Freilichtbühnen in Westfalen

01.06.2015 Meinolf Rohleder

Kategorie: Bildung, Kultur und Sport

Schlagworte: Westfalen · Kultur · Theater

Inhalt

"Sommertheater ist Freilichttheater" – so das Motto der Programmübersicht für die letzten Spielzeiten der im Verband Deutscher Freilichtbühnen (VDF) organisierten Amateurtheater. Viele hunderttausend Besucher lassen sich alljährlich durch die Aufführungen der Laiendarsteller aller Altersgruppen in der "freien Natur" immer wieder begeistern. In Westfalen wurden in der Spielzeit 2014 297.000 Besucher bei insgesamt 459 Aufführungen von 38 Inszenierungen (davon 20 "Kinderstücke") gezählt. Mit 17 Amateur-Freilichtbühnen (Abb. 1) ist Westfalen deutschlandweit eine der am besten ausgestatteten Regionen dieser Theatergattung.

Abb. 1: Freilichtbühnen in Westfalen 2014 (Quellen: VDF Nord 2015 und eigene Recherchen)

90-jährige Tradition der Freilichtbühnen in Westfalen

Die westfälischen Freilichtbühnen können auf eine lange Tradition verweisen, die ihren Anfang in Nettelstedt (heute zu Lübbecke) hat. Hier gründete 1923, im Jahr größter wirtschaftlicher Probleme und der Inflation, der Lehrer Karl Meyer-Spelbrink die "Freilichtspiele der Spielgemeinde Nettelstedt" – und damit die erste Amateurbühne Westfalens. Fünf Jahre später wurde in Nettelstedt mit 113.000 Zuschauern eine heute unvorstellbare Zahl von Besuchern registriert (zum Vergleich: Besucherzahl in Nettelstedt im Jahr 2012: 8.900) (Beckmann 2013, S. 12).

In den 1920er Jahren erfolgte durch Amateurspielgruppen die Gründung weiterer Freilichttheater, so 1924 in Heessen (zu Hamm), 1925 in Bellenberg (zu Horn-Bad Meinberg) und Stromberg (zu Oelde) sowie 1927 in Porta Westfalica. Spektakulär zu dieser Zeit war sicherlich ferner die Etablierung der "Höhlenspiele" in der Balver Höhle.

Während der NS-Herrschaft wurden die Bühnen ideologisch ausgerichtet, die Leitung der Theater kontrolliert und Einfluss auf die Auswahl der Stücke ausgeübt. "Vaterländische Themen" mussten bevorzugt werden. Zugleich wurden die Spielstätten für Veranstaltungen der NSDAP und anderer NS-Organisationen genutzt. Spätestens mit Kriegsbeginn stellten die Freilichtbühnen ihre Arbeit ein.

Neue Gründungswelle nach 1945

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen die bestehenden Freilichtbühnen recht schnell ihren Spielbetrieb wieder auf. Zugleich wurden 1946–1954 neue Theater "im Grünen" gegründet, z.B. in Hallenberg (1946), 1947 in Reckenfeld (zu Greven), 1948 die "Kahle Wart" (Hüllhorst) und 1949 in Herdringen (zu Arnsberg). Die letzten Gründungen erfolgten in Freudenberg (1954), 1957 in Schloss Neuhaus (zu Paderborn) und Werne (1959). Einige Theater hatten ihren Ursprung in Schulen (Coesfeld, 1952) oder in kirchlichen Jugendgruppen (Herdringen, 1949). Die Gründung der Freilichtbühne Bökendorf (zu Brakel, 1950) hat als einzige der Bühnen mit dem "Bökendorfer Romantikerkreis" eine literarisch-kulturelle Vergangenheit aufzuweisen.

Die Arbeit wird ehrenamtlich in den entsprechenden gemeinnützigen Theatervereinen organisiert, die in der Regel mehrere hundert Mitglieder haben und für alle Aktivitäten verantwortlich sind. Neben dem eigentlichen Theaterspiel zählen hierzu u.a. Kulissenbau, Kostümentwurf und -schneiderei, Maskenbildnerei, Bühnentechnik mit Ton und Beleuchtung, Öffentlichkeitsarbeit/Marketing, Finanzen sowie die Nachwuchsarbeit mit Kindern und Jugendlichen. In den letzten Jahren kam zudem die verstärkte Suche nach Sponsoren aus der näheren Umgebung hinzu – als weitere finanzielle Ergänzung zu der Unterstützung durch das Land NRW und den Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL).

Spielstätten

Die Spielstätten der westfälischen Freilichtbühnen zeichnen sich durch eine große Vielfalt und Originalität aus. Die "Deelen-" oder "Scheunenperiode" ist dabei längst vorbei. Es wird Theater auf "Naturbühnen" gespielt, wie auf der "Naturbühne Hohensyburg" (Dortmund) im Ardeygebirge über dem Ruhrtal, auf der "Goethe-Freilichtbühne" (Porta Westfalica) unterhalb des Kaiser-Wilhelm-Denkmals, auf der "Kahle Wart" im Wiehengebirge und auf "Waldbühnen", wie in Heessen. Andere Theater benutzen aufgelassene Steinbrüche, so in Billerbeck, Bökendorf und Hallenberg. Wiederum andere Bühnen nutzen das Ambiente "historischer" Kulissen, wie etwa die "Burgbühne" Stromberg, die seit Jahrzehnten auf den Stufen der Wallfahrtskirche "Heilig Kreuz" ihre Stücke aufführt; darüber hinaus gibt es auch Bühnen in Parks, wie in Schloss Neuhaus und Werne.

Einmalig ist dagegen die Balver Höhle mit ihrer etwa 600 m2 großen Spielfläche, einer Tiefe von 40 m und Platz für über 2.000 Zuschauern. Im Gegensatz zu den anderen Freilichtbühnen wird hier vor der Spielzeit die gesamte Theatertechnik mit Bühnenbild, Maskenzelt, Beleuchtungs- und Tonanlagen in die Höhle "eingebaut", wobei die Höhlendecke sichtbar bleibt. So können die von der Natur geschaffenen Farbtöne auf einzigartige Weise genutzt werden (s. Beitrag Wieneke).

Abb. 2: Freilichtbühne Hallenberg – Aufführung des Musicals ''Anatevka'' 2013 (Foto: Freilichtbühne Hallenberg)

Spielpläne

Inzwischen spielen in der Regel alle Freilichtbühnen in den Sommermonaten neben einem "Erwachsenenstück" mindestens ein "Kinderstück", viele Bühnen üben auch sog. Winterstücke ein, um die dunkle Jahreszeit zu überbrücken oder um zur Advents- und Weihnachtszeit ebenfalls Vorstellungen anzubieten. Daneben haben sich einige Bühnen auf ein bestimmtes Genre spezialisiert.

In den Anfängen und den beiden Jahrzehnten nach 1945 standen zunächst klassische Dramen oder als Schauspiel umgeschriebene Romane und Novellen auf dem Spielplan. Dabei hatten Stücke, die zahlreiche Szenen im "Freien" aufweisen, eine gewisse Dominanz, wie z.B. Schillers "Wilhelm Tell" und "Die Räuber", Shakespeares "Sommernachtstraum", "Romeo und Julia" und "Viel Lärm um Nichts" oder auch Hofmannthals "Jedermann". Vereinzelt wurden auch Stücke von Bertolt Brecht (Dreigroschenoper) oder von Max Frisch (Andorra) aufgeführt. Insgesamt überwog bei den Erwachsenenstücken jedoch die leichte Muse. Spitzenreiter blieben bis heute "Im weißen Rößl", "Charleys Tante" oder das "Wirtshaus im Spessart". Mit dem Aufkommen des Musicals in den 1960er Jahren nahmen viele Freilichtbühnen dieses Genre, u.a. "My Fair Lady", "West Side Story" und "Anatevka" (Abb. 2) in ihr Repertoire auf.

Auf der Freilichtbühne "Kahle Wart" werden heute auch Stücke in plattdeutscher Sprache aufgeführt. Die Bühnen in Stromberg, Billerbeck und Hallenberg inszenieren "Passionsspiele". Dabei hat man sich in Hallenberg entschieden, regelmäßig zu jeder vollen Dekade die "Passion" aufzuführen. Bisher wurden acht Passionen in den Spielplan aufgenommen (Besucherzahl 2000: 42.500, 2010: 38.500).

Aufführungen für Kinder

Die Verbreitung des Massenkommunikationsmittels Fernsehen führte spätestens Anfang der 1960er Jahre zu einem kontinuierlichen Besucherschwund. Um dem entgegenzuwirken, begannen die Bühnen vermehrt Märchen (vornehmlich die der Gebrüder Grimm) als Kinderstücke aufzunehmen. Vereinzelt wurden auch die Streiche von "Max und Moritz" inszeniert. Mit dem Aufkommen des "modernen" Kindertheaters Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre (z.B. Grips-Theater, Berlin) änderte sich an den Freilichttheatern relativ schnell das Repertoire an Kinderstücken. Die Bühnen übernahmen mit Erfolg Theaterfassungen von zeitgemäßen Kinderbüchern erfolgreicher Autoren wie Astrid Lindgren, Otfried Preußler und Michael Ende, ohne dabei (internationale) "Klassiker", wie z.B. Pinocchio, zu vergessen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Etwa ein Dutzend Stücke haben sich dabei als erfolgreiches Fundament etabliert. Der Anteil der Zuschauer von Kinderstücken lag im Jahr 2012 bei 60% (VDF Nord 2013).

Nachwuchsarbeit für die Zukunft

Für den Fortbestand der Freilichtbühnen ist allerdings nicht nur das Theater für Kinder und Jugendliche wichtig, sondern ebenso die Einbindung dieser Altersgruppen in die Theaterarbeit. Bei vielen westfälischen Bühnen nimmt die junge Generation unter Anleitung von erfahrenen Theaterleuten aktiv am Theater-Geschehen teil. Viele der erwachsenen Darsteller von heute haben bereits bei Kinderstücken Theaterluft geschnuppert. Damit wird fortlaufend ein "Reservoir des Nachwuchses" aufgebaut, was gerade im ländlichen Raum, in dem sich viele der westfälischen Freilichtbühnen befinden, vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung von großer Bedeutung ist.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Fotogalerie

(Fotos: Freilichbühne Hallenberg und Christoph Malassa/VDF - Region Nord)

  • (Hallenberg, Passion 2010)

  • (Hallenberg, Anatevka 2013)

  • (Bökendorf, Viel Lärm um Nichts 2013)

  • (Herdringen, Sugar 2013)

  • (Schloß Neuhaus, Rettung des Märchenlandes 2013)

  • (Bellenberg, Charlys Tante 2013)

  • (Herdringen, Max und Moritz 2013)

  • (Heesen, Kleine Hexe 2013)

Erstveröffentlichung 2014, Aktualisierung 2015