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Einleitung

 
 
"Die Männer und Jungmänner, die diese Schule durchlaufen, werden in dem Geist erzogen, den der Begriff Nationalsozialismus in sich birgt und auf dem die Großdeutsche Volksgemeinschaft und das Nationalsozialistische Großdeutsche Reich beruhen. [...] Den Unterricht in Nationalsozialismus werdet Ihr durch Eueren Schulleiter, den Unterricht in anderen Fächern durch eigens ausgesuchte Beamte erhalten, die bereit und entschlossen sind, sich ihrer Aufgabe in Liebe und in Hingebung zu widmen.“ [1]

Mit diesen Worten wandte sich der Staatssekretär im Reichsfinanzministerium und überzeugte Nationalsozialist Fritz Reinhardt in seiner Rede anlässlich der Eröffnungsfeier der Reichsfinanzschule Feldkirch in Vorarlberg im April 1939 an die jungen Finanzschüler. Wie dabei der Fachunterricht auszusehen hatte, machte Reinhardt in dem von ihm verfassten dreibändigen Lehr- und Nachschlagewerk "Buchführung, Bilanz und Steuern“ unmissverständlich deutlich:
"Buchführung und Bilanz werden nach betriebswirtschaftlichen, handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Grundsätzen dargestellt. Die verschiedenrechtlichen Grundsätze werden miteinander in Einklang gebracht und der nationalsozialistischen Weltanschauung angepaßt.“ [2]

Ein Kooperationsprojekt mit:

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Villa ten Hompel


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Oberfinanzdirektion Münster
 
 
Spätestens seit den Arbeiten des amerikanischen Holocaust-Forschers Raul Hilberg ist allgemein bekannt, dass das nationalsozialistische Herrschafts- und Terrorsystem von 1933 bis 1945 nicht allein durch SS, Gestapo, Sicherheitsdienst oder nationalsozialistische Aktivisten hätte existieren können, sondern dass es in der Mehrheit von gewöhnlichen Menschen und Institutionen getragen wurde. Der Nationalsozialismus drang in nahezu alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens ein. Die zwölfjährige NS-Zeit mit ihren Vorbedingungen und Nachwirkungen prägte die deutsche Geschichte wie kaum eine andere Epoche.
 
Mai-Umzug der Finanzbeamten in Minden, 1933
 
 
Der Terror des NS-Staates wäre ohne das reibungslose Funktionieren des Verwaltungsapparates nicht möglich gewesen. Dabei hat die Finanzverwaltung einen erheblichen Beitrag zur wirtschaftlichen Ausbeutung der jüdischen Bürger geleistet. Entgegen ihrer verbreiteten Selbsteinschätzung war sie eben nicht die unpolitische Fachbehörde, die unbeeinflusst von den Veränderungen nach 1933 und losgelöst vom Unrecht der Zeit ihre Arbeit nach rein sachlichen Kriterien fortsetzte. Beispielhaft seien hier nur die mit der Verschärfung der Ausreisebestimmungen einhergehende Bedeutungszunahme der "Devisenstelle“ sowie die Einrichtung der "Dienststelle für die Einziehung von Vermögenswerten“ im Jahre 1941 genannt. Diese und andere Behörden und Abteilungen waren massiv an der wirtschaftlichen Auspressung und Verfolgung beteiligt.
 
 
 
Die Rolle der Steuer- und Zollbehörden im "Dritten Reich“ ist bis Anfang der 1990er Jahre nur wenig beachtet worden. Für den Oberfinanzbezirk Westfalen haben Mitte der 1990er Jahre Mitarbeiter der Finanzverwaltung in einer bis dahin beispiellosen selbstaufklärerischen Arbeit die Geschichte der eigenen Finanzverwaltung von 1933 bis 1945 untersucht. [3] Darauf aufbauend wurde im Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster die Wanderausstellung "Verfolgung und Verwaltung - Die wirtschaftliche Ausplünderung der Juden und die westfälischen Finanzbehörden“ erarbeitet, die mittlerweile an vielen Orten der Bundesrepublik zu sehen war. [4] Im Zusammenhang mit der Ausstellung entstand die gleichnamige Didaktische Mappe (Münster 2001) zur Ausgrenzung und wirtschaftlichen Ausplünderung der Juden durch die Finanzverwaltung, die von der Villa ten Hompel in Kooperation mit der Oberfinanzdirektion Münster herausgegeben wird. [5]
 
Aufbau der Finanzverwaltung in Westfalen 1933-1945
 
 
Anhand ausgewählter Aktenauszüge, Gesetzestexte oder Zeitungsartikel wird in dieser Unterrichtsbroschüre Formen, Ursachen und Folgen des gesellschaftlich akzeptierten, staatlichen Raubes nachgespürt. Dieser Unterrichts- und Quellenmappe, die zwei Seminarkonzepte mit zwei bzw. sieben Sitzungen enthält, sind die folgenden vier Unterrichtseinheiten von jeweils 90 Minuten entnommen:
  1. Seminarsitzung:
     Finanzielle Auspressung:
    "Reichsfluchtsteuer" und "Judenvermögensabgabe"
  2. Seminarsitzung:
     Verfolgungsnetzwerk:
    Arbeitsteilige Zusammenarbeit von Steuer-, Zoll-, Polizeibehörden und Privatunternehmen
  3. Seminarsitzung:
     Das "Volksgemeinschaftsmitglied" als materieller Nutznießer:
    Wirtschaftliche Verwertung des jüdischen Vermögens durch die Finanzverwaltung
  4. Seminarsitzung:
     "Rückerstattungsgezerre":
    Finanzverwaltung und Wiedergutmachung
 
Die didaktische Mappe
 
 
Den Seminarsitzungen sind jeweils fünf Fragen bzw. Arbeitsaufträge beigegeben worden, die sich auf die Quellen und Abbildungen des angesprochenen Themenfeldes beziehen. Die Quellen und Arbeitshinweise stellen ein Angebot oder eine Hilfestellung zur Sitzungsgestaltung dar. In einigen Fällen empfiehlt es sich, die Fragen arbeitsteilig zu beantworten. Durch die Aufnahme zusätzlicher Aufgaben können einzelne Aspekte stärker gewichtet werden. Mittels der beigefügten Zeittafel kann dabei schnell ein Überblick über die allgemeinen sowie finanz- und wirtschaftspolitischen Rechtsnormen und Maßnahmen zur Ausgrenzung und Verfolgung der Juden gewonnen werden. Die Auswahlbibliographie enthält neben spezieller Literatur zur Finanzverwaltung im "Dritten Reich" und der frühen Bundesrepublik auch Titel allgemeiner Darstellungen zum Nationalsozialismus und zur Geschichte der öffentlichen Verwaltung.

Die Seminar- und Quellenarbeit orientiert sich an folgenden Leitfragen:
  • Welche politischen, rechtlichen, institutionellen und sozialen Bedingungen ermöglichten das "erfolgreiche" Ausplündern der Juden zwischen 1933 und 1945?
  • Wie reihte sich die Finanzverwaltung im NS-Staat in den arbeitsteilig gestalteten Prozess der gesellschaftlichen Ausgrenzung, wirtschaftlichen Ausplünderung und Vernichtung der Juden ein?
  • Wie weit reichten im NS-Staat Entscheidungs- und Handlungsräume der Finanzbehörden bzw. des einzelnen Finanzbeamten bei der Umsetzung der politischen und rechtlichen Vorgaben?
 
 
 

Anmerkungen

[1] Fritz Reinhardt: Die Reichsfinanzverwaltung und die Schulung ihrer Nachwuchsmänner, in: Deutsche Steuer-Zeitung und Wirtschaftlicher Beobachter, 28. Jg., Nr. 16 vom 22.04.1939, S. 389-397, besonders S. 391, 396.
[2] Geleitwort in: Fritz Reinhardt: Buchführung, Bilanz und Steuern. Lehr- und Nachschlagewerk, Bd. 1, Berlin/Wien 1939, unpag.
[3] Siehe hierzu die beiden Aufsätze von Ilse Birkwald: Die Steuerverwaltung im Dritten Reich, in: Wolfgang Leesch/Ilse Birkwald/Gerd Blumberg: Geschichte der Finanzverfassung und
-verwaltung in Westfalen seit 1815, 3. Sonderausgabe, Münster 1998, S. 239-286; Gerd Blumberg: Die Zollverwaltung und die Devisenstelle im Dritten Reich, in: ebd., S. 289-353.
[4] Alfons Kenkmann / Bernd-A. Rusinek (Hg.): Verfolgung und Verwaltung. Die wirtschaftliche Ausplünderung der Juden und die westfälischen Finanzbehörden, Katalog zur Wanderausstellung, Münster 1999.
[5] Sabine Mecking: Didaktische Mappe: Verfolgung und Verwaltung. Die wirtschaftliche Ausplünderung der Juden und die westfälischen Finanzbehörden, Münster 2001.