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Teil 2 –
Tagungsdokumentation

 
 
 

"Politische Partizipation von Frauen im 20. Jahrhundert"

 
 



 




 
 





 
Elke Stolze
 
 
 

"Newcomerinnen" in den Parlamenten: Politikerinnen in der Weimarer Republik

 
 
 
Bereits drei Tage nach der Abdankung des deutschen Kaisers Wilhelm II. verkündete der Rat der Volksbeauftragten mit Gesetzeskraft am 12.11.1918 neben der Aufhebung des Belagerungszustandes und der Beschränkungen des Vereins- und Versammlungsrechtes auch die Einführung des gleichen, geheimen, direkten und allgemeinen Wahlrechts für alle mindestens zwanzig Jahre alten männlichen und weiblichen Personen. Ein Novum, das Frauen endlich ermöglichte zu kandidieren, den entscheidenden Schritt auf dem Weg ins Parlament zu wagen und ihnen bisher nicht bekannte Perspektiven einer politischen Karriere eröffnete.

Zügig setzten sogleich die Vorbereitungen für neue Wahlordnungen auf Reichs- und Länderebene ein. Vor diesem Hintergrund hatte Minna Cauer beantragt, eine Quotenregelung für Frauen in den Abgeordnetenlisten [1] im Wahlgesetz festzuschreiben. Ein Ansinnen, das Staatssekretär Hugo Preuß während der Debatte zum Entwurf der Wahlordnung im Regierungskabinett mit der Bemerkung
"sie fürchtet wohl, dass die Frauen sonst zu schlechte Plätze auf den Listen bekommen" [2]

zurückwies. Angesichts der programmatischen Festlegung zum Frauenstimmrecht durch die Regierung wolle er aber persönliche Vorbehalte in dieser Frage, die er mit einem bestehenden Unterschied zwischen einem zwanzigjährigen Arbeiter und einem zwanzigjährigen Mädchen begründete, zurückstellen. [3] Worin dieser Unterschied tatsächlich bestand, blieb unausgesprochen und scheint einer allgemein vorherrschenden Ansicht zu entsprechen, für die es keinen Erklärungsbedarf gab. Folgerichtig erklärte Preuß dann auch, dass mit den Wahlen verbundene Ämter
"auch den Frauen übertragen werden können … Nachdem die Frauen aktiv und passiv wahlberechtigt sind, müssen sie auch ebenso wie die Männer zu den Ämtern und Vertrauenspersonen zugelassen werden, die das neue Wahlrecht für die Wahlberechtigten vorsieht. Sie sind also insbesondere befugt, als Wahlvorsteher oder als Beisitzer oder Schriftführer in den Wahlvorständen und Wahlausschüssen tätig zu werden und können gemäß § 16 der Wahlordnung als 'Vertrauensmänner'? bezeichnet werden." [4]

Die Frauen waren sich der Tragweite des Dekretes bewusst. Wenngleich der Umgang mit den neuen Rechten und Pflichten ebenso wie die Wahl geeigneter Mittel unter den neuen politischen Bedingungen für die Frauen viel Neues, Ungewohntes brachte, stellten sie sich der damit verbundenen Herausforderung.

Am Beispiel der Region des heutigen Sachsen-Anhalt soll in diesem Beitrag der Frage nachgegangen werden, wie die Wählerinnen, insbesondere aber die Parlamentarierinnen der 'ersten Stunde? diese neuen Herausforderungen bestanden, welchen Hindernissen sie begegneten, aber auch welche Möglichkeiten sich ihnen durch die Wahrnehmung ihres neuen Rechts auf politische Partizipation eröffneten.

"... die jetzige Regierung [hat] uns das Wahlrecht nicht etwa aus Liebe zu den Frauen gegeben", [5]

klärte Margarete Rive, Vorsitzende des Büros des "Nationalen Frauendienstes", am 21.11.1918 unmissverständlich in Halle die dortigen Vertreterinnen der Frauenvereine auf. Die engagierte Ehefrau des Oberbürgermeisters der Saalestadt befürchtete, dass die "bürgerlich ungeschulten Frauen" im Unterschied zu den sozialdemokratischen den Wahlen "lau und gleichgültig" gegenüberstünden. Die versammelten Frauen gingen von etwa 55.000 wahlberechtigten Frauen in der Saalestadt aus und davon, dass
"die Sozialdemokratinnen … geschlossen an die Wahlurne herantreten"

würden. Auch deshalb sei es wichtig, dass die bürgerlichen Frauen "im Interesse des Bürgertums" wählen würden.
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Marie Kettmann im anhaltinischen Landtag (1919)
 
 
Die Vorsitzende des halleschen Frauenbildungsvereins, Dr. Agnes Gosche, eine in Zürich promovierte Lehrerin, nun Direktorin der Frauenschule Halle und Initiatorin zahlreicher Projekte, die den Halleschen Lehrerinnenverein und den Frauenbildungsverein Halle gegründet hatte, wies in ihrem Redebeitrag auf die Notwendigkeit hin, der Wahlpflicht nachzukommen und schlug vor, sich
"durch ganz populär gehaltene Vorträge von Mädchen oder Frauen"

besonders an die Frauen des Mittelstandes zu wenden. Für die längjährig in der bürgerlichen Frauenbewegung engagierte Agnes Gosche stellte sich das Frauenwahlrecht als bedeutendste Errungenschaft eines langwierigen Kampfes und ihre politische Positionierung in der liberalen Deutschen Demokratischen Partei [6] als logische Folge ihres Engagements dar. Ausgestattet mit deren Mandat kandidierte sie-wenn auch erfolglos-bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung am 19.01.1919 [7] im Regierungsbezirk Merseburg.
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Fräulein Dr. Gosche
 
 
Wie ein Blick auf die Wahlbeteiligung am 19.01.1919 zeigt, konnten Frauen als Wählerinnen sehr wohl gewonnen werden. "Die Wahlbeteiligung", schätzte der Bürgermeister von Zörbig im Landkreis Bitterfeld ein,
"war eine ungemein rege. Lange vor Beginn der auf 9 Uhr angesetzten Wahlakte fanden sich die Wähler und Wählerinnen in den Wahllokalen ein und bald bildeten sich lange Aufstellungen. Ein Blick auf die Leute zeigte sofort, dass die Frauen und Mädchen ihr Wahlrecht, das sie zum ersten Male ausüben konnten, wohl zu schätzen wussten. Denn die Beteiligung der weiblichen Wählerschaft stand durchaus nicht zurück hinter der von männlicher Seite ausgeübten." [8]

Auch die "Magdeburger Volksstimme" berichtete, dass
"die Frauen und Mädchen … von ihrem neuen Rechte tüchtig Gebrauch gemacht [haben und man] in den Arbeitervierteln … schon am Vormittag sehr viele Frauen und Mädchen sehen [konnte], die allein oder in Gesellschaft der Freundinnen oder Nachbarinnen oder des Mannes zur Wahl gingen." [9]

Entsprach die weibliche Wahlbeteiligung auch der Präsenz weiblicher Kandidatinnen und der Bereitschaft, die politische Macht mit den Frauen gleichberechtigt zu teilen?

Wer waren und woher kamen die "Newcomerinnen"? Wofür stritten sie?-Fragen, denen in diesem Beitrag am Beispiel der weiblichen "Herren Abgeordneten" [10] der Region Sachsen-Anhalt nachgegangen werden soll.

Die Wahlberechtigten im Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt konnten in den Jahren der Weimarer Republik über Mandate für den Reichstag und drei Landtage entscheiden. Von diesen vier Parlamenten besaßen neben dem Reichstag, und im Unterschied zum Landtag der Preußischen Provinz Sachsen (Provinziallandtag Sachsen), nur der Landtag des Freistaates Anhalt und der Preußische Landtag gesetzgebende Kompetenz. Im Zeitraum zwischen 1918 und 1933 nahmen in diesen vier Parlamenten insgesamt 29 Frauen aus der Region Sachsen-Anhalt ein Mandat wahr, wobei nicht in jedem Parlament und in jeder Wahlperiode eine Frau vertreten war. Drei der Frauen waren Abgeordnete in mehr als einem der genannten Parlamente. Mit 23 entfielen die meisten der Mandate auf eine der Arbeiterparteien: drei auf die USPD, neun auf die SPD und elf auf die KPD. Demgegenüber kamen jeweils drei von Frauen wahrgenommene Mandate auf die DVP und die DNVP. Nicht selten nahmen die Frauen außerdem ein kommunales Mandat wahr.

Bereits wenige Wochen nach Verkündung des neuen Wahlrechtes fanden am 15.12.1918 Landtagswahlen [11] in Anhalt statt. Für die neu zu wählende Landesversammlung warben 75 Kandidaten um die Gunst der Wählerinnen und Wähler-darunter sechs Frauen, was einem Anteil von acht Prozent entsprach. Keine der Kandidatinnen belegte einen erfolgversprechenden vorderen Listenplatz oder nahm mit den 36 Abgeordneten im Plenarsaal des Behördenhauses anlässlich der noch vor Weihnachten stattfindenden ersten Sitzung Platz. Auch nicht Marie Kettmann, die auf Listenplatz 13 als einzige Frau auf der sozialdemokratischen Liste kandidierte. Erst infolge des Ausscheidens der staatsbeamteten Abgeordneten im Dezember 1919 rückte die inzwischen einundsechzigjährige Sozialdemokratin Marie Kettmann in das Parlament nach. Der Sozialdemokrat und Landtagspräsident Heinrich Peus stellte bei ihrer Einführung fest, dass damit
"zum ersten Male auch eine Frau in dieses Haus eingetreten"

sei. Zugleich sprach er die
"Hoffnung und Erwartung …[aus]…, dass [dies] auch für das weibliche Geschlecht Bedeutung haben [werde]... Wenn auch die Stimme einer Frau nicht von großer Wichtigkeit sein kann bei einer so großen Zahl von Männern, so ist doch schon die alleinige Anwesenheit einer Frau eine stetige Mahnung daran, dass es außer dem männlichen Geschlecht auch noch ein weibliches gibt, das mit seinen Interessen Berücksichtigung verdient", [12]

formulierte er höflich. Marie Kettmann fand Berücksichtigung: Nachdem aufgrund des Ausscheidens der Staatsratsmitglieder Neuwahlen für die Ausschüsse vorgenommen werden mussten, [13] wurde die Ehefrau eines Schiffers und Mutter einer inzwischen erwachsenen und selbst verheirateten Tochter aus Roßlau in den Petitionsausschuss gewählt. Wie im Landtag Anhalt war Marie Kettmann auch im Stadtparlament ihrer Heimatstadt Roßlau die erste weibliche Abgeordnete. Ihre Nominierung für den Wahlvorschlag der SPD anlässlich der Wahlen zur konstitutionellen Landesversammlung lässt ein langjähriges parteipolitisches Engagement vermuten. Dafür spricht auch ihr Wirken als Vorsitzende der SPD-Frauengruppe in Roßlau. [14] Allerdings blieben der Landtagsabgeordneten Marie Kettmann angesichts der eingeschränkten Legislaturperiode nur wenige Monate ihrem Gestaltungswillen Ausdruck zu verleihen. Als Berichterstatterin des Petitionsausschusses zum Antrag der Gemeinde Klepzig bei Köthen auf Genehmigung der freien Hebammenwahl hatte sie noch im Dezember 1919 ihren einzigen Auftritt im Plenum, um den aus Sicht des Ausschusses fehlenden Handlungsbedarf zu erläutern. [15] Mit ihrer Feststellung:
"Die freie Hebammenwahl würde die Existenz der Bezirkshebamme auf das schwerste gefährden, für deren Erhaltung aber die Aufsichtsbehörde im Allgemeininteresse verpflichtet sei. Denn durch die Inanspruchnahme einer freien Hebamme werde das Einkommen der Bezirkshebamme geschmälert und es entstehe die Gefahr, dass eine Bezirkshebamme nicht mehr gehalten werden könne", [16]

bekräftigte die Abgeordnete Kettmann nicht nur das geltende Finanzierungsmodell der Bezirkshebammenstelle. Sie vermittelte gleichermaßen den Eindruck, einen weiblichen Erwerbszweig-zumindest für den Teil der staatlich angestellten Hebammen-zu sichern. Eine Lösung, die den Interessen der Gebärenden wie auch der staatlichen wie freischaffenden Hebammen gerecht zu werden vermochte, stand allerdings nicht zur Debatte.
 
 
 
Der nachfolgende im Juni 1920 gewählte Landtag blieb bis 1924-ebenso wie jener im April 1932 gewählte-ausschließlich Männern vorbehalten. Angesichts instabiler politischer Kräfteverhältnisse fanden im Jahr 1924 auch im Freistaat Anhalt zweimal Landtagswahlen statt. Wegen des Stimmenzuwachses ihrer Partei gelang es der Sozialdemokratin Frieda Fiedler aus Bernburg trotz ihres hinteren Listenplatzes im November 1924 eines der 15 Mandate zu erlangen. Frieda Fiedler, die ebenso wie Kettmann, lange Jahre als Stadträtin in Bernburg parlamentarisch gewirkt hat, blieb in zwei Wahlperioden bis 1931 die einzige weibliche Abgeordnete in diesem Landtag. Die in Altona als Tochter eines Korbmachers geborene Frieda hatte in Halle die Volksschule besucht, war seit 1908 Mitglied der SPD und hatte ebenso wie Kettmann in ihrer Heimatstadt die Frauenstrukturen in ihrer Partei aufgebaut. Zudem gehörte sie 1920 zu den MitbegründerInnen der Arbeiterwohlfahrt in der Saalestadt. Als Stadträtin wie als Landtagsabgeordnete trat die Sozialdemokratin erfolgreich für den Ausbau der Schwangeren- und Säuglingsfürsorge, für die Einrichtung von Kinder- und Jugendheimen, für Kinderferienspiele, für Schulspeisung, für hygienische Wohnverhältnisse und für die Tuberkulosefürsorge ein. Vor dem Hintergrund der Verabschiedung eines Gesetzes über den Schutz von Mutter und Kind (1928) trat sie für die Aufhebung der für "landwirtschaftliche Arbeiterinnen und die Hausangestellten" geltenden Ausschlussregelungen ein. An anderer Stelle warnte die Abgeordnete davor, angesichts zu verzeichnender Erfolge in der Säuglingsfürsorge, Abstriche auf dem Gebiet der Wohlfahrtspflege und Fürsorge zu machen. Nach ihrer Meinung sei das die schlechteste Stelle für Sparmaßnahmen, stattdessen müsse die Fürsorge so gestaltet werden, dass sie den Verhältnissen Rechnung tragen könne. [17] Auch hob sie hervor, dass es nicht ausreiche, sich um Kinder und Säuglinge zu kümmern, wenn die Mütter selbst vergessen würden. Mit Blick auf bestehende Rechtsregelungen zur strafrechtlichen Verfolgung von Abtreibungen und vor dem Hintergrund der reichsweiten Diskussionen zur Abschaffung der §§ 218/219 StGB appellierte sie 1925:
"Meine Herren! Jede Frau, die in der Lage … und in den Verhältnissen ist, einem Kind das Leben geben zu können, gibt es dem Kinde sehr gern, und eine Frau, die einen Eingriff an sich vollziehen lässt, ist jedenfalls durch die Verhältnisse dazu gezwungen. Aus Vergnügen macht sie das niemals. … Sie tut es nicht aus Übermut oder aus Bequemlichkeit … Eine Frau schreitet nur dann zu einem solchen Eingriff, wenn … bitterste Not vorliegt." [18]

Über zwei Wahlperioden die einzige Frau im Landtag von Anhalt verschaffte sich die Sozialpolitikerin Fiedler ebenso Gehör wie auch Respekt. Frieda Fiedler ergriff Partei für Frauen und nutzte parlamentarische Spielräume im Interesse von Frauen. Dabei ging es ihr sowohl um eine Verbesserung der Situation als auch um die Anerkennung der Leistungen von Frauen. Nicht ohne Stolz verwies sie auf eine längst spürbare Professionalisierung der Arbeiterfrauen im Bereich der Fürsorge und Wohlfahrtspflege und forderte eine entsprechende Wertschätzung für alle sich in diesem Bereich engagierenden Frauen ein.

Als eine von insgesamt nur fünf Mandatsträgerinnen im Landtag Anhalt zwischen 1918 und 1933 war die Sozialdemokratin nicht nur die einzige Frau in ihrer Fraktion, sondern überhaupt die einzige Mandatsträgerin im Parlament. Ein Problem, das in dieser Form für die Mandatsträgerinnen der Region Sachsen-Anhalt weder in der Nationalversammlung wie im späteren Reichstag noch im Preußischen Landtag bestand.

Immerhin befanden sich unter den 423 Abgeordneten, die im Ergebnis der Wahlen im Januar 1919 in der Weimarer Nationalversammlung ein Mandat ausübten, 36 Frauen. Mit Anna Hübler (USPD) aus Schkeuditz und Minna Bollmann (SPD) aus Halberstadt begannen zwei Frauen aus der Region Sachsen-Anhalt im Ergebnis dieser Wahlen Reichspolitik mit zu gestalten. Letztere verzichtete dafür sogar auf das eine Woche später errungene Landtagsmandat. Die zwei einzigen Frauen unter den zwanzig Mandatsträgern aus den Wahlkreisen 12 (Magdeburg/ Anhalt) und 13 (Merseburg) verfügten über langjährige Erfahrungen in der Arbeiterinnenbewegung und besaßen als Ehefrauen eine in jener Zeit nicht selbstverständliche abgeschlossene Berufsausbildung als Kontoristin bzw. Schneiderin. Als 1908 mit der Veränderung des Reichsvereinsrechtes das "Politikverbot" für Frauen aufgehoben wurde, begannen beide Frauen sozialdemokratische Frauenstrukturen aufzubauen. Ihre Wortmeldungen in der von Clara Zetkin redigierten Arbeiterinnenzeitung "Die Gleichheit" sprechen nicht nur für ihr frühzeitiges Engagement, sondern auch für wahrgenommene Verantwortung.
 
 
 
Beide Frauen gehörten zu den Protagonistinnen des Frauenwahlrechtes, was nicht zuletzt ihre Nominierung und auch wiederholte Bereitschaft zu kandidieren, erklärt. Trotz ihrer langjährigen politischen Erfahrungen gehörten sowohl Anna Hübler als auch Minna Bollmann im Parlament zu den sogenannten "Hinterbänklerinnen". Das hinderte die SPD-Bezirksorganisation Magdeburg dennoch nicht, erstmals 1921 mit der wiederholten und erfolgreichen Nominierung der Halberstädterin Minna Bollmann auf Listenplatz 1 zu den preußischen Landtagswahlen eine spektakuläre Entscheidung zu treffen.
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Minna Bollmann (1928)
 
 
Im Reichstag wiederum nahmen bereits acht Frauen für die Region Sachsen-Anhalt ein Mandat wahr. Auch Marie Wackwitz, die bei den Reichstagswahlen 1920 ebenso wie die Goslarer Fabrikbesitzerin Katharina von Oheimb ein Mandat erhielt, verfügte über langjährige politische Erfahrungen in der Arbeiterinnenbewegung. Die gebürtige Dresdnerin und Frauensekretärin im Bezirk Halle-Merseburg agierte frauenpolitisch konsequent und bestach bei ihren zwölf Auftritten durch Sicherheit und Souveränität ebenso wie durch eine deutliche Sprache. [19] Die Möglichkeit persönlicher Bemerkungen nutzend, forderte sie für sich als Frau und als Kommunistin Respekt und Gleichbehandlung durch die Parlamentarier. Während der parlamentarischen Debatte im März 1921 über die Zulassung der Frauen zu Gerichten positionierte sich Marie Wackwitz selbstbewusst:
"in den Anträgen, die uns vorliegen, wird ausgesprochen, dass nun endlich die Zeit da ist, … auch uns Frauen die Möglichkeit [zu geben], in ein Amt einzutreten, bei dem die Mitwirkung der Frauen eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist … Meine Herren! Sie müssen sich daran gewöhnen, dass nunmehr die Zeit vorüber ist, wo allein der Mann das Recht hatte, Urteile über die Frauen zu fällen." [20]

Der durch den DVP-Abgeordneten Kahl im Plenum vertretenen Auffassung, dass es die
"Eigenheit des Weibes … nicht möglich mache, sie ins Amt eines Richters einzuführen" [21],

widersprach die Parlamentarierin mit dem deutlichen Hinweis auf die Einbeziehung von Frauen in das Kriegsgeschehen kurz vor Ende des Krieges [22] und appellierte:
"Wenn man dort Frauen die Möglichkeit gab, über Abbruch und Verlängerung des Krieges zu entscheiden … darf man sie hier nicht für unfähig erklären, das Amt eines Schöffen oder Geschworenen auszuüben." [23]

Jene Frauen in den bürgerlichen Parteien, die Kahls Position bekräftigten, mussten sich die Frage gefallen lassen
"warum sie … nicht die Einführung der Frauen ins Parlament abgelehnt haben. Wenn Sie Ihre Befähigung hier im Reichstag für ausreichend halten, im Rahmen der Gesetzgebung ihre Pflicht zu tun …" [24]

Katharina von Oheimb, Fraktionskollegin von Kahl, an deren Adresse dieser Hinweis von Wackwitz wohl auch gegangen ist, mischte sich jedoch in diese Diskussion nicht ein; überhaupt ergriff sie nur einmal das Wort, um ihre persönliche Auffassung über die Rolle der Frauen in den Parlamenten deutlich zu machen:
"Wir Abgeordnete sind nicht die Vertreterinnen nur der Rechte der Frauen, sondern wir sind die Vertreterinnen unserer Wähler, der Männer und Frauen, die hinter uns stehen. Selbstverständlich, meine Damen, stehe ich nicht hier, um den Korpsgeist zwischen uns zu stören. Ich möchte aber einmal feststellen, dass wir grundsätzlich dieselben Rechte haben wie die Männer und deshalb Seite an Seite mit ihnen unsere Rechte besser vertreten, als wenn wir sie einzeln vertreten mit der Rechthaberei, die früher den Frauenrechtlerinnen sehr oft zu eigen gewesen ist." [25]

Unter Zustimmungsbekundungen der eigenen Fraktion stellte sie weiter fest:
"Die Rolle der Frau soll darin bestehen, erzieherisch auf die Männer dieses Hauses einzuwirken." [26]

Während sie im Parlament einen eher unscheinbaren Eindruck vermittelte, kennzeichnete die linksliberale Wochenzeitschrift 'Die Weltbühne' die an innen- wie außenpolitischen Fragen interessierte Politikerin [27] Katharina von Oheimb als Frau, die mit ihrem "polemischen Schwefelregen" und "schlagende[m] Witz … an rechter Stelle und zur rechten Zeit, den Gegner [im Parlament] abfertig[t]". [28] Schenken wir der 'Vossischen Zeitung' Glauben, so"hat [sie] im Parlament, unbekümmert um die Schranken der Parteien, Fäden geknüpft und Menschen zusammengebracht, die sich etwas zu sagen hatten, was von der Parlamentstribüne aus Widerspruch und Missverständnisse geweckt hätte, aber unter vier Augen klärend und fruchtbringend wirkte". [29]Katharina von Oheimb verstand sich offensichtlich als 'Lobbyistin', führte seit 1912 einen Salon in Berlin und engagierte sich im reformorientierten "Bund für Mutterschutz und Sexualreform". Angesichts der fortbestehenden diskriminierenden Ausnahmebestimmungen wie sie die Weimarer Verfassung trotz Garantie gleicher Rechte zuließ und der unverändert weiterhin geltenden frauenfeindlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches, dachte Katharina von Oheimb öffentlich über die Notwendigkeit einer Frauenpartei nach. [30] Zuvor allerdings hatte sie die parlamentarische Bühne wie auch die DVP verlassen. Dreizehn Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechtes stellte sie schließlich nüchtern fest, dass der Einfluss von Frauen auf die Staatsgeschäfte noch immer gering sei und Frauen auch nach wie vor von Männern und ihrem Konkurrenzgebaren abhängig waren. Um Frauen einen größeren Anteil an der Politik zu verschaffen, schlug sie die Einführung von Frauenlisten [31] vor. Demgegenüber hielt sie die Gründung einer Frauenpartei wegen der unterschiedlichen politischen Standpunkte der Frauen eher für eine Notlösung, um politischen Druck zu erzeugen, nicht jedoch für eine wirkliche Alternative. [32]

Während im Reichstag immerhin acht Frauen während der Weimarer Republik aus der Region Sachsen-Anhalt ein Mandat erhalten hatten, waren es im Preußischen Landtag nur fünf Parlamentarierinnen. Bis 1921 konnte zunächst nur die Erfurterin Christine John (USPD) ein Mandat wahrnehmen. Mit der aus Witten stammenden Abgeordneten der KPD Rosi Wolfstein kam schließlich eine Politikerin in den Preußischen Landtag, die mit 78 Beiträgen im wahrsten Sinne des Wortes von sich Reden machte. Im Unterschied zu den meisten weiblichen Abgeordneten positionierte sich die für den Wahlkreis Merseburg in den Landtag eingezogene Rosi Wolfstein zu politischen Grundsatz- und Rechtsfragen. Über Anträge zur Tages- und Geschäftsordnung versuchte sie geschickt Einfluss auf das parlamentarische Geschehen zu nehmen oder nutzte persönliche Erklärungen, um Sachverhalte anzusprechen, die entweder noch nicht auf der Tagesordnung standen oder schon gestrichen worden waren. Sie scheute sich auch nicht, unbeantwortete Fragen erneut einzubringen oder spontan auf andere Redner einzugehen. Selbstbewusst formulierte sie ebenso ihre Erwartungen im Umgang mit weiblichen Abgeordneten [33] wie sie auch offensiv und sachlich Zwischenrufen und Gegenreaktionen entgegentrat, wobei sie unbeeindruckt feststellte:
"Ich habe die Hoffnung, dass die Stenographen alle ihre Zurufe in das Protokoll aufnehmen, damit diese Kulturkuriosa des deutschen Geistes auch erhalten bleiben". [34]

Ihr geschicktes Agieren im Einsatz aller parlamentarischen Mittel spricht für eine erfahrene und geschulte Politikerin. Die aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Witten stammende Alma Rosali Wolfstein hatte die Höhere Töchterschule absolviert, eine kaufmännische Lehre abgeschlossen und war als Buchhalterin tätig. Mit 19 Jahren begann sie sich politisch und gewerkschaftlich im Niederrheinischen zu organisieren. Seit ihrem Parteischulbesuch 1913 in Berlin war sie mit Rosa Luxemburg bekannt, wo sie deren Schülerin war und Weggefährtin wurde. Später unterstützte sie ihren Lebensgefährten Paul Frölich als Lektorin bei der Herausgabe der Werke Rosa Luxemburgs. Die Revolution im November 1918 erlebte die Parlamentarierin als Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates in Düsseldorf. Sie gehörte zu den Gründungsmitgliedern der KPD und wurde wegen ihres politischen Engagements verfolgt und mehrfach verhaftet. Nach Ansicht von Rosi Wolfstein war Frauenpolitik die Sache der gesamten Partei. Offensiv trat sie deshalb der Praxis, die Frauen zu instrumentalisieren, auch außerparlamentarisch entgegen. So gab die Landtagsabgeordnete in der Auftaktveranstaltung zur Internationalen Frauenwoche 1923 in Halle kritisch zu bedenken:
"Solange nicht die soziale Gleichheit der gesamten Menschheit besteht, kann von einer Gleichberechtigung der Frau noch nicht die Rede sein. Die Novemberrevolution brachte es nicht fertig, der Frau die dreifache Bürde zu nehmen. Beruf-Hausfrau-Erzieherin alles das wird auf die Schultern des Weibes gelegt. Die Novemberrevolution konnte die Frauen nicht frei machen, weil sie die kapitalistische Wirtschaft schützen musste. In der Nachrevolutionszeit haben unsere Frauen Gelegenheit gehabt, 'Demokratie' und 'Republik' näher kennenzulernen." [35]

Politische Differenzen mit der Führung der KPD verhinderten 1924 ihre erneute Kandidatur zu den Landtagswahlen, die schließlich auch den Rücktritt Rosi Wolfsteins von ihren Parteifunktionen zur Folge hatten. Nachdem sie 1929 aus der KPD ausgeschlossen worden war, gehörte Rosi Wolfstein zunächst der Kommunistischen Partei Opposition (KPO) an, bevor sie in der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) aktiv wurde. Im März 1933 verließ sie Deutschland, beteiligte sich am Widerstandskampf, wurde in Frankreich interniert, konnte 1942 nach New York auswandern und kehrte erst 1951 nach Deutschland zurück.

Erst nach Verabschiedung der Weimarer Verfassung und der entsprechenden Länderverfassungen erstreckte sich die Gültigkeit des neuen Wahlrechts auch auf die Parlamente der Preußischen Provinzen und damit auch auf den Provinziallandtag Sachsen, wo es erstmalig zu den Wahlen 1921 wirksam wurde. Die Provinziallandtage regelten die Angelegenheiten der jeweiligen Provinzialverbände und waren dazu mit einem eigenen Etat ausgestattet. Sie verfügten allerdings im Unterschied zu den bisher dargestellten Parlamenten nicht über Gesetzeskompetenz. Eine, wenn auch geringe Möglichkeit der Einflussnahme auf Gesetzgebungsverfahren oder deren Ingangsetzung bestand lediglich über den neugeschaffenen preußischen Staatsrat. Als Vertretung der Provinzen bei der Gesetzgebung verfügte dieser über ein Vorschlagsrecht im Gesetzgebungsverfahren und über ein Einspruchsrecht gegen Gesetzesbeschlüsse.
 
 
 
Die Wählerinnen und Wähler der Region Sachsen-Anhalt in den Regierungsbezirken Magdeburg, Merseburg und Erfurt entschieden über 113 Mandate dieses wohl größten Kommunalparlamentes. [36] Mit Hedwig Machlitt aus Eisleben und Minna Reichert aus Halle (beide VKPD) betraten 1921 im Ergebnis der Provinziallandtagswahlen erstmals auch zwei Frauen das parlamentarische Parkett des Provinziallandtages Sachsen, der bis 1933 in Merseburg mit dem Ständehaus seinen Tagungsort hatte. Insgesamt nahmen vierzehn Frauen ein Mandat in diesem Parlament in der Zeit der Weimarer Republik wahr: Sechs von ihnen für die KPD, fünf für die SPD, zwei für die DNVP und eine für die DVP. Anders als bei den bisher betrachteten Parlamenten nahm hier in den jeweiligen Wahlperioden die Zahl der weiblichen Abgeordneten zu und erreichte 1931 mit neun Mandatsträgerinnen einen Höchststand.
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Ständehaus Merseburg
 
 
Insbesondere die Mandatsinhaberinnen der Arbeiterparteien nutzten parlamentarische Spielräume im Rahmen der Haushaltsdebatten, um frauenpolitisch zu agieren und sich zu Fragen der Fürsorgeerziehung, Kinderheime, Mütterheime und Landesfrauenkliniken, aber auch zur Erwerbslosenfürsorge, zur Bekämpfung der Wohnungsnot und Tuberkulosefürsorge wie zu Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu positionieren. Sich der Grenzen parlamentarischen Wirkens durchaus bewusst, ließen insbesondere die Abgeordneten Anna Becker und Frieda Lehmann nichts unversucht, den Provinziallandtag zu einer Positionierung zum Thema Abschaffung der §§218/219 StGB zu veranlassen. Nicht nur, dass sie wiederholt die parlamentarische Bühne zur Schilderung der Ursachen und Folgen der Strafrechtsparagraphen nutzten, sie forderten ebenso die Wahrnehmung ärztlicher und politischer Verantwortung für dieses Thema. Vor dem Hintergrund der Entscheidung des Rechtsausschusses des Reichstages gegen die Streichung der §§ 218/219 Strafgesetzbuch und gegen die von der SPD-Fraktion vorgeschlagene Fristenlösung forderte Anna Becker 1926-ähnlich wie Frieda Fiedler in Anhalt-nicht ohne festzustellen, dass
"die Abtreibungsfrage … keine juristische, sondern eine bevölkerungspolitische Frage" [37]

sei, die Versammlung auf, einer Amnestie für nach diesen Paragraphen Verurteilte zuzustimmen.
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80. Geburtstag Anna Becker

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Frieda Lehmann (1947)
 
 
Angesichts fehlender Mehrheiten wurde der Antrag nicht einmal beraten. Im Folgejahr brachte die neununddreißigjährige Frieda Lehmann in der Debatte um die Einrichtung eines Mütterheimes für uneheliche Mütter in Magdeburg u.a. ihr Unverständnis zu der Regierungsentscheidung zum Ausdruck, wonach aus Angst vor einem Geburtenrückgang eine im Interesse der Frauen liegende Geburtenregelung abgelehnt wurde. Auch die verwitwete Fabrikarbeiterin Anna Zäuner und Mutter zweier Kinder aus Weißenfels nahm seit dem Frühjahr 1924 ein Mandat im Provinziallandtag wahr. Die damals Achtunddreißigjährige begann als Nachrückerin für die verstorbene Hedwig Machlitt ihre parlamentarische Karriere, die nach neun Jahren mit ihrem Verzicht auf eine erneute Kandidatur zu den Provinziallandtagswahlen am 12.3.1933 endete. Wie Machlitt konnte auch Anna Zäuner eine Berufsausbildung vorweisen. Die Stepperin war seit 1908 politisch und gewerkschaftlich organisiert, gehörte dem im Frühjahr 1919 gewählten Arbeiterrat [38] ebenso wie der Stadtverordnetenversammlung in Weißenfels an, nahm als Betriebsratsvorsitzende der Schuhfabrik Lewinsohn Verantwortung wahr und arbeitete eng mit der Reichstagsabgeordneten und Frauensekretärin der USPD in Weißenfels, Marie Wackwitz, zusammen. Die Provinziallandtagsabgeordnete Anna Becker, wie sie nach ihrer zweiten Eheschließung 1926 hieß, wirkte außer im Kommunalparlament der Stadt Weißenfels, auch in Querfurt und Freyburg. Sie sorgte, wie Hedwig Machlitt, Frieda Lehmann oder Concordia Hartmann und Marie Röpert dafür, dass soziale Fragen öffentlich diskutiert wurden. Aus ihren Erfahrungen in der Arbeiterinnenbewegung schöpfend, ging es den Frauen um mehr soziale Gerechtigkeit, um Gleichberechtigung der Geschlechter, um den Ausbau der Demokratie und die Politisierung der Frauen. In ihrem Verständnis war eine Veränderung der Lage der unteren Schichten und insbesondere der Frauen nicht isoliert und allein durch Frauen durchsetzbar, sondern nur zusammen mit den Männern. [39]
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An die werktätigen Frauen von Weißenfels! (1918)
 
 
Ungeachtet bestehender Hindernisse und Schwierigkeiten vermochten die Landtagsabgeordneten Minna Bollmann (1921-1933 Abgeordnete im Preußischen Landtag), Frieda Fiedler (1924-1931 Abgeordnete im Landtag Anhalt) wie auch Anna Becker, Conkordia Hartmann, Helene Knabe und Berta Hesse (alle Abgeordnete im Provinziallandtag Sachsen) über mehr als eine Wahlperiode parlamentarisch zu arbeiten und eine parlamentarische Karriere zu begründen. In den jeweiligen Wahlperioden gab es außer im Provinziallandtag eine, maximal zwei Frauen, die mit einem Mandat für die Region Sachsen-Anhalt in einer Wahlperiode in die weiteren Parlamente gewählt wurden, und das nicht einmal durchgängig. Anders im Provinziallandtag. Hier nahm ihre Zahl zu und erreichte 1931 mit neun weiblichen Abgeordneten einen Höchststand.

Insbesondere in Wahlzeiten hatten die Frauen die gesamte Verantwortung für die Gewinnung weiblicher Wählerstimmen zu tragen. Damit verbundene vorherrschende Erwartungen hinsichtlich der Wahlchancen der Kandidatinnen erhöhten den Druck auf die Frauen. Dessen ungeachtet wurde Frauen ein Listenplatz zugestanden, der aber nicht zwingend Erfolg sichern musste. Auch lässt der praktizierte Umgang mit den weiblichen Abgeordneten an einer ernsthaften Umsetzung formaler politischer Gleichberechtigung zweifeln. Obwohl die Parlamentarierinnen politisch erfahrene und anerkannte Frauen waren, erscheint die Akzeptanz durch ihre männlichen Kollegen angesichts spürbarer Unaufmerksamkeit, anhaltender Unruhe sowie der Art der Zwischenrufe und Bemerkungen während ihrer eher seltenen Redebeiträge in den Parlamenten fragwürdig. Die Festlegung auf 'frauengemäße?, soziale Themen, Bildungsfragen und als zeittypisch angesehene Fraueninteressen ohne sich deren gesellschaftspolitische Bedeutung bewusst zu machen, spricht ebenso für die Geringschätzung parlamentarischer Arbeit von Frauen wie sie Ausdruck tradierter konservativer Auffassungen zum Geschlechterverhältnis war. Statt eine umfassende Partizipation an politischer Macht zuzulassen, wurde eine Anpassung der Frauen eingefordert.

Dennoch fanden sich die Parlamentarierinnen schnell auf dem neuen Feld zurecht und wussten die Regeln politischer Arbeit zunehmend fruchtbringender einzusetzen. Dabei galt ihr Engagement keineswegs 'Sonderthemen? von geringer politischer Relevanz, sondern tief greifenden, notwendig zu lösenden und oftmals gesamtgesellschaftlichen Problemstellungen, das nicht ohne Einfluss auf Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse blieb. Eine erneute Einengung des Wahlrechtes für Frauen im Jahre 1933 wie auch die Abtretung der Entscheidungsbefugnisse der Parlamente signalisierten ebenso wie die unter Berufung auf das Gesetz über die Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31.03.1933 vorgenommenen Korrekturen der Ergebnisse der Märzwahlen die Beendigung einer gerade entstandenen demokratischen Tradition.
 
 
 



Anmerkungen

[1] Hugo Preuß, Staatssekretär im Reichsamt des Innern und beauftragt mit der Vorbereitung der Wahlordnung zur verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung, teilte hierzu in der Sitzung des Regierungskabinetts am 26.11.1918 mit: "Minna Cauer hat mir einen Antrag geschickt, eine bestimmte Beteiligung der Frauen bei den Abgeordnetenlisten obligatorisch zu machen." Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 6/1: Die Regierung des Rates der Volksbeauftragten 1918/19 (= 1.Reihe: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik), eingeleitet von Erich Matthias, bearbeitet von Susanne Miller unter Mitwirkung von Heinrich Potthoff, Düsseldorf 1969, S. 221.
[2] Ebd.
[3] Vgl. ebd., S. 222.
[4] Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Magdeburg (im Folgenden abgekürzt mit: LHASA), Mer, C 50, Weißenfels A, Nr. 234, Bl. 36. Der Erlass des Reichsamtes des Innern-I A.14516-vom 04.12.1918 an alle Bundesregierungen infolge Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten ist von Preuß unterzeichnet.
[5] Handschriftliches Protokoll der Sitzung der Vertreterinnen aller halleschen Frauenvereine vom 21.11.1918, in: Stadtarchiv Halle, N 9, zitiert nach: Lisa Albrecht-Dimitrowa: Briefgeschichten. Erinnerungen an ein bemerkenswertes Fräulein Doktor, in: Leben und Gestalt. Studien zur Frauengeschichte in Halle, hg. von Courage e.V. Halle, Halle 1996, S. 139.
[6] Die Deutsche Demokratische Partei war durch die Verbindung von Demokratischer Vereinigung, Fortschrittlichen Volkspartei und Nationalliberaler Partei entstanden. Mit ihrem Wahlaufruf sprach sie gezielt Frauen und Männer aller Volkskreise an. Die DDP forderte darin eine "wahrhaft demokratische Verfassung auf dem Boden der unbedingten staatsbürgerlichen Gleichberechtigung beider Geschlechter durch eine aus allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlen hervorgegangenen Nationalversammlung" und die Wahrung der Reichseinheit "auf der Grundlage der republikanischen Staatsform und getragen von sozialem Geiste". Vgl. Magdeburgische Zeitung, Nr. 927 vom 19.12.1918.
[7] Dr. Agnes Gosche aus Halle gehörte mit der Jugendpflegerin Katharina Barow aus Merseburg zu den neun KandidatInnen des Wahlvorschlages Delius im Wahlkreis 13 (Regierungsbezirke Merseburg und Erfurt) für die Wahlen am 19.1.1919: LHASA, Mer, Rep. C 50, Querfurt A/B, Nr. 393, Bl. 87; Verordnung über die Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung vom 19.12.1918 des Rates der Volksbeauftragten, LHASA, Mer, C 50, Landratsamt Bitterfeld A, Nr. 28, Bl. 30. Die Wahlvorschläge waren bis zum 04.01.1919 einzureichen. Ebd., Bl. 38.
[8] Brief des Bürgermeisters von Zörbig vom 20.01.1919 an den Landrat in Bitterfeld, die Wahlen vom 19. d. Mnts. betreffend: LHASA, Mer, C 50, Landratsamt Bitterfeld A, ebd., Bl. 145f.
[9] Magdeburger Volksstimme vom 21.01.1919.
[10] Wie die Recherchen zum Thema in den für die Region Sachsen-Anhalt relevanten Parlamenten zeigten, hat es einige Zeit gedauert, bevor die Existenz weiblicher Abgeordneter auch in der Anrede ablesbar war. Vgl. Elke Stolze, Die weiblichen "Herren Abgeordneten". Politikerinnen der Region Sachsen-Anhalt 1918-1945, Halle 2007.
[11] Bereits am 16. November 1918 verkündete die gerade neugebildete sozialdemokratisch geführte Regierung um den Präsidenten Wolfgang Heine für Anhalt ein neues demokratisches Wahlrecht, das jenem durch den Rat der Volksbeauftragten in ihrer programmatischen Erklärung am 12.11.1918 formulierten entsprach, und setzte den 15.12.1918 als Wahltag fest. So war Anhalt das erste deutsche Land, das nach neuem Wahlrecht wählte. Vgl. Roswitha Berndt, Das Territorium von Sachsen-Anhalt in der Weimarer Republik, in: Geschichte Sachsen-Anhalts. Bd. III: Bismarckreich bis Gründung der Bezirke 1952, hrsg. vom Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e.V., München/Berlin 1994, S. 81ff.. Vgl. auch Matthias Tullner, Landtagsgebäude und Landtage in Sachsen-Anhalt (= Parlamentarische Schriftenreihe H. 9), Magdeburg 1997, S. 40f. Die Wahlen lagen ca. vier Wochen früher als die zum Reichstag (Weimarer Nationalversammlung) und in Preußen. Nur wenige Tage später, am 22.12.1918, wurde der Landtag im Freistaat Braunschweig gewählt. Ausgestattet mit dem Mandat der USPD stellte sich Minna Faßhauer (1875-1949)-seit 10. November 1918 Volkskommissarin für Volksbildung im Rat der Volksbeauftragten Braunschweig-erfolgreich zur Wahl.
[12] Stenographische Berichte der Konstituierenden Landesversammlung von Anhalt, 39. Sitzung, 02.12.1919, in: Verhandlungen der konstituierenden Landesversammlung für Anhalt. Bd.2: Stenographische Berichte über die 39. bis 80. Sitzung vom 2.12.1919 bis zum 2.6.1920 [künftig: Verhandlungen. Bd.2], Dessau o. J., S. 1137.
[13] Vgl. Stenographische Berichte der Konstituierenden Landesversammlung von Anhalt, 46. Sitzung, 16.12.1919, in: Verhandlungen, Bd.2, S. 1319.
[14] Die als uneheliche Tochter der Dienstmagd Friederike Schmidt in Roßlau geborene und aufgewachsene Marie kandidierte bis 1927 wiederholt erfolgreich bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung ihrer Heimatstadt Roßlau.
[15] Den geltenden Bestimmungen in Anhalt und in anderen Ländern entsprechend, war eine Grundgebühr für die Geburtshilfe an die öffentliche Kasse zu entrichten, unabhängig davon, ob eine öffentlich angestellte oder eine freie Hebamme gerufen wurde. Vgl. ebd., 46. Sitzung, 16.12.1919, in: Verhandlungen. Bd.2, S. 1338. Vgl. auch: Christl Wickert, Unsere Erwählten. Sozialdemokratische Frauen im Deutschen Reichstag und Preußischen Landtag 1919 bis 1933. Bd. 2, Göttingen 1986, S. 46.
[16] 46. Sitzung, 16.12.1919, in: Verhandlungen. Bd. 2, S. 1338.
[17] Verhandlungen des Anhaltischen Landtages (3.Wahlperiode), 31. Sitzung, 08.04.1926, S. 639.
[18] Verhandlungen des Anhaltischen Landtages (3.Wahlperiode), 14. Sitzung, 12.05.1925, S. 213Af.
[19] Reichstagsprotokolle, Legislaturperiode 1920-1924. Die Mehrzahl ihrer Auftritte lag in der ersten Zeit ihres Reichtagsmandates. 1923 trat sie im Sommer nur zweimal hinter das Podium, danach nicht wieder. Mit dieser Anzahl der Wortmeldungen war sie als Frau mit Abstand eine Ausnahme.
[20] Ebd., Bd. 347, Sp. 2623f., Reichstagssitzung vom 02.03.1921.
[21] Er führte dies auf "verschiedene innere seelische Bewegungen" und "in der Zeit der Schwangerschaft auf … ihre[n] ganzen körperlichen Zustand …, ihre ganze Erziehung … und … Persönlichkeit" zurück. Reichstagsprotokolle, Legislaturperiode 1920-1924, Bd. 354, Sp. 6917, Reichstagssitzung vom 6.4.1922.
[22] "Haben wir vergessen, meine Damen und Herren, dass ziemlich am Schluss des Krieges, kurz vor der Revolution, in der ganzen bürgerlichen Presse darüber geschrieben worden ist, dass man den Frauen sogar die Etappen öffnet-natürlich zu dem Zweck, der Kriegsverlängerung zu dienen." Ebd.. Im Ersten Weltkrieg erfolgte erstmals die planmäßige Einbindung von Krankenschwestern in das Heeressanitätswesen und ab Frühjahr 1917 von Etappenhelferinnen in die Militäradministration. Vgl. u.a. Bianca Schönberger, Mütterliche Heldinnen und abenteuerlustige Mädchen. Die Rotkreuz-Schwestern und Etappenhelferinnen im Ersten Weltkrieg, in: Karen Hagemann/Stefanie Schüler-Sprinorum (Hg.), Heimat-Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt a. M. 2002, S.108-127.
[23] Reichstagsprotokolle, Legislaturperiode 1920-1924, Bd. 354, Sp. 6917, Reichstagssitzung 06.04.1922.
[24] Ebd.
[25] Reichstagsprotokolle, Legislaturperiode 1920-1924, Bd. 348, 8.3.1921, Sp. 2734.
[26] Ebd.
[27] Hier sei nur auf ihr Verhalten im Zusammenhang mit der drohenden Ruhrbesetzung im Mai 1921, dem Beamtenstreik 1921 und die große Reichstagsabstimmung über Ludendorffs Verurteilung 1923 verwiesen. Vgl. Katharina von Kardorff-Oheimb, Politik und Lebensbeichte, Tübingen 1965, S. 108 ff. und 130 ff.
[28] Johannes Fischart, Katharina von Oheimb (= Neue Politikerköpfe XXII), in: Die Weltbühne 20 (1924) Nr. 49 vom 02.12.1924. Bd. 2, S. 834.
[29] Kardorff-Oheimb, Politik und Lebensbeichte, Tübingen 1965, S. 143; auch: Claudia von Gélieu: Vom Politikverbot ins Kanzleramt. Ein hürdenreicher Weg für Frauen, Berlin 2008, S.127f.
[30] Ihre Broschüre "Brauchen wir eine Frauenpartei?" war 1931 nicht der Auslöser einer zu führenden Debatte. Eine gemeinsame Frauenliste für Wahlen aufzustellen und so die Zahl der weiblichen Abgeordneten zu erhöhen, hatten Anita Augsburg und Lida Gustava Heymann mehrfach vorgeschlagen. Lida Gustava Heymann/Anita Augsburg: Erlebtes und Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden 1850-1940, hg. von Margrit Twellmann, Frankfurt a. M. 1992, bes. S. 203ff. Im Wahlkampf 1928 sprachen sich Frauen der DVP gegen Frauenlisten aus. Vgl. Saale-Zeitung, Nr. 107, 6.5.1928. Katharina von Oheimb meldete sich hierzu bereits früher zu Wort. Katharina von Kardorff, Frauenpartei oder Frauenlisten?, in: Hallische Nachrichten, 41. Jg., Beilage Hallesche Frauenzeitung, 6.3.1929. Bei den Sozialdemokratinnen stieß eine Frauenpartei, wie ein Artikel in ihrer Frauenzeitung "Die Genossin" zeigte, auf große Ablehnung. Letztlich trugen in ihrem Verständnis "Politikerinnen vom Schlage Frau von Kardorff" wesentlich dazu bei, dass die auf der Grundlage des Frauenwahlrechtes erreichten Ergebnisse noch unzureichend seien. "Die bürgerlichen Frauen vertreten nicht die Interessen der Rechtlosen, sondern die des Besitzes." Vgl. Die Genossin 7 (1930) Nr. 12, S. 480 f. Vgl. auch: Elke Schüller, Frauenparteien. Phantasterei oder politischer Machtfaktor?, in: Ariadne 37/38 (2000), S. 64-71; Claudia von Gélieu, Politikverbot, 2008, S.131ff.
[31] Ihrer Auffassung nach sollten die Parteien zu Wahlen zwei Listen aufstellen, eine mit männlichen und eine mit weiblichen Kandidaten. Den Wählerinnen und Wählern blieb freigestellt, für welche der Listen sie sich entscheiden. So könne ein Mann ebenso eine Frauenliste wählen wie eine Frau eine Männerliste.
[32] Claudia von Gélieu, Katinka zieht die Fäden im Reichstag …-Katharina von Oheimb "Enfant terrible" der deutschen Politik oder "ungekrönte Königin"?, in: "… und ist Dein Herz denn auch dabei?". Frauen-Zeugnisse aus Sachsen-Anhalt (= Frauenleben-Frauenalltag-gestern und heute), hg. von Courage e.V. Halle, Halle 2000, S. 61ff.
[33] "In einem Parlament, in dem Frauen die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten haben sollen wie die Männer", müsse auch die Geschäftsordnung gleichermaßen gelten, stellte sie 1922 fest, und man könne mit Frauen nicht wie "in einem mittelalterlichen Minnehof, wo die Galanterie die Hauptsache ist", umgehen. Eine derartige Behandlung sei eine "Herabwürdigung der Frauen, die wir uns nicht gefallen lassen wollen." Protokolle des Preußischen Landtages, Legislaturperiode 1921-1924, 194. Sitzung, 13.12.1922, Sp. 14019.
[34] Ebd.
[35] Die Frauen auf dem Vormarsch, in: Klassenkampf Nr. 55 vom 06.03.1923.
[36] In der Wahlperiode 1921 bis 1925 gehörten 110 Abgeordnete dem Provinziallandtag Sachsen an.
[37] Verhandlungen des 41. Landtags der Provinz Sachsen vom 16. bis 20. März 1926, Merseburg 1926, S. 68f.
[38] Genossin Anna Becker verstorben, in: Freiheit, Organ der Bezirksleitung der SED Halle 25 (1970) Nr. 283 vom 28.11.1970. Zusammen mit Bertha Leffler und Rosa Calle kandidierte Anna Zäuner erfolgreich am 24.03.1919 bei den Wahlen zum Arbeiterrat in Weißenfels. Zweites Blatt des Weißenfelser Tageblattes, Nr. 77 vom 22.03.1919 (Wahlvorschläge) und Weißenfelser Tageblatt, Nr. 78 vom 24.3.1919.
[39] Vgl. Christl Wickert, Unsere Erwählten. Sozialdemokratische Frauen im Deutschen Reichstag und im Preußischen Landtag 1919 bis 1933, 2 Bde., Göttingen 1986; Gisela Notz: "Her mit dem allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht für Mann und Frau!", in: Bettina Bab u.a. (Hg.), Mit Macht zur Wahl. 100 Jahre Frauenwahlrecht in Europa, Bonn 2006, S. 94 ff. Hierin unterschieden sich die Auffassungen der weiblichen Abgeordneten der KPD und SPD nicht.


Die Autorin: promovierte Historikerin, freischaffende Historikerin, Halle/S.