Ökologisches Langzeitmonitoring im Teutoburger Wald
Das Osning-Projekt
Im Riesenbecker Osning, so der Lokalname des nordwestlichen Ausläufers des Teutoburger Waldes, wurden bereits in den Jahren 1985–1988 Messungen zum Säureeintrag in ein Kiefernökosystem durchgeführt. In einer Waldmessstation (15 offene Regensammler, Abb.1) wurde der Waldniederschlag als Kronentraufe aufgefangen, in einer nahegelegenen Freilandmessstation (vier offene Regensammler) der Freilandniederschlag ohne Beeinflussung durch die Vegetation. In wöchentlicher Beprobung wurde das Niederschlagsvolumen (in ml) gemessen und unter Berücksichtigung der Auffangfläche der Regensammler in mm umgerechnet. Die "freie Säure" (H+-Ionen) wurde über den pH-Wert ermittelt, der allein aber kein Maß für die Ökosystembelastung ist. Parallel wurde die Ammoniumkonzentration des Regenwassers gemessen. Die Stickstoffverbindung Ammonium (NH4+) setzt nach Eintrag in den Boden ein H+-Ion frei, wirkt also ökosystemversauernd. Die Multiplikation von Stoffkonzentration und Niederschlagsmenge ergibt die "Depositionsrate" in kg pro ha und Jahr (kg ha-1a-1). Mit der Methode ständig offener Regensammler wird allerdings nur ein Teil des tatsächlich stattfindenden Stoffflusses in das Ökosystem erfasst.
Im Jahr 1998 wurde die Beprobung beider Messstationen mit umfassendem Messprogramm wieder aufgenommen: elektrische Leitfähigkeit, pH, Kationen (Calcium, Magnesium, Natrium, Kalium, Aluminium, Eisen, Mangan) und Anionen (Chlorid, Sulfat, Nitrat). In den Jahren 1988, 1999 und 2008 wurden die Inhaltsstoffe von Waldquellwässern gemessen. Mit begleitenden Vegetations- und Bodenanalysen kommt das Osning-Projekt einem ökosystemaren Monitoring-Konzept nahe. In seiner Datenanalyse folgt es den auswertungsmethodischen Standards des staatlichen "Forstlichen Monitoring".
Atmosphärische Einträge
Die hohen NH4+-Depositionen führen zu Ammonium/Nitrat-Verhältnissen zwischen 1,7–2,3 (NRW: 1,3–1,7), Ausdruck des relativen Einflusses der Intensivtierhaltung (s. Beitrag Lethmate). Die Ammoniak-Emissionen der Tierhaltung neutralisieren die H+-Ionen des Regens unter NH4+-Bildung. Sie bleiben im Teutoburger Wald aufgrund seiner Lage im "Gülle-Belt" ein wesentlicher ökologischer Faktor, insofern sie die Gesamtsäureeinträge beeinflussen. Auch diese sind von 3,2 Kilomol charge pro ha (kmolc ha-1) im Jahre 1998 auf 1,9 kmolc ha-1 im Jahre 2009 gesunken.
Quellwasserchemie
Der vierte Indikator, der Versauerungsindex Ca2+ + Mg2+/NO3- + SO42- (µmolc L-1/µmolc L-1), setzt die neutralisierenden Calcium- und Magnesiumionen ins Verhältnis zu den versauernden Nitrat- und Sulfationen. Unter natürlichen Bedingungen werden Calcium und Magnesium nahezu vollständig begleitet vom Anion Hydrogenkarbonat (HCO3-). Unter dem Einfluss saurer Depositionen gewinnen die Anionen Sulfat und Nitrat an Bedeutung. Erreicht der Versauerungsindex Werte > 1, überwiegt das HCO3--Puffersystem, bei Werten < 1 das Aluminium-Puffersystem mit entsprechend hohen Austrägen von H+-, Al--, SO42-- und NO3--Ionen. Letzteres gilt auch nach 20 Jahren noch für die Osning-Quelle (Tab. 1), sie hat das HCO3--Puffersystem verloren und bleibt damit anthropogen versauert.
Ökosystemdrift
Die rückläufigen Trends der atmosphärischen Einträge spiegeln die durch umweltpolitische Reduktionsmaßnahmen bedingte Verbesserung der Luftqualität wieder. Sie bedeuten ökosystemar gesehen aber keineswegs eine Entlastung, wie eine Bewertung mit dem international üblichen Critical Load-Ansatz zeigt. Der Critical Load für Säureeinträge liegt im Untersuchungsgebiet aufgrund des basenarmen Untergrundes bei 0,43 kmolc pro ha und Jahr (ha-1a-1), eingetragen wurden im Messjahr 2009 aber noch 1,9 kmolc ha-1 an potenzieller Säure. Auch die Stickstoffeinträge in den Wald überschreiten 2009 mit 24,4 kg N ha-1 noch massiv den standorttypischen Critical Load für eutrophierenden Stickstoff (3,9 kg N ha-1 a-1). Dabei stellen die gemessenen Daten methodenbedingt nur die Untergrenze der Ökosystembelastung dar.
Die chronische Versauerung des Osning-Quellwassers beweist, dass der nordwestliche Teutoburger Wald bis heute seine Ökosystemgesundheit eingebüßt hat. Er produziert nach wie vor ungesundes Waldwasser. Die geringfügig verbesserten Versauerungsindikatoren deuten zwar die Reversibilität der Gewässerversauerung an, die Erholung ist aber stark verzögert. Neben den noch immer zu hohen Depositionen liegt dies auch daran, dass der Podsolboden zu Zeiten des sauren Regens viel Schwefel aufgespeichert hat, der jetzt freigesetzt wird. Der Indikator für eine Erholung versauerter Gewässer liegt bei pH 5,5, davon ist der gegenwärtige Wasserzustand noch weit entfernt. Der Trend einer Ökosystemdrift vom ursprünglich oligotrophen hin zu einem eutrophen Ökosystemzustand scheint im nordwestlichen Teutoburger Wald anzudauern.
Weiterführende Literatur/Quellen
• | Lethmate, J. (2003): Versauerung aquatischer Ökosysteme. Das Ende eines Großexperimentes? In: Petermanns Geographische Mitteilungen, Nr. 147. Gotha, S. 56–65 | |
• | Lethmate, J. (2009): Waldquellen in Westfalen als Indikatorsysteme des Umweltmonitoring. In: Lethmate, J. (Hg.): Luft – Boden – Wasser – Wald. Geoökologische und ökologiedidaktische Untersuchungen in Westfalen. Münster, S. 45–53 (= Westfälische Geographische Studien, Band 57) | |
• | Lethmate, J. (2009): Das Osning-Projekt. Geoökologische und ökologiedidaktische Forschung im Teutoburger Wald. In: Lethmate, J. (Hg.): Luft – Boden – Wasser – Wald. Geoökologische und ökologiedidaktische Untersuchungen in Westfalen. Münster, S. 55–84 (= Westfälische Geographische Studien, Band 57) | |
• | Lethmate, J. und K. Schneider (2001): Gewässerversauerung im Riesenbecker Osning. In: Geographische Kommission für Westfalen (Hg.): GeKo-Aktuell II/2001. Münster, S. 3–10 | |
• | Lethmate, J., B. Eickelmann und Th. Worringer (2002): Der nordrhein-westfälische Gülle-Belt und sein Einfluss auf die Deponate des Teutoburger Waldes. In: Geo-Öko, Nr. 23. Göttingen, S. 61–75 | |
• | Lethmate, J., R. Becker, F. Bednorz und B. Hiller (2004): Ökosystemkennwerte und Critical Loads des Riesenbecker Osning/nördlicher Teutoburger Wald. In: Geo-Öko, Nr. 25. Göttingen, S. 113–126 | |
• | Lorz, C., Ch. Eissner, J. Lethmate und B. Schneider (2010): Spatial and temporal small-scale variability of nitrogen mobilization in a forest ecosystem with high N deposition in NW-Germany. In: Environmental Pollution, Nr. 158. Huntingdon, S. 424–439 | |
• | Pollmann, W. und J. Lethmate (2002): Oligotrophie in einer eutrophen Umwelt: Zur systematischen Umgrenzung und standörtlichen Gefährdung sand-oligotropher Quellfluren im Teutoburger Wald (NW-Deutschland). In: Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt/Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Hg.): Hercynia, Nr. 35. Halle (Saale), S. 157–179 | |
• | Schneider, B., C. Lorz und J. Lethmate (2006): Versauerung und Mobilisierungspotential von Sulfat in geschichteten Böden des nordwestlichen Teutoburger Waldes. In: Geo-Öko, Nr. 27. Göttingen, S. 175–194 |
Erstveröffentlichung 2010