Kirche und Kirchhof im Dorf > Torhaus / Befestigung


Mauer um die evangelische Pfarrkirche bei Hohensyburg, ehemals St. Peter, um 1920 (Ausschnitt) / Münster, Westfälisches Landesmedienzentrum, 01_2265






Sabine Reichert

Die Mauer um den Kirchhof

"... daß alle Kirchhöfe sicher vnd friedlich wesen sullen..."

In den ländlichen Gegenden Westfalens zeigen sich Dorfkirche und Kirchplatz in der Regel durch eine Mauer umgeben. Viele dieser Mauern sind allerdings nur etwa kniehoch. Welche Funktionen haben sie eigentlich, außer als Sitzplatz für Ausflügler zu dienen?

Die Kirche und der sie umgebende Platz bildeten seit Beginn der Christianisierung einen eigenen Rechtsbezirk innerhalb der Siedlung. Dies soll im Folgenden näher erläutert werden.

Entsprechende Gesetze sind schon für die Zeit Karls des Großen belegbar. Denn Ende des 8. Jahrhunderts war in der fränkischen Gesetzgebung, in der sog. "Capitulatio de partibus saxoniae", das gewaltsame Eindringen in die Kirche, Kirchendiebstahl und das Niederbrennen von Gotteshäusern mit der Todesstrafe belegt.

Auf den Kirchhofsbezirk hatte die weltliche Gewalt keinen Zugriff. So heißt es beispielsweise im Sachsenspiegel in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts: "Der Herr darf das Gericht vor Mittag und außerhalb der Friedenstage begehen, und er kann es an allen Orten halten außer in Kirchen und Kirchhöfen." Statt dessen herrschte dort ein bestimmtes Kirchenrecht. Das sog. Kirchenasyl ist wohl bis in unsere Tage die bekannteste Form dieser Rechtsauffassung. Der Kirchhof wurde bezeichnet mit dem lateinischen Begriff "locus sacer", also als ein heiliger Ort tituliert. Denn nicht nur die Kirche selbst war nach mittelalterlicher Glaubensvorstellung ein von der überirdisch-göttlichen Welt durchdrungener Ort, auch der Kirchhof war als Begräbnisplatz geweiht. Zudem war Frieden im Mittelalter nicht selbstverständlich, sondern bedurfte einer konkreten Verkündigung. So wird die besondere Stellung des Kirchhofes deutlich, wenn Kaiser Karl IV. 1371 im Westfälischen Landfrieden bestimmt, dass "alle Kirchen, alle Kirchhöfe, alle Hausleute und aller ir leib vnd gut darauffe sicher vnd friedlich wesen sullen".

Der Kirchhof war also durch das Kirchenrecht besonders geschützt und eine äußere Begrenzung durch Zäune, Hecken oder eben Mauern sollte diesen speziellen Status unterstreichen. Die Mauer bildete eine optische Grenze und symbolisierte die rechtliche Abgrenzung.

Die Schutzfunktion der Kirche hatte aber nicht nur eine juristische Bedeutung, sondern war im Alltag ganz praktisch erlebbar. Da die dörflichen Pfarrkirchen bis ins 15. Jahrhundert oft die einzigen massiveren Steinbauten des Kirchspiels waren, flüchteten in Notlagen wie beispielsweise Kriegszeiten die Bewohner der Bauerschaften mitsamt ihrem Hab und Gut, selbstverständlich auch dem Vieh, in das Gotteshaus. Es war im Gegensatz zu den hölzernen Fachwerkbauernhäusern mit ihren Schuppen und Scheunen weitaus weniger feuergefährdet. In der Gruppe ließen sich Kirche und Kirchhof zudem besser verteidigen. Diese Sicherheit machte die Kirche auch in Friedenszeiten zu einem beliebten Aufbewahrungsort für wertvollere Güter. Auch wenn es uns heute befremdlich anmutet, den mittelalterlichen Kirchbau in den ländlichen Kirchspielen Westfalens können wir uns als gedrungenen Steinbau vorstellen, auf dessen Boden, Turm und sogar im Kirchenschiff selber Getreide und andere Vorräte gelagert wurden. Davon zeugen beispielsweise erhaltene Klagen von Pfarrern, die Bauern würden während der Predigt auf den im Kirchenraum aufgestellten Vorratskisten sitzen und mit ihren (Holz-)Schuhen gegen die Holzkisten bollern (der mittelalterliche Kirchenraum kannte noch kein einheitliches Gestühl).

Welches Ausmaß eine solche Schutzfunktion annehmen konnte belegen besondere Beispiele aus dem süddeutschen Raum. Von dort sind regelrechte Wehrkirchen überliefert, deren Kirchhöfe von einer massiven Mauerbefestigung umgeben waren. Da diese wie die Befestigungsanlagen einer Burg mit Zinnen und Schiessscharten versehen sein konnten, hat sich für sie der Begriff Kirchhofsburg geprägt. Der Zugang zu diesen befestigten Kirchhöfen erfolgte über besonders gesicherte Torhäuser oder Tortürme.

Lässt sich eine solche Entwicklung zu wehrhaften Kirchenburgen auch in Westfalen belegen? Dieser Frage widmete sich in besonderem Maße die nationalsozialistische Geschichtsforschung der 1930er Jahre. Suchte sie doch in ihnen das Ideal des "freien germanischen Bauern" zu entdecken und so eine Kontinuität aufzubauen, vom "wehrhaften Germanen zum wehrhaften christlichen Bauern".

Die moderne Forschung aber sucht nicht mehr nach wehrhaften Germanenkirchen, sondern ist sich der vielfältigen Gestaltung des Kirchhofes und seiner Umgrenzung bewußt. Die den Kirchplatz umgebenen Mauern sind symbolische Abgrenzung nach außen und verdeutlichen den anfangs schon erläuterten Rechtscharakter der Kirche in der ländlichen Gesellschaft, unabhängig davon, ab diese Abgrenzung nun durch eine Mauer, einen Zaun oder umstehende Gebäude erfolgt. Natürlich hatte sie dabei den praktischen Zweck, freilaufendes Vieh vom Kirchhof fernzuhalten. Da dies heutzutage nicht mehr nötig ist, reicht auch eine kniehohe Mauer aus, um den Kirchhof symbolisch einzugrenzen.

Dieser "Einfriedung" verdankt unser heutiger Friedhof übrigens seinen Namen. Die Vorstellung, Begräbnisplätze seien als letzte Ruhestätte ein Ort des Friedens, entwickelte sich erst im 18./19. Jahrhundert.













Die Kirche und der Kirchhof im Dorf -
Berichte aus Westfalen im
konfessionellen Zeitalter





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Gotisches Stadttor in Havixbeck mit
St. Dionysius-Kirchturm, 1962


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St. Servatius-Kirche in Brunskappel
mit anliegendem Friedhof, 1930


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Evangelische Pfarrkirche bei Hohensyburg,
ehemals St. Peter, um 1920


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Blick vom Brüderkirchturm zum Sackturm, Warburg, um 1940