"Westfalen im Bild" - Texte

Ridder, Thomas
Synagogen in Westfalen
Münster, 2000



Einleitung

Die Synagoge - Schnittpunkt jüdischen Lebens

"Die Synagoge ist jedes Gebäude und jeder Raum, der zum Beten bestimmt ist. Dies war immer und bleibt ihr Hauptzweck." [1] Mit diesen Worten leitet der Rabbiner Chajim Halevy Donin seine Beschreibung der Synagoge ein. Bei dieser einfachen und doch sehr präzisen Formel sollte es aber nicht seine Bewandtnis haben. Mit Hilfe der zwölf Abbildungen, ausgewählten Beispielen aus Westfalen und in einem Fall vom benachbarten Niederrhein, wird die Synagoge mit ihren Funktionen in der Vergangenheit und der Gegenwart ausführlich beschrieben und vor allem auf die unterschiedlichen architektonischen Formen eingegangen.

Die Juden, der jüdische Glaube, die jüdische Religion bildeten über Jahrtausende hinweg einen integralen Bestandteil der Kulturgeschichte, über viele Jahrhunderte auch der westfälischen. Ihr Status in der Geschichte schwankt von Jahrhundert zu Jahrhundert, sogar von Jahrzehnt zu Jahrzehnt: Geachtet, geduldet, vertrieben, ermordet und wieder zurückgeholt. Wenn es die Umstände erlaubten, leisteten sie ihren Beitrag zur kulturellen Entwicklung der Regionen, in denen sie lebten. Vor allem entwickelten sie eine eigene religiöse und soziale Kultur. Für diesen integralen Bestandteil jüdischen Lebens an der deutschen Kultur stehen auch die etwa 2.800 Synagogen, die es zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland gab. In der ehemaligen preußischen Provinz Westfalen, d.h. in den Landesteilen Westfalen und Lippe gab es 1932 insgesamt 121 aktiv genutzte Synagogen und Beträume. [2]

"Der Bau einer Synagoge war die Krönung für jede Gemeinde, ihr Verlust ihr Ende", schreibt Meir Schwarz vom Synagogue Memorial Jerusalem. "Sie war das Gotteshaus aller und sie wurde, besonders in den kleinen Gemeinden, von und mit allen gemeinsam gebaut, eingerichtet und auch betreut. Eine Synagoge darf nur in Ausnahmefällen und nach Genehmigung durch die Gemeindemitglieder verkauft werden, denn auch weiterhin 'haftet ihr Heiligkeit an'. Die Zerstörung der Synagogen im Pogrom des 09.11./10.11.1938 bedeutete zugleich die Vernichtung der jüdischen Gemeinden in Deutschland." [3] Fast keine der um 1930 bestehenden Synagogen blieb von physischer Gewalt, schändender Entweihung und Zerstörung verschont, mit Ausnahme einiger weniger, die 1937 und 1938 bereits zwangsverkauft oder aufgegeben und ihrer jüdisch-gemeindlichen Funktionen beraubt worden waren. [4]

Die Architektur der Synagoge spiegelt in gewissem Maße auch den Umgang und die Einstellung einer Mehrheit, der christlichen, zu einer Minderheit, hier der jüdischen, wider Je nach Akzeptanz und Toleranz können die Juden prachtvolle Gotteshäuser errichten oder müssen sich mit in Hinterhöfen versteckten Gebetsräumen begnügen. Synagogen werden auch immer wieder das Ziel von Verwüstung und Zerstörung. So wurde noch im April 2000 ein Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge verübt, 1994 und 1995 war die Synagoge von Lübeck gleich zweimal das Ziel von Brandstiftungen gewesen.


Haus der Versammlung und Lehrhaus

Die Bezeichnung Synagoge entstammt dem Griechischen und ist dort Synonym für Versammlung. Der hebräische Name lautet Bet Ha-Knesset (Haus der Versammlung). Im Mittelalter hieß die Synagoge vielfach "Schal", "Judenschul" oder "Schola": Denn die Synagoge diente nicht nur als religiöses, sondern auch als kulturelles und gesellschaftliches Zentrum der Gemeinde. Damit unterschied sich die Synagoge nicht nur vom Tempel in Jerusalem, sondern auch von den Tempeln der Antike wie von den Kirchen des Mittelalters. Sie waren allesamt Räume mit ausschließlich sakraler Nutzung.

Die Synagoge ist ein Raum von Laien für Laien. Hier finden die Gottesdienste, aber auch Versammlungen statt, und hier werden Gemeindeangelegenheiten geregelt. Darüber hinaus ist sie ein Ort des Lernens und des Studiums.

Der Raum, in dem gelernt wird, ist der Beth Ha-Midrasch, das allen zugängliche Unterrichtszimmer. Hier setzte man sich am Schabbat und nach der Arbeit zusammen, um zu lesen und zu lernen. Die Zusammenkünfte wurden meist so geregelt, dass sie mit den Zeiten für die Gottesdienste zusammenfielen. So wurde aus dem Unterrichtszimmer auch die Synagoge. Heute lebt dieser Brauch in den traditionellen Gemeinden fort.

Synagogen gab es bereits in den Zeiten des Tempels. Doch im Gegensatz zu diesen hatten sie nichts mit einem Opferkult zu tun und besaßen keinen Altar. Der Tempel war zudem mit der Gegenwart Gottes verbunden. Man näherte sich dem Allerheiligsten, dem Aufenthaltsort Gottes, in ehrfurchtsvoller, zeremonieller Weise. In der Synagoge wird seine Gegenwart rein geistig gefasst. Die Gläubigen versammeln sich dort, um das Wort Gottes zu hören. Sinnvollerweise steht der Vortragende dabei auf einer erhöhten Kanzel, damit er für alle sicht- und hörbar ist. Der auf das belehrende Wort aufbauende synagogale Gottesdienst stellt daher keine weiteren Ansprüche an den Raum.

Die Synagoge der Antike war ein Mehrzweckbau, der als Versammlungsstätte zum Gebet und zur Lehre genutzt wurde. Nach der Zerstörung des Tempels war nun die Synagoge der einzige Bau, in dem sich nicht nur die Gemeinde traf, sondern der auch mit einem Gottesdienst verbunden war. Doch auch weiterhin blieben die Synagogen auf den Tempel bezogen. Sie übten sich in Selbstbescheidung, übernahmen Formen und Funktionen, grenzten sich aber auch aus Respekt vor dem Tempel von ihm und manchen seiner Gebräuche ab. Die Bezeichnung "Tempel" für die Synagoge findet sich erst im 19. Jahrhundert in liberalen Gemeinden. Dennoch galt sie schon lange als "kleines Heiligtum". Der Bezug zum Tempel wird auch durch die Ausrichtung beim Gebet gewahrt. Während des Betens und beim Lesen der Tora blickt die Gemeinde nach Jerusalem, zum ehemaligen Standort des Tempels. In den frühen antiken Synagogen gab es zunächst noch keinen festen Aufbewahrungsort für die Torarollen. Man verwendete vermutlich einen fahrbaren Schrank. Mit der Zeit empfand man das Fehlen eines festen Platzes für den Toraschrein als Mangel. In frühbyzantinischer Zeit finden sich nun erste Synagogen, in denen dieser Mangel behoben wird. Der Aron Ha-Kodesch wird vor die nach Jerusalem ausgerichtete Wand gestellt. In den europäischen Synagogen ist dies die Ostwand.

Im Israel der Antike hat sich kein eigener synagogaler Baustil entwickelt. In der Architektur orientierte man sich bei den antiken Synagogenbauten formal nicht an Kultbauten, etwa heidnischen Tempelanlagen, sondern nahm zeitgenössische Profan bauten zum Vorbild. In der Diaspora haben die Juden für ihre Gotteshäuser zu allen Zeiten den herrschenden Baustil ihres jeweiligen Gastlandes aufgenommen. Dies bewirkte aber, dass über viele Jahrhunderte hindurch Synagogen nicht als eigenständige Bauten einer gesellschaftlich ausgegrenzten Minderheit wahrgenommen wurden. Erst im Zuge der Emanzipationsbestrebungen vom Beginn des 19. Jahrhunderts an kam es auch beim Synagogenbau zu bewussteren Entscheidungen. Die Wahl eines Baustils hatte nun einen öffentlichen Bekenntnischarakter. [5]


Die Architektur der Synagoge in Deutschland

Im mittelalterlichen Europa war das Judentum geteilt in zwei unterschiedliche Traditionsbereiche: das aschkenasische Judentum in Mittel- und Osteuropa und das sephardische Judentum auf der iberischen Halbinsel. Aus beiden Kulturbereichen sind Synagogen überliefert. Die aschkenasischen Synagogen sind fast ausschließlich aus Deutschland, Böhmen und Polen bekannt. Die frühen Vertreibungen aus England (1290) und Frankreich (1394) haben dort keine Überreste mittelalterlicher Bauten erhalten lassen. Die mittelalterlichen englischen Synagogen sind entweder zerstört worden oder wegen späterer Umbauten nicht mehr als solche identifizierbar. Die Existenz von Synagogen in Frankreich wird nur durch literarische Quellen und Bauinschriften belegt. Noch bestehende Gebäude, von denen angenommen wird, sie hätten als Synagogen gedient, sind durch viele Umbauten nicht mehr als Gotteshäuser zu erkennen.

Die meisten aschkenasischen Synagogen finden sich daher in Deutschland. Dies hat historische Gründe. Zwar gab es auch in Deutschland immer wieder Ausweisungen von Juden, doch geschah dies nur lokal bzw. regional. Viele Ausweisungsverfügungen wurden zudem aus wirtschaftlichen Gründen nach einiger Zeit rückgängig gemacht. Man brauchte die Handelsbeziehungen der jüdischen Kaufleute und deren Kapital. Auch wenn es in vielen Städten zu Synagogenzerstörungen kam oder die Gebäude umgewandelt wurden, so blieben andernorts die Synagogen unversehrt stehen. Die ältesten gesicherten Nachrichten über Synagogenbauten in Deutschland verweisen in das 11. Jahrhundert: Köln (1012 o. 1040), Worms (1034), Trier (1066), Speyer (1096).

Der Synagogenbau des Mittelalters kennt in Deutschland zwei unterschiedliche Bautypen: den einfachen Saalbau ohne Stützen und den zweischiffigen Raum. Letzterer wird in der Mittelachse durch zwei Säulen geteilt. Doch unabhängig vom Bautyp wird der Innenraum jeder Synagoge durch zwei wichtige Einrichtungen bestimmt: den Toraschrein und die Bima. Im Toraschrein werden die Schriftrollen aufbewahrt. Dieser Wandschrank befindet sich stets an der nach Jerusalem ausgerichteten Wand. In den aschkenasischen Synagogen ist das die Ostwand. Entweder war diese Wand mit einer nach außen kragenden Nische ausgestattet oder der Schrein wurde vor die glatte Wand gestellt. Anders als in der Antike hat das Vorlesepult in den aschkenasischen Synagogen im Mittelalter seinen festen Platz gefunden. Es stand in der Mitte des Raumes. Daher wirkte sich, anders als in den christlichen Kirchen, die Zweischiffigkeit günstig auf die Gestaltung des Synagogeninnenraumes aus. In der Kirche versperrten die Säulen den Blick auf den Altar, in der Synagoge konnte die Bima in die Raummitte zwischen die beiden Säulen gestellt werden. Die Sitzreihen wurden um die Bima herumgruppiert. Der religiöse Mittelpunkt des Gottesdienstes, die Toralesung, sollte auch räumlich das Zentrum der Synagoge bilden.

Die vor dem 13. Jahrhundert errichteten Synagogen hatten alle keinen Frauenraum. Vermutlich konnten Frauen in dieser Zeit nicht am Gottesdienst teilnehmen. Die Wormser Synagoge erhielt erst 1212/1213 einen ebenerdigen Anbau. Die Verbindungswand zur Männersynagoge wies zunächst nur kleine Fensterchen auf, durch die die vorne sitzenden Frauen hindurchsehen und den Gottesdienst mitverfolgen konnten. Häufig "beschrieb" eine Vorbeterin den Verlauf des Gottesdienstes und gab den Frauen Anweisungen. Frauenemporen, die sich in Spanien bereits im 14. Jahrhundert entwickelten, gab es im aschkenasischen Raum erst vom 16. Jahrhundert an.

Der zweischiffige Baukörper ist nach heutigem Wissen erstmals in Worms zur Anwendung gekommen. Es folgten allerdings bald andere Bauten nach. Die aus dem 13. Jahrhundert stammende Regensburger Synagoge, ebenfalls zweischiffig, erhielt drei Säulen. Da nun in der Raummitte eine Säule stand, musste die Bima verschoben werden. Diese Lösung empfand man aber wohl als nicht sehr günstig, denn sie fand keine Nachahmer.

Die mittelalterliche Synagoge steht an exponierter Stelle im Stadtbild, sie ist oftmals von der gleichen Bauhütte erstellt worden wie die lokalen Kirchen bzw. Dome. Mit dem ausgehenden Mittelalter ändert sich das Bild. In vielen Regionen kam es seit dem 14. Jahrhundert immer wieder zu Pogromen mit oftmals tödlichem Ausgang für die Juden. Es folgten Auswanderungswellen nach Osten. Hier erlebte die Synagogenbaukunst eine neue Blüte. Andere Juden zogen von den Städten aufs Land, wo sie kleine und meist unbedeutende Landgemeinden bildeten. Diese Landgemeinden in Deutschland waren sehr ärmlich. Große Synagogengebäude wie im Mittelalter konnten sich die Juden nun nicht mehr erlauben, stattdessen mussten sie sich mit kleinen und von der Ausstattung her bescheidenen Betsälen begnügen. Zudem gestand die christliche Gesellschaft ihrer jüdischen Minderheit auch keine prachtvollen Bauten mehr zu.

Im 18. Jahrhundert verbesserte sich allmählich die Lage. Nun entstanden auch in den Dörfern, Landstädten und kleineren Residenzen zahlreiche eigenständige Synagogenbauten. Allerdings kann die architektonische Entwicklung nur noch teilweise nachvollzogen werden, da sich kaum Gebäude aus dem 16. und 17. Jahrhundert erhalten haben.

Die Dorf- und KIeinstadtsynagogen des 18. Jahrhunderts können in mehrere Bautypen untergliedert werden. Die kleineren Bauten auf dem Land wurden überwiegend als Fachwerksynagogen errichtet. Die Entscheidung für diesen Baustil hing sicherlich mit der geringen Finanzkraft der kleinen Gemeinden zusammen. Sie passten sich allerdings auch stark dem lokalen Wohnhausbau an. Dabei dürfte der Wunsch, sich von Kirchen zu unterscheiden, und vor allem das Bemühen, nicht aufzufallen, eine große Rolle gespielt haben. Die Innengestaltung der Synagogen war dennoch meist sehr prächtig.  Medien

Charakteristisch für den Synagogenbau im ausgehenden 18. Jahrhundert war in den Kleinstädten der Saalbau. Dieser Bautyp zeichnete sich durch einen längsrechteckigen Grundriss mit einem flachen Tonnengewölbe aus. Während bei den Dorfsynagogen sich der Betraum meist im Obergeschoss befand, lag der Kultraum bei den städtischen Synagogen im Erdgeschoss. Sofern eine Gemeinde eine hohe Bevölkerungszahl erreichte oder wenn der Landesherr sie ausdrücklich förderte, zeigten die Synagogen aufwendige Bauformen und standen frei im Ort. Wenn die Juden nur eine Minderheit bildeten oder keinen besonderen Schutz durch den jeweiligen Herrscher erfuhren, wurden die Synagogen in Hinterhöfen versteckt oder mussten dort gebaut werden. Die christliche Gesellschaft war, wie schon gesagt, nicht gewillt, ihrer jüdischen Minderheit repräsentative Bauwerke zuzugestehen.

Im 19. Jahrhundert änderte sich dies. Auf ihrem Weg in die bürgerliche Gesellschaft entwickelte die jüdische Gemeinschaft zunehmend mehr Selbstbewusstsein, das sich auch in den synagogalen Bauwerken niederschlug. Mit wachsender Emanzipation wünschten sich die Gemeinden Synagogenbauten, die auch äußerlich das gestiegene Selbstbewusstsein zum Ausdruck bringen sollten.

Schwierig gestaltete sich dabei die Wahl eines geeigneten Baustils. Eine Synagoge konnte bzw. durfte nicht in den Formen einer Kirche gebaut werden. Der gotische Baustil war fast ausschließlich den christlichen Konfessionen vorbehalten, der romanische Stil ebenfalls stark christlich belegt. Es stand daher nur eine kleine Auswahl an Baustilen zur Verfügung.

Seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts entschied sich eine ganze Reihe von Gemeinden für den sogenannten maurischen Stil als Ausdruck einer gewissen Selbständigkeit und Freiheit. Der maurische Stil wurde häufig als mit der Gotik verwandt dargestellt, die Verwendung des Spitzbogens in der arabischen Architektur als Vorläufer des gotischen Spitzbogens gesehen. Dennoch betrachtete man den arabischen Stil als minderwertig. Die zweitrangige Stellung der Juden in der Gesellschaft war derart tief verwurzelt, dass es gleichsam selbstverständlich schien, ihnen einen im Vergleich mit der Gotik zweitrangigen Baustil zu empfehlen. [6]

Eine Identifizierung der Juden mit orientalischen Völkern entsprach im 18. und 19. Jahrhundert der allgemeinen Auffassung. Die "Entdeckung" und Verwendung des maurisch-arabischen Stils beim Bau von Synagogen verwunderte daher nicht. In der zeitgenössischen Kritik gab es kaum negative Stimmen. Man bestaunte die aufwendigen Formen und bewunderte ihre Fremdartigkeit, so wie man es bei den maurischen Gartenhäusern in den fürstlichen Parks auch tat.

Die Verwendung maurischer Stilformen in der Synagogenarchitektur des 19. Jahrhunderts lag vor allem in dem Wunsch begründet, der Synagoge einen eigenen Charakter zu verleihen, sie nicht als Profanbau erscheinen zu lassen, sie aber auch vom christlichen Sakralbau abzuheben.  Medien

Von jüdischer Seite betrachtete man den maurischen Stil als Ausdruck einer vermeintlichen Freiheit. Aufgrund seiner Fremdheit wirkte dieser Stil in der bürgerlichen Gesellschaft alles andere als integrierend. Der Antisemitismus und die immer aggressiver werdende Propaganda gegen die Juden zeigten sehr bald, dass die 1871 gewährte Gleichberechtigung vielfach nur auf dem Papier stand. Im Synagogenbau führte dies dazu, dass seit den späten achtziger Jahren wieder der romanische Stil zum meistverwendeten wurde. Darüber hinaus forderten einzelne Vertreter des deutschen Judentums, dass "bei der Errichtung eines Gotteshauses man danach streben [müsse], nächst einem schönen Bauwerke zugleich ein nationales zu schaffen. Der deutsche Jude müsse also im deutschen Staate auch im deutschen Stile bauen". [7] Doch dieses so patriotische Bekenntnis wurde ihnen nicht gelohnt.

Die Bautätigkeit von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg war relativ stark. Nach 1918 änderte sich dies: Die wirtschaftliche Krise dezimierte das Vermögen der Gemeinden, und der Antisemitismus schränkte eine öffentliche Darstellung, wie es ein Synagogenbau war, zunehmend ein.

Bis über das Mittelalter hinaus war die Synagoge nicht nur die Stätte des gemeinsamen Gebets, sondern sie war auch der Ort der eigenen jüdischen Gerichtsbarkeit und zudem Herberge für bedürftige Durchreisende oder Vertriebene und Flüchtlinge. Diese vielfältige Nutzung der Synagoge, ihre sich im Laufe der Zeit wandelnden Funktionen können bei den Synagogen des 19. und 20. Jahrhunderts meist nur noch erahnt werden. Von einer Stätte, die die gesamte soziale, religiöse und kulturelle Existenz der Juden erfasste, wandelte sie sich zum religiösen und kulturellen Mittelpunkt. Die Synagoge wurde zum Ort des Gebetes, der Schabbatfeier und der gemeinsamen Festtagsgottesdienste, in vielen Gemeinden durch landessprachliche Predigten auch zu einem Ort der Lehre. Das Lernen, das über viele Jahrhunderte in der Synagoge selbst stattgefunden hatte, wurde in eigene Räume verlagert. Diese blieben aber meist in das Synagogengebäude integriert. Damit blieb die Einheit von Gottesdienst und Torastudium gewahrt. [8] Die heutigen Synagogen wie beispielsweise Dortmund, Recklinghausen oder auch Duisburg sind meist in größere Gebäudekomplexe integriert und bilden ähnlich wie im Mittelalter Gemeindezentren, in denen neben den religiösen Veranstaltungen wieder soziale und kulturelle Angebote für die Mitglieder bereit gehalten werden.

Inschriften spielen bei den Synagogen eine große Rolle. Sie finden sich sowohl außen über dem Portal wie auch im Innenbereich, hier vor allem auf dem Toraschrein. Die Inschriften waren traditionell in hebräisch gehalten und sind es bis heute. In wenigen Fällen gab es zum Ende des 19. Jahrhunderts und im frühen 20. Jahrhundert zweisprachige oder sogar nur einsprachig deutsche Inschriften. Zu den gebräuchlichsten Außeninschriften zählen "Mein Haus soll genannt werden ein Bethaus für alle Völker" (Jes 56,7) oder "Dies ist das Tor zum Ewigen, Gerechte werden hindurch schreiten" (Ps 118,20). Die Inschriften im Synagogeninnern sind sicherlich älter als die Außeninschriften. Zu den am häufigsten verwendeten Versen gehört "Wisse, vor wem du stehst". Dieser Spruch nimmt ein Wort aus dem Talmud auf, in dem es heißt: "und wenn ihr das Gebet verrichtet, wisset, vor wem ihr steht" (Berachot 28b). So ist dieser Vers als Inschrift über den Toraschreinen der Synagogen von Paderborn und Niedermarsberg überliefert. Leider können wegen der oftmals schlechten Dokumentation vieler Synagogen die Inschriften in den meisten Fällen nicht mehr ermittelt werden. Selbst bei den erhalten gebliebenen Gebäude erinnern meist nur leere Flächen an die früheren Inschriften. [9]

Neben einer Inschrift über dem Haupteingang dokumentierte sich die Synagoge nach außen vielfach auch mit den Bundestafeln, den Tafeln der Zehn Gebote. Sie befanden sich entweder unmittelbar über dem Eingang, in den Giebel eingelassen oder als Aufsatz bzw. Bekrönung eines Giebels. Die Tafeln zeigten meist die hebräischen Anfänge der Gebote oder führten in römischen Ziffern die Zahlen an.

Die Pogromnacht vom 09.11.1938 bedeutete für die westfälischen Synagogen einen entscheidenden Einschnitt. Die Mehrzahl der Gebäude wurde in dieser Nacht niedergebrannt oder verwüstet. Die Ruinen mussten meist in den folgenden Wochen und Monaten auf Anweisung der Behörden gänzlich abgetragen werden oder fielen während des Krieges den Bombardierungen zum Opfer. Von den mehr als 200 Synagogen, die es in den dreißiger Jahren in Westfalen gab, standen im Sommer 1945 nur noch ca. 70. Die jüdischen Gemeinden hatten diese Gebäude bereits vor 1938 verkauft und die neuen nichtjüdischen Eigentümer sie zu profanen Zwecken genutzt.


Neue Synagogen in Westfalen nach 1945

Nach dem Krieg dauerte es mehrere Jahrzehnte, bis man sich der besonderen Bedeutung dieser Gebäude erinnerte. Vielerorts nutzte man die ehemaligen Synagogen als Werkstätten, Lagerschuppen, Garagen oder auch als Diskotheken. Durch die Initiative engagierter Bürgerinnen und Bürger konnte oftmals nach zähen Verhandlungen erreicht werden, dass die ehemaligen Synagogengebäude vor dem weiteren Verfall und dem drohenden Abbruch bewahrt wurden und restauriert werden konnten. Dennoch werden diese Gebäude nicht wieder als Bethäuser verwendet, da in den jeweiligen Orten keine jüdischen Gemeinschaften mehr existieren.

Heute werden die Gebäude als kulturelle Veranstaltungsorte, als Museen oder Gedenkstätten genutzt. Beispiele finden sich u.a. in Hagen-Hohenlimburg, Selm-Bork, Drensteinfurt oder in Marsberg-Padberg. Daneben gibt es auch Gebäude, von deren Existenz als Synagoge man weiß, aber man aus unterschiedlichen Gründen nicht daran erinnern möchte. Diese Häuser werden z.B. als Wohngebäude oder, wie etwa in Bad Driburg, als Getränkemarkt genutzt.  Medien /  Medien

Die vielen bis 1933 organisch gewachsenen jüdischen Gemeinden waren 1945 vernichtet. Die Gemeinden, die nach 1945 in Deutschland neu entstanden, hatten eine völlig andere Struktur. Sie waren klein und ihre Mitglieder meist ältere, der Verfolgung und Ermordung entronnene Personen und Familien, deren Kinder überwiegend nach 1945 geboren waren. Die ersten Gottesdienste fanden zunächst in Privathäusern statt. Immer wieder stand die Frage im Raum, ob auf Dauer ein Gemeindeleben in Deutschland möglich sein würde. Stärker als die Zweifel war schließlich der Wille einzelner, jüdisches Leben in Deutschland neu aufzubauen.

Mitte der fünfziger Jahre entstanden die ersten Pläne für neue Synagogenbauten. In Westfalen konnten bis 1961 sechs Synagogen eingeweiht werden: Dortmund 1956, Minden und Gelsenkirchen 1958, Paderborn 1959, Hagen 1960 und Münster 1961. 1963 erfolgte die Einweihung der Synagoge in Bielefeld. In Recklinghausen und Detmold gab es neue Betsäle in den Gemeindehäusern.

Die Neubauten entstanden ohne Anknüpfung an die Synagogen der Vorkriegszeit. Man wollte sich bewusst abheben von den pompösen Monumentalbauten der jüngeren Vergangenheit. Eklektizismus und Historismus hatten abgewirtschaftet. Funktion und Technik, d.h. gottesdienstliche Abläufe und zeremonielle Handlungen bestimmten die Formen und die Bauweise. Im jüdischen Gottesdienst steht die versammelte, mithandelnde Gemeinde, die Lesung aus der Tora und eventuell eine Auslegung des Toratextes im Mittelpunkt des Geschehens. Darüber hinaus galt es, wie der Architekt Hermann Zvi Guttmann formulierte, "das Gemeindeleben so zu gestalten, dass alle Mitglieder zusammengebracht werden, dass sie sich neben dem Gottesdienst auch gesellschaftlich näherkommen [10]". Diese Vielfalt der Aufgaben bedingte daher beim Synagogenbau eher eine Ähnlichkeit mit den Bethäusern der Gemeinden in weit zurückliegender Vergangenheit als mit den Synagogen der letzten einhundertfünfzig Jahre.

Die neuentstandenen Synagogen sind fast alle mit einem kleineren oder größeren Gemeindezentrum verbunden. Die Gebäude verfügen neben dem Bethaus und oft einer Mikwe auch über Gesellschaftssäle, Unterrichts- und Gruppenräume für die Jugend sowie Räume für Verwaltungsangelegenheiten.

Der jüngste Synagogenneubau im westfälischen Landesteil steht in Recklinghausen, im Januar 1997 eingeweiht. Der jüngste Neubau in Nordrhein-Westfalen findet sich in Duisburg. Das architektonisch eindrucksvoll gestaltete Gebäude, im Mai 1999 fertiggestellt, beherbergt neben der Synagoge auch Veranstaltungsräume und Büros.  Medien

Die Synagogen haben die Wanderung der Juden durch die ganze Diaspora begleitet. Überall, wo sie sich in genügender Zahl niederließen, haben Juden ihre Synagogen errichtet - und dies ist bis auf den heutigen Tag so geblieben.


Jüdisches Leben in Westfalen

Die Geschichte der Juden im Gebiet des heutigen Deutschland reicht zurück bis in die Spätantike. Die ersten Juden dürften vermutlich im Gefolge der römischen Legionen den Rhein aufwärts ziehend als Händler und Kaufleute in das heutige Nordrhein-Westfalen gekommen sein. Urkunden des römischen Kaisers Konstantin aus den Jahren 321 und 331 an den Stadtrat von Köln beweisen erstmals die Existenz einer jüdischen Gemeinschaft in den Mauern der Stadt. Mit dem Untergang des römischen Reiches verschwand vermutlich auch das jüdische Leben. Für die folgenden Jahrhunderte lassen sich keine Spuren mehr auffinden.

Erst im Frühmittelalter, vom 9. Jahrhundert an, können wieder Juden in der Region nachgewiesen werden. Das Rheintal entwickelte sich nun zu einem wichtigen Zentrum jüdischen Lebens und jüdischer Gelehrsamkeit. Die größte, jüdische Gemeinde befand sich in Köln. Weitere wichtige Gemeinden existierten in Speyer, Mainz und Worms. Dabei hatte sich vor allem Mainz zu einem bedeutenden Ort jüdischer Gelehrsamkeit entwickelt. Die ersten namentlich bekannten Juden in Westfalen, Mar Schemarja (1096) und Juda ben David Halevi (1127/1128), stammten aus Köln. Bis etwa 1200 blieb Köln das Zentrum jüdischen Lebens sowohl für Westfalen als auch für das Rheinland. Der dortige Friedhof musste von allen in diesem Gebiet angesiedelten Juden zur Bestattung ihrer Toten genutzt werden. [11] Im Gefolge des ersten Kreuzzugs kam es 1096 zu grausamen Pogromen, denen in den Gemeinden entlang des Rheins zwischen 4.000 und 5.000 Menschen zum Opfer fielen.

Vom 12. bis zum 18. Jahrhundert war jüdisches Leben in Westfalen wie andernorts auch von einem ständigen Auf und Ab gekennzeichnet. 1350 traf die aufstrebende jüdische Gemeinschaft eine Katastrophe, die zu einer fast vollständigen Zerschlagung alles Jüdischen führte. Wie in vielen Teilen Europas wurden auch die westfälischen Juden von ihren christlichen Nachbarn für den heimtückischen "Schwarzen Tod", die Pest, verantwortlich gemacht und, so berichten einige Chroniken, "wie Vieh geschlachtet". Die nachfolgenden drei Jahrhunderte bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges bedeuteten für die Juden in Westfalen wie auch im Deutschen Reich den Tiefpunkt jüdischer Geschichte vor der Zeit des Nationalsozialismus. In der ständigen Gefahr ausgewiesen zu werden, bei oftmals nur kurzfristigen Niederlassungserlaubnissen, von vielen größeren Städten ausgeschlossen und daher auf dem Lande siedelnd sowie auf nur wenige Berufe beschränkt, lebten die meisten Juden fast ständig am Rande des Existenzminimums. Erst mit dem Ende des 18. Jahrhunderts, mit den Auswirkungen der Französischen Revolution auf Westfalen, kam es zu kurzfristigen, und dann mit dem Beginn der preußischen Ära 1811 zu langfristigen Veränderungen und Verbesserungen der Lebensbedingungen.

Die Zahl der jüdischen Einwohner Westfalens stieg nun stetig an. Von ca. 9.500 im Jahre 1816 und 11.142 im Jahre 1825 verdoppelte sie sich fast auf 17.245 im Jahre 1871 und erreichte damit zur Zeit der Reichsgründung etwa 1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Bis 1925 stieg ihre Zahl zwar weiter an, auf über 25.500 Personen, ihr Anteil an der Bevölkerung betrug aber nur noch 0,5 Prozent. [12]

Von ihrer beruflichen Struktur her standen sich die Juden in den westfälischen Kleinstädten und Dörfern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wirtschaftlich nicht viel besser als in den Jahrzehnten zuvor. Sie waren Trödler, Krämer und Hausierer, Schlachter und Viehhändler. Einige von ihnen betätigten sich gelegentlich als Geldverleiher oder vermittelten Grundstücksgeschäfte. Erst mit dem Fortschreiten der Emanzipation und der Gewerbefreiheit erhielten die Juden Zugang zu ihnen bisher verschlossenen Berufsgruppen und Handelszweigen. Damit verbunden war für viele Familien ein wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Aufstieg. Hinzu kam ein bereits im frühen 19. Jahrhundert einsetzender Aufstieg ins Bildungsbürgertum. [13]

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zählte die Mehrheit der westfälischen Juden zum städtischen Bürgertum und zum ländlichen Mittelstand, Es gab zudem eine kleine Gruppe von Großunternehmern und Privatbankiers sowie eine kleinbürgerliche Schicht aus Krämern, Handwerkern, Verkäufern, Buchhaltern, Handlungsreisenden sowie jüdischen Volksschullehrern und Beamten der jüdischen Gemeinden. Eine jüdische Unterschicht gab es nur in geringem Umfang. Sie setzte sich zusammen aus Arbeitern, Dienstboten und Hilfskräften. [14]

Anfang der dreißiger Jahre, kurz vor dem Beginn der NS-Zeit, gab es in Westfalen 120 jüdische Gemeinden. Es waren in der Mehrheit kleine und mittlere Gemeinden mit weniger als 250 Mitgliedern, zum Teil sogar weniger als 50 Personen. Sie waren charakteristisch für das jüdische Leben in dieser Zeit. Die größeren Gemeinden fanden sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, im Ruhrgebiet. Dort lagen auch die Gemeinden mit über tausend Mitgliedern: Dortmund, Bochum und Gelsenkirchen.


[1] Chajim Halevy Donin: Jüdisches Leben heute. Eine Einführung zum jüdischen Wandel in der modernen Welt. Zürich 1987, S. 192.
[2] Jüdische Gemeinden und Institutionen in der Provinz Westfalen 1932. In: Führer durch die jüdische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland, 1932 - 1933. Hrsg. von der Zentralwohtfahrtsstelle der deutschen Juden. Abgedruckt in: Hans Chanoch Meyer: Aus Geschichte und Leben der Juden in Westfalen. Frankfurt a.M. 1962, S. 159-185.
[3] Feuer an Dein Heiligtum gelegt. Zerstörte Synagogen 1938. Nordrhein-Westfalen. Erarbeitet vom Salomon-Ludwig-Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte. Hrsg. von Michael Brocke und Meir Schwarz. Bochum 1999, S. XIV.
[4] Feuer an Dein Heiligtum gelegt. Zerstörte Synagogen 1938. Nordrhein-Westfalen. Bochum 1999, S. XVl.
[5] Salomon Korn: Deutsche Synagogen: Eine Einführung. In: Synagogen in Deutschland. Eine virtuelle Rekonstruktion. Bonn 2000, S. 25.
[6] Harold Hammer-Schenk. Die Architektur der Synagogen von 1780 bis 1933, In: Hans-Peter Schwarz (Hrsg.): Die Architektur der Synagoge. Frankfurt a.M. 1988, S. 157-285. Zum maurischen Stil s. S. 194ff.
[7] Edwin Hoppler (1831-1890): Leben und Schicksal. Zur Einweihung der Synagoge in Hannover. Zitiert nach: Hermann Zvi Guttmann: Vom Tempel zum Gemeindezentrum. Synagogen im Nachkriegsdeutschland. Hrsg. von Sophie Remmlinger und Klaus Hofmann. Frankfurt a. M. 1989, S. 8.
[8] Feuer an Dein Heiligtum gelegt. Zerstörte Synagogen 1938. Nordrhein-Westfalen. Bochum 1999, S. XXIll.
[9] Feuer an Dein Heiligtum gelegt. Zerstörte Synagogen 1938. Nordrhein-Westfalen. Bochum 1999, S. XXIV/Vf.
[10] Hermann Zvi Guttmann: Vom Tempel zum Gemeindezentrum, S. 9.
[11] Diethard Aschoff: Die Juden in der Spätantike und Mittelalter. In: Michael Zimmermann (Hrsg.): Die Geschichte der Juden im Rheinland und in Westfalen. Köln 1998, S. 15-78 (hier S. 16).
[12] Diethard Aschoff: Juden in Westfalen. Münster, 3, durchgesehene Aufl. 1995, S. 17.
[13] Yvonne Rieker, Michael Zimmermann: Von der rechtlichen Gleichstellung bis zum Genozid. In: Michael Zimmermann (Hrsg.): Die Geschichte der Juden im Rheinland und in Westfalen, Köln 1998, S. 141-259 (hier S. 149 und 151).
[14] Yvonne Rieker, Michael Zimmermann: Von der Gleichstellung bis zum Genozid, S. 154.




Westfalen im Bild, Reihe: Westfälische Kulturgeschichte, Heft 17