Ökologisches Langzeitmonitoring im Teutoburger Wald

01.01.2010 Jürgen Lethmate

Inhalt

Langzeitmonitoring wird vor allem zum Eintrag von Luftschadstoffen in Waldökosysteme durchgeführt. Wälder sind aufgrund der großen Kronenoberfläche und der daraus resultierenden auskämmenden Wirkung ("Filterwirkung") stärker als andere Ökosysteme durch anthropogene Stoffeinträge in Form von Schwefel- und Stickstoffverbindungen belastet. Langzeitige Messreihen relevanter ökologischer Parameter sind notwendig, da bei kurzzeitigen Messungen langfristige Trends in den jährlichen Schwankungen untergehen und nicht zu identifizieren sind. Nur über Langzeitmonitoring sind gerichtete Entwicklungen eines Waldökosystems zu erkennen.

Abb. 1: Waldmessstation mit offenem Regensammler (Foto: J. Lethmate)

Das Osning-Projekt

Im Riesenbecker Osning, so der Lokalname des nordwestlichen Ausläufers des Teutoburger Waldes, wurden bereits in den Jahren 1985–1988 Messungen zum Säureeintrag in ein Kiefernökosys­tem durchgeführt. In einer Waldmessstation (15 offene Regensammler, Abb.1) wurde der Waldniederschlag als Kronentraufe aufgefangen, in einer nahegelegenen Freilandmessstation (vier offene Regensammler) der Freilandniederschlag ohne Beeinflussung durch die Vegetation. In wöchentlicher Beprobung wurde das Niederschlagsvolumen (in ml) gemessen und unter Berücksichtigung der Auffangfläche der Regensammler in mm umgerechnet. Die "freie Säure" (H+-Ionen) wurde über den pH-Wert ermittelt, der allein aber kein Maß für die Ökosystembelastung ist. Parallel wurde die Ammoniumkonzentration des Regenwassers gemessen. Die Stickstoffverbindung Ammonium (NH4+) setzt nach Eintrag in den Boden ein H+-Ion frei, wirkt also ökosystemversauernd. Die Multiplikation von Stoffkonzentration und Niederschlagsmenge ergibt die "Depositionsrate" in kg pro ha und Jahr (kg ha-1a-1). Mit der Methode ständig offener Regensammler wird allerdings nur ein Teil des tatsächlich stattfindenden Stoffflusses in das Ökosystem erfasst.

Im Jahr 1998 wurde die Beprobung beider Messstationen mit umfassendem Messprogramm wieder aufgenommen: elektrische Leitfähigkeit, pH, Kationen (Calcium, Magnesium, Natrium, Kalium, Aluminium, Eisen, Mangan) und Anionen (Chlorid, Sulfat, Nitrat). In den Jahren 1988, 1999 und 2008 wurden die Inhaltsstoffe von Waldquellwässern ge­messen. Mit begleitenden Vegetations- und Bodenanalysen kommt das Osning-Projekt einem ökosystemaren Monitoring-Konzept nahe. In seiner Datenanalyse folgt es den auswertungsmethodischen Standards des staatlichen "Forstlichen Monitoring".

Abb. 2: Langzeitige Entwicklung der pH-Werte im Waldniederschlag eines Kiefernökosystems des nordwestlichen Teutoburger Waldes (Quelle: Eigene Erhebungen)

Atmosphärische Einträge

Hier wird nur die Entwicklung der wichtigsten ökologischen Parameter dargestellt. Der Eintrag der freien Säure (pH-Wert) ging im Teutoburger Wald deutlich zurück (Abb. 2). Nur die pH-Werte der 1980er Jahre lassen sich als anthropogen versauerter Regen (pH < 4,5) interpretieren. Die jährlichen Schwankungen der Depositionsraten sind hoch, über den gesamten Messzeitraum gesehen reduzierten sich aber die Depositionen von Sulfat (SO42-) und Nitrat (NO3-), also den Säureresten der Schwefel- und Salpetersäure, sowie die Einträge des Ammoniums (Abb. 3). Die Stoffanreicherung im Wald (vgl. Waldniederschlag in Abb. 3) resultiert aus der Filterwirkung der Bäume und aus komplexen chemischen Kronenraumwechselwirkungen.

Die hohen NH4+-Depositionen führen zu Ammonium/Nitrat-Verhältnissen zwischen 1,7–2,3 (NRW: 1,3–1,7), Ausdruck des relativen Einflusses der Intensivtierhaltung (s. Beitrag Lethmate). Die Ammoniak-Emissionen der Tierhaltung neutralisieren die H+-Ionen des Regens unter NH4+-Bildung. Sie bleiben im Teutoburger Wald aufgrund seiner Lage im "Gülle-Belt" ein wesentlicher ökologischer Faktor, insofern sie die Gesamtsäureeinträge beeinflussen. Auch diese sind von 3,2 Kilomol charge pro ha (kmolc ha-1) im Jahre 1998 auf 1,9 kmolc ha-1 im Jahre 2009 gesunken.
Abb. 3: Langzeitige Depositionen in kg pro ha und Jahr (kg ha-1a-1) von Sulfatschwefel (SO42--S), Nitratstickstoff (NO3--N) und Ammoniumstickstoff (NH4+-N) im Freiland- und Waldniederschlag eines Kiefernökosystems des nordwestlichen Teutoburger Waldes (Quelle: Eigene Erhebungen)

Quellwasserchemie

Der Charakter als "Trichterauslass" eines Waldökosystems verleiht Waldquellen den methodischen Vorteil, die sehr variablen Prozesse und Stoffflüsse des Ökosystems wie ein zeitliches und räumliches Integral zu konzentrieren. Insofern sind Waldquellen "hochwirksame" Indikatorsysteme des Waldmonitoring. Die Entwicklung eines Osning-Quellwassers sei mit vier Versauerungsindikatoren über einen Zeitraum von 20 Jahren veranschaulicht (Tab. 1). Die pH-Werte haben sich kaum verändert, das Quellwasser ist bis heute stark versauert. Aluminium (Al3+), aufgrund seiner Freisetzung aus dem Boden durch saure Depositionen ein Schlüsselmerkmal anthropogen versauerter Gewässer, ist in seiner Konzentration zwar deutlich gesunken, macht das Quellwasser aber noch immer giftig – der in der Trinkwasser-Verordnung festgelegte Grenzwert beträgt 0,2 mg Al3+ pro Liter (L-1). Ein dritter Indikator gibt das Ausmaß der Versauerung an, die Summe der versauernden Anionen Nitrat und Sulfat (NO3- + SO42- µmolc L-1). Wenngleich auch dieser Indikator kleiner geworden ist, liegt er mit > 1.000 µmolc L-1 NO3- + SO42- noch weit über den Werten aus unbelasteten oder schwach belasteten Regionen (20–85 µmolc L-1). Der Nitratanteil der Ionensumme hat zugenommen, Nitrat erhält zunehmenden Einfluss auf die Versauerungsprozesse.

Der vierte Indikator, der Versauerungsindex Ca2+ + Mg2+/NO3- + SO42- (µmolc L-1/µmolc L-1), setzt die neutralisierenden Calcium- und Magnesiumionen ins Verhältnis zu den versauernden Nitrat- und Sulfationen. Unter natürlichen Bedingungen werden Calcium und Magnesium nahezu vollständig begleitet vom Anion Hydrogenkarbonat (HCO3-). Unter dem Einfluss saurer Depositionen gewinnen die Anionen Sulfat und Nitrat an Bedeutung. Erreicht der Versauerungsindex Werte > 1, überwiegt das HCO3--Puffersys­tem, bei Werten < 1 das Aluminium-Puffersys­tem mit entsprechend hohen Austrägen von H+-, Al--, SO42-- und NO3--Ionen. Letzteres gilt auch nach 20 Jahren noch für die Osning-Quelle (Tab. 1), sie hat das HCO3--Puffersys­tem verloren und bleibt damit anthropogen versauert.
Tab. 1: Langzeitige Versauerungsindikatoren (Jahresmittel) eines Quellwassers im nordwestlichen Teutoburger Wald (Quelle: Eigene Erhebungen)

Ökosystemdrift

Die rückläufigen Trends der atmosphärischen Einträge spiegeln die durch umweltpolitische Reduktionsmaßnahmen bedingte Verbesserung der Luftqualität wieder. Sie bedeuten ökosys­temar gesehen aber keineswegs eine Entlastung, wie eine Bewertung mit dem international üblichen Critical Load-Ansatz zeigt. Der Critical Load für Säureeinträge liegt im Untersuchungsgebiet aufgrund des basenarmen Untergrundes bei 0,43 kmolc pro ha und Jahr (ha-1a-1), eingetragen wurden im Messjahr 2009 aber noch 1,9 kmolc ha-1 an potenzieller Säure. Auch die Stickstoffeinträge in den Wald überschreiten 2009 mit 24,4 kg N ha-1 noch massiv den standorttypischen Critical Load für eutrophierenden Stickstoff (3,9 kg N ha-1 a-1). Dabei stellen die gemessenen Daten methodenbedingt nur die Untergrenze der Ökosys­tembelastung dar.

Die chronische Versauerung des Osning-Quellwassers beweist, dass der nordwestliche Teutoburger Wald bis heute seine Ökosystemgesundheit eingebüßt hat. Er produziert nach wie vor ungesundes Waldwasser. Die geringfügig verbesserten Versauerungsindikatoren deuten zwar die Reversibilität der Gewässerversauerung an, die Erholung ist aber stark verzögert. Neben den noch immer zu hohen Depositionen liegt dies auch daran, dass der Podsolboden zu Zeiten des sauren Regens viel Schwefel aufgespeichert hat, der jetzt freigesetzt wird. Der Indikator für eine Erholung versauerter Gewässer liegt bei pH 5,5, davon ist der gegenwärtige Wasserzustand noch weit entfernt. Der Trend einer Ökosystemdrift vom ur­sprünglich oligotrophen hin zu einem eutrophen Ökosystemzustand scheint im nordwestlichen Teutoburger Wald anzudauern.

Beitrag als PDF-Datei ansehen/speichern (Größe: 1,2 MB)

↑ Zum Seitenanfang


Weiterführende Literatur/Quellen

↑ Zum Seitenanfang

Erstveröffentlichung 2010