Kirche und Kirchhof im Dorf > Pastorat


Leinenschrank im Freilichtmuseum Mühlenhof, Münster (Ausschnitt) / Münster, Westfälisches Landesmedienzentrum/O. Mahlstedt, 10_6786






Jo Thekla Pawlowski

Pfarrer und Konkubine

Die Familia des Pastors um 1600
in Havixbeck

Wenn wir für das Dorf des 16. und 17. Jahrhunderts das kirchliche Ideal vom Pfarrhaus betrachten, welche Personen lebten darin? Zwei Möglichkeiten sind zu unterscheiden: Der protestantische Pfarrer lebte mit Ehefrau und Kindern, z. T. mit anderen Verwandten wie etwa Eltern, Neffen und Nichten, sowie schließlich mit Knechten und Mägden zusammen. Letztere waren für die Landwirtschaft zuständig. Der katholische Pfarrer hingegen hatte weder Ehefrau noch Kinder, denn er hatte den Zölibat einzuhalten, das heißt: Er durfte nicht heiraten und musste keusch leben, um das Messopfer im Zustand der Reinheit zu verrichten. Trotzdem brauchte auch der katholische Dorfpfarrer Hilfe, um seine Pflichten im Haushalt und in der Landwirtschaft zu bewältigen. Oft war dies eine ältere verwitwete Verwandte, die ihm den Haushalt leitete, es konnte und sollte auch eine ledige Haushälterin sein.

Tatsächlich aber lebten im 16. Jahrhundert katholische Geistliche in einer Grauzone. Sie waren zwar nicht verheiratet, aber vom keuschen, sittlich reinen Leben weit entfernt. Sie lebten mit ihren Haushälterinnen oder Mägden unter einem Dach, hatten gemeinsame Kinder und manchmal konnten die unehelichen Söhne der Priester sogar wieder die Pfarrstelle ihres Vaters übernehmen. Der Zölibat war zwar seit dem Mittelalter (2. Laterankonzil 1139) für die höheren Weihen der Geistlichen festgelegt, aber er konnte erst nach dem Konzil von Trient 1563 nach und nach durchgesetzt werden.

Wie aber sah nun die Situation nach dem Trienter Konzil im Fürstbistum Münster aus? Schon von 1571 bis 1573 wurde unter Fürstbischof Johann von Hoya auf Betreiben des Domdechanten Gottfried von Raesfeld eine Visitation im Oberstift durchgeführt. 58% der Geistlichen gaben an, eine Konkubine oder Ehefrau zu haben oder gehabt zu haben. Die meisten versprachen, ihre Konkubinen wegzuschicken, einige weigerten sich. Konsequenzen mußte aber niemand befürchten, da der Bischof kurz nach der Visitation starb und keine konkreten Gegenmaßnahmen eingeleitet wurden.

Nehmen wir eine Gemeinde als Beispiel: St. Dionysius in Havixbeck, westlich von Münster gelegen. Bernhard Potthof, von 1557 bis 1578 Pastor in Havixbeck, wurde zusammen mit anderen Geistlichen aus zehn Nachbargemeinden am 5. Oktober 1571 in den bischöflichen Hof zu Münster geladen und musste dort Fragen zu seiner Person, Ausbildung und Lebenswandel sowie der Ausstattung der Gemeinde beantworten. Bernhard Potthof gab an, eine Konkubine gehabt zu haben, nun (zum Zeitpunkt der Befragung) aber nicht mehr. Ob er sie entlassen hatte oder sie gestorben war, erfahren wir nicht. Fest steht jedoch, dass er einen Sohn Henricus hatte, der 1599 zum Priester geweiht wurde und ebenfalls Kaplan und Vikar in Havixbeck war, und zwar von 1605 bis 1608.

Johannes Brintrup, 1594 zum Priester geweiht, übernahm zunächst als Vizekurat 1597 das Amt und wurde 1598 Pastor von St. Dionysius. Er lebte im Konkubinat mit Agnes Stevermann. Mit ihr hatte er mindestens drei Söhne. Am 9. Oktober 1604 wurde eine Visitation des Geistlichen Rates in Havixbeck durchgeführt, bei der er angab, eine Konkubine und mit ihr ein Kind zu haben. Ihm wurde befohlen, seine Konkubine bis zum 15. zu entlassen, sonst drohte ihm als Strafe die Exkommunikation. Doch 1607 wurde er wegen des gleichen Vergehens nochmals ermahnt. Es wurden offenbar keine Gegenmaßnahmen eingeleitet. 1627 bekam ein Johannes Brintrup aus Havixbeck die klerikale Tonsur in Münster. Er benötigte dafür einen Dispens aufgrund seiner unehelichen Geburt. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Sohn des Pastors.

Bei den Visitationen wurde also das Delikt des Konkubinats in der Gemeinde Havixbeck festgestellt. Die Betroffenen erhielten zwar Ermahnungen, wurden aber nicht bestraft. Der Kirchenleitung blieb kaum etwas anderes übrig, als diesen Zustand stillschweigend zu dulden, denn noch mangelte es an Geistlichen, die den Zölibat einhielten.

Der Kaplan Henricus Potthof, Sohn von Bernhard Potthof, sagte 1604 und 1607 aus, keine Konkubine zu haben. Doch wurde er 1608 nach Dülmen versetzt, da sein Vater Pastor in Havixbeck gewesen war und das Verbot der Stellennachfolge eines Pastorensohnes inzwischen Gültigkeit besaß.

Fürstbischof Ferdinand von Bayern (1612-1650) erließ zwar mehrere Erlasse gegen den Konkubinat. Er scheiterte aber an den Archidiakonen, welche für die geistliche Aufsicht und Gerichtsbarkeit zuständig waren. Diese, großteils dem Domkapitel angehörig, waren selbst mehrheitlich Konkubinarier. So zahlten auch die Pfarrer, wenn sie denn Konkubinarier waren, ein Strafgeld an den für sie zuständigen Archidiakon und lebten dann doch weiterhin mit ihrer Konkubine zusammen. Erst unter Fürstbischof Bernhard von Galen (1650-1678) konnte bei der Generalvisitation von 1654 festgestellt werden, dass das Leben im Konkubinat unter dem Landklerus stark zurückgegangen war. Gab es auch noch vereinzelt Konkubinarier, so verbargen sie ihre Partnerinnen und lebten nicht mehr offen vor ihrer Gemeinde im Konkubinat.