Ort: Spinnerei
Themen rund um die Baumwolle - von der Faser über ihre Verarbeitung bis zum fertigen Produkt - stehen im Fokus der Auftakt-Ausstellung. Sie gibt Ausblicke auf künftige Museumsabteilungen. Ausgangspunkt ist die in Europa einmalige Sammlung von Textilgeräten, Mustern, Produktbeispielen und Firmennachlässen, die in den vergangenen 30 Jahren zusammen getragen wurde und nach und nach in Ausstellungen erschlossen wird. Technik, Design, Unternehmer-Geschichten und das Leben der Fabrikarbeiter stehen im Fokus. Hinzu kommen ökologische Fragen, die eng mit der Innovationskraft der regionalen Textilindustrie heute in Verbindung stehen.
Zwischen-Räume: Forum, Architektur & Stadtentwicklung
Wenn man heute über die Erweiterung eines Museums nachdenkt, kommt man unweigerlich zu der Frage, was soll „Museum“ zukünftig in der Gesellschaft für eine Rolle spielen? Was soll es für die Menschen leisten? Die Antwort kann nicht eindeutig sein und fällt je nach den Anforderungen der Umgebung sowie den Aufgaben und Möglichkeiten des Hauses unterschiedlich aus.
Die Tendenz ist jedoch klar: Museum kann und soll zukünftig verstärkt ein Ort des gesellschaftlichen Austausches werden, an dem Diskurs, Partizipation und kulturelle Teilhabe stattfinden. Unsere Antwort mit dem TextilWerk Bocholt lautet daher: Das Museum wird Forum! Dieses neuartige Verständnis von Museum wird deutlich in der Vielfalt unterschiedlichster Veranstaltungen und Ausstellungsthemen, oft auch in ihrem offenen oder experimentellen Charakter, der zum Mitmachen einlädt. Die Architektur des Gebäudes bietet hierzu eine außergewöhnliche Atmosphäre, die den alten Industriebau als „Museumsmaschine“ neu interpretiert, um diese Vielfalt zu gewährleisten. Das Gesamtprojekt ist dabei wesentlich von städtebaulichen Überlegungen getragen, die das TextilWerk als Forum im städtischen Leben erkennt und es als Kern für die Weiterentwicklung des gesamten Quartiers zwischen Innenstadt und Aasee anlegt.
„Ferner Osten“ - Bocholt und die Region
Eine Faser, die aus Übersee importiert werden muss, prägt die wirtschaftliche Entwicklung Bocholts und der gesamten Region. Die Baumwolle liebt die Wärme und die Europäer lieben die Baumwolle wegen ihrer angenehmen Trageeigenschaften. Lange Zeit sind Kleidungsstücke aus Baumwolle eine
Luxusprodukt. Erst die in England entwickelte industrielle Verarbeitung der Faser und ihr Anbau auf Plantagen durch Sklavenarbeit macht sie im Laufe des späten 18. und beginnende 19. Jahrhunderts zu einer preiswerten Massenware. Doch Bocholt profitiert schon zuvor von der „neuen“ Faser. Religionsflüchtlinge bringen die Kenntnis ihrer Verarbeitung im 16. Jahrhundert mit ins Westmünsterland. Hier besitzt man bereits Erfahrung im Spinnen, Weben und Veredeln von Flachs und Schafwolle. Diese gewachsenen Strukturen zwischen Münster und Bocholt begünstigen das schnelle Wachstum des neuen Gewerbes. Auch zählt die Region lange Zeit zum Hinterland, zum Niedriglohngebiet, zum „fernen Osten“ der niederländisch-belgisch dominierten Industrie, in der für den überregionalen Absatz produziert wird. Dass sich die Baumwollindustrie im niederländisch-deutschen Grenzraum jedoch von der Zeit der Handweberei bis heute im globalen Markt behaupten kann, hängt nicht zu letzt mit einer findigen mittelständischen Unternehmerschaft zusammen.
Museum als Ort des Dialogs „Forum Industrie“
Textilproduktion und Deutschland, selten wird diese Verbindung geknüpft. Die Annahme, Textilproduktion sei auf Grund der günstigeren Bedingungen nahezu vollständig in Entwicklungs- und Schwellenländern ausgelagert, ist weit verbreitet. Auch in Deutschland gibt es sie noch, Textilunternehmen die nicht nur vor Ort entwickeln sondern auch produzieren. Im Gegensatz zu anderen Textilregionen behaupten sich im Münsterland eine Reihe von Textilproduzenten, einerseits mit klassischen Heimtextilien aus Baumwolle, andererseits mit Technischen Textilien, die sie gezielt mit ihren Kunden entwickelt haben. „Forum Industrie“ widmen sich den Firmen der Region und richten den Blick auf Gegenwart und Zukunft der münsterländischen Textilindustrie.
Beispielhaft werden aus dem Spektrum Firmen heraus gegriffen und präsentiert. Ausgewählte Produkte, Innovationen, spezifisches Know How und die kreativen Köpfe dahinter stehen dabei im Vordergrund. Den Unternehmen wird die Möglichkeit geboten, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren und in Dialog zu treten. So kann ein Austausch entstehen – nicht nur unter Fachleuten sondern auch mit einem breiten Publikum. Die Spinnerei Herding versteht sich als Plattform, auf der es möglich werden soll dadurch neue Verbindungen und neue, kreative Potentiale entstehen zu lassen. „Forum Industrie“ will für die textile Innovationskraft und für die kreativen Potentiale der textilen Welt begeistern.
Grenzenlos: Internationaler Arbeits- und Wissenstransfer
Die Baumwollverarbeitung ist schon immer ein internationales Geschäft. Doch nicht nur Rohstoffe legten dabei einen weiten Weg zurück. Auch Arbeitskräfte und technisches Wissen mussten häufig aus dem Ausland beschafft werden. Standen nicht genügend Arbeiter zur Verfügung, waren Unternehmer wie die im Westmünsterland auf Pendler, Saisonarbeiter oder Arbeitsmigranten angewiesen. Sie kamen von weit her, direkt aus dem grenznahen Raum oder migrierten aus anderen Textilzentren und brachten ihr Know-how mit. Dieses Wissen um modernste Verarbeitungstechnik begehrten die einen und die anderen versuchten es zu schützen. Fabrikanten „kauften“ deshalb ausländische Techniker und Architekten samt ihrer Fachkenntnisse ein, erwarben teuren Lizenzen oder gingen selbst im Ausland in die Lehre. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war England Vorreiter in den meisten Sektoren der Textilindustrie. Das Wissen um Maschinenbau und Herstellungstechnik wurde vom Rest Europas, falls nötig, auch illegal beschafft. Industriespionage ist ebenso wie Arbeitsmigration nicht erst ein Phänomen des 20. Jahrhunderts.
Muss ich mir das anziehen? Ethik, Ökologie & Nachhaltigkeit
Längst konkurrieren Menschen weltweit um Arbeitsplätze. Fabriken werden in Billiglohn-Länder verlegt, hoch qualifizierte Arbeitskräfte umworben. „Geiz ist geil“, deshalb behaupten sich nur die Firmen mit den besten Preisen am Markt. Wie kann es gelingen, allen ein Auskommen und ein Leben in Würde zu ermöglichen? Im Oktober 2011 wächst die Menschheit auf sieben Milliarden an. Die Ressourcen der Natur sind jedoch begrenzt. Noch vor dem Erdöl wird Trinkwasser knapp. Zudem beschleunigt sich dank unseres westlichen Lebensstils der Klimawandel rasant. Wie gehen wir damit um? Am Beispiel von Produktion und Konsum von Textilien setzt sich dieses Museum mit solch grundlegenden Fragen auseinander.
Ein Schatz für die Zukunft: Das Museum als Wissensspeicher
Jahrzehntelang war die Textilindustrie die führende Konsumgüterindustrie, beschäftigte sie mehr Menschen als Eisen und Stahl. Ihr Rückgang auf das Niveau einer Basisindustrie hinterließ ein gewaltiges Erbe, das vom LWL-Industriemuseum seit Mitte der 1980er Jahre systematisch gesammelt und bewahrt wurde. Dazu gehört eine große Maschinensammlung, in der sich das breite Spektrum textiler Produktion zwischen Garnerzeugung und Textilveredlung widerspiegelt. Umfangreiche Musterbestände, Maschinenkataloge, Betriebsakten und Fotografien dokumentieren Kreativität und Arbeit der Menschen, die in dieser Großindustrie Identität und Lebensunterhalt fanden. Heute gilt es, die „Modernität der Tradition“ zu erkennen und das ungeheuere technische und kulturgeschichtliche Wissen, das diesem Erbe entspringt, an kommende Generationen weiterzugeben.
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Bekleidung & Mode - das ist die „Verbindlichkeit des Vorübergehenden“. In einer anonymisierten Gesellschaft, in der soziale Differenzierungen immer weniger von objektiven Gegebenheiten abhängen, definiert sich der Einzelne im Wesentlichen über seine Mode. Die Teilhabe an Ideale und Trends vermittelt dem Gegenüber den entscheidenden ersten Eindruck. Doch Trends sind nicht einfach da – sie werden gemacht. Trend-Research-Teams klären, was die kommerziell verwertbaren Aussagen der Kleidung sein werden. Ihre Empfehlungen sind mehr als bloße Farb-, Linien und Materialzusammenstellungen. Analysiert werden Stimmungen und Philosophie der kommenden Mode. Hinter solchen Teams steht eine gewaltige, global agierende Industrie. Wechsel müssen hier präzise, schnell und umsetzbar sein. Fehler in der Inspiration kann sich das einzelne Unternehmen nicht leisten. Im internationalen Vergleich belegt Deutschland beim Export von Textilien und Bekleidung gemessen am Wert Platz 4 nach China, Hongkong und Italien. Beim Import nimmt Deutschland die zweite Stelle hinter den USA ein. Die mittelständisch strukturierte Textil- und Bekleidungsindustrie ist die zweitgrößte Konsumgüterbranche in Deutschland. Etwa 16,1 Milliarden Euro betrug ihr Umsatz allein 2010. Entworfen in den Büros der Konzerne, produziert dort wo es billig ist, verkauft in den Boutiquen und Warenhäusern Welt – das ist Mode. Doch die Frage nach Individualität stellt sich immer wieder neu – im Vorübergehen.
Begleitend zur Ausstellung werden an zwei Abenden unter dem Titel "Aus aller Herren Länder" thematische Führungen angeboten, die mit einem gemeinsamen Abendessen im Café der Spinnerei enden. Der erste Abend in dieser Reihe am 18.10. widmet sich der Erfolgsgeschichte des Bocholter Unternehmers Sel Lövenstein. Am 9.11. dreht sich alles um die italienischen Gastarbeiter, die in Bocholt ein neues Zuhause gefunden haben. Zur Teilnahme an den Führungen ist eine Anmeldung erforderlich.
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