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(64 KB)   Hamsternde Kinder im Münsterland, Foto aus: Eduard Schulte, Kriegschronik der Stadt Münster 1914-1918, Münster 1930 / Münster, Stadtarchiv   Hamsternde Kinder im Münsterland, Foto aus: Eduard Schulte, Kriegschronik der Stadt Münster 1914-1918, Münster 1930 / Münster, Stadtarchiv
TITELHamsternde Kinder im Münsterland, Foto aus: Eduard Schulte, Kriegschronik der Stadt Münster 1914-1918, Münster 1930


INFORMATIONAuf dem hier wiedergegebenen Foto sind drei Kinder nach einem erfolgreichen Hamsterzug in der Umgegend Münsters zu sehen. Mit dem Kartoffelsack auf der Schulter und gefüllten Rucksäcken beladen treten sie vom Münsterischen Hauptbahnhof aus den Heimweg in das Ruhrgebiet an.

Für einen großen Teil der notleidenden Stadtbevölkerung, der nicht genug Geld besaß, die hohen Preise des Schwarzen Marktes zu bezahlen, war das Hamstern die einzige Möglichkeit, die völlig unzureichenden offiziellen Nahrungsmittelrationen aufzubessern. Besonders aus dem dichtbevölkerten Industriebezirk, wo die Not besonders kraß zu Tage trat, strömten am Wochenende die Menschen scharenweise in die ländlichen Regionen Westfalens, um von den Bauern Kartoffeln, Speck und Schinken zu bekommen. Die Kriegschronik der Stadt Münster vom 23. September 1917 gibt ein eindrucksvolles Bild dieser "Flucht aufs Land":

"Tagtäglich ergießt sich aus den Eisenbahnzügen ein gewaltiger Strom von Hamsterern über das platte Land. Frauen, Kinder und Greise drängen mit Körben und Koffern, Rucksäcken und Handtaschen danach, im Geschwindschritt sich den Vorsprung bei den Bauern zu sichern. In Gruppen oder einzeln wandern die Hamsterleute von Gehöft zu Gehöft bis in den tiefen Abend. Viele übernachten draußen oder in den Feldscheunen. Unter der Traglast gebeugt, krumm und ächzend schleppen sich die zigeunerhaft zerlumpten Menschen zum Bahnhof, um dort nicht selten zu erleben, daß all ihr schweres Mühen durch die Beschlagnahme von seiten der Gendarmen vergeblich gemacht wird. Dann ergehen sich voll Haß und ohnmächtiger Wut die müden, abgehetzten, ausgemergelten Leuten gegen die Beamten, die auch dort nur ihre Pflicht erfüllen.... Am schlimmsten sah es in diesem Spätsommer auf den Eisenbahnstrecken vom Industriegebiet ins Sauerland aus. Selbst Kinder standen während der Fahrt an den unbeschreiblich überfüllten Wagen auf den Trittbrettern und hielten sich während der lebensgefährlichen Reise krampfhaft an den Stangen fest. Selbst aus den Bremserhäuschen konnten die hungrigen, aufgeregten Menschen nicht vertrieben werden. Da halfen auch kaum Sonderzüge. Tausende kampierten draußen in den Wäldern, Hunderte suchten noch des Nachts mit Hilfe von elektrischen Taschenlampen und Fahrradlaternen die Wald- und Preiselbeersträucher ab." [1]

Gerade die freiwachsenden Waldfrüchte waren, je mehr der Mangel an anderen Lebensmitteln zunahm, besonders begehrt. Der Wunsch einzumachen oder eigenen Brotaufstrich neben der mit Steckrüben und anderen Mitteln gestreckten Kriegsmarmelade herzustellen, war weit verbreitet.

Die Behörden versuchten die Hamsterei von Lebensmitteln drastisch einzuschränken. Polizisten führten verstärkt Zugkontrollen und Gepäckdurchsuchungen durch und nicht selten war eine geglückte Hamsterfahrt bereits am Hauptbahnhof von Münster zu Ende, wenn die Nahrungsmittel der Polizei in die Hände fielen. Im Herbst 1918 wurden auf den Bahnhöfen und in den Zügen Flugblätter des Oberbürgermeisters und der Polizeiverwaltung in Münster verteilt auf denen folgende Warnung stand:

"Der verbotswidrige Ankauf von rationierten Lebensmitteln, insbesondere von Getreide und Kartoffeln auf dem Lande hat einen solchen Umfang angenommen, daß dadurch für die Versorgung der Allgemeinheit die schwersten Gefahren drohen. Das bezieht sich nicht nur auf die gewerbsmäßigen Schleichhändler, sondern auch auf die sogenannten Hamsterer, die tagtäglich über Land ziehen. Auch die Mengen, die in nur kleinen Einzelmengen durch dieses eigennützige Hamstern der Allgemeinheit entzogen werden, wachsen schließlich im Gesamtergebnis durch den großen Umfang des Hamsterns zu solch gewaltigen Mengen an, daß es nach Mitteilung des Kriegsernährungsamts unmöglich ist, das ganze Wirtschaftsjahr hindurch die Versorgung der Bevölkerung durchzuhalten, wenn hier nicht gründlich Wandel geschaffen wird.
Die Selbstversorger in der Landwirtschaft sind bereits gewarnt. Aber auch die städtische Bevölkerung muß sich des großen Ernstes der Sachlage und ihrer Pflicht gegen die Allgemeinheit voll bewußt sein. Das Hamstern muß im Interesse des Vaterlandes aufhören. Auf den Bahnhöfen in Münster und Mecklenbeck hat zu diesem Zwecke eine nachdrückliche Kontrolle eingesetzt, die gegebenenfalls zur Beschlagnahme des gehamsterten Gutes schreiten wird. Die Hamsterer sind hiermit gewarnt." [2]

Aber keine noch so eindringlichen Warnungen und Appelle an die vaterländische Gesinnung des einzelnen konnten das Hamstern verhindern. Die hungernde Stadtbevölkerung, die wußte, daß auf dem Lande genug Nahrungsmittel zu haben waren, konnte weder durch Strafen noch durch eine Beschlagnahme der Waren davon abgehalten werden, durch gehamsterte Lebensmittel die dürftige Kriegsernährung zu vermehren. Schon längst galt überall das Motto: "Es gibt nur noch Idioten und Verbrecher, Idioten sind die, welche nicht hamstern, und Verbrecher alle übrigen!" [3]


[1] Eduard Schulte, Kriegschronik der Stadt Münster 1914-1918, Münster 1930, S. 300.
[2] Ders., S. 361f.
[3] Ders., S. 299.


TECHNIKFoto
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FOTO-PROVENIENZMünster, Stadtarchiv


QUELLE    Roerkohl, Anne | Der Erste Weltkrieg in Westfalen | Dia 11, S. 42f.
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
Zeit3.9   1900-1949
Ort1.3   Münsterland
3.5   Münster, Stadt <Kreisfr. Stadt>
Sachgebiet9.4   Konsum, Nahrung
DATUM AUFNAHME2004-02-25
DATUM ÄNDERUNG2014-11-10
AUFRUFE GESAMT4709
AUFRUFE IM MONAT192