Marinus Goers vor den Claudius Höfen

Mit Einschränkungen gut

Marinus Görs bringt sich gern in die Gemeinschaft ein.

Marinus Goers war 25 Jahre lang Vermittler im Arbeitsamt und ist inzwischen in Rente. Er lebt mit seiner Frau seit vier Jahren in den Claudius-Höfen. Er ist zufrieden, auch wenn einiges anders ist, als er es sich erhofft hatte. Der 69-Jährige wünscht sich noch mehr Engagement der anderen Mieter – und manchmal fehlen ihm im Alltag etwas die Anknüpfungspunkte mit den Nachbarn.

Marinus Goers berichtet: „Ich war schon im Ruhestand, als ich von dem Projekt in der Tageszeitung gelesen habe. Die Idee vom ‚Dorf in der Stadt‘ fanden meine Frau und ich beide sehr gut. Wir hatten zum Beispiel die Hoffnung, hier nicht mehr ganz so anonym zu leben wie in unserer alten Nachbarschaft, sondern regelmäßiger Menschen zu treffen und aktiv zu sein. Besonders interessant war für uns zudem die Tatsache, dass alle Wohnungen barrierefrei gestaltet werden sollten. Meine Frau und ich sind schon älter, Heidi hat außerdem Probleme mit der Hüfte. Sie ist deshalb momentan auf Gehhilfen angewiesen und da ist es schon gut, wenn sie zum Beispiel nicht mehr die Hürde einer hohen Badewanne überwinden muss wie in unserer alten Wohnung. Das hat sich in unserem Apartment erfüllt, wobei es insgesamt in Sachen Barrierefreiheit durchaus noch Verbesserungsbedarf gibt: Die rund 30 Eingangs-, Durchgangs- und Kellertüren sind für Rollstuhlfahrer oder Menschen mit Rollatoren und Gehhilfen kaum zu handhaben, weil sie sehr schwergängig sind und nicht einfach per Knopfdruck geöffnet werden können. Außerdem hat unser Gemeinschaftsraum keine Behindertentoilette, im Veranstaltungssaal fehlt überhaupt ein WC.

„Ich wünsche mir noch mehr Kontakt zu den behinderten Nachbarinnen und Nachbarn.“

Insgesamt sind wir aber sehr zufrieden. Wir leben jetzt seit vier Jahren hier, angefangen hat alles mit den Mietertreffen. Ein Mal pro Monat haben wir uns damals verabredet und kennengelernt und uns auch zwischendurch gegenseitig besucht. Bei einem der Ehepaare haben wir zum Beispiel im Garten gegrillt und Fußball geschaut, das war ein sehr schöner Anfang. Auch im Nachhinein finde ich es sehr wichtig, dass es schon vorher, also bevor das Wohnprojekt überhaupt umgesetzt wurde, Kontakt mit den anderen Mietern gab, denn diese Leute füllen das Ganze hier ja mit Leben. Wir wussten damals sicher voneinander, dass wir alle Lust auf diese Wohnform hatten und bereit waren, uns auch zu engagieren. Unsere Erwartungen haben sich erfüllt, allerdings nicht so vollständig wie anfangs gehofft. Ich schätze mal, etwa die Hälfte der Mieter bringt sich regelmäßig ein. Das ist schon recht viel, ich wünsche mir aber noch mehr. Einige der später hinzugekommenen Mieter haben aus meiner Sicht nicht so ein starkes Gemeinschaftsgefühl wie die „alten Hasen“. Die kennen wir kaum, weil viele von ihnen sich eher raushalten und selten blicken lassen. Das finde ich schade, denn diese Zurückhaltung steht der Idee des Wohnens hier entgegen.

Ich würde mich dagegen eher zu den „Kümmerern“ zählen, weil ich viel für die Gemeinschaft mache. Da ist es eben auch einfach nicht so schön, wenn das von manchen nicht so stark zurückkommt. Mir ist aber auch klar, dass so ein gemeinschaftliches Wohnen nie genau so werden kann, wie man es sich vorher ausmalt. Erst die Zeit zeigt, wie gut das klappt und wo es hakt, ob die Menschen miteinander gut funktionieren und ob die Erwartungen sich erfüllen.

Was ich mir auch anders wünschen würde: Das Zusammentreffen mit Menschen mit Behinderung, die hier in Wohngruppen leben, ist zumindest aus meiner Sicht viel schwieriger als gedacht. Es gibt kaum Anknüpfungspunkte. Das liegt vielleicht auch daran, dass wir jeweils ganz andere Tagesabläufe haben. Tagsüber zum Beispiel haben meine Frau und ich als Rentner viel Zeit. Während der Woche sind genau dann aber viele der Bewohnerinnen und Bewohner mit Behinderung bei der Arbeit – und die Wochenenden verbringen sie meistens auch nicht hier, sondern bei ihren Familien. Da gibt es dann keine Zeit mehr für den Kontakt zur Gemeinschaft.

Vielleicht fühlt sich das auch nur für uns selbst so an, denn wir sind ja insgesamt 180 Mieterinnen und Mieter hier in den Claudius-Höfen. Es gibt mehrere kleinere Gruppen innerhalb der Gemeinschaft, in denen die Leute sicher stärker den Kontakt zueinander halten. Das Claudius-Theater scheint da ein sehr guter Anknüpfungspunkt für viele zu sein. Außerdem unterstützen sich die Menschen mit Behinderungen in ihren Wohngruppen sehr viel gegenseitig. Gegenüber wohnt zum Beispiel eine sehr engagierte Frau mit Behinderung, die immer viel für ihre Mitbewohner getan hat. Jetzt ist sie selbst sehr krank geworden. Es ist schön, zu sehen, wie die anderen ihr das Engagement wieder zurückgeben: Ihre WG organisiert die Wochenenden so, dass immer jemand bei der Frau bleiben und ihr Gesellschaft leisten kann. Das ist eine toll gelebte Gemeinschaft, finde ich – so wie ich es mir auch insgesamt wünsche.“


 

Die Claudius-Höfe in Bochum bestehen aus Wohnungen und Apartments, einem Hotel, einem Restaurant, einem Bistro sowie mehreren Gemeinschaftsräumen. Zu Fuß liegt die Anlage nur ein paar Minuten vom Hauptbahnhof entfernt – ein Dorf in der Stadt also, in dem das Wohnen für Menschen mit und ohne Behinderung aller Altersgruppen und Lebenssituationen möglich wird. Insgesamt 180 Menschen leben heute hier. Die Claudius-Höfe sind zudem klimafreundlich gebaut, der Verbrauch für Heizung und Wasser ist durch die Bauweise niedrig, der Energiemix ist nachhaltig. Eigene Solaranlagen stützen das Konzept zusätzlich. Eine weitere Besonderheit: Die Mieter wurden von Anfang an in die Planungen einbezogen. Sie durften mit entscheiden, wie ihr neues Zuhause aussehen und funktionieren sollte.