - Institut für Geographie 2006, Horstmann 2007)

Zu den besonderen Charakteristika des Kreuzviertels gehört, dass das Stadtquartier trotz der zwischenzeitlichen städtebaulichen Mängel und Modernisierungsbedarfe immer ein Wohnviertel vor allem für Bewohner mit höheren Bildungsabschlüssen gewesen ist. Eine weitere Besonderheit ist, dass die verschiedenen Bewohnergruppen heute im Quartier weitgehend konfliktfrei mit- bzw. nebeneinander leben. Außerdem zeichnet sich das Kreuzviertel heute durch eine besonders hohe Zufriedenheit der Bevölkerung mit ihrer Wohngegend aus. Dieses ist um so bemerkenswerter, da die Wohngebietszufriedenheit innerhalb der Stadt Münster mit 85% ohnehin schon groß ist: So sind jeweils 44% der Kreuzviertelbewohner, die im Rahmen einer vom Institut für Geographie Münster im Jahr 2006 durchgeführten Haushaltsbefragung interviewt wurden, sehr zufrieden bzw. zufrieden mit ihrem Wohnquartier (zum Vgl. Münster insgesamt: 42% sehr bzw. 43% zufrieden). Abb. 2 zeigt die Zufriedenheit mit bestimmten Angeboten und Einrichtungen. Im Vergleich zur Stadt Münster insgesamt werden im Kreuzviertel insbesondere die Atmosphäre und Attraktivität des Quartiers sowie Gestalt und Zustand der Gebäude hervorgehoben, wohingegen das Parkplatzangebot so-wie das Angebot an Freizeiteinrichtungen bemängelt werden. Aufgrund der großen Nachfrage und Beliebtheit liegen die Preise für Miet- und Eigentumswohnungen zumeist etwas über dem Durchschnitt der Münsteraner Innenstadt. Aus dem gleichen Grund wird die Versorgung mit Wohnungen im Kreuzviertel schlechter als im gesamtstädtischen Durchschnitt bewertet (Abb. 2).

Dass - trotz zunehmender Konkurrenz vor allem durch das "In-Quartier" Hafenviertel (s. Beitrag Krajewski) - das Kreuzviertel weiterhin als das beliebteste Münsteraner Wohnquartier gilt, lässt sich exemplarisch an der Aussage von Münsters ehemaligem Oberbürgermeister Tillmann - selbst Bewohner des Kreuzviertels - anlässlich des Kreuzviertelfestes 2004 ablesen: "Es gibt zwei Sorten von Menschen in Münster: die einen leben im Kreuzviertel, die andern wollen hier leben."


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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007