Die Arbeit für einen Geheimdienst wird oft als großes Abenteuer dargestellt. Der Spion bewegt sich inkognito hinter den feindlichen Linien und flieht spektakulär mit den geheimen Dokumenten. Das ist nur die eine Seite der Medaille, und die wird auch stark übertrieben. Ich war Spionin im Ersten Weltkrieg, aber mein Arbeitsplatz war – wie unspektakulär – mein Schreibtisch.
Ich war erst seit kurzem in Berlin, als die Feinde des Kaiserreichs uns in den Großen Krieg zwangen. Nachdem ich das Studium in Freiburg mit dem Doktortitel abgeschlossen hatte, kam ich hier hin um als Lehrerin für Staatsbürgerkunde zu arbeiten. Als der Krieg dann ausbrach, eilte ich – wie so viele andere Frauen auch – zum nächsten Bahnhof, um unseren tapferen Soldaten Wasser in die Waggons zu reichen. Aber bald reichte es mir nicht mehr, unseren Jungens das Wasser zu reichen. Ich wollte aktiv meinen Beitrag leisten, den Feind niederzuringen. Darum wollte ich zum Militär.
Also besorgte mir einen Passierschein und reiste zur Westfront nach Brüssel, wo ich ein kleines Zimmer in einem Hotel mietete. Zufälligerweise residierte dort auch der kaiserliche Generalgouverneur Belgiens dort. Na gut, zufällig ist nicht das richtige Wort. Ich suchte bewusst seine Nähe, um ihn von meinen Qualitäten für das Militär überzeugen zu können. Sicherlich halfen mir meine Hartnäckigkeit und meine Zielstrebigkeit dabei. Und das Kämpfen war ich gewohnt. Meinen Wunsch, das Abitur abzulegen um später studieren zu können, musste ich meinen Eltern abtrotzen. Jedenfalls war ich erfolgreich und wurde meinen Stärken gemäß eingesetzt. Sprachen lagen mir schon immer, und so war es meine Aufgabe, die Briefe belgischer Soldaten auf wertvolle Informationen zu überprüfen. Nichts Großes, aber ich habe mein Ziel erreicht. Außerdem sollte ich bald Karriere machen. Die ausführlichen Berichte des „Leutnant Schragmüller“ sorgten bald für Aufsehen in den hohen Kreisen des Nachrichtendienstes. Hauptmann Kefer wollte diesen jungen, aufstrebenden Offizier kennenlernen.
Er staunte nicht schlecht, als er in Brüssel keinen Mann, sondern mich unter dem Namen antraf. Trotzdem erhielt ich eine neue Stelle: Ich sollte die Leiterin des Nachrichtendienstes gegen Frankreich werden, und gehörte damit jetzt offiziell zum deutschen Geheimdienst. Als Leiterin war es allerdings nicht meine Aufgabe, hinter den feindlichen Linien zu agieren, sondern ein Netzwerk aus Informanten aufzubauen und Berichte ans Hauptquartier in Berlin weiterzuleiten. Während sich andere nackt vor fremden Menschen räkelten und das für spionieren hielten, saß ich hinter meinem Schreibtisch und tat Sinnvolles.
Beim Feind hatte ich bald einen Namen: „Mademoiselle Docteur“ wurde ich ehrfürchtig auf der anderen Seite der Schützengräben genannt. In diesem Namen erschöpfte sich aber auch alles, was die Franzosen an Informationen über mich hatten: Frau, jung, unverheiratet, Doktortitel. Das Netzwerk war zwar engmaschig, doch am Ende war es alles vergebene Liebesmüh. Der Krieg ging verloren. Aber auch nach meiner Rückkehr ins Zivilleben hielt ich mich hinsichtlich meiner Tätigkeiten für die Abteilung IIIb bedeckt. Doch irgendwelche windigen Schriftsteller klaubten die paar Informationsbrocken, die über mich zu finden waren, zusammen, und schmückten sie um die unmöglichsten Phantastereien aus. Und plötzlich wurde ich doch dargestellt, wie eine gewisse niederländische „Tempelgöttin“. Auch im wahren Leben nach dem Krieg hielt ich mich bedeckt. Am Ende schied ich auch so aus dieser Welt: Zurückgezogen, still und heimlich entschlief ich 1940 in meiner Münchener Wohnung dem Leben.