Gebietsheimisches Saatgut – Aus Westfalen. Für Westfalen.

22.04.2020 Christiane Boll

Kategorie: Naturraum

Schlagworte: Westfalen · Vegetation · Naturschutz

Inhalt

Bunte Verkehrsinseln, Wildblumenwiesen und blütenreiche Ackerränder: Häufig werden sie öffentlichkeitswirksam angelegt und sollen neben ihrer ästhetischen Qualität auch als Paradies für Insekten dienen (s. Beitrag Stichmann). Doch woher stammt das Saatgut, aus welchen Arten setzt es sich zusammen und summt es dort tatsächlich?

Saatgutmischungen des Einzelhandels werden mit "Hummelmagnet", "Augenweide" oder "Bienenschmaus" beworben. Über die einzelnen Bestandteile der Mischungen informieren sich jedoch nur die wenigsten. Was vom Naturfreund sicherlich gut gemeint war, kann sich aber beispielsweise als Saatgut aus Nordamerika mit beigemischten invasiven Arten entpuppen, die das Potenzial haben, Arten der heimischen Vegetation zu verdrängen. Aus ökologischer, rechtlicher und auch ökonomischer Sicht sprechen daher zahlreiche Argumente für die Verwendung gebietseigener Wildpflanzen. Ihre Verwendung ist in der freien Landschaft seit März 2020 deutschlandweit verpflichtend.

Was ist gebietseigenes Saatgut?

Eine Pflanze wird dann als gebietsheimisch oder gebietseigen bezeichnet, wenn sie aus einer einheimischen Population stammt, die sich in einem bestimmten Naturraum über einen langen Zeitraum hinweg über mehrere Generationen vermehrt hat und die gegenüber einer Population der gleichen Art in einem anderen Naturraum genetische Unterschiede aufweist. Somit sind die Kriterien Raum, Zeit und Population entscheidend für die Definition einer gebietseigenen Pflanze. Die Begriffe gebietseigen/gebietsheimisch werden in der Praxis im Zusammenhang mit Saatgut auch synonym zu "regionales Saatgut" und Regiosaatgut" verwendet.

Abb. 1: Artenreiche Wiese u.a. mit Klatsch-Mohn (Papaver rhoeas) (Foto: Christian Chmela)

Vorteile in der Verwendung

Wildpflanzen sind an die individuellen Faktoren ihres Wuchsgebietes wie die Bodenbeschaffenheit, das Klima und die Bestäuber angepasst und weisen untereinander eine hohe genetische Vielfalt auf. In der Regel ist eine Pflanze dort am besten angepasst, wo sich ihre Vorfahren entwickelt haben – hier hat sie sich im Laufe der Evolution einen "Heimvorteil" angeeignet. Diese regionaltypischen Anpassungen und die innerartliche Vielfalt führen dazu, dass sich die gebietsheimischen Pflanzen bei veränderten Standortbedingungen, beispielsweise bedingt durch den Klimawandel, vorteilhaft anpassen können.

Gebietsfremdes Saatgut enthält einen für die Region untypischen Genpool und kann zu Florenverfälschung, Beeinflussung des Genpools heimischer Populationen durch Hybridisierung, der Verbreitung von Neophyten und schließlich auch zu einem ausbleibenden Begrünungserfolg führen, da die Pflanzen nicht an den Standort angepasst sind. Zudem ist gebietsfremdes, oft artenarmes Saatgut für heimische Tierarten wie insbesondere Insekten häufig nur eingeschränkt nutzbar, da evolutionär entwickelte Beziehungen zwischen Pflanzen und Tieren bestehen.

Auch aus ökonomischer Sicht ist die Verwendung gebietseigener Wildpflanzen zu bevorzugen. Zwar ist das Saatgut oft etwas teurer als z.B. international gewonnene Mischungen aus Baumärkten, jedoch sind schon Saatgutmengen von wenigen Gramm je Quadratmeter im Normalfall ausreichend für eine flächendeckende Begrünung. Der Anwuchserfolg ist in der Regel hoch und eine aufwändige Pflege in den nächsten Jahren oftmals nicht notwendig.

Rechtliche Situation seit März 2020

Dass die Verwendung gebietsheimischen Saatguts zahlreiche Vorteile mit sich bringt, hat der Gesetzgeber schon vor Jahren bemerkt. Mit der Novelle des Naturschutzgesetzes in 2010 wurde eine zehnjährige Übergangsregelung geschaffen, die besagt, dass bis zum 1. März 2020 in der freien Natur vorzugsweise gebiets­eigenes Saatgut verwendet werden soll.

Mittlerweile ist die Geltungszeit der Soll-Vorschrift abgelaufen und somit das Ausbringen von gebietsfremdem Saatgut nur noch mit Ausnahmegenehmigung der unteren Naturschutzbehörde möglich. Von der Regelung ausgenommen sind der Anbau von Pflanzen in der Land- und Forstwirtschaft. Zudem bezieht sich das Gesetz auf die freie Natur, unter welcher der unbesiedelte Bereich zu verstehen ist. Dennoch ist zu empfehlen, auch innerhalb des Siedlungsbereiches gebietsheimisches Saatgut zu verwenden, da eine Abgrenzung zur freien Landschaft nicht gegeben ist und gerade besiedelte Bereiche an Bedeutung für Insekten gewinnen, die in der heutigen Agrarlandschaft nicht ausreichend Nahrung und Lebensraum finden.

Abb. 2: Die 22 Herkunftsregionen Deutschlands für gebiets- heimisches Saatgut (Quelle: Feldsaaten Freudenberger GmbH & Co. KG)

Herkunftsregionen für gebietsheimisches Saatgut in Westfalen

Um die Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes kontrollieren zu können, mussten bundeseinheitliche Grundlagen für die Produktion und den Einsatz von gebietsheimischem Saatgut geschaffen werden. Im Rahmen eines von der Universität Hannover umgesetzten Projektes wurden gemeinsam mit Vertretern der Naturschutzbehörden der Bundesländer bundeseinheitliche Abgrenzungen von Gebieten getroffen, in denen Wildpflanzensaatgut als gebietseigen angesehen wird. 22 Herkunftsregionen wurden unter Berücksichtigung von klimatischen und standörtlichen Kriterien für Regiosaatgut festgelegt. Dieses Saatgut soll innerhalb der Herkunftsregion gewonnen, vermehrt und ausgebracht werden, ohne es dabei züchterisch zu verändern. Saatgut soll nur dann vermarktet werden, wenn es von einem anerkannten Zertifizierungsunternehmen geprüft wurde (derzeit "VWW-Regiosaaten" vom Verband Deutscher Wildsamen- und Wildpflanzenproduzenten oder "RegioZert" vom Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter).

Westfalen hat Anteil an fünf Herkunftsregionen (Abb. 2), wobei sich der Großteil des westfälischen Gebietes innerhalb der Herkunftsregionen 2 (Westdeutsches Tiefland mit Unterem Weserbergland) und 7 (Rheinisches Bergland) befindet. In der Region 2 werden z.B. Gräser wie Haar-Schwingel (Festuca filiformis) oder Wiesen-Rispe (Poa pratensis), Hülsenfrüchtler wie Sumpf-Hornklee (Lotus pedunculatus) oder Vogel-Wicke (Vicia cracca) und Kräuter wie Klatsch-Mohn (Papaver rhoeas) oder Gamander-Ehrenpreis (Veronica chamaedrys) vermehrt und ausgebracht. Das Kataster der westfälischen Spenderflächen ist im "Fachinformationssys­tem Mahdgutübertragung in NRW" für untere Naturschutzbehörden und Biologische Stationen online abrufbar.

Anlage einer Wildblumenwiese

Ist das passende zertifizierte Saatgut für die eigene Ausbringungsregion gefunden, so sollte der Boden zunächst durch Pflügen oder Fräsen vorbereitet werden, um den Erfolg der Ansaat zu erhöhen. Zudem sollten nährstoffarme Verhältnisse vorliegen und wuchsstarke Ackerunkräuter entfernt werden. Als Saatgutmenge werden zwischen 1g und 5g pro m2 empfohlen. Die Samen können mit Sand gestreckt werden, um sie leichter gleichmäßig verteilen zu können. Das Saatgut darf nicht eingearbeitet, sollte aber angewalzt oder angedrückt werden. Die Aussaat vor einer feuchten Witterung ist günstig. Ansonsten kann eine dünne Mulchschicht das zu schnelle Austrocknen des Bodens sowie gleichzeitig in gewissem Maße auch den Vogelfraß minimieren. Acht bis zehn Wochen nach der Saat sollte ein erster Schnitt erfolgen, um Unkräuter zu bekämpfen. Zudem ist die Wiese ein- bis zweimal im Jahr zu mähen und das Mahdgut abzufahren, um weiterhin nährstoffarme Verhältnisse zu erhalten.

Aktuelle Herausforderungen

Das Bundesnaturschutzgesetz in Verbindung mit dem Regiosaatgut-Konzept wird dazu beitragen, dass weniger gebietsfremde Arten in der freien Natur ausgebracht werden und einer Florenverfälschung entgegengewirkt wird. Jedoch gelten für alle Arten die gleichen Abgrenzungen der Herkunftsregionen, sodass diese für manche Arten zu eng und für andere zu weit gefasst sind. Deshalb kann es für spezielle Naturschutzmaßnahmen erforderlich sein, Wildpflanzen in sehr geringerer Distanz zum Ausbringungsort zu gewinnen (lokales Saatgut) oder Flächen mit Hilfe von direkter Mahdgutübertragung zu begrünen. Zudem ist Regiosaatgut aufgrund der aufwändigen Gewinnung derzeit ggf. noch nicht flächendeckend in ausreichenden Mengen und unmittelbar verfügbar, sodass bei einer geplanten Maßnahme frühzeitig regionales Saatgut bestellt werden sollte.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2020