"Westfalen im Bild" - Texte

Neumann, Klaus
Franz von Papen
Der "Steigbügelhalter" Hitlers
Münster, 1991



Einleitung

"Während Ihrer leider nur halbjährigen Tätigkeit als Reichskanzler und als Reichskommissar für Preußen habe ich Ihre hingebende und verantwortungsfreudige Arbeit, Ihre selbstlose Vaterlandsliebe und Ihre vornehmen Charaktereigenschaften hochschätzen gelernt", heißt es im Entlassungsschreiben des Reichspräsidenten von Hindenburg an Franz von Papen [1]. So unumwunden positiv sind dessen Person und politisches Wirken selten beurteilt worden. Der historischen Forschung ist Franz von Papen sehr viel eher "als Mensch wie als Politiker intellektuell und moralisch höchst suspekt" geblieben [2].


Jugend und Offizierslaufbahn

Franz von Papen wurde am 29.10.1879 in Werl geboren. Seit dem 15. Jahrhundert bewirtschaftete die Familie von Papen in der Nähe der Stadt ein Rittergut. Von Kindheit an war der Sohn entschlossen, als Soldat beruflich in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Nach den ersten Schuljahren in seiner Heimatstadt wechselte er 1891 auf die Kadettenschule in Bensberg. 1895 wurde er - nun Unteroffizier - in das Hauptcorps nach Berlin-Lichterfelde versetzt. Als einer der 90 Besten seines Jahrgangs durfte er in das königliche Pagencorps eintreten. Verbunden mit der Ernennung zum Leutnant kam die Versetzung zu den 5. Ulanen nach Düsseldorf, einem feudalen Kavallerieregiment, in dem schon der Vater gedient hatte. Wegen seiner reiterlichen Leistungen wurde von Papen für 2 Jahre an die Kavallerieschule Hannover abkommandiert. Das Reiten blieb sein Leben lang seine Leidenschaft, auch wenn er es als Hindernisreiter aktiv nur einige wenige Jahre betrieb. 1905 heiratete er eine Tochter des Saarindustriellen von Boch-Galhau. Angespornt von den kulturellen und gesellschaftlichen Ansprüchen des Schwiegervaters widmete er sich dem Studium von Fremdsprachen und bewarb sich bei der Kriegsakademie in Berlin. 1913 schloß er die Ausbildung zum Generalstabsoffizier ab.

Anfang 1914 trat er den Posten des Militärattachés für die USA und Mexiko in Washington an. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges machte ihn sein Amt zu einer der zentralen Figuren der deutschen Propaganda und Spionage in den USA. Es blieb nicht aus, daß er mit den Gesetzen des Gastlandes in Konflikt geriet. Im Dezember 1915 wurde er als unerwünschte Person aus den USA ausgewiesen. Von Papen fand sich bald darauf als Bataillonskommandeur an der Westfront wieder. Die Versetzung war kein Avancement, denn mit seinem offenen und beherzten Eintreten gegen eine Ausweitung des U-Boot-Krieges hatte er sich nach der Rückkehr aus den USA den Unmut seiner militärischen Vorgesetzten zugezogen. Zudem hatte seine Fahrlässigkeit der englischen Propaganda zu einem glücklichen Fund verholfen. Persönliches Schriftgut, das er bei der Überfahrt aus den USA bei sich führte und das ihm bei der Ankunft in England abgenommen wurde, vermittelte Eindrücke in die deutsche Agenten- und Spionagetätigkeit in den USA. Seine Versetzung an die Palästinafront 1917 konfrontierte ihn erstmals wieder mit Generalstabsaufgaben. 1918 stieg er, inzwischen im Majorsrang, zum Chef des Generalstabs der 4. türkischen Armee auf.

Die Revolution kam für den überzeugten Monarchisten und Soldaten einem Zusammenbruch aller Werte gleich. "Alles, woran wir seit Generationen geglaubt, wofür wir gelebt und gekämpft hatten, schien vernichtet." [3] Im März 1919, von Papen war inzwischen 40 Jahre alt, reichte er freiwillig seinen Abschied.


Als deutschnationaler Grenzgänger im katholischen "Zentrum"

Es zog ihn aufs Land; in der Nähe von Dülmen pachtete er das Gut Haus Merfeld. Von Papen fühlte sich wohl hier inmitten des von Katholizismus und politischem Konservatismus geprägten westfälischen Bauerntums. Der Republik, der neuen demokratischen Ordnung und dem modernen großstädtischen Leben stand man übereinstimmend distanziert gegenüber, das Verständnis der Sozialbeziehungen orientierte sich noch ganz an vorindustriellen Verhältnissen. Von Papen engagierte sich bald in Alltagsfragen: er setzte sich für die Verbesserung der Verkehrswege ein, für Kultivierungsarbeiten, für die Elektrifizierung. Seine Aktivitäten führten ihn nach kurzer Zeit in die Vorstände des Westfälischen Bauernvereins und der Landwirtschaftskammer Westfalen. Freunde - wie der Bauernvereinsvorsitzende Kerckerinck zur Borg - drängten ihn zur Kandidatur für den preußischen Landtag. Die Bauernorganisationen waren 1920 allgemein bestrebt, ihre Standesvertreter auf den Kandidatenlisten der Parteien unterzubringen, um ihre politischen Interessen durchzusetzen. Die Übernahme eines Mandats konnten sich allerdings nur finanziell besser gestellte Personen - wie von Papen - leisten, bedingte es doch längere Perioden der Abwesenheit vom Hof. Von Pagen konnte zudem für sich in Anspruch nehmen, über weitreichende Beziehungen zu verfügen.

Franz von Papen schloß sich der Zentrumspartei an. Über den Wahlkreis Westfalen-Nord zog er 1921 in den Preußischen Landtag ein. Die Fraktion entsandte den Parlamentsneuling sofort in den Hauptausschuß, wo er sich vor allem um die haushaltspolitischen Belange der Agrarwirtschaft kümmerte.

Die deutsche Landwirtschaft litt zu Beginn der 20er Jahre in besonderem Maße unter der stetigen Geldentwertung. Sie mußte ihre Erzeugnisse jeweils nach der Ernte verkaufen, wohingegen die erzielten Verkaufserlöse mit der Zeit wertmäßig schrumpften. Von Papen führte die fortschreitende Inflation zu Recht auf die Reparationsverpflichtungen zurück. Die Grenzen der "Erfüllungspolitik" zog er dort, wo nach seiner Ansicht die Souveränität des Landes und die Lebensfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf dem Spiel standen. Er setzte sich damit als Interessenvertreter unzweideutig in Gegensatz zu der Politik der von seiner Partei geführten Reichsregierung. Von Papen forderte die Einführung von Schutzzöllen für landwirtschaftliche Produkte, obwohl der Versailler Vertrag diese untersagte. Er trat für die Aufhebung der Getreidezwangswirtschaft im Innern und den Abbau staatlicher Kontrollen ein; den Bauern sollte statt dessen freie Hand gelassen werden. Seine agrarpolitischen Vorstellungen lassen ihn als getreuen Verfechter der standespolitischen Interessen der Agrarverbände erscheinen. Für diese war diejenige Wirtschaftspolitik die richtige, die der Landwirtschaft am meisten nützte.

Seine agrarpolitischen Vorschläge brachten ihn in einen dauerhaften Gegensatz zur SPD, die um der Sicherstellung der Ernährung willen eine staatliche Kontrolle des Binnenmarktes forderte und dessen Öffnung nach außen propagierte. Von Papen hat aus seiner Gegnerschaft zur SPD im übrigen nie einen Hehl gemacht, auch wenn er bis 1924 die Politik der preußischen Regierungskoalition aus SPD, Zentrum, Volkspartei und Demokratischer Partei loyal mitgetragen hat. Die Verluste der SPD und die gleichzeitigen Gewinne der Deutschnationalen Volkspartei bei den Reichs- und Landtagswahlen des Jahres 1924 veranlaßten ihn, das Zentrum zur Aufkündigung der Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie aufzufordern. Von Papen wollte auch für Preußen eine Mitte-Rechts-Regierung, wie sie im Reich amtierte. War er bis dahin innerparteilich wenig hervorgetreten, entwickelte er sich nun zum hartnäckigsten und engagiertesten Verfechter einer Bürgerblockregierung mit der DNVP. Durch Abwesenheit bei wichtigen Abstimmungen im Landtag demonstrierten Papen und eine kleine Schar von Mitstreitern ihre Entschlossenheit, ihren Standpunkt durchzusetzen. Der maßgeblich von ihnen zu verantwortende Rücktritt des Kabinetts Braun leitete im Januar 1925 eine fünfmonatige Regierungskrise in Preußen ein. Innerparteilich lösten Papen und die anderen Dissidenten vom rechten Rand des Zentrums einen heftigen Richtungsstreit aus. Die sich anbahnende Krise in der Zentrumspartei nahm indes einen unverhofften Ausgang: die Deutschnationalen zogen ihre Minister aus der Reichsregierung zurück. Damit war Papens Anstrengungen die Grundlage entzogen. In der Zentrumspartei blieb er fortan isoliert. Seine aktive politische und publizistische Unterstützung für Generalfeldmarschall von Hindenburg im Wahlkampf um die Reichspräsidentschaft - und gegen den Zentrumsvorsitzenden Marx - unterstrich, daß Papen als Monarchist im Zentrum die Partei vorrangig auf seine Linie einer Bürgerblockregierung festlegen wollte.

Die Isolierung, in die Papen sich gebracht hatte, berührte ihn wenig. Im Generalstab habe er gelernt, die "sorgfältig gebildete eigene Meinung auch dann zu vertreten, wenn es unbequem sei", rechtfertigte er seine Haltung später in seinen Erinnerungen [4]. Es widerstrebte seinem ausgeprägten Individualismus, sich - auch als politischer Mandatsträger - "sklavisch" einem Parteiprogramm zu verpflichten oder sich gar der Fraktionsdisziplin zu unterwerfen. Sein Handeln bestimmte sich einzig aus seinem subjektiv-eigenständigen, eigenwilligen Verantwortungsgefühl gegenüber dem Staat. Wir begegnen hier bei Papen einem gerade in Adelskreisen nach 1919 verbreitet anzutreffenden nationalen Sendungs- und Verantwortungsbewußtsein, das, Relikt einer Epoche, in der das Gemeinwesen noch auf personalen Bindungen aufbaute, strikt zwischen dem Staat und der politischen Ordnung unterschied. Von Papen "hielt es für seine Pflicht, dem Lande zu dienen" und dies "auch im Unglück und da erst recht" [5]. Er trat deshalb 1920 bewußt dem Zentrum bei. Die - anfänglich - totale Verneinung des neuen deutschen Staates durch die DNVP, der er ansonsten politisch und ideologisch weit näher stand, war er nicht bereit zu teilen. Gleichwohl wollte er sein Engagement nicht als Identifikation mit der neuen politischen Ordnung verstanden wissen. Die parlamentarische Demokratie lehnte er ab. Sie war für ihn ein westlicher Import, der deutschen Traditionen fremd war. Der Idee der Volkssouveränität verweigerte er sich, den Gleichheitsgrundsatz wies er zurück.

Die Staatsgewalt legitimierte sich für ihn weiterhin durch Gott und das Naturrecht. Christliche Politik erforderte nach seinem Selbstverständnis die Rückkehr "zur gottgewollten Autorität" und beanspruchte das sittliche Recht der Minderheit, sich "niemals einer mechanisch-zentralistischen Mehrheit" beugen zu müssen [6]. In einseitiger Auslegung der katholischen Staats- und Gesellschaftslehre konstruierte er einen Gegensatz zum Parlamentarismusgedanken. Durch Rezeption gängiger rechtskonservativer Theorien seiner Zeit hat Franz von Papen - in Verknüpfung mit seiner streng katholischen Einstellung - versucht, ein theoretisches Fundament für seine rückwärtsgewandten ständestaatlichen Zielsetzungen zu zimmern. Hinter dieser verbissenen Verteidigung der Vorrechte des Adels und dem Bekenntnis zur Monarchie verbargen sich das Unvermögen und die Weigerung, den gesellschaftlichen Umbruch und die damit zusammenhängenden sozialen und politischen Veränderungen zu verstehen und zu akzeptieren. Der politische Katholizismus war für ihn dazu bestimmt, ein Integrationselement für alle christlichen und konservativen Kräfte abzugeben. Auch das sozialpolitische Gefüge wollte Papen wieder in Richtung auf den Ständestaat zurückdrehen. Persönlich schwebte ihm als Vorbild das patriarchalische Verhältnis seines Schwiegervaters zu dessen Arbeitern vor. Für diese wurde gesorgt, aber eigene Rechte, eine Gewerkschaft oder gar parteipolitische Aktivitäten blieben ihnen versagt. Der Staat sollte sich - wie aus der Wirtschaft - auch aus dem Sozialsektor zurückziehen. Nicht nur in grundsätzlichen Fragen, sondern auch auf praktischen Arbeitsfeldern erwuchs so ein fundamentaler Gegensatz zur Sozialdemokratie.

Daß man ihn politisch kalt gestellt hatte, versuchte von Papen durch verstärkte Hinwendung zu privaten Gesprächskreisen und gesellschaftlichen Zirkeln wettzumachen. Er gehörte dem Direktorium des einflußreichen, elitären "Herrenclubs" an. Der "Herrenclub", der sich die Aufgabe gestellt hatte, die konservativen und sog. staatsbejahenden Kräfte zu sammeln, wurde seit 1928 zu seinem wichtigsten Betätigungsfeld. Auf dieser Ebene, die Politik als unverbindlichen Small-talk inszenierte, fühlte er sich wohl. Papen steht insoweit repräsentativ für einen gewichtigen Teil der damaligen Oberschicht. Politik betrieb man mit gesellschaftlichen Mitteln "und wahrscheinlich um gesellschaftlicher Ziele willen ... Man hat von ihm viel mehr den Eindruck einer höfischen Figur des 19. Jahrhunderts als eines Parlamentariers", urteilt zu Recht Theodor Eschenburg [7].

Für seine politischen Ambitionen hatte sich von Papen einige Jahre zuvor bereits ein zweites Standbein geschaffen. Anfang Mai 1924 hatte er ein umfangreiches Aktienpaket der "Germania", der führenden Zentrumszeitung, erworben. Als deren Hauptaktionär rückte er zum Aufsichtsratsvorsitzenden auf. Die Auflage der Zeitung war zwar gering, aber ihre Funktion als inoffizielles Führungsorgan der Zentrumspartei verschaffte ihr eine für den Meinungsbildungsprozeß gewichtige Multiplikatorenfunktion. Mit seinem Schritt verfolgte von Papen die Absicht, über die Zeitung Einfluß auf die politische Linie der Partei zu gewinnen und das Zentrum in eine dauerhafte Bindung mit den Rechtsparteien zu führen. Nicht ohne Mithilfe der Parteiführung gelang es ihm, die in der Redaktion herrschende Dominanz des linken Zentrumsflügels zu beseitigen. Er scheiterte allerdings beständig, eine weitergehende, die Mittelstellung der Partei in Frage stellende politische Linie in der Redaktion zu verankern. Redakteure und Chefredaktion wußten sich bei ihren Abwehrbemühungen immer wieder geschickt Freiraum zu verschaffen, indem sie sich den politischen Gegensatz zwischen von Papen und der Führung der Zentrumspartei zunutze machten. Besonders zum Zeitpunkt des Richtungsstreits in der Partei Mitte der 20er Jahre nutzte von Papen die Zeitung als Tribüne für seine Vorstellungen.


Berufung ins Reichskanzleramt

Der Nachrücker in den Preußischen Landtag konnte einzig durch Reden, Aufsätze oder Kommentare das Interesse der Öffentlichkeit auf sich lenken. Anfang Mai 1932 erhob er vehementen Protest gegen die Änderung der Geschäftsordnung des Preußischen Landtags, die die drei Parteien der Weimarer Koalition kurz vor Ende der Legislaturperiode auf Anregung des Zentrums durchgesetzt hatten. In der erklärten Absicht, die Wahl eines nationalsozialistischen Ministerpräsidenten zu verhindern, hatten SPD, Zentrum und Staatspartei einen Artikel aus der Geschäftsordnung gestrichen, der für den 3. Wahlgang die Wahl mit einfacher Mehrheit zuließ. Von Papen war dieser Abstimmung aus Protest ferngeblieben. Er riet der von dem Zentrumspolitiker Brüning geführten Reichsregierung, nach den Landtagswahlen die Regierungen im Reich und in Preußen politisch einander anzugleichen. Von Papen zielte damit einerseits verfassungspolitisch auf die Bereinigung des nicht gerade spannungsfreien Verhältnisses zwischen den beiden Berliner Zentralregierungen, andererseits knüpfte er im Hinblick auf die parteispezifischen Aspekte an frühere öffentliche Anregungen an. Schon im Herbst 1931 hatte er Brüning und der Zentrumspartei vorgeschlagen, die Tolerierungsmehrheit im Reichstag nicht mehr bei der SPD, sondern den Rechtsparteien und der NSDAP zu suchen. Zudem hatte er Brüning aufgefordert, die Regierung aus parlamentarischen Bindungen zu lösen. Auch die Aufnahme von Nationalsozialisten in die Regierung erschien ihm empfehlenswert. Von Brünings Standpunkt wich von Papen nur in der offen ausgesprochenen Bekundung zu einem reinen Präsidialkabinett ab. Von Papens Artikel in der Zeitung des "Herrenclubs", "Der Ring", sollte den Grundstein zu seiner zweiten Karriere legen. Unter Hinweis auf diese Veröffentlichung empfahl General von Schleicher dem Reichspräsidenten, Franz von Papen zum Nachfolger Brünings zu ernennen.

Es war das auf Drängen der Länder ausgesprochene und zur Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung unbedingt erforderliche Verbot der SA, was das seit der Wiederwahlkampagne ohnehin gespannte Verhältnis Hindenburgs zu Brüning entscheidend beeinträchtigte. Den Anlaß, der Regierung Brüning sein Vertrauen zu entziehen, bot einige Wochen später die Auseinandersetzung um die Osthilfe. Der Reichspräsident folgte mit dem Fallenlassen Brünings einer Strategie seiner engsten politischen und persönlichen Berater und der Reichswehrführung. General von Schleicher schwebte die Einbeziehung der rechtsgerichteten Wehrverbände in die Reichswehr und ihre Entpolitisierung vor. Er versprach sich davon eine Stärkung der staatlich kontrollierten militärischen Verbände. Demgemäß suchte er auf politischem Gebiet ein Arrangement mit der NSDAP. In Sondierungsgesprächen hatte die NS-Führung eine Unterstützung der neuen Regierung im Reich in Aussicht gestellt, wenn dafür das SA-Verbot aufgehoben und Neuwahlen zum Reichstag ausgeschrieben würden.

Für das Amt des Reichskanzlers brachte von Schleicher Franz von Papen ins Spiel. In ihren politischen Anschauungen standen sich beide nicht allzu fern. Sein politischer Standort als Grenzgänger des Zentrums zu den Deutschnationalen prädestinierte von Papen für die ihm zugedachte Rolle. Diese Überlegung mißachtete, daß das Zentrum den Sturz Brünings nicht widerstandslos hinnehmen würde. Der Zentrums-Vorsitzende Kaas stellte von Papen für den Fall der Reichskanzlerschaft die "volle Gegnerschaft" der Partei in Aussicht [8]. Die solchermaßen geschmälerte parlamentarische Unterstützung berührte den Reichspräsidenten wenig. Wider besseres Wissen ließ sich von Papen im Gespräch mit dem greisen Generalfeldmarschall durch Appelle an sein vaterländisches Pflichtgefühl und seinen soldatischen Gehorsam überreden. Hinter der Frage des politischen Standorts trat die Frage der politischen Befähigung dieses Mannes für das Reichskanzleramt völlig in den Hintergrund. Am 31.05.1932 wurde Franz von Papen vereidigt; am Tag darauf präsentierte er der Öffentlichkeit "sein" Kabinett, das so gut wie ausschließlich auf den Personalvorschlägen von Schleichers beruhte.


Die Regierung zwischen Parlament und Reichspräsident

Als erster Schritt erfolgte am 04.06.1932 die Auflösung des Reichstags und die Ausschreibung von Neuwahlen für den 31.07.1932. Zur Begründung erklärte die Regierung, daß die Zusammensetzung des Parlaments nach den Landtagswahlen nicht mehr dem politischen Willen des Volkes entspreche, eine verfassungspolitisch höchst fragwürdige Begründung. Ihre Politik der Vorleistungen gegenüber den Nationalsozialisten setzte die Regierung - gemäß den Absprachen von Schleichers mit Hitler - am 16.06.1932 mit der Aufhebung des SA-Verbots fort. Nur vier Wochen später mußte sich der Reichsinnenminister mit dem Erlaß eines Demonstrationsverbots korrigieren. Eine Welle politisch motivierter Gewalttaten und Morde hatte das Reich bis dahin an den Rand des Bürgerkriegs gebracht. Die Reichstagswahlen bescherten dem Präsidialkabinett von Papen eine bittere Niederlage. Die die Regierung stützenden Parteien DNVP und DVP erlitten Stimmenverluste. Einen nicht unerwarteten Wahlsieg - auch wenn von Papen dies leugnete - errang die NSDAP, die mit nunmehr 230 Mandaten zur stärksten Fraktion im Reichstag aufrückte.

Art und Umfang der Einbeziehung der NSDAP in die Regierungspolitik entwickelten sich zu einem erbitterten Auseinandersetzungspunkt. Papen ging insoweit über die Vorstellungen Schleichers hinaus, als er nicht nur eine Tolerierung seines Kabinetts durch die NSDAP anstrebte, sondern Hitler den Eintritt als Vizekanzler in die Regierung antrug. Hitler, der als Führer der stärksten Partei im Reichstag Anspruch auf das Amt des Reichskanzlers erhob, wies dieses Angebot zurück. Der Reichspräsident lehnte es aber kategorisch ab, die Regierungsgewalt in die Hände eines Nationalsozialisten zu legen. Die NSDAP ging zu wilder Opposition gegen die Regierung über. Um die Regierung in die Enge zu treiben, intensivierte die NS-Führung die im Ursprung vom Zentrum ausgehenden Gespräche um eine parlamentarische Regierungsbildung. Im Zentrum war man weiter in tiefer Abneigung gegen den "Verräter" Papen befangen. In Sorge vor den nachgesagten Diktaturgelüsten unterschätzte man die Gefährlichkeit der NSDAP. In dieser Phase, in der die Nationalsozialisten - entgegen ihrer sonst geübten Praxis der Störungen und der Desorganisation - bemüht waren, den Anschein der Arbeitsfähigkeit des Reichstags nachzuweisen, kam es am 01.09.1932 zur Abstimmung über einen kommunistischen Mißtrauensantrag gegen die Regierung. Mit 512:42 erlitt das Kabinett von Papen eine verheerende Niederlage, die den fehlenden Rückhalt der Regierung in Parlament und Öffentlichkeit und deren begrenzten politischen Spielraum schonungslos zutage treten ließ. Erneut wurden der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen verfügt. Sie erbrachten am 06.11.1932 zwar Verluste für die NSDAP, zugleich aber stieg der Anteil der KPD, so daß beide radikal antidemokratischen Parteien nun zusammen über die Mehrheit im Parlament verfügten. Der geringfügige Zuwachs für die die Regierung stützenden Parteien DNVP und DVP half daher wenig. Für den Reichspräsidenten stand eine Fortsetzung der Präsidialregierung von Papen außer Frage. Er erwartete allerdings, daß der Reichskanzler im Reichstag nach einem breiteren Rückhalt für seine Politik suchte. Die nachfolgenden Gespräche mit den Parteien scheiterten. Am 17.11.1932 erklärte das Kabinett auf Druck von Reichswehrminister von Schleicher seinen Rücktritt, amtierte aber geschäftsführend weiter. Die Entscheidung fiel Anfang Dezember. Der Reichspräsident willigte in die Vorstellungen seines Lieblingskanzlers ein, unter Bruch der Verfassung weiter zu regieren. Der Reichstag sollte - ohne zusammengetreten zu sein - wieder aufgelöst werden, um Neuwahlen zu ermöglichen. Die Reichswehr trug diese Lösung aber nicht mehr mit. Von Schleicher ließ erklären, daß die Reichswehr nicht in der Lage sein würde, gegen Rechts und Links gleichzeitig zu kämpfen. Ein Großteil der Reichsminister teilte seine Auffassung, daß eine Fortsetzung der Regierung Papen unter Bruch der Verfassung einen Bürgerkrieg heraufbeschwören könnte. Am 02.12.1932 gab Franz von Papen auf. Er war von dem gleichen Mann fallen gelassen worden, der ihn in den Sattel gehoben hatte. Anders als der im Ansatz pragmatisch orientierte von Schleicher, dem es vordringlich um politische Varianten zur Bereinigung der Krisensituation im Reich ging, verband Franz von Papen mit seinem Regierungsauftrag weitergehende Ziele. Er strebte den Umbau der Verfassungsordnung in Richtung auf ein ständisch-autoritäres Regime an. Er mißachtete, daß seine ausschweifenden Zukunftspläne den Bestand seiner ohnehin wenig gefestigten Regierung zusätzlich erschwerten. Die nationalsozialistischen Massen sollten als Fußvolk die von seiner "Regierung der konservativen Eliten" angestrebte Abkehr vom Parlamentarismus absichern helfen. Das als Zwischenstufe zu etablierende präsidialautoritäre Regime sollte nach seinen Vorstellungen den Weg für die Rückkehr zur monarchischen Ordnung ebnen, um Adel, Bürokratie und Militär wieder in ihre traditionell bevorrechtete politische und gesellschaftliche Stellung einzusetzen. Der "Neue Staat", den er in Aussicht stellte, die "nationale Sammlung" hinter seiner Regierung, die er proklamierte, bildeten zentrale Versatzstücke zur politisch-ideologischen Fundierung seiner Zukunftsvorstellungen. Selten zuvor offenbarte sich eine derartige Diskrepanz zwischen vollmundiger Rhetorik und praktischer Umsetzung.


Das politische Wirken der Regierung von Papen

Schon die ersten Tage stellten die Regierung vor die Bewältigung einer heiklen Aufgabe. In Lausanne trafen sich am 16.06.1932 die Delegationen der Siegermächte des Ersten Weltkrieges und des Reiches zu Verhandlungen über den Fortgang der Reparationspolitik. Entgegen den Leitlinien ihrer Verhandlungsstrategie, die auf die Zahlungsunfähigkeit Deutschlands abhoben, willigte die deutsche Delegation unter von Papens Führung am Ende in eine einmalige Restzahlung von 3 Milliarden RM ein. Was im nachhinein durchaus als politischer Erfolg gewertet werden darf, erschien den Beteiligten und dem Kabinett dennoch als wenig befriedigendes Ergebnis. Im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen glaubte man, unbedingt einen nachweisbaren politischen Erfolg verzeichnen zu müssen, den man nun in der Innenpolitik suchte.

Der Prozeß der Entmachtung der Länder war durch Brünings Notverordnungspolitik schon eingeleitet worden. Die Regierung von Papen knüpfte hieran an. Unter Berufung auf Maßnahmen zur Verfassungs- und Verwaltungsreform enthob sie die sozialdemokratisch geführte Preußische Staatsregierung ihres Amtes. Die rechtskonservative Reichsregierung entledigte sich damit des mächtigsten und schärfsten Widersachers gegen den beabsichtigten Prozeß der Entparlamentarisierung und Entdemokratisierung. Wesentlich war dabei, daß die Reichsregierung über das neu eingerichtete Amt des Reichskommissars für Preußen Zugriff auf die der Länderhoheit unterstehende Polizeigewalt erhielt. Sorge bereitete allenfalls, einen geeigneten Vorwand zum Vorgehen gegen Preußen zu finden. Die blutigen Zusammenstöße am 17.07.1932 in Altona boten endlich den gewünschten Anlaß. Unter dem unzutreffenden Vorwurf mangelnder ordnungspolitischer Maßnahmen gegen Links enthob der Reichspräsident per Notverordnung die Preußische Staatsregierung - verfassungswidrig - ihrer Ämter. Regierungsinterne Kontroversen entzündeten sich weniger an der Innen- und Außenpolitik als an der Wirtschaftspolitik. Ernährungsminister von Braun machte sich die Forderungen der Agrarverbände zu eigen. Zum Schutz der deutschen Landwirtschaft sollten die Einfuhren von Agrargütern eingeschränkt und zusätzlich drastische Zollerhöhungen vorgenommen werden. Die Interessengegensätze zwischen Export- und Importwirtschaft entzweiten das Kabinett. Sowohl der Wirtschafts-, als auch der Finanzminister widersetzten sich entschieden und am Ende erfolgreich. Sie wiesen auf die berechtigten Interessen des deutschen Industrieexports hin, der zur Weiterverarbeitung preiswerte Rohstoffe benötigte. Die Exportkraft der deutschen Wirtschaft war Voraussetzung für eine Verbesserung der angespannten Devisenlage des Reiches. Diesen Streitpunkt hatte das Kabinett von Papen von der Regierung Brüning geerbt. Im Hinblick auf die staatliche Finanz- und Sozialpolitik folgte die neue Regierung hingegen ohne Abstriche dem von der Vorgängerregierung eingeschlagenen Deflationskurs. Die Notverordnung vom 14.06.1932 spiegelte dies wider. Hinsichtlich der darin enthaltenen Kürzungen der Sozialleistungen und der Erhöhung von Abgaben ging die neue Regierung sogar noch über die unter Brüning erarbeiteten Vorschläge hinaus. Eine Flut von Protesten war die Folge. Der Reichskanzler hatte bereits in der Regierungserklärung den Abbau des nach seiner Ansicht zu wohlfahrtsstaatlichen Charakters der Weimarer Demokratie angekündigt. Nach Ansicht von Papens sollte sich der Staat aus den Wirtschafts- und Sozialbeziehungen heraushalten. Der Erfolg in Lausanne wirkte nicht nur psychologisch als eine Zäsur. Im Herbst 1932 machten sich erste Anzeichen einer Besserung der wirtschaftlichen Lage bemerkbar. Schon für Brüning hatte die Klärung des Reparationsproblems als Wendepunkt gegolten. Im Wirtschaftsministerium waren seit 1931 Pläne für eine offensive staatliche Krisenbekämpfung entwickelt worden. Umgesetzt wurden sie erstmals im Herbst 1932, womit das Dogma der Selbstbelebung der Wirtschaft in Krisenzeiten zu Grabe getragen wurde. Der sog. Papen-Plan setzte auf den Gedanken der mittelbaren Arbeitsbeschaffung; der Staat stellte den Unternehmern günstig Kapital für Investitionen zur Verfügung. Parallel hierzu wurde das Tarifvertragssystem durchlöchert, untertarifliche Lohnzahlungen sollten helfen, die Produktionskosten zu senken. Motor der Wirtschaftsentwicklung sollte das freie Unternehmertum bleiben; die Arbeitsbeschaffung blieb insoweit während der Regierung von Papen immer nur von periphärer Bedeutung. Unmittelbare Arbeitsbeschaffungsprogramme, die sich direkt an die Erwerbslosen wandten, wurden erst unter der Regierung von Schleicher in größerem Ausmaß entwickelt. Auch in einem zweiten Punkt blieb die Regierung von Papen traditionellen Vorstellungen verhaftet: zur Finanzierung der Maßnahmen wurde nicht der Weg der Kreditschöpfung beschritten.


Vizekanzler unter Hitler

Franz von Papen empfand seinen erzwungenen Rücktritt als tiefe Kränkung. Er war entschlossen, ins Zentrum der politischen Macht zurückzukehren, wobei ihn sein Wissen um die bevorrechtete Stellung, die er beim Reichspräsidenten genoß, bestärkte. Seinen Ambitionen kam entgegen, daß es seinem Nachfolger als Reichskanzler, von Schleicher, nicht gelang, den Strasser-Flügel der NSDAP zur Unterstützung der Regierung zu gewinnen. Damit entfiel die wichtigste Voraussetzung für eine stabile Regierung. Auch die DNVP erklärte nach Verhandlungen Hugenbergs mit Schleicher ihre Opposition zur Regierung. Bei Zusammentritt des Reichstags am 31.01.1933 mußte die Regierung ein Mißtrauensvotum fürchten. Einem Bruch der Verfassung durch vorzeitige Auflösung des Parlaments versagte sich der Reichspräsident. Mächtige gesellschaftliche Interessengruppen - der Reichslandbund, die Industrieverbände - stellten sich aus unterschiedlichen Gründen gegen die Regierung.

Vor diesem Hintergrund trafen sich am 04.01.1933 von Papen und Hitler in Köln. Beide strebten nach der Macht. Von Papen schlug eine Art Duumvirat vor: unter ihrer gleichberechtigten Führung sollte ein Kabinett aus DNVP und NSDAP gebildet werden. Von Papen knüpfte im Anschluß Kontakte zu Deutschnationalen und Wirtschaftsführern. Der Reichspräsident ermunterte ihn, seine Sondierungen fortzusetzen. Noch hatte man in rechtskonservativen Kreisen nicht die Hoffnung auf die Restauration einer autoritären Staatsform in Deutschland aufgegeben, wofür man die Hilfe der NSDAP in Anspruch nehmen zu müssen glaubte. Auch der "Stahlhelm" erklärte sich zur Beteiligung an der Regierung bereit. Mit der Verbreiterung der Front der Rechtskonservativen wuchs die Erwartung, Hitler und die NSDAP in der Regierung "einrahmen" zu können. Parallel erhöhte sich die Bereitschaft, Hitlers Anspruch auf das Amt des Reichskanzlers stattzugeben. Der Machtpoker, den Hitler seit dem Sturz Brünings führte, schien sich auszuzahlen. Die NSDAP signalisierte Kompromißbereitschaft im Hinblick auf die Ministerliste. Es blieben allein die persönlichen Vorbehalte Hindenburgs gegenüber Hitler zu überwinden, wozu man Kontakte zwischen der NSDAP-Führung und den engsten Beratern des Reichspräsidenten inszenierte. Am 29.01.1933 gab der greise Feldmarschall dem auf ihm lastenden Druck nach. Franz von Papen war am Ziel; er hatte sich an von Schleicher gerächt, hatte sein Zähmungskonzept durchgesetzt und war selbst als Vizekanzler in die Regierung zurückgekehrt. In ihr kam ihm, wie er glaubte, eine Schlüsselrolle zu. Neun Rechtskonservativen standen zwei Nationalsozialisten als Minister gegenüber. Als Vizekanzler hatte er sich das Recht ausbedungen, allen politischen Gesprächen des Reichskanzlers mit dem Reichspräsidenten beizuwohnen. Als Reichskommissar für Preußen übte er die Kontrolle über das größte und wichtigste Land aus. "In zwei Monaten haben wir Hitler in die Enge gedrückt, daß er quietscht", so Papen zuversichtlich [9].

Diese eklatante Fehleinschätzung erklärt mit, warum sich gerade die Rechtskonservativen im Kabinett zunächst radikaler als die Nationalsozialisten gebärdeten. Die Neuwahlen zum Reichstag mußten die unwiderruflich letzten sein, forderte Papen. Konservative und Nationalsozialisten waren sich einig in ihrem Bestreben, das Parlament auszuschalten und die linken Parteien - vor allem die KPD - und die Gewerkschaften zur Not mit Gewalt auszumerzen. Ein dauerhaft autoritäres Regime sollte aufgerichtet werden. Papen übersah, daß alle manipulativen Veränderungen an der Zusammensetzung der Parlamente die NSDAP als die stärkste Kraft begünstigen mußten. Er ignorierte zudem, daß eine parlamentarische Mehrheit für die NSDAP die Abhängigkeit der Regierung vom Reichspräsidenten minderte. Die Wahlen vom 05.03.1933 bildeten insofern eine Zäsur, als Hitler nun erst seine ihm durch das Amt verliehene Richtlinienkompetenz voll ausschöpfte. Die Rücksichtnahme auf die konservativen Partner schwand fortan. Die bis dahin im Kampf gegen die Linke durchgeführten massiven Einschränkungen fundamentaler Grundrechte, die Verbotsverfügungen und die mannigfachen Einschüchterungsversuche trugen Papen und die Konservativen uneingeschränkt und ohne Bedenken mit. Das Amt des Reichskommissars für Preußen machte Papen selbst überflüssig, indem er - auf verfassungswidrige Weise - den Weg zu Neuwahlen ebnete. Aus diesen ging eine nationalsozialistisch geführte preußische Staatsregierung hervor, an deren Spitze Hitler Göring setzte. Schon zuvor war es Göring als preußischem Innenminister im ständigen Streit mit Papen mehr oder minder gelungen, die Initiative an sich zu reißen. SA und SS wurden zu hoheitlichen Aufgaben herangezogen, als Hilfspolizei eingesetzt, unteren Verwaltungsorganen wurde unter Drohungen die Begünstigung von Nationalsozialisten nahegelegt. Mehr als andere Länder wurde Preußen von einer Welle der Verbote für Versammlungen und Presseorgane, von Beschlagnahmen, Durchsuchungen und Verhaftungen (auf eigene Faust) überzogen; die Praxis der Einschüchterung und Diskriminierung der politischen Gegner erreichte hier ihren Höhepunkt. Papen protestierte gegen die Eskalation von Gewalt und Terror bei Hitler, handelte sich aber eine scharfe Zurechtweisung ein. Ernüchtert mußte er feststellen, daß er bei seinen konservativen Kabinettskollegen keine Unterstützung mehr fand. Wachsende Sympathie für den Nationalsozialismus, Opportunismus oder ein unpolitisches Ressortdenken, das den einzelnen nicht über den Tellerrand seines Ministeriums hinausblicken ließ, breiteten sich bei ihnen aus. Papens Handeln war hingegen, mehr als das seiner konservativen Mitstreiter, von dem Streben nach autoritärer Restaurationspolitik getrieben. Im Amt des von der Verfassung her nicht vorgesehenen Vizekanzlers mußte er allerdings konstatieren, daß er weder auf die allgemeinpolitischen Zielsetzungen noch auf ressortbezogene Einzelfragen Einfluß nehmen konnte. Während alle Fäden bei ihm zusammenlaufen sollten, lief nun alles an ihm vorbei. Seine Bemühungen um die Heranführung der katholischen Bevölkerungskreise an die Regierung und sein Einsatz als Unterhändler beim Vatikan, womit er die Konkordatsverhandlungen auf den Weg brachte, festigten entgegen Papens Absicht einzig und allein die gesellschaftliche und politische Stellung des Nationalsozialismus.

Da auch Hitler den Erfolg seines Regimes durch die unkontrollierten und willkürlichen Gewaltaktionen untergeordneter Parteigruppierungen gefährdet sah, erklärte er Anfang Juli 1933 die nationalsozialistische Revolution für beendet. Unwillen löste der scheinbare Zwang zur Mäßigung bei jenen in der NS-Bewegung aus, denen das Arrangement mit den konservativen Eliten zu weit ging. Die wachsenden Spannungen in der NS-Bewegung entluden sich an den Plänen der SA-Führung, die Reichswehr in die SA zu integrieren und eine Art Miliz zu schaffen. Hitler entschied diesen brisanten Konflikt zwischen zwei wichtigen innenpolitischen Stützen des Regimes zugunsten der Reichswehr, weil er sie für seine kriegerischen Expansionsabsichten brauchte. Am 30.06.1934 ließ er unter dem Vorwand, einer Rebellion entgegenzuwirken, in einem Handstreich die wichtigsten SA-Führer hinrichten. Zugleich mit ihnen entledigte sich das Regime einer Reihe anderer ihm unbequemer Gegner.

Eine Rede von Papens in Marburg hatte das auslösende Moment für die Gewaltaktion abgegeben. Papen hatte darin das Regime öffentlich angeklagt, den Neuaufbau des Reiches mittels ungezügelter Gewalt, Rechtsbruch, Machtmißbrauch und persönlicher Vorteilnahme zu bestreiten. Jungkonservative in seiner Umgebung hatten Putschpläne entworfen. Sie wollten die SA-Krise nutzen und mit Hilfe des Reichspräsidenten und der Reichswehr den militärischen Ausnahmezustand verhängen. Die Errichtung einer konservativen Militärdiktatur sollte mittelfristig den Weg zur Wiederherstellung der Monarchie in Deutschland und des konservativen Ständestaats ebnen. Papen selbst hat das Veröffentlichungsverbot seiner Rede zum Anlaß genommen, Hitler seine Demission bekanntzugeben.


Als Botschafter in Wien und Ankara

Zwei der engsten Mitarbeiter von Papens wurden von der SS im Zuge der Mordaktion gegen die SA-Führung umgebracht, er selbst wurde in seiner Wohnung unter Hausarrest gestellt. Zeitweilig fürchtete er um sein Lebens. Mit dem Tod Hindenburgs verlor er seinen letzten politischen Rückhalt. Überrascht nahm er daher Hitlers Angebot an, als Gesandter nach Wien zu gehen. Das nationalsozialistische Deutschland bedurfte nach der Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Dollfuß durch Nationalsozialisten eines politisch unbelasteten Vertreters in Wien. Von Papen hat sich in seiner neuen Aufgabe loyal in den Dienst der nationalsozialistischen Außenpolitik gestellt. Die von ihm entwickelte - und gegen den erbitterten Widerstand militanter österreichischer Nationalsozialisten erfolgreich umgesetzte - Strategie der Aushöhlung der österreichischen Selbständigkeit im Innern, der Infiltration der Verfassungsorgane und der Herstellung enger kultureller und wirtschaftlicher Bindungen an das Reich trug am Ende entscheidend zu den Modalitäten des Umsturzes und des Anschlusses an das Deutsche Reich bei. Für den traditionell großdeutsch inspirierten von Papen bedeutete der Anschluß Österreichs nicht nur einen Schritt in Richtung auf die Revision des Versailler Vertrages, sondern die Vollendung der Reichseinigung von 1871.

Ein Jahr nach seinem Ausscheiden aus dem Amt in Wien war es erneut sein nationales Pflichtgefühl, wie von Papen hervorhebt, das ihn auf Drängen Hitlers als Botschafter in die Türkei führte. Die politische Situation für das Reich war prekär. Der Angriff Italiens auf Albanien weckte in der Türkei große Besorgnisse und veranlaßte das Land, seine Neutralität aufzugeben. Großbritannien und die Türkei schlossen im Mai 1939 einen gegenseitigen Beistandspakt. Auf Druck Großbritanniens stellte die Türkei ihre bis dahin engen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zum Reich ein. Für den seit dem 17.04.1939 in Ankara tätigen von Papen ergab sich die Aufgabe, einen Kriegseintritt der Türkei an der Seite der Alliierten zu verhindern und die Türkei aus ihrer einseitigen Bindung zu lösen. Die militärischen Erfolge der deutschen Armeen halfen ihm dabei. Die Türkei verweigerte hartnäckig den Kriegseintritt an der Seite der Alliierten und sperrte sich beständig gegen die Stationierung englischer Truppen im Land. Nur im Falle eines Angriffs auf ihr Land wollte sich die Türkei prinzipiell an einem Krieg beteiligen. Mit einer Strategie "vertrauensbildenden Maßnahmen" bemühte sich der neue deutsche Botschafter, die vorhandenen türkischen Besorgnisse vor einem Vormarsch deutscher Truppen auf dem Balkan zumindest zu besänftigen. Auf seine Anregung hin wahrten die deutschen Truppen bei dem Durchmarsch durch Bulgarien nach Griechenland einen 50 km breiten Korridor bis zur türkischen Grenze. In diese Strategie fügte sich ein, daß Hitler die Türkei von dem sowjetischen Meerengeninteresse in Kenntnis setzte. Gegen den Widerstand des Reichsaußenministeriums setzte Papen einen Vertrag mit der Türkei bei Hitler durch, in dem beide Länder sich gegenseitig der Integrität und Unverletzlichkeit ihres Staatsgebiets versicherten. Der deutsch-türkische Nichtangriffspakt sicherte Hitler die Flanke für den Überfall auf die Sowjetunion. Beide Länder nahmen in der Folgezeit ihre engen wirtschaftlichen Beziehungen wieder auf. Die türkischen Chromerzlieferungen waren für die deutsche Rüstungswirtschaft von ausschlaggebender Bedeutung, im Gegenzug lieferte das Reich Rüstungsgüter an die Türkei. Mit dem Rückzug der deutschen Truppen wuchs erneut der Druck der Alliierten auf die Türkei, ihre Balancepolitik aufzugeben. Durch den Hinweis auf ihre angeblich mangelnde Rüstung drückte sich die Türkei konstant vor dem Kriegseintritt. Ende April 1944 war das Land aber genötigt, die Erzlieferungen an Deutschland einzustellen. Anfang August brach man die politischen Beziehungen zum Reich ab; Franz von Papen verließ die Türkei, und wenige Tage vor Kriegsende erklärte das Land dem Deutschen Reich am 23.04.1945 den Krieg.


Politisches Nachspiel

Etwa zur gleichen Zeit wurde von Papen von amerikanischen Soldaten in einer Jagdhütte der Familie im nördlichen Sauerland aufgespürt und verhaftet. In Nürnberg sprach ihn der Internationale Militärgerichtshof von der Anklage frei, ein Entnazifizierungsgericht verurteilte ihn aber unmittelbar im Anschluß zu acht Jahren Arbeitslager. Die Revisionsinstanz erklärte die Lagerstrafe im Januar 1949 für abgegolten. Franz von Papen war wieder ein freier Mann. Auch der 1946 verfügte Einzug seines Vermögens wurde wieder aufgehoben. In der Nähe von Baden-Baden erwarb die Familie 1951 ein Haus; hier starb Franz von Papen im Alter von 89 Jahren am 02.05.1969. Unterstützt von der Familie waren seine letzten Lebensjahre angefüllt von dem Bestreben um persönliche Rehabilitierung. In einer Vielzahl von Prozessen ist ihm dies vor Gericht weitestgehend gelungen, wobei die Schritt für Schritt großzügigere Behandlung auch Ausdruck der nachlassenden Ernsthaftigkeit ist, mit der die Entnazifizierung betrieben wurde. Der bayerische Oberste Gerichtshof stufte ihn 1956 nur noch als minderbelastet ein, gab ihm seine bürgerlichen Ehrenrechte zurück und bescheinigte ihm, für Deutschland und gegen Hitler und den Nationalsozialismus aufgetreten zu sein. Auf der politischen Ebene Nachkriegsdeutschlands ist Franz von Papen nicht mehr in Erscheinung getreten.


[1] Zit. nach Franz von Papen, Der Wahrheit eine Gasse, München 1952, S. 251.
[2] Thomas Trumpp, Franz von Papen, der preußisch-deutsche Dualismus und die NSDAP in Preußen. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des 20.07.1932, Diss. phil., Tübingen 1963, S. 49.
[3] Franz von Papen, a.a.O., S. 110.
[4] Ders., ebd., S. 131.
[5] Jürgen A. Bach, Franz von Papen in der Weimarer Republik. Aktivitäten in Politik und Presse 1918-1932, Düsseldorf 1977, S. 25 und Franz von Papen, a.a.O., S. 116.
[6] Zit. nach Bach, a.a.O., S. 113f.
[7] Theodor Eschenburg, Franz von Papen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1 (1953), S. 153-159, hier S. 156.
[8] Franz von Papen, a.a.O., S. 189.
[9] Zit. nach Hans Ulrich Thamer, Verführung und Gewalt. Deutschland 1933-1945, Berlin 1986, S. 232.




Westfalen im Bild, Reihe: Persönlichkeiten aus Westfalen, Heft 5