Naturschutz am Straßenrand – das Bemühen um die Restnatur in Westfalen

11.04.2018 Wilfried Stichmann

Kategorie: Naturraum

Schlagworte: Westfalen · Kreis Soest · Vegetation · Naturschutz

Inhalt

Wo intensive Landwirtschaft betrieben wird, haben sich Wildkräuter und Feldvögel schon weithin verabschiedet. Deshalb wird dafür die Restnatur immer noch wertvoller. Und das sind bereits die Wegränder und die Raine, die Gräben und Böschungen mit ihrer Vegetation, die allerdings von den Pflegetrupps der Kommunen oft noch so früh gemäht werden, dass sie kaum zur Blüte und schon gar nicht zur Samenreife gelangt. Heimatfreunde und Imker beklagen sich schon seit Jahren darüber. Den einen fehlt der Schmuck der Landschaft – sogar der der Wildpflanzen für das Weihbund zu Mariä Himmelfahrt – den anderen die Sommertracht für die Bienen (s. Beitrag Köhne).

In der Gemeinde Möhnesee (Kr. Soest) hat es sich gezeigt, dass man mit der Mahd der gemeindeeigenen Streifen an Straßen und Wegen sowie an Gräben und Böschungen durchaus zurückhaltender sein darf und der Restnatur eine Chance geben kann. Weil der ökologische Nutzen dieser Flächen entscheidend von einem möglichst späten Mähtermin nach der Blüte der Pflanzen abhängt, hat die Gemeinde ihr Unterhaltungskonzept zunächst versuchsweise an einigen Straßen umgestellt, inzwischen aber auf alle gemeindeeigenen Weg- und Straßenränder ausgedehnt und auch den Kreis Soest für ein Umdenken gewonnen. Auch anderswo und nicht zuletzt auch beim Landesbetrieb Straßen Nordrhein-Westfalen wird dafür geworben, die Reste der Wildflora so pfleglich wie möglich zu behandeln.

Abb. 1: Bunte Vielfalt am Straßen- rand (Foto: Angelika von Tolkacz)

Ein Meter Mähbreite genügt

Dazu trägt die Rückverlegung des Termins für den ersten Pflegeschnitt in den Juni bei. Er beschränkt sich auf eine Schnittbreite von einem Meter an den Banketten und auf das Freischneiden der Sichtdreiecke in Einmündungsbereichen. So wird sichergestellt, dass sich auch bei Nässe hohe Gräser nicht auf die Fahrbahn legen können. Der zweite Pflegeschnitt folgt nach der Blühphase im September mit dem Mähen der Seitenstreifen, Gräben und Böschungen. Vielerorts ist nicht einmal jährliches Mähen erforderlich. Manche Pflegetrupps arbeiten nach Plan und bearbeiten Jahr für Jahr eine andere Strecke.

Das neue Pflegekonzept hat sich offensichtlich bewährt. Schon nach wenigen Jahren ist die Vegetation auf den eingerichteten Probeflächen artenreicher geworden. Auch Imker bestätigen dies. Selbst wenn es sich infolge der Düngung auf den angrenzenden Feldern vielfach überwiegend um nitrophile Pflanzenarten wie Wiesenkerbel, Bärenklau, Brennessel, Knoblauchrauke usw. handelt, sind diese willkommener als intensiv genutztes Land bis zum Straßenrand. An manchen Orten ist es eben der einzige Lebensraum, der zumindest Kleinlebewesen angeboten werden kann. Dessen Eignung als Lebensraum kann noch verbessert werden, wenn von einzelnen Flächen im Herbst das Mähgut entfernt und damit der Überdüngung entgegengewirkt wird. Angesichts der Einsparung durch den verminderten Pflegeaufwand dürften die Kosten der teilweisen Entfernung der Biomasse vertretbar bleiben.

Viele solcher ungenutzten Streifen sind allerdings im Laufe der Zeit immer schmaler geworden. Sie wurden in die private Nutzung einbezogen, d.h. unter den Pflug genommen. Das nahm der Landschaftsbeirat des Kreises Soest, dem sowohl Landwirte als auch Naturschützer angehören, zum Anlass, vielerorts Nachvermessungen und ggf. eine Rückführung in die öffentliche Hand anzuregen.

Abb. 2: Schafgarbe (Foto: Angelika von Tolkacz)

Wo die für die Natur ausgewiesenen Streifen für eine Bepflanzung mit Gehölzen als "Straßenbegleitgrün" zu schmal sind, verdienen sie trotzdem Beachtung. In der Summe machen sie in Nordrhein-Westfalen eine Fläche von mehreren tausend Hektar aus, die infolge ihrer linearen Struktur nicht nur als Rückzugsräume für Pflanzen- und Tierarten dienen, sondern auch zur Vernetzung unserer extrem zerstückelten und verinselten Kulturlandschaft beitragen können.

Wanderer und Naturfreunde können aktiv helfen, dass verarmte oder zurückgewonnene Wildlandstreifen wieder artenreicher werden. Auf den nächst benachbarten, artenreich blühenden Straßen und Wegrändern sammeln sie zurzeit der Samenreife Saatgut ein und bringen es dort aus, wo es offensichtlich nötig ist. In derartige Aktionen sollten nach Möglichkeit am Naturschutz interessierte Landwirte und deren Orts- und Kreisverbände einbezogen werden. In jedem Fall müsste ausgeschlossen sein, dass Bauern selbst zur Sense oder zum Freischneider greifen und die Vegetation auf kommunalem Grund und Boden ohne Erlaubnis schon vorzeitig mähen.

Dass die hier geschilderten Bemühungen überhaupt notwendig sind, ist Ausdruck der Naturferne eines Großteils der intensiv landwirtschaftlich genutzten Kulturlandschaft, in der Jahr für Jahr mehr Arten als ausgestorben gemeldet werden, vielerorts selbst solch früher häufige Arten wie Feldlerche und Kiebitz.

Wo sich die Vegetation auf den Randstreifen an Straßen und Wegen einige Jahre von der übertriebenen "Pflege" erholen konnte, wurden schon wieder 50 bis 60 verschiedene ansehnlich blühende Pflanzenarten gezählt. Freunde des Brauchtums, die sich mit den zum Fest Mariä Himmelfahrt (15. August) im Erzbistum Paderborn vielerorts gesammelten Kräutern befassten, gehörten zu den ersten, die bei der Wiederbelebung des Brauchs bemerkten, wie mit dem Verlust der Restnatur auch die Grundlage für das traditionelle "Krautbund" verloren ging.

Abb. 3: Jakobskreuzkraut (Foto: Angelika von Tolkacz)

Arten für das Krautbund

Früher gab es für dessen Zusammenstellung feste, allerdings von Dorf zu Dorf unterschiedliche Regeln. Beim Vergleich von 18 lokalen Pflanzenlisten aus der Region Olpe bis Warburg ergab sich, dass die Artenzahl zwischen 8 und 32 variierte. Die Arten sollten vollständig vertreten sein. Fast die Hälfte der insgesamt 28 heute noch für diesen Zweck empfohlenen, nicht naturgeschützten Pflanzenarten wuchs und wächst mancherorts wieder an Straßen- und Wegrändern und profitiert von deren schonender Behandlung. Dazu gehören Schafgarbe (Abb. 2) und Beifuß, Rainfarn und Johanniskraut, Dost und Baldrian. Auch Jakobskreuzkraut (Abb. 3) und Sumpfgarbe, Odermennig, Wilde Möhre und Spitzwegerich, Leinkraut und Blutwurz-Fingerkraut sind regelmäßige Bestandteile der Restnatur, wenn man ihr eine Chance gibt. Sie gehören zum Kräuterbund, weil sie für den Menschen besonders bedeutsam waren – und teilweise heute auch noch sind (s. Beitrag Stichmann).

Abb. 4: Wilde Karde (Foto: Angelika von Tolkacz)

Ökologische Bedeutung und ästhetischer Wert

Aber auch die anderen Pflanzenarten tragen zur Belebung und zur Vielfalt der oft extrem verarmten Agrarlandschaft bei. Sie bieten ästhetischen Genuss und das Erlebnis der Farben und Formen sogar schon im Vorbeifahren und Vorübergehen. Manche eignen sich zum schönsten Feldblumenstrauß. Die nicht unnötig intensiv "gepflegten" Raine, Ränder, Gräben und Böschungen bieten für allerlei Kleintiere Lebensraum, Unterschlupf und Nahrung. Sie verbinden letzte Grüninseln miteinander.

Es wäre ein herber Verlust, würde sich der Mensch selbst ohne Not auch noch dieser letzten Reste an Vielfalt und Schönheit der Natur berauben und schließlich nur noch die gleichförmig kahl geschnittenen Straßen- und Wegränder für erstrebenswert halten.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2016