QUELLE

DATUM1914   Suche   Suche DWUD
TITEL/REGESTBericht über die dritte Sitzung der Kinokommission des Westfälischen Landgemeindetages am 07.01.1914 in Hagen
TEXTKinokommission des Westfälischen Landgemeindetages

Am 7. Januar 1914 fand in Hagen im Hotel Lünenschloß nach längerer Pause eine Sitzung der Kinematographenkommission des Westfälischen Landgemeindetages statt, zu der die Mitglieder, Verwaltungsbeamte, Geistliche beider Konfessionen, Lehrer, Vertreter der Presse und der Arbeiterschaft zahlreich erschienen waren.

Nach einer kurzen Begrüßung erstattete der Vorsitzende, Amtmann Berkermann (Eickel), den Bericht über die Tätigkeit der Kommission während des abgelaufenen Jahres, dem wir u. a. folgendes entnehmen:

Am 24. Januar 1913 hat der Vorsitzende der Kommission dem Herrn Staatssekretär des Reichsamtes des Innern Abdrücke der Sitzungsprotokolle der Kinematographenkommission mit der Bitte übersandt, die in der Resolution vom 21. Dezember 1912 (vgl. "Bild und Film" Jahrg. 2, S. 95) niedergelegten Gesichtspunkte bei der Redaktion des Entwurfes zur Änderung der Gewerbeordnung (Einführung der Konzessionspflicht für Kinos) zu berücksichtigen. Sodann hat am 26. Februar 1913 im Gemeindelichtspielhaus zu Eickel ein kinematographischer Instruktionskursus unter überaus zahlreicher Beteiligung stattgefunden, dessen Verlauf näher auf Seite 142 des 2. Jahrgangs von "Bild und Film" dargelegt ist. Weiter berichtete der Vorsitzende über die Fühlungnahme mit dem Westfälischen Städtetage, um diesen zu einem Hand-in-Handarbeiten mit der Kinematographenkommission des Westfälischen Landgemeindetags zu veranlassen. Einen praktischen Erfolg hat diese Anregung bisher nicht gehabt. Überhaupt beklagte der Vorsitzende in diesem Zusammenhang mit Recht das geringe Interesse, das die Städte an den Kinoreformbestrebungen zeigten. Die Städte hätten durchweg aus der ganzen Reformbewegung nur steuerlichen Nutzen gezogen, und diese Erhöhung der Steuern sei auch der Hauptgrund ihres geringen Entgegenkommens. Sie nähmen gern die Steuern ein, aber fühlten sich nicht verpflichtet, sie im Reformsinne zu verwenden. Schließlich berichtete er noch über Konferenzen im Laufe des Jahres über Kinoreformsachen, die er mit einigen Herren aus dem Ministerium des Innern und mit Herrn Prof. Brunner in Berlin, dem Beirat des Kgl. Polizeipräsidiums Berlin, gehabt habe, und erwähnte dann noch den Anklang, den die Arbeiten der Kommission sogar im Ausland gefunden habe; so sei u.a. Frau Hauptmann Dagmar Waldner im Auftrage der schwedischen Regierung bei ihm gewesen, um sich über die Bestrebungen und Erfahrungen der Kinokommission auf diesem Gebiete sowie über die Einrichtung und den Betrieb des ersten Gemeindelichtspielhauses in Eickel zu unterrichten. Zum Schluß teilte er den Erlaß des Herrn Ministers des Innern vom 2. Dezember 1913, 11 e 2711, betreffend Regelung des Plakat- und Reklamewesens durch Polizeiverordnungen mit. Er regte an, beim Herrn Regierungspräsidenten den Erlaß einer solchen Polizeiverordnung für den ganzen Regierungsbezirk anzustreben, was von der Kommission als dringend notwendig bezeichnet wurde; ja man hielt es für erwünscht, daß eine solche Polizeiverordnung für den Bereich der Provinz erlassen würde.

In der Aussprache wurde von verschiedenen Rednern darauf hingewiesen, daß die Arbeiten der Kinematographenkommission durchaus nicht unnütz gewesen, sondern auf fruchtbaren Boden gefallen wären. Namentlich verbreitete sich der Diözesanvorsitzende der katholischen Arbeitervereine, Pfarrer Ludmann (Röhlinghausen), ausführlich über die Fühlungnahme mit den Arbeiterkreisen. Auch würde die Verbreitung einer kleinen aufklärenden Schrift, die auf die Gefahren des Kinos und auf die Reformbestrebungen hinweise, gute Dienste im Reformsinne verrichten können. Er regte dann weiter die Abhaltung von Vorträgen über die Kinofrage durch die einzelnen Kommissionsmitglieder in Vereinen und Versammlungen an. Die Kommission beschloß die Herausgabe einer billigen aufklärenden Schrift, zu deren Herausgabe bzw. Verlag sich die Lichtbilderei in M.Gladbach anbot, und zu deren Abfassung sich Prof. Dr. Sellmann (Hagen) bereit erklärte.

Pfarrer Zaulek (Weidenau) hob hervor, daß es notwendig sei, auch das Verantwortlichkeitsgefühl der gebildeten Kreise für die Kinofrage mehr noch als bisher zu wecken. Auch regte er an, die Zeitschrift "Bild und Film" möge noch mehr als bisher in diesem Sinne benutzt werden. Pfarrer D. Morgenstern in Hombruch bittet noch, bei der ganzen Reformarbeit sich auch der Hilfe der sogenannten Jugendpflegeausschüsse zu bedienen. Überhaupt wurde bei der sich weiter anschließenden Aussprache auf den Wert der Förderung der Kinobestrebungen durch Verbreitung aufklärender Schriften hingewiesen. In diesem Sinne beschloß die Kommission u. a. die von Dr. Warstat und Bergmann verfaßte Broschüre "Kino und Gemeinde" (M.Gladbach, Volksvereins-Verlag) in 50 Exemplaren zu beschaffen und sie an die interessierten Gemeinden bzw. Ämter mit einem besondern Begleitschreiben zu übersenden, ebenso die Herren Regierungspräsidenten und Landräte für die Anschaffung der Broschüre seitens der Ämter und Gemeinden zu interessieren. Auch wurde beschlossen, bei dieser Gelegenheit auf die Zeitschrift "Bild und Film" empfehlend hinzuweisen. Sodann wurde eingehend die Frage behandelt, wie man die Kosten der aufklärenden Arbeiten aufbringen solle. Amtmann Strosser (Lüdenscheid), der Vorsitzende des Westfälischen Landgemeindetags, regte an, auch in diesem Jahre wiederum einen Antrag an den Herrn Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten wegen Bewilligung eines Zuschusses zu den Kosten der aufklärenden Arbeiten zu stellen. Ebenso möge man sich an die interessierten Ämter und Gemeinden wegen Zahlung eines einmaligen Beitrags unter Beifügung der vorerwähnten Broschüre wenden, womit man sich allseitig einverstanden erklärte.

Prof. Dr. Sellmann (Hagen) berichtete dann ausführlich über die Zentrale für Kinoreform in Westdeutschland, die am 23. Mai 1913 in einem kleinen Kreise von Reformfreunden in Düsseldorf gegründet sei und eigentlich nur die Grundlage für einen spätern weitern Ausbau dieser Zentrale bilden sollte. Auch die Tätigkeit dieser Kommission bzw. deren Mitglieder sei nicht ganz ohne Erfolg gewesen. So habe er eine Reihe von Vorträgen namentlich vor Lehrpersonen, z.B. in Düsseldorf, Gelsenkirchen, Lütgendortmund, Hagen usw. gehalten. Die Zahl der in Kinosachen bei ihm eingehenden Schreiben, in denen meistens um Auskunft gebeten würde, sei ganz enorm, und es sei geradezu auffallend, in wie weiten Kreisen die Tätigkeit auch der Kinematographenkommission des Westfälischen Landgemeindetags bekannt geworden sei. So habe man sich an ihn aus Ungarn und ebenso aus Schweden in dieser Frage gewendet. Er begründet dann die Notwendigkeit eines weitern Ausbaues dieser Zentralstelle durch Gründung einer ständigen Geschäftsstelle. Nachdem Amtmann Berkermann sich wegen Überbürdung mit Dienstgeschäften außerstande erklärte, die Geschäfte einer solchen Dienststelle nebenbei zu verwalten, wurde beschlossen, eine "Geschäftsstelle der Kinematographenkommission des Westfälischen Landgemeindetags" in Hagen ins Leben zu rufen. Prof. Sellmann erklärte sich bereit, die Leitung der Geschäftsstelle zu übernehmen. Die Kinokommission des Westfälischen Landgemeindetags soll daneben selbstverständlich weiter bestehen bleiben. Amtmann Berkermann wurde gebeten, deren Vorsitz weiter beizubehalten, was er zusagte. Es soll versucht werden, die Mittel für die geplante Einrichtung aufzubringen, u. a. soll der Provinzialausschuß gebeten werden, zur weitern Durchführung der Reformbestrebungen alljährlich einen bestimmten Betrag zur Verfügung zu stellen. Ohne Zweifel ist die Einrichtung einer solchen Geschäftsstelle dringend notwendig, um die Arbeit der Kinokommission in weitere Kreise zu tragen und um namentlich auch die von verschiedenen Seiten angeregte Verbindung mit dem Volke herzustellen. Hierdurch erst werden die Reformbestrebungen der Kommission sich recht nutzbringend gestalten. Namentlich wird es dadurch gelingen, auch wenn selbst die Städte offiziell sich von den Kinoreformarbeiten fernhalten sollten, indirekt durch die Vereine usw., wie von einer Seite mit Recht hervorgehoben wurde, an die Städte heranzukommen. Denn es bedarf wohl keines Hinweises darauf, daß die Reformarbeiten in den Städten viel notwendiger sind als auf dem Lande.

Unter Punkt 4 der Tagesordnung: "Gegenwart und Zukunft des Kinematographen unter besonderer Berücksichtigung der Landgemeinden" berichteten die einzelnen Vertreter der Kommission aus Gladbeck, Weidenau, Eickel, Höxter, Hagen, Elberfeld, Lüdenscheid usw. eingehend über den Stand der Kinofrage in ihren Orten. Man gewann aus den einzelnen Berichten den Eindruck, daß überall schon eine grundlegende Arbeit in der Reform geleistet, und daß tatsächlich mehr geschehen ist, als der weitern Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Namentlich sind an vielen Orten von Gemeinden oder sonstigen gemeinnützigen Korporationen Kinoapparate angeschafft, die für Vereinsvorstellungen, Jugendpflegeausschüsse usw. dienen. An andern Orten, so namentlich im Kreise Höxter, steht deren Anschaffung in Aussicht. Auf Grund der Berichte glaubt die Kommission den Gemeinden empfehlen zu müssen, überall dort, wo Turnhallen oder Jugendheime neu gebaut werden, schon von vornherein den Einbau eines Projektionsapparates ins Auge zu fassen, Wie dies namentlich in manchen Orten des Amtes Lüdenscheid und vor allem im Landkreis Essen wie in Gladbeck und Altenessen schon geschehen ist.

Eingehend beschäftigte sich die Kommission dann noch mit der Frage der "Kino- und Jugendpflege" und beschloß die Verbreitung eines vorzüglichen, von Prof. Sellmann verfaßten Flugblattes "Kinematograph und Jugendpflege", das von dem Evangelischen Presseverband in Witten verlegt wird, den Gemeinden, Schulen sowie konfessionellen Vereinen und christlichen Arbeiterverbänden zu empfehlen.

Zum letzten Punkt der Tagesordnung: "Was soll der Staat in der Kinofrage tun?" berichtete der wissenschaftliche Hilfsarbeiter beim Verbande Rheinisch-Westfälischer Gemeinden, Bergmann (Cöln), eingehend über den Stand der gegenwärtigen Rechtslage der Kinofrage. Er hob namentlich die vielseitigen Schwierigkeiten, die das Kinoproblem an den Verwaltungsbeamten und den Gesetzgeber stellt, hervor. So beschäftigte er sich eingehend mit der in Aussicht stehenden Regelung des Konzessionswesens, sodann mit der Zensur und dem Reklameunwesen, weiter mit dem Kinderschutz und den bau- und sicherheitspolizeilichen Vorschriften. Er beklagte die Zersplitterung auf diesem Gebiete; in jedem deutschen Bundesstaat, ja fast in den einzelnen Provinzen seien andere Bestimmungen maßgebend. Namentlich wies er auf die Schwierigkeiten hin, die einer landesgesetzlichen Regelung dieser Materie wegen der entgegenstehenden reichsgesetzlichen Bestimmungen der Gewerbeordnung und des Preßgesetzes entgegenständen. Die Vielseitigkeit der Forderungen auf diesem Gebiete lege die Frage nahe, ob nicht eine Regelung des ganzen Kinowesens in einem Reichs-Kinogesetz zu wünschen wäre, wie das von manchen Seiten gefordert würde. Auf diesem Wege könnten alle die Schwierigkeiten im Kinowesen am besten geregelt und ein gesetzlicher Zustand geschaffen werden, der sowohl der Bedeutung des Kinos für die Volkswirtschaft und das Volksleben wie auch der Würde des deutschen Rechtsstaates gerecht werde. Daher glaube er, daß man im Interesse einer Kinoreform an die Gesetzgebung in erster Linie die Forderung der Schaffung eines einheitlichen, alle Gebiete umfassenden Reichskinosondergesetzes stellen müsse. Sei nach dem Standpunkte, wie ihn die Reichsregierung zurzeit einnehme, eine reichsgesetzliche Regelung nicht zu erreichen, so müsse man wenigstens in Preußen eine landesgesetzliche Kinogesetzgebung fordern, wie sie Württemberg zurzeit in vorbildlicher Weise vornehme. Darauf brachte er folgende Resolution in Vorschlag:

"Die Kinematographenkommission des Westfälischen Landgemeindetags begrüßt die von der Reichsregierung beabsichtigte Einführung der Konzessionspflicht für die Kinos, ebenso die in Form einer Novelle zur Reichsgewerbeordnung beabsichtigte Beseitigung der Mißstände im Reklamewesen. Sie glaubt aber, daß hiermit die gesetzgeberischen Aufgaben des Reiches auf dem Gebiete des Kinowesens noch keineswegs erschöpft sind, sie hält vielmehr die Regelung des gesamten Kinowesens in einem Reichssondergesetz seiner volkswirtschaftlichen und volksbildenden Bedeutung entsprechend für angemessen, namentlich wäre die Einführung einer Reichsfilmzensur und einheitlicher Kinderschutzbestimmungen zu begrüßen.

Sollte aber eine reichsgesetzliche Regelung zurzeit nicht zu erreichen sein, so hält die Kommission die Regelung dieser Materie wenigstens für Preußen nach dem Vorbilde Württembergs für dringend notwendig."

Wenn auch die Kommission den Ausführungen allgemein zustimmte, so wurde doch beschlossen, mit Rücksicht auf die schwebenden Verhandlungen über Änderung der Gewerbeordnung im Kinoreformsinne von weitern Anträgen vorläufig Abstand zu nehmen, um diese Verhandlungen nicht eventuell zu gefährden. Es soll aber versucht werden, auf einzelne Abgeordnete im Sinne der Ausführungen einzuwirken.

Schließlich wurde beschlossen, mit Rücksicht auf den Anklang, den der kinematographische Instruktionskursus in Eickel gefunden hat, einen gleichen Instruktionskursus zu Ostern dieses Jahres in Hagen abzuhalten. Diese Gelegenheit benutzte Prof. Dr. Sellmann, um der Kommission seinen Dank abzustatten, daß sie der Einladung nach Hagen so zahlreich gefolgt sei. Namentlich dankte er den erschienenen Mitgliedern der Kommission, besonders dem Vertreter der Lichtbilderei M. Gladbach, Dr. Lorenz Pieper, für deren rastlose und selbstlose Tätigkeit im Interesse der Kinoreform.


QUELLE     | Bild und Film | 3. Jg., Heft 5, S. 108-111


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
Zeit3.9   1900-1949
Ort1.4   Hagen, Stadt <Kreisfr. Stadt>
Sachgebiet14.14   Film, Kino
DATUM AUFNAHME2004-05-10
AUFRUFE GESAMT2608
AUFRUFE IM MONAT176