Ort: Spinnerei
Dutzende historische Maschinen aus der Textilproduktion hat das LWL-Industriemuseum in seiner Sammlung – so unterschiedlich ihre Funktion auch auch war, eins haben die meisten Relikte der Technikgeschichte gemeinsam – sie sind „textile Schwergewichte“. Die Schau in der Spinnerei zeigt Impressionen vom Sammeln und Bewahren. Anke Hochgartz und Berthold Socha haben aus ihrem Archiv analoger Schwarz-Fotografien solche für die Schau ausgewählt, die ungewöhnliche Perspektiven auf die Entstehung der Spinnerei und das textile Erbe eröffnen.
Anlass ist der 65. Geburtstag von Arnold Lassotta (s.u.), des im letzten Jahr verstorbenen wissenschaftlichen Referent des LWL-Industriemuseums. Er hat in 25 Jahren Museumsarbeit Maschinen, Archivnachlässe, Fotos und Filmdokumente zusammengetragen, Interviews mit Gewährsleuten geführt und so einen gigantischen Schatz für die Nachwelt gerettet. Die Fotografien von Hochgartz und Socha machen die Liebe zum stofflichen Material als auch zu den schweren Maschinen deutlich. Ihre individuellen Ausschnitte machen aus textilen Abdeckungen liebevolle Umhüllungen und aus Maschinenteilen eigenständige Skulpturen.
Anke Hochgartz
(Jahrgang 1961) wurde bereits als sehr junges Mädchen in der elterlichen Textilfabrik mit den Schwergewichten dieses Industriezweiges konfrontiert.
Beruflich setzt sie sich als Modellmacherin für Bekleidung mit Stoffen und Formen auseinander. Die Bekanntschaft zum Textilmuseum Bocholt eröffnete ihr die Möglichkeit, ihre Empfindungen, die sie zu den Maschinen hat und den Dingen, die sie mit einem Textilwerk oder auch mit Stoffen verbindet, in ihre fotografisch - künstlerische Auseinandersetzung einzubringen.
Die Liebe zur analogen S/W-Fotografie führte zu einer Bildgestaltung, die einen neuen Ansatz des Sehens und Begreifens einer musealen Sammlung gibt. Anke Hochgartz verleiht den Maschinen mit den für den Betrachter seltsamen Strukturen eine Würde. Die derben Abdeckungen der Maschinen werden zu liebevollen Umhüllungen. Den neuen Räumen des Hauses Herding gibt sie eine Größe und weckt damit Neugierde auf die kommenden Dauerausstellungen.
Ein ausführliche Interview mit Anke Hochgartz aus der Reihe AutoBiografien finden Sie hier.
Berthold Socha (DGPh)
(Jahrgang 1940) hat sich bereits in vielen Ausstellungen künstlerisch mit fotografischen Themen auseinandergesetzt. In Narvik, Tokio, Budapest oder auch in vielen Museen waren seine Werke zu sehen. Er zeigte seine Arbeiten darüber hinaus an den einzelnen Standorten des LWL - Industriemuseums. So 2008 in der Ausstellung „Bekleidet – Verkleidet“ in der Spinnerei des Museums in Bocholt.
Gemeinsam mit Anke Hochgartz sind Aufnahmen in dem aufgelösten Magazin Rive und im neuen TextilWerk in den Jahren 2010 und 2011 entstanden. Viele der präsentierten Aufnahmen stammen aber bereits aus dem Jahr 1981, gemacht in der Fa. Büning in Borken. Geradezu skulptural wirken Maschinenteile oder auch die vom Staub bedeckten Webstühle in der noch zum Teil produzierenden Fabrik. Socha lernte Orte der Textilindustrie durch seine berufliche Tätigkeit als Referent der Kulturabteilung des LWL kennen und setzte sich dann mit diesen kraftvollen Schwergewichten künstlerisch auseinander.
Als wissenschaftlicher Referent arbeitete Arnold Lassotta seit 1984 im Westfälischen Industriemuseum und prägte damit die Gründungsphase dieses Hauses. Er betrieb den Aufbau des Textilmuseums in Bocholt, für dessen Neubau 1984 die Entscheidung gefallen war. Mitten im Strukturwandel der Textilindustrie sollte nun dieser für das Westmünsterland äußerst wichtige Industriezweig mit Gebäuden, Maschinen und den Produkten museal für Besucher erlebbar gemacht werden. Es war in Deutschland ein völlig neues Vorhaben.
Nun galt es, museal interessante Relikte aus dem Bereich von Spinnerei, Weberei und Textilausrüstung zu sammeln. Maschinen und Textilien aus der Vorkriegszeit waren allerdings bereits sehr selten geworden. Der Grundbestand konnte vor allem aus zwei Firmen übernommen werden: Gebr. Büning in Borken (Dampfmaschine, Webstühle, Ausrüstungsmaschinen) und Fa. Schümer in Schüttorf (Webstühle, Ausrüstungsmaschinen).
Die folgenden Jahre und Jahrzehnte standen im Zeichen den Sammelns und Bewahrens. In Dutzenden Firmen konnten Einzelmaschinen, Archivnachlässe oder auch Bauteile beim Abbruch geborgen werden. Immer wurden sie von Arnold Lassotta fotografisch oder auch filmisch dokumentiert und in Interviews die Informationen der Gewährsleute gesichert. Ein gigantischer Schatz wurde auf diese Weise für die Nachwelt gerettet.
Mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze ergaben sich ab 1991 unglaubliche Perspektiven. Historische Maschinen, die im Westen schon lange verschrottet waren, fanden sich in der DDR noch in kompletten Produktionsbetrieben erhalten: Von der Webeblattbinderei als Handwerksbetrieb über die Gurtweberei in Schlotheim bis zu Spinnmaschinen, Druckwalzenherstellung, Packbleiche und zahlreichen Ausrüstungsmaschinen.
Gemeinsam mit dem Museumsleiter Wolfgang Schründer, den Museumsmitarbeitern und mit Hilfe des Förderkreise Westfälisches Textilmuseum konnte Arnold Lassotta vieles für das Textilmuseum retten. Die Objekte haben jetzt auch schon eine über 20jährige Museumsgeschichte hinter sich. Die zum Teil schwierige Depotsituation konnte durch die nun abgeschlossenen Umlagerungen gelöst werden. Ausschnitte aus der Geschichte der Exponate, aus der gewaltigen körperlichen Arbeit und aus dem geschaffenen Museumsschatz haben Berthold Socha und Anke Hochgartz fotografisch festgehalten. Wir zeigen sie gemeinsam mit einer kleinen Auswahl Dokumentationsfotos von Arnold Lassotta, um aus Anlass seines 65. Geburtstages, den er im Oktober 2012 gefeiert hätte, seinen unermüdlichen Einsatz für das Textilmuseum Bocholt zu würdigen.
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