"Westfalen im Bild" - Texte

Hüser, Karl / Brebeck, Wulff E.
Wewelsburg 1933-1945
Kultstätte des SS-Ordens
4. Aufl., Münster, 2002



Einführung

Die 1603 bis 1609 in der heutigen Form errichtete Wewelsburg bei Büren im Kreis Paderborn war im 17. und 18. Jahrhundert die zweite Residenz der Paderborner Fürstbischöfe neben Schloß Neuhaus. Im Zuge der Säkularisation gelangte das dreitürmige Schloß bereits halb verfallen 1803 und endgültig 1815 nach den napoleonischen Kriegen in das Eigentum des preußischen Staates. Im gleichen Jahr traf ein Blitzschlag den gewaltigen Nordturm; nur die rund zwei Meter dicken Außenmauern blieben stehen.

Bis auf die Wohnung des katholischen Pfarrers in dem zum Dorf hin gelegenen Südflügel blieb das Schloß bis 1925 ungenutzt. Dann erwarb es der damalige Landkreis Büren vom Staat und richtete im Westflügel ein Heimatmuseum und einen Saal für Veranstaltungen ein sowie im Ostflügel eine Jugendherberge und eine Wohnung für den Burgwart. Erst die allgemeine Notlage als Folge der Weltwirtschaftskrise setzte dem weiteren Ausbau Jahre 1930 ein Ende.

1932 ließ der Landrat eine etwa 70 Mann starke Abteilung des Freiwilligen Arbeitsdienstes (FAD) in die Wewelsburg verlegen. Es handelte sich um Arbeitslose, die als "Notstandsarbeiter" Beschäftigung fanden. Der Kreis Büren hoffte, durch diese Maßnahme wenigstens einen Teil der laufenden Unterhaltskosten ersetzt zu erhalten. Erst im Herbst 1933 scheiterten zunächst erfolgversprechende Verhandlungen, das bisher ungenutzte Obergeschoß des Westflügels für ein Stammlager der FAD mit einer Stärke von 214 Mann ausbauen zu lassen. Auf die vom Kreisbauamt bereits fertiggestellten Baupläne konnte indes wenige Wochen später Hermann Bartels, der Architekt Heinrich Himmlers, für die Umgestaltung der Wewelsburg zur "Reichsführerschule-SS" zurückgreifen.

Die SS, die Schutzstaffel der NSDAP, hatte sich aus der Leibwache Adolf Hitlers entwickelt, und ihre Mitglieder verpflichteten sich schon beim Eintritt zu bedingungslosem Gehorsam gegenüber dem "Führer". Als eine Art von Privatpolizei der NSDAP übernahm die SS vor der "Machtergreifung" alle möglichen Sicherungsaufgaben für die Parteiführung. Nach seiner Ernennung zum Reichsführer SS am 06.01.1929 vermittelte Heinrich Himmler seinen SS-Männern außerdem das Selbstverständnis und Selbstbewußtsein, die rassische Elite der gesamten nationalsozialistischen Bewegung zu sein. Nach Himmlers eigener Definition verstand sich die SS seither als "soldatischer Orden nordisch bestimmter Männer und als eine beschworene Gemeinschaft ihrer Sippen". [1]

Aus dem Selbstverständnis der SS als rassenbiologisch verstandener Orden "guten Blutes" wiederum faßte Heinrich Himmler die ursprünglich auf den persönlichen Schutz Hitlers und der Parteiführung beschränkte Sicherungsaufgabe der SS als umfassenden Auftrag auf, die Sicherheit der "NS-Weltanschauung" überhaupt zu gewährleisten, letztlich mit dem einen Ziel "der Gesundung und Sicherung des vielfach gefährdeten Blutes", wie Ernst Nolte treffend formuliert. [2]

Zwei hauptamtlich geführte und verwaltete sogenannte "Ämter" - später "Hauptämter" - in der obersten SS-Führung bemühten sich seit 1931 um die Bewältigung je einer Seite der sich aus der angesprochenen Zielsetzung ergebenden doppelten Aufgabe:
  • Dem "Sicherheitsdienst des Reichsführers SS" (SD) unter der Leitung des ehemaligen Marineoffiziers Reinhard Heydrich oblag die Sicherung des "Blutes" durch Abwehr, d h. in letzter Konsequenz durch Ermordung jedes auch nur potentiellen Gegners.
  • Das "Rasseamt der SS" dagegen war zuständig für den aus der Sicht der SS positiven Teil der Doppelaufgabe, nämlich die "Auslese und Erhaltung des erbgesundheitlich guten Blutes". [3] An der Spitze des bald darauf zum "Rasse- und Siedlungshauptamt" erweiterten Rasseamtes stand bis 1938 der damalige Leiter der Agrarpolitik in der Reichsleitung der NSDAP und spätere Reichsbauernführer und Reichsernährungsminister Richard Walter Darré, der zu Beginn der 30er Jahre mit seiner "Idee von Blut und Boden" an die Öffentlichkeit getreten war.

Die Hauptaufgabe des Rasseamtes bestand in der Bearbeitung der Heiratsgesuche aller SS-Mitglieder auf der Grundlage des Heiratsbefehls des Reichsführers SS vom 31.12.1931, nach dessen Anweisung sie ihre "arische Abstammung" anhand von Ahnentafeln nachzuweisen hatten. Außerdem war es zuständig für die weltanschauliche Schulung der SS und für die Förderung der Wissenschaften, soweit sie nützlich zu sein schienen für Himmlers rassenpolitische Ziele. Angesichts des raschen zahlenmäßigen Wachstums des "Schwarzen Ordens" - er wuchs von 280 Mitgliedern im Januar 1929 über 2.000 (1930), 10.000 (1931), 30.000 (1932) auf rund 52.000 im Januar 1933 [4] - betrieb das Rasseamt der SS sofort nach der Machtergreifung die Errichtung einer "Reichsführerschule-SS", um eine einheitliche ideologische Ausrichtung ihres Führungskaders zu gewährleisten. Ohne Zweifel sind diese Bemühungen auch als weiterer Schritt der SS zur völligen Emanzipation von der SA, der Sturmabteilung der NSDAP, zu verstehen, die seit 1931 über eine eigene Reichsführerschule zur "Führererziehung auf weltanschaulicher Grundlage" verfügte. [5] Das Verhältnis der SS zur SA mit ihren Anfang 1933 rund 500.000 Mitgliedern, aus deren Reihen sich die elitäre jüngere Schwester vor der Machtergreifung hauptsächlich rekrutierte, charakterisiert A. Werner zu Recht als ein "mühsam kontrolliertes Gegeneinander". [6] Formal war Himmler als Reichsführer SS dem Stabschef der SA persönlich unterstellt. Erst nach der Ermordung der obersten SA-Führer im sogenannten Röhm-Putsch verfügte Hitler am 20.07.1934: "Im Hinblick auf die großen Verdienste der SS, besonders im Zusammenhang mit den Ereignissen des 30.06.1934, erhebe ich dieselbe zu einer selbständigen Organisation im Rahmen der NSDAP". [7] Zu diesem Zeitpunkt war der ehemalige Berufsoffizier Manfred von Knobelsdorff, ein Schwager Darrés, bereits zum "Burghauptmann" der SS auf der Wewelsburg berufen worden.

Der Schlüssel zur Beantwortung der Frage, weshalb Himmler seine Reichsführerschule der SS auf einer Burg in Westfalen einrichten wollte, findet sich im Wahlkampf zum lippischen Landtag im Januar 1933: Als Begleiter Hitlers nahm der Reichsführer SS an der "Durchbruchsschlacht in Lippe" [8] teil und begeisterte sich am Kernland "Hermann des Cheruskers". Damals soll er erstmals erwogen haben, hier eine Burg für die Zwecke des SS-Rasseamtes zu erwerben. In Himmlers Vorstellungswelt würde es auch hineinpassen, daß er sich einer damals populären alten Sage erinnerte, zu der er sich bei seiner Lektüre sieben Jahre zuvor Notizen gemacht hatte. Danach sollte Westfalen in ferner Zukunft der Ort der "Schlacht am Birkenbaum" sein, in der ein Heer "aus dem Westen" ein gewaltiges Heer "aus dem Osten" endgültig besiegen werde. [9] Schon im Frühjahr 1933 bemühte Himmler sich zunächst um die Burg Schwalenberg, und als die Verhandlungen im Herbst scheiterten, lenkte der Mindener NS-Regierungspräsident von Oeynhausen, Hitlers Gastgeber im lippischen Wahlkampf, Himmlers Blick auf Schloß Wewelsburg. Der Reichsführer SS beschloß noch während der ersten Besichtigung am 03.11.1933, das monumentale Bauwerk vom Kreis Büren zu erwerben oder zu pachten. [10] Auf der Grundlage der bereits angesprochenen Vorarbeiten des Kreisbauamtes legte Himmlers junger Architekt Hermann Bartels schon zum Jahreswechsel Umbaupläne mit einem ersten Kostenvoranschlag vor. Als billige Arbeitskräfte bezogen daraufhin am 25.01.1934 siebzig Männer des FAD die Räume der früheren Jugendherberge im Ostflügel und nahmen mit Ausschachtungsarbeiten im Burggraben die Bauarbeiten auf, die sich mit der zunehmenden Machtfülle der SS in den folgenden zehn Jahren immer weiter ausdehnten, zu Beginn des Zweiten Weltkrieges sogar zur Errichtung eines eigenen Konzentrationslagers führten, bis Himmler die Wewelsburg 1945, wenige Wochen vor dem endgültigen Zusammenbruch des Dritten Reiches, zerstören ließ.


[1] H. Himmler: Die Schutzstaffel als antibolschewistische Kampforganisation, München 1936, S. 31. Zur SS-Ordensideologie vgl. H. Höhne: Orden unter dem Totenkopf, Die Geschichte der SS, Gütersloh 1967, S. 125ff.
[2] E. Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche. München 1963, S. 475.
[3] Vgl. Heiratsbefehl des Reichsführers SS vom 31.12.1931, - Abdruck im SS-Leitheft, 9. Jg., 1943, H. 2, S. 13.
[4] Vgl. E. Neusüß-Hunkel: Die SS, Hannover/Frankfurt a.M. 1956, S. 8.
[5] Zur Reichsführerschule der SA in München vgl. A. Werner: SA und NSDAP. SA: "Wehrverband", "Parteitruppe" oder "Revolutionsarmee"? Studien zur Geschichte der SA und der NSDAP 1920 - 1933. Phil. Diss., Erlangen 1964, S. 558-563.
[6] Ebenda, S. 345, 379f.
[7] Vgl. H. Höhne: a.a.O., S. 90ff., hier besonders S. 122.
[8] Vgl. dazu die von der Landesbildstelle Westfalen herausgegebene Diareihe: Th. Helmert-Corvey: Nationalsozialismus - Wahl in Lippe. (= Dokumente zur Zeitgeschichte, Heft 3), S. 5.
[9] Vgl. R. Sünner: "Thule" gegen "Juda". Von Urparadiesen und Zukunftskriegen in der Mythologie der Rechten, in: H. Gasper/F. Valentin (Hg.): Endzeitfieber. Apokalyptiker, Untergangspropheten, Endzeitsekten, Freiburg/Basel/Wien 1997, S. 100-130, hier: S. 119f.
[10] Vgl. dazu K. Hüser: Wewelsburg 1933-1945 - Kult- und Terrorstätte der SS. Eine Dokumentation, 2. Aufl., Paderborn 1987, S. 15ff.



Westfalen im Bild, Reihe: Dokumente zur Zeitgeschichte, Heft 4