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Der Aufbau landesherrlicher Kirchen -
die Grafschaften und das Herzogtum Jülich-Kleve-Berg


 
 
Einleitung
Bis heute evangelisch geprägte Landesteile Westfalens sind, neben der ehemaligen Grafschaft Lippe, dem Siegerland, dem Wittgensteiner Land und der ehemaligen Grafschaft Tecklenburg die ehemalige Grafschaft Mark, besonders die Gegenden um Lüdenscheid, Hattingen und Witten, Schwelm, Unna und Soest, sowie die alte Grafschaft Ravensberg um Bielefeld in Verbindung mit dem ehemaligen Hochstift Minden.

Die Reformation hatte auch in den kleineren, ländlich geprägten Grafschaften Westfalens seit Mitte der 1520er Jahren Verbreitung gefunden. Hier waren es aber vor allem die Landesherren, von denen die Initiative zum Glaubenswechsel ausging. Nach dem persönlichen Bekenntniswechsel führten sie mit Hilfe von Theologen die Reformation in ihren Ländern ein. 1526 und 1529 öffneten die beiden waldeckischen Grafen zu Wildungen und Eisenberg unter dem Einfluss des Landgrafen Philipp von Hessen, einem der wichtigsten Vertreter der Reformation im Reich, ihre Länder der Reformation. Ein Jahr später heiratete Graf Konrad von Tecklenburg eine Cousine des Landgrafen von Hessen und wurde evangelisch. Damit war ein wichtiger Vorkämpfer der Reformation in Westfalen gewonnen. Aber erst 1541 wurde die Tecklenburger Kirchenordnung in Kraft gesetzt, die das lutherische Kirchenwesen in seinen Ländern einführte. Ebenfalls unter dem Einfluss Philipps von Hessen wurde in der Grafschaft Lippe 1538 die Detmolder Kirchenordnung eingeführt, die das Kirchenwesen im Sinne Luthers neu ordnete. 1535 schloss sich auch Graf Rietberg dem Augsburger Bekenntnis an. In Bentheim und Steinfurt wurde 1544 unter Graf Arnold von Bentheim die lutherische Reformation eingeführt.
 
 
Während in diesen Grafschaften schon früh eine landesherrliche Kirche aufgebaut wurde, nahm die Reformation in den Grafschaften Mark und Ravensberg einen anderen Verlauf. Anfang der 1530er Jahre hatten sich reformatorische Bewegungen in der Mark und in Ravensberg verbreitet. Die beiden Grafschaften gehörten zum Gebiet des Herzogs von Jülich-Kleve und Berg, dem politisch bedeutsamsten Länderkomplex Westfalens. Die humanistisch gebildeten Herzöge von Jülich-Kleve, Johann III. (1511-1539) und sein Sohn Wilhelm V. (1539-1592), versuchten über Jahrzehnte hinweg, einen dritten Weg zwischen Katholizismus und Protestantismus zu vertreten und in praktische Kirchenpolitik umzusetzen. 1532 erließ Herzog Johann III. eine Kirchenordnung, die nicht reformatorisch war, sondern einen Mittelweg vertrat und sich um einen Ausgleich zwischen den Konfessionen bemühte. Die lutherische Lehre wurde zwar anerkannt, die herkömmlichen Kirchenbräuche aber nicht geändert. Ohne ein streng gehandhabtes landesherrliches Kirchenregiment blieb eine konfessionelle Vereinheitlichung der Länder aus: Während das Herzogtum Jülich katholisch blieb, wurde in den Grafschaften Mark und Ravensberg ein Großteil der Gemeinden evangelisch.

1563 bekam durch den Bekenntniswechsel Kurfürst Friedrichs III. von der Pfalz vom Luthertum zum Calvinismus dieser Zweig der Reformation in Deutschland Gewicht. In der Pfalz wurde der Heidelberger Katechismus als Bekenntnisschrift eingeführt und eine neue Kirchenordnung erlassen, die hier die reformiert-calvinistische Landeskirche begründete. Wiederum waren es verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Dynastien, die zum Bekenntniswechsel des Grafen Arnold II. von Bentheim führten. Dieser trat 1573 vom Luthertum zum reformierten Bekenntnis über. Aber erst in den Jahren 1587 bis 1597 führte er auch in seinen Ländern die reformierte Lehre ein. Bilder und Altäre wurden in diesen Jahren aus den Kirchen entfernt, das Abendmahl mit Weißbrot und fortan an Tischen sitzend gefeiert. 1588 gründete der Graf in Schüttorf eine Lateinschule, die 1591 nach Steinfurt verlegt und dann zur Hohen Schule mit juristischer, theologischer, philosophischer und später medizinischer Fakultät ausgebaut wurde.

Auch der akademisch gebildete Graf Simon VI. von Lippe, seit 1579 an der Regierung, war schon früh mit dem Calvinismus in Berührung gekommen. Nachdem er in der Schlosskapelle Brake die reformierte Gottesdienstordnung eingeführt hatte, wechselte er 1605 mit seinem Hofstaat offiziell das Bekenntnis. Gegen den Versuch, im ganzen Land den calvinistischen Gottesdienst einzuführen, traf er jedoch auf Widerstand in den Gemeinden und bei einigen Pastoren, die die Anordnung erhielten, sich in der Liturgie nach der Hofkirchenordnung zu richten. Auch die Entfernung der "ergerlichen Bilder" in den Kirchen wurde befohlen. Erst 1612 gelang es unter erheblichem Druck, in allen Gemeinden das reformierte Bekenntnis einzuführen. In den kleineren Städten wie Detmold oder Blomberg hatten Teile des Bürgertums offen versucht, das Luthertum und das städtische Kirchenpatronat gegen den Landesherrn zu verteidigen. Auch in einigen Dörfern hatte man den Unmut über die neue Kirchenordnung und Religionspraxis geäußert, indem man den Pfarrern die Abgaben verweigerte oder sie sogar mit Steinen bewarf. Nur die Hansestadt Lemgo konnte sich erfolgreich gegen den Konfessionswechsel setzen. Im "Röhrentruper Rezess" 1617 musste der Landesherr Lemgo schließlich die Religionsfreiheit zugestehen. 1684 erschien die "Christliche Kirchenordnung der Grafschaft Lippe", in der die Aufgaben und Funktionen in den Gemeinden geregelt wurden.