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10. Wirkung, Deutung, Erinnerung

 
 
Mit dem Tode Steins war die Wirkung seines Lebens nicht abgeschlossen. Sein Handeln hatte Spuren hinterlassen, die einer Deutung bedurften. Aus der Würdigung seines Wirkens leitete sich eine Erinnerungspflege ab. Georg Heinrich Pertz (1795-1876), der wissenschaftliche Leiter der Monumenta-Edition, nahm sich als erster der Aufgabe einer umfassenden Beschreibung von Leben und Werk vor und legte 1849-1855 eine siebenbändige Biografie vor. Er verwertete ausgiebig das Quellenmaterial, das ihm die Töchter Steins aus dem Nachlass zur Verfügung stellten und zeichnete das Bild eines antirevolutionären Nationalliberalen, dem die Restaurationspolitik der Berliner Regierung zuwider war. Mit Pertz begann die Inanspruchnahme Steins für die verschiedensten politischen Strömungen. Ernst Moritz Arndt (1769-1860), der Weggefährte im russischen Exil, begründete 1858 mit der Niederschrift seiner Lebenserinnerungen die Gattung der Stein-Hagiografie.

In den preußischen Verwaltungsreformen der 1870er Jahre erlebte Steins Selbstverwaltungsidee eine Renaissance. Die Liberalen, darunter Eugen Richter (1838-1906), griffen bei der Diskussion der Kreisordnung von 1872 und der Provinzialordnung von 1875 auf die Konzepte des Reformers und die Städteordnung von 1808 intensiv zurück. Dem Begriff der Selbstverwaltung fehlte es aber an Eindeutigkeit, gebrauchten ihn doch die Konservativen zur Bezeichnung der Unabhängigkeit der Rittergutsbesitzer und die Regierungsvertreter als Argument für die Befreiung der Landräte vom Einfluss der Kreisstände. Die Liberalen dürften Stein in ihrem Verständnis am nächsten gekommen sein, denn sie dachten dabei an die Leitung der Gemeinden durch gewählte Vorsteher und Schöffen sowie an freie Wahlen der Kreis- und Provinzialvertretung.
Die mehrbändige  Biografie von Pertz ist im Internet-Portal online verfügbar



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Hinweisschild auf den "Freiherr-vom-Stein-Pfad" in Frücht, 2007
 
 
Prominente Liberale wie Eduard Simson (1811-1899), Florens Heinrich von Bockum-Dolffs (1802-1899) und Rudolf von Gneist (1816-1895) gehörten dem 1858 in Berlin gegründeten "Centralausschuss" für die Errichtung eines Stein-Monuments an, das am 26.10.1875 - aus staatlichen Mitteln unterstützt - auf dem Dönhoffplatz eingeweiht wurde. Die darauf dargestellten Motive bezogen sich auf die wichtigsten Reformedikte, den Befreiungskrieg und die Eröffnung des westfälischen Provinziallandtags. Mitglieder der Königsfamilie, die Kaiser Alexander und Franz, hohe Militärs, Regierungsvertreter (der von Stein gehasste Hardenberg fehlte) und Freunde waren abgebildet. Drei Jahre zuvor (1872) war in Nassau unterhalb der Ruinen der Steinschen Stammburg ein Denkmal enthüllt worden, auf dem sich die Inschrift befand, die der Schulreformer Johann Wilhelm Süvern (1775-1829) zu Stein gedichtet hatte: "Des Guten Grundstein, des Bösen Eckstein, des Deutschen Edelstein". Die Enthüllung erfolgte in Gegenwart von Kaiser Wilhelm I. Anwesend war auch der Reichskanzler Otto von Bismarck. Eine kurze Festrede hielt der Bonner Historiker Heinrich von Sybel, für den Stein ein Heros der Reichseinheit darstellte.

In die Zeit des Kaiserreichs fallen einige umfangreiche Biografien und wissenschaftliche Werke zu Stein. Sie reflektieren stark den deutsch-französischen Antagonismus bzw. den Nationalismus, verzeichnen jedoch auch wissenschaftliche Fortschritte. In vier Bänden stellte der Cambridger Historiker John Robert Seeley (1834-1895) im Jahre 1878 Stein als Liberalen und Napoleongegner vor. War der dezidierte Feind der Franzose gleichwohl von Ideen der Revolution beeinflusst? Diese Frage führte zu einer heftigen Kontroverse zwischen dem Juristen Ernst von Meier (1832-1911), der 1881 ein Werk über die Reform der Staatsverwaltung unter Stein und Hardenberg vorlegte, und dem Archivar Max Lehmann (1845-1929), der 1902-1907 eine dreibändige Biografie zu Stein veröffentlichte. Letzter sprach von einer Nachahmung der französischen Gesetzgebung durch Stein, dessen Bedeutung er gegenüber dem schwachen König Friedrich Wilhelm III. heraushob. Ernst von Meier leugnete den Einfluss vehement. Zu dem Konflikt ist anzumerken, dass Stein bei aller Animosität gegenüber dem Charakter der Nachbarnation in der Lage war, brauchbare Elmente z. B. der französischen Munizipalverfassung für die preußische Städteordnung zu übernehmen.

Eine politische Inanspruchnahme Steins erfolgte durch Hugo Preuß (1860-1925), Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei, der von Friedrich Ebert (1871-1925) mit dem Entwurf der Weimarer Reichsverfassung beauftragt wurde. Wie sein Lehrer Otto von Gierke (1841-1921) sah Preuß in der Städteordnung das Konzept des Wandels vom anstaltlichen zum genossenschaftlichen Staat mit einer dezentralisierten Selbstverwaltung. Dieser Deutung konnte sich auch die Sozialdemokratie anschließen. Für Hugo Preuß war Stein "Deutschlands größter innerer Staatsmann", dessen Leitbild ein von Grund auf sich "demokratisch selbst regierender Staat" war.
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Enthüllung des Stein-Denkmals auf dem Dönhoff-Platz in Berlin am 26.10.1875


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Einweihung des Denkmals für den Freiherrn vom Stein in Nassau von Pfuhl und Zais
 
 
Steins hundertstes Todesjahr (1931) wurde als nationales Ereignis gefeiert. Schulen wurden nach ihm benannt, Gedenkmedaillen und -plaketten ausgegeben. Einen vergleichbaren Boom an Ehrenbezeugungen hatte es 1907, dem 150. Geburtsjahr, nicht gegeben. Damals wurde die knapp hundert Jahre zuvor (1808) verabschiedete Städteordnung in einer Flut von Gedenkreden und Gedenkartikeln, aber auch durch fundierte wissenschaftliche Werke (so von Paul Clauswitz, 1839-1927) gewürdigt. Im Jubiläumsjahr 1931 erschien die bis heute als Standardwerk gültige zweibändige Biografie von Gerhard Ritter (1888-1967), in der Stein als nationaler Heros gezeichnet wird, dessen Denken im Alten Reich verwurzelt und unabhängig von französischen Vorbildern ist. Er begrenzte dessen Leistungen auf die Innenpolitik und wertete Otto von Bismarck als den größeren Geist.

Gegen die altständische Deutung meldete Franz Schnabel (1887-1966) Bedenken an, der Stein als konstitutionellen Liberalen begriff. Bemerkenswert für die Spannweite der Deutung des preußischen Staatsmannes ist es, dass die "Weltbühne" einen Artikel nachdruckte, in der der Spartakist Franz Mehring (1846-1919) Stein bei aller Rückwärtsgewandtheit wegen seines Patriotismus und seiner Durchsetzungskraft gegenüber dem stumpfsinnigen König lobte. Wenn eine jüdisch-liberale Zeitung Stein in diesem Jubiläumsjahr zum Vorkämpfer der Juden-Emanzipation machte, so beruhte dies auf einem Irrtum, denn zu den dunklen Seiten der Persönlichkeit Steins gehörte ein unübersehbarer Antisemitismus. Den Gipfel eines missbräuchlichen Rückgriffs stellte die Deutsche Gemeindeordnung auf, die sich in ihrer Präambel auf Stein berief und das Ethos der Selbstverantwortung der Bürger durch das Führerprinzip ersetzte. Positive Erwähnungen Steins durch Adolf Hitler (1889-1945) und Alfred Rosenberg (1893-1946) sind schon in der Weimarer Zeit zu finden. Der Historiker Erich Botzenhart (1901-1956), der in diesen Jahren die verdienstvolle erste Gesamtausgabe des Schrifttums auf den Weg brachte, erklärte Stein zum Ahnherrn des Nationalsozialismus bzw. Hitlers.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stand 1957 die Feier des zweihundertsten Geburtsjahres an. Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ließ die Veranstaltungen durch einen eigenen Beauftragten koordinieren. Fünf Jahre zuvor, 1952, war die Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft gegründet worden, der eine initiierende Rolle zu den Feiern zukam. Unter dem Patronat des Ministerpräsidenten fand eine Ausstellung und eine Veranstaltung auf Schloss Cappenberg statt. Im Rahmen eines Erinnerungskultes wurde in Hagen der Freiherr-vom-Stein-Turm restauriert. Pädagogische Modelle wurden diskutiert, wie Stein Schülern und Schülerinnen nahegebracht werden könnte. Auf einer zentralen Feier in Berlin war der Bundespräsident Theodor Heuss (1884-1963) anwesend, der Historiker Hans Rothfels (1891-1976) hielt einen Festvortrag.
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Wetter: Freiherr-vom-Stein-Feier am Rathaus, 1931


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Postkarte der Deutschen Reichspost zur Erinnerung an den 100. Todestag des Freiherrn vom Stein, 8 Pf, Ortsstempel "Mittweida", 13.10.1931, 1931


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Medaille auf den 100. Todestag des Freiherrn vom Stein, 1931


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Sonderbriefmarke der Deutschen Post der DDR mit dem Porträt des Freiherrn vom Stein in der Reihe "Deutsche Patrioten", 16 Pf, 1953
 
 
Die Geschichtsschreibung der DDR nahm Stein für sich in Anspruch und stellte die Revolutionsgesinnung in dem zum Befreiungskampf auffordernden Aufruf "An die Deutschen" von 1813 heraus. Der Stellenwert Steins im Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft beschäftigte 1981 eine Tagung der namhaftesten Historiker in der DDR. Auf bundesrepublikanischer Seite blieben die Aktivitäten hinter denen von 1957 zurück. Hier wurde, bezeichnend für den Zeitenwandel, eine neue Perspektive entdeckt: Stein - ein Europäer (so Kurt Biedenkopf auf einem Festvortrag im Landeshaus zu Münster). Wiederum gab es auf Schloss Cappenberg eine Gedenkfeier und in Berlin eine Veranstaltung unter Teilnahme des Bundespräsidenten Karl Carstens.

Wissenschaftlich hat die Stein-Forschung durch die von Walther Hubatsch betreute Neuausgabe des Schrifttums Impulse und Möglichkeiten erhalten. Der Reformer selbst erfuhr in den 1970er Jahren in der Würdigung seiner geschichtlichen Leistungen eine Abwertung (Barbara Vogel, Hans-Ulrich Wehler), die aber mittlerweile wieder relativiert worden ist (Paul Nolte, Heinz Duchhardt). Die von Duchhardt rechtzeitig zum 250. Jubiläum des Geburtsjahres vorgelegte Biografie zeigt die ganze Komplexität der Persönlichkeit Steins auf, die sich jeder Etikettierung entzieht. Dass sich so verschiedene politische Gruppierungen auf ihn beziehen konnten, ist zum Teil darauf zurückzuführen. Im übrigen erklärt sich jede Rezeption auch aus dem Standpunkt des Betrachters. Dank der Schriften der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft sind in den vergangenen Jahren einige Publikationen zu Einzelaspekten aus dem Leben und Wirken Steins entstanden (z. B. von Alfred Hartlieb von Wallthor). Westfalen scheint sich als ein Forschungsstandort herauszukristallisieren, nicht nur, weil sich in Münster der archivalische Nachlass befindet, sondern weil Stein hier als Verwalter, als Mitglied von Kreistagen und des Provinziallandtags, als Glied eines Netzes von Freunden und Gleichgesinnten sowie als Gutsherr eine Wirksamkeit entfaltet hat, deren Erforschung neue Erkenntnisse liefern kann.
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Sonderbriefmarke der Deutschen Post der DDR mit dem Porträt des Freiherrn vom Stein in der Reihe "Nationaler Befreiungskampf", 20 Pf, 1963

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Gedenkmünze der Staatsbank der DDR zum 150. Todestag des Freiherrn vom Stein, 20 M, 1981

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Sonderbriefmarke der Deutschen Post zur Erinnerung an den 250. Geburtstag des Freiherrn vom Stein, 145 Eurocent, 2007