Die westfälischen Schifffahrtskanäle unter oro-hydrographischen Aspekten

15.02.2018 Horst Pohlmann

Kategorie: Verkehr

Schlagworte: Westfalen · Wasserversorgung · Schifffahrt

Inhalt

Jeglicher Schiffsverkehr, der vom Rhein die deutschen Nordseehäfen, die norddeutschen Großstädte Osnabrück, Hannover, Wolfsburg, Magdeburg und Berlin sowie die Ostseehäfen Lübeck und Stettin erreichen möchte, muss die "Scheitelhaltung Westfalen" passieren. Dazu ist, vom Rhein bei Wesel kommend, ein Höhenunterschied von mehr als 40 m zu überwinden.

Die "Scheitelhaltung Westfalen"

Dieser Kanalabschnitt besteht aus Teilen des Rhein-Herne-Kanals (RHK), des Dortmund-Ems-Kanals (DEK) und des Datteln-Hamm-Kanals (DHK). In der Summe bildet der Abschnitt ein Gewässer von rd. 100 km Länge und wird begrenzt von den Schleusen Herne-Ost, Henrichenburg, Datteln, Hamm und Münster. Der mittlere Wasserspiegel liegt auf 56,50 m ü. NHN. Als "Schwelle" betrachtet bildet die "Scheitelhaltung Westfalen" den Übergang vom Rhein zur Ems.

Ein langer schleusenfreier Bereich (Haltung) eines Kanalsystems setzt ein Gelände mit geringen Höhendifferenzen voraus. Dieses Kriterium ist jedoch lediglich zwischen Müns­ter und Lüdinghausen weitgehend erfüllt. Dort verläuft der DEK parallel zu Werse, Emmerbach und Stever. Im weiteren Verlauf jedoch quert er Stever, Lippe und Emscher, die bis zu 25 m tiefer und z.T. unter offenen Kanalüberführungen hindurchfließen. Für die Realisierung dieses Streckenabschnitts muss der wasserbauliche Aufwand folglich ungleich größer gewesen sein.

Der Aufstieg vom Rhein zur "Scheitelhaltung Westfalen"

Der Aufstieg wird ermöglicht durch den RHK, über den in fünf Schleusen ein Höhenunterschied von rd. 36 m (je nach Wasserstand des Rheins in Duisburg) überwunden werden muss, sowie durch den Wesel-Datteln-Kanal (WDK) mit sechs Schleusen.

Zum Bau des RHKs wurde die Emschertalung unter teilweiser Benutzung des alten Flussbettes in Anspruch genommen. Die untersten zwei Schleusen (DU-Meiderich und Oberhausen) ermöglichen den Anstieg aus dem Mündungsbereich der Ruhr. Dort kann es bei Rheinhochwasser (> 25 m ü. NHN) vorkommen, dass in die Haltung DU-Meiderich–Oberhausen hinabgeschleust wird.

Die Schleusen des RHKs überwanden einst einen einheitlichen Niveauunterschied von 5 m. Es gab zwei zusätzliche Schleusen (Essen-Dellwig und Herne-West), die aufgrund von Bergsenkungen (s. Beitrag Harnischmacher) 1979 bzw. 1992 zurückgebaut wurden. Ausgleichend wurden Dämme sowie Schleusentore/-kammern verändert, sodass die Hubhöhen nun zwischen 4,10 m und 12,80 m variieren.

Der WDK verläuft am Südhang der Lippe-Flussmulde und überwindet, je nach Wasserstand des Rheins, bis über 40 Höhenmeter. In seinem östlichsten Abschnitt erhebt er sich mittels zweier Schleusen 15 m aus der Lippetalung heraus, um im "Dattelner Meer" das Niveau der "Scheitelhaltung Westfalen" zu erreichen. Bergsenkungen vor allem in Bereichen von Dorsten und Marl erfordern auch hier ständigen Ausgleich durch verschiedenste Baumaßnahmen an Schleusen und Dämmen.

Der Abstieg nach Norden

Ab der Schleuse Münster (DEK) beginnt die "Haltung Münster–Anderten", die auf einem Niveau von 50,30 m über eine Strecke von rd. 210 km bis östlich von Hannover reicht. Die Höhendifferenz von rd. 10 m zur Ems macht eine offene Kanalüberführung des DEKs bei der Querung erforderlich. Im weiteren Verlauf ab Hörstel-Bergeshövede ("Nasses Dreieck") liegt der westliche Abschnitt des Mittellandkanals niveaugleich.

Dagegen führen mehrere Schleusen in kurzen Abständen den DEK ab dem "Nassen Dreieck" in die Emsniederung hinab.

Die beiden Stichkanäle

Der DHK verläuft südlich der Lippe und endet am Kraftwerk in Hamm-Schmehausen. Er befindet sich bis zur Schleuse Hamm auf der "Scheitelhaltung Westfalen". Im Bereich von Waltrop liegt diese rd. 15 m über dem dortigen Lippeniveau, während die Wasserstände beider Gewässer oberhalb der Schleuse Hamm annnähernd niveaugleich sind. Mit 57,95 m bzw. 63,25 m ü. NHN liegen die Haltungen oberhalb der Schleusen Hamm und Werries höher als die "Scheitelhaltung Westfalen". Bergsenkungen im Bereich von Lünen erfordern auch hier Baumaßnahmen an Dükern, Dämmen und Spundwänden.

Der DEK beginnt am Hafen Dortmund in einer Haltung von fast 70 m ü. NHN, die hier annähernd dem Niveau der nahe fließenden Emscher entspricht. Die Haltung endet an der Schleuse Henrichenburg, die mit einer Hubhöhe von 13,50 m die höchste Kanalstufe in Westfalen darstellt.

Abb. 1: Die westfälischen Schifffahrtskanäle unter oro-hydrographischen Aspekten (Quelle: eigener Entwurf)

Wasserwirtschaft

Da zur Aufrechterhaltung des Schiffsverkehrs im Kanalnetz ein konstanter Wasserspiegel zu gewährleisten ist und durch Schleusen, Entnahmen (Industrie, Kraftwerke), Versickerungen, Verdunstung usw. Wasser verloren geht, muss ständig für Ausgleich gesorgt werden. Als Hauptversorger wird hierzu die Lippe (s. Beitrag Pohlmann) in Anspruch genommen:
Durch eine Stauregelung im Bereich der Schleuse Hamm fließt über die "Wasserverteilungsanlage" Wasser von der Lippe (max. 25 m3/s) in den DHK ("Scheitelhaltung Westfalen"). Von dort werden dann die tiefer liegenden Haltungen versorgt. Damit ist die Lippe "Hauptlieferant" für das gesamte rheinisch-westfälische Kanalsystem.

Im Gegenzug kann der Lippe bei Niedrigwasser unterhalb der Schleuse Hamm mittels eines Überleitungsbauwerks vom Kanal Wasser zugeführt werden (max. 4,5 m3/s). Die Wasserversorgung des Kanalnetzes muss dann durch Wasser aus Rhein und Ruhr ergänzt werden. Das geschieht, indem an den Schleusen des RHKs sowie des WDKs entsprechende Wassermengen hochgepumpt werden.

Ausschließlich durch Pumpleistung gelangt Wasser in die höher gelegenen Haltungen von DEK und DHK. Für weitere Wasserzufuhr sorgen Pumpwerke in Minden und Müns­ter, die aus der Weser ergänzende Mengen über die "Haltung Müns­ter–Anderten" bis in die Scheitellage des westdeutschen Kanalnetzes gelangen lässt.

Bei ausreichender Wasserführung der Lippe geschieht die Wasserversorgung auf fast natürlichem Weg durch die Verteilungsanlage in Hamm. Die Betriebskosten steigen, je mehr Wasser aus Rhein und Ruhr in die Scheitellage gepumpt werden muss. Die geringen Zuflüsse in das Kanalsystem von Fließgewässern (durch Offer- u. Kannenbach) spielen dagegen für dessen Wasserversorgung keine Rolle.

Auch in Zukunft wird in Bereichen des ehemaligen Bergbaus mit weiteren Bergsenkungen zu rechnen sein, die oro-hydrographischen Veränderungen verursachen und zusätzliche Baumaßnahmen an den Schifffahrtskanälen und den zugehörigen Bauwerken erforderlich machen werden.

Beitrag als PDF-Datei ansehen/speichern (Größe: 1,8 MB)

↑ Zum Seitenanfang


Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2018