Wallfahrtsorte in Westfalen

01.01.2014 Peter Wittkampf

Inhalt

Geschichtliche Entwicklung

Von Helena, der Mutter Kaiser Konstantins, wird berichtet, ihr sei in Jerusalem die Auffindung des Kreuzes Jesu gelungen. Schon im Mittelalter brachten Pilger Kreuzpartikel mit nach Mitteleuropa, wo dann diese Reliquien an den entsprechenden Aufbewahrungsstätten Bedeutung für die Förderung des Glaubens und der Religiosität erlangten.

Auch wurden im Christentum bereits seit dem 2. Jh. Märtyrer verehrt – als vorbildliche, glaubenstreue Blutzeugen und als heilige Fürsprecher bei Gott. Vor allem auch den Aposteln, die als Märtyrer gestorben waren, wurde eine entsprechende Verehrung entgegengebracht, allen voran Petrus und Paulus in Rom. Später kam dann die Verehrung auch solcher Heiliger auf, die nicht für ihren Glauben den Tod erlitten, sondern sich durch ein heiligmäßiges Leben ausgezeichnet hatten.
Abb. 1: Wallfahrtsorte in Westfalen (Quellen: eigene Zusammenstellung nach Besselmann 1998, Hansen 1990, Risse 1988, http://kirchensite.de/bistumshandbuch/w/wallfahrtsorte, http://pilgern-erzbistum-paderborn.de)

In Westfalen entwickelten sich die frühesten Wallfahrtsorte zumeist entweder dadurch, dass eine Kreuzpartikel dorthin gelangt war, oder als Wirkungs- bzw. Sterbeort eines heiligmäßigen Menschen. Zum erstgenannten Typus gehören beispielsweise Coesfeld, Freckenhorst, Delbrück und Borchen-Dörenhagen. Hier wurden Kreuzpartikel in größere Kreuze eingearbeitet. Partikel, die z.B. in den Wirren der Reformation oder des Dreißigjährigen Krieges verloren gegangen waren, wurden seitdem meist durch päpstliche Schenkungen ersetzt.

Zur zweiten Kategorie, den Wirkungs- und Sterbeorten von Heiligen, gehört beispielsweise Lippetal-Herzfeld, wo die im Jahr 980 heiliggesprochene Ida von Herzfeld als "Mutter der Armen" lebte und im Jahr 825 starb. Herzfeld wurde zu einem der frühesten Wallfahrtsorte Westfalens.

Zu bedeutenden Wallfahrtszielen entwickelten sich seit dem Mittelalter dann auch Orte, an denen Reliquien von Heiligen verehrt werden konnten, selbst wenn die Heiligen dort nicht gelebt hatten oder gestorben waren. Aus westfränkischen Kirchen und Klöstern etwa gelangten Reliquien im Zuge der damals nicht seltenen Translationen u.a. nach Sachsen, so z.B. im Jahr 836 die Liborius-Reliquien nach Paderborn.

Einen noch deutlich stärkeren Aufschwung nahmen die Wallfahrten im Zuge
a) der spätmittelalterlichen Marienfrömmigkeit und
b) der bis in die Neuzeit anhaltenden Berichte über die Wundertätigkeit bestimmter Bilder, Kreuze oder figürlicher Darstellungen.

Die allermeisten der heute insgesamt mehr als 60 Wallfahrtsorte Westfalens verdanken dieser Entwicklung ihren Ursprung und ihre Bedeutung.

Zu den Orten mit einer besonderen Kreuzverehrung gehörte z.B. Stromberg (Kr. Warendorf). Das dortige Kruzifix stammt aus dem Ende des 11. Jh.s. Bei einigen Orten, z.B. Heek und Bocholt (Kr. Borken) oder Borgholz-Klus (Kr. Höxter), setzten die Kreuz-Wallfahrten wahrscheinlich etwas später ein.

Marien-Gnadenbilder aus dem 11.–15. Jh. zogen Pilgernde an, z.B. in Alt-Lünen (Kr. Unna), in Eggerode (Kr. Borken), in Telgte und Buddenbaum (Kr. Warendorf), in Rüthen, Bökenförde, Mellrich, und Waltringhausen (Kr. Soest), Dalhausen, Bruchhausen und Marienmünster (Kr. Höxter), Marienloh, Kleinenberg und Verne (Kr. Paderborn).

Die marianischen Wallfahrtsstätten machen zwei Drittel aller Wallfahrtsziele in Westfalen aus. Dagegen nahm die Bedeutung anderer Wallfahrten, etwa der eucharistischen, der Grabwallfahrten oder jener zu Bildern oder Figuren anderer Heiliger wie z.B. der heiligen Anna, dem heiligen Antonius etc. etwas ab.

Nach einem Niedergang durch die Reformation wurden Wallfahrten im Zuge der Gegenreformation in den katholischen Regionen wiederbelebt – jetzt häufig auch als Ausdruck und Festigung des Glaubens, sodass von nun an die gemeinschaftlichen Prozessionen der Wallfahrer mindestens ebenso wichtig wurden wie die bis dahin vorherrschenden, individuellen Buß-, Dank- und Bittgänge. Im 17. und 18. Jh. wurden die Wallfahrten z. T. durch die Fürstbischöfe gefördert. Auch kamen neue Wallfahrtsorte wie z.B. Breischen (Kr. Steinfurt), Warendorf, Geseke (Kr. Soest), Medebach und Bödefeld (Hochsauerlandkreis) hinzu.

Kriege oder auch Wallfahrtsverbote wie etwa während der nationalsozialistischen Herrschaft konnten jeweils zwar einen Rückgang der Wallfahrten bewirken, sie aber nie endgültig zum Erliegen bringen.

Abb. 2: Städte/Gemeinden mit regelmäßigen Pfarrei-Wallfahrten nach Telgte und Werl (Quellen: eigene Zusammenstellung nach Angaben der Wallfahrtsleitungen Telgte und Werl)

Gegenwärtige Situation

Zu Beginn des 21. Jh.s nimmt die Zahl der Wallfahrer insgesamt zu, auch in Westfalen. Meist kommen sie im Rahmen von Pfarr- oder Gruppenwallfahrten.

Viele Pfarr-Wallfahrten, bei denen sich Mitglieder einzelner Pfarreien zu Fuß oder mit Verkehrsmitteln jedes Jahr auf den Weg zu einer bestimmten Wallfahrtsstätte machen, haben inzwischen eine jahrhundertealte Tradition.

Daneben spielen Wallfahrten bestimmter Organisationen oder für bestimmte Gruppen inzwischen eine wichtige Rolle, z.B. für die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands KFD, für Senioren, Motorradfahrer, Vertriebene, Firmlinge, Behinderte etc. Der religiöse Sinn einer Wallfahrt verbindet sich dabei teilweise mit dem Ausflugscharakter solcher Fahrten und der Gemeinschaftspflege. Daher sind Angaben über die Zahl der Wallfahrer mit einem gewissen Vorbehalt zu betrachten.

Generell aber steigen die Zahlen in den letzten Jahren an. So erhöhte sich beispielsweise die Zahl der Pilgergruppen nach Werl von 105 im Jahr 2011 auf 130 im Jahr 2012 (Soester Anzeiger, 03.11.2012).

Für Paderborn meldete die Presse im Jahr 2012 einen neuen Besucherrekord des Libori-Festes. Insgesamt 1,8 Mio. Besucher kamen zu einem der größten "Volksfeste mit religiösem Charakter" Europas, bei dem Ende Juli die Reliquien des heiligen Liborius besonders verehrt werden. Dass hierbei wohl nicht alle Teilnehmer als "Wallfahrer" im strengen Sinne gelten können, versteht sich von selbst.

Die beiden bedeutendsten Wallfahrtsorte im eigentlichen Sinne innerhalb Westfalens sind Telgte mit zuletzt fast 100.000 und Werl mit etwa 150.000 Wallfahrern im Jahr, wobei insbesondere Werl als Wallfahrtsort eine überregionale Bedeutung hat.

Die größte Fußwallfahrt Deutschlands ist allerdings die von Osnabrück nach Telgte. Seit 1852 sind hierbei jährlich am 2. Sonntag nach dem Fest Peter und Paul etwa 8.000–10.000 Pilger gemeinsam auf dem Weg.

Das Wallfahrtsziel in Telgte ist eine um 1370 entstandene Pietà. Sie steht in einer Kapelle, deren Grundstein 1654 von Fürstbischof Bernhard von Galen gelegt wurde.

Das eigentliche Gnadenbild in Werl ist – neben dem seit dem 13. Jh. verehrten "Heiligen Kreuz" – eine aus dem 12. Jh. stammende Marienfigur, die ursprünglich in der Wiesenkirche in Soest stand, dort nach der Reformation eingelagert wurde und 1661 nach Werl gelangte. Die heutige, große Wallfahrtskirche in Werl wurde 1911 geweiht.

Dass die genannten Wallfahrer-Zahlen nicht nur in religiöser Hinsicht interessant sind, sondern auch einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor für die Wallfahrtsorte darstellen, ist offensichtlich. Gastronomische Betriebe, Busunternehmen oder der Einzelhandel profitieren in nicht unerheblichem Maße von den Wallfahrern. Aber auch hierbei sind genaue Zahlenangaben schwierig, denn ob z.B. Fahrradtouristen in Telgte lediglich Station machen oder ob es sich um Wallfahrer im eigentlichen Sinne handelt, ist für die Betreiber etwa einer Eisdiele kaum zu eruieren.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2014