Bergsenkungen im Ruhrgebiet

01.01.2010 Stefan Harnischmacher

Kategorie: Wirtschaft

Schlagworte: Bergbau · Unterwelten · Ruhrgebiet · Bergsenkung · Kohleförderung

Inhalt

Der Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet besaß seinen Höhepunkt im Jahre 1939, als kriegsbedingt auf 151 Zechen 130 Mio. t Kohle gefördert wurden (Huske 2006). Heute sind im Ruhrgebiet nur noch vier Zechen in Betrieb (Gesamtförderung im Jahr 2008: 14,2 Mio. t), von denen drei innerhalb Westfalens (Prosper-Haniel in Bottrop, Auguste Victoria in Marl, Ost in Hamm) und ein Bergwerk am linken Niederrhein liegen (West in Kamp-Lintfort). Die Stilllegung des Bergwerks Ost in Hamm ist zum 30.09.2010 festgelegt, da­rüber hinaus sieht die Bergbauplanung das Ende des Bergwerks West in Kamp-Lintfort zum Jahreswechsel 2012/2013 vor (GVSt 2009). Ab 2013 wird sich die Steinkohlenförderung im Ruhrgebiet voraussichtlich auf nur noch zwei Bergwerke konzentrieren: Prosper-Haniel in Bottrop sowie Auguste Victoria in Marl. Daneben wird in Westfalen außerdem noch in Ibbenbüren bis mind. 2018 Kohle gefördert. Die Hinterlassenschaften des Bergbaus sind jedoch auch dort unübersehbar, wo schon seit Jahrzehnten keine Steinkohle mehr an die Tagesoberfläche gelangt. Neben den auffälligen, aus ihrer flachen Umgebung herausragenden Bergehalden (s. Beitrag Bekemeier) stellen Bergsenkungen eine große Herausforderung für die Menschen im Ruhrgebiet dar.
 

Abb. 1: Übersicht berechneter Höhendifferenzen aus einem Vergleich von Höhenangaben der Preußischen Landesaufnahme (1892) und aktuellen Digitalen Geländemodellen für das westfälische Ruhrgebiet (Quelle: Eigener Entwurf)

Steinkohlenförderung und Bergsenkungen

Bereits seit Mitte des 19. Jh.s sind Bergsenkungen im Essener Raum bekannt, nachdem erste Klagen über Bergschäden laut wurden. Zur Festlegung der Schadensumfänge führte man eine Höhenvermessung im Ruhrgebiet durch, die für die 1880er Jahre Senkungen von bis zu fünf Meter im Emscherraum zwischen Herne und Gelsenkirchen aufzeigte (Peters 1999). Die Ursachen der Bergsenkungen gehen auf einen flächenhaften Abbau der Steinkohle im sog. Tiefbau zurück, der etwa ab Mitte des 19. Jh.s mit dem Einsatz der Dampfmaschine zur Grubenwasserhaltung und dem Durchstoßen der Kreidedeckschichten begann. Damit konnten erstmals Steinkohlenvorräte unterhalb des nach Norden zunehmend mächtigeren Deckgebirges, u. a. im Bereich der Emscherniederung, er­schlossen werden. In den heute betriebenen Zechen sind mittlerweile maximale Abbautiefen von 1.460 m erreicht. Der Abbau im Untergrund erfolgt durch den sog. Langfrontbau, bei dem die Steinkohle zwischen zwei parallel verlaufenden Strecken entlang des 250 bis 300 m langen Strebs gewonnen und an die Oberfläche befördert wird. Der Hohlraum im Streb wird dabei nur temporär offengehalten und von den einbrechenden hangenden Schichten ausgefüllt, sobald der Abbau weiter vorrückt (Szelag u. Weber 1993). Das entstandene Volumendefizit paust sich nach bruchhafter und elastischer Verformung des Steinkohlen- und Deckgebirges bis zur Geländeoberfläche durch, wo es eine großräumige Absenkung verursacht, die als Bergsenkung bezeichnet wird und im Ruhrgebiet ca. 90% der ursprünglichen Flözmächtigkeit ausmacht (Whittaker u. Reddish 1989). Das flächenhafte Ausmaß der Bergsenkung ist zumeist größer als die Abbaufläche im Untergrund. Größe, Lage und Dimension der Bergsenkung können je nach Abbauteufe (= -tiefe), Lagerung des Kohleflözes, Länge und Breite der Abbaufläche, Eigenschaften des Deckgebirges sowie Mächtigkeit des Flözes vorausberechnet werden (Pollmann u. Wilke 1994).

Ausmaß und Verbreitung von Bergsenkungen

In der Literatur lassen sich vereinzelt Angaben zu den Ausmaßen von Bergsenkungen im Ruhrgebiet finden, wenn etwa von Absenkungsbeträgen die Rede ist, "[…] die im Ruhrrevier von mehreren Metern (in den älteren, vor allem südlich der Ruhr gelegenen Abbaugebieten) bis zu über 20 Metern (maximal 24 Metern!) in den Kernzonen zwischen Ruhr und Lippe schwanken" (Meyer 2002, S. 21). Darüber hinaus fehlen jedoch Informationen zur genauen Lage und Verbreitung von Bergsenkungsgebieten, z. B. in großmaßstäbigen Karten. In Kooperation mit dem ehemaligen Landesvermessungsamt Nordrhein-Westfalen (heute: Bezirksregierung Köln, Abteilung 07: GEObasis.nrw) wurden daher im Rahmen eines Forschungsprojektes flächendeckend Hö­­henangaben auf Karten der Preußischen Landesaufnahme aus dem Jahre 1892 digitalisiert und in einem Geographischen Informationssystem mit den aktuellen Digitalen Geländemodellen verschnitten. Auf insgesamt 21 Kartenblättern im Maßstab 1:25.000 ist nunmehr die Verbreitung bergbaubedingter Höhendifferenzen als Folge von Bergsenkungen und Bergehalden im Ruhrgebiet zu erkennen. Eine Übersicht der Ergebnisse für das westfälische Ruhrgebiet zeigt Abb. 1. Tatsächlich können die Angaben aus der Literatur bestätigt werden: In einigen Bereichen treten Geländeabsenkungen von bis zu 20 m auf, so etwa im Umfeld der heute stillgelegten Bergwerke Ewald an der Grenze zwischen Gelsenkirchen und Herten, Consolidation in Gelsenkirchen, Minis­ter Stein in Dortmund sowie Zollverein in Essen. Aktuell sind z. B. Bergsenkungen von knapp über 14 m im Umfeld des aktiven Bergwerks Prosper-Haniel in Bottrop nahe der Kirchheller Heide zu registrieren. Auffällig ist ein bestimmtes Verbreitungsmuster der Senkungsgebiete mit einer Ausrichtung entlang West-Südwest–Ost-Nordost orientierter Linien. Hierin spiegelt sich die Konzentration der Steinkohlenförderung in den großräumigen geologischen Mulden des Steinkohlengebirges wider, die aufgrund der flachen Lagerung oberkarbonischer Schichten einen weitgehend automatisierten und damit wirtschaftlichen Abbau der Steinkohlenflöze zulassen (Drozdzewski 1993). Die Senkungsgebiete im Umfeld der ehemaligen Zeche Ewald etwa befinden sich in der sog. Emscher Mulde, die der Zeche Zollverein in der Essener Mulde und die der Zeche Minister Stein im Bereich der Bochumer Mulde (Abb. 1).

Abb. 2: Ehemalige und heutige Geländeoberfläche nahe der ehemaligen Zeche Minister Stein in Dortmund (Quelle: Eigener Entwurf)

Die Berechnung von Volumendifferenzen zwischen der ehemaligen und heutigen Geländeoberfläche erlaubt zudem eine Bilanzierung der Höhenveränderungen, in die nicht nur Absenkungen, sondern auch Aufhaldungen einfließen. Für das Stadtgebiet Gelsenkirchens (Abb. 1) mit einer Gesamtfläche von 105 km2 beispielsweise verbleibt selbst unter Berücksichtigung künstlicher Aufhöhungen durch Bergehalden und Mülldeponien eine Nettoabsenkung von etwa 5,2 m!

Ein Profilschnitt durch das Bergsenkungsgebiet nahe der ehemaligen Zeche Minister Stein in Dortmund verdeutlicht das Ausmaß der Absenkung im Vergleich der Geländeoberflächen aus den Jahren 1892 und 2000 (Abb. 2). Besonders auffällig ist weniger das Maximum der Absenkung von bis zu 17 m, sondern die betroffene Reliefcharakteristik: Entgegen der weit verbreiteten Vorstellung, Bergsenkungen seien überwiegend als morphologische Mul­den erkennbar, offenbart die dargestellte Si­tuation, dass auch ganze Vollformen wie Kup­penlagen abgesunken sein können, ohne im Gelände als Bergsenkungsgebiet wahrgenommen zu werden.

Folgen von Bergsenkungen

Bergsenkungen verursachen nicht nur Schäden an Häusern, Straßen und Versorgungsleitungen. Wesentlich folgenreicher sind Veränderungen der Vorfluterverhältnisse im Ruhrgebiet, da sie irreversibel und ihre Konsequenzen nur dank eines erheblichen technischen Aufwandes zu bewältigen sind (Rathke 1993). Zur Aufrechterhaltung ihres Abflusses müssen Fließgewässer über Senkungsgebiete hinweg angehoben und zur Vermeidung von Überflutungen eingedeicht werden. Bei zunehmender Versiegelung und steigenden Abwassermengen musste man die Deiche im Laufe der Jahrzehnte immer weiter erhöhen. Die Emscher ist entlang ihres Hauptlaufs auf mittlerweile 75 km Fließstre­cke von Deichen eingefasst, die bis zu 10 m Höhe erreichen (s. Beitrag Wittkampf). Gleichzeitig muss die Höhendifferenz zwischen den künstlich angehobenen Vorflutern und ihren Nebengewässern durch sog. Vorfluterpumpwerke überwunden werden. Im Einzugsgebiet von Em­scher und Lippe sind nunmehr 209 Pumpwerke entstanden, um die künstliche Entwässerung von ca. 38% des Emschergenossenschafts- und etwa 15% des Lippeverbandsgebiets sicherzustellen (Emschergenossenschaft und Lippeverband 2008). Würden die Pumpwerke ausfallen, stünde ein Teil der künstlich entwässerten Gebiete in einem der am dichtesten besiedelten Ballungsgebiete der Erde unter Wasser. Die jährlich aus den Bergsenkungsgebieten in der Emscher- und Lipperegion gepumpte Wassermenge beträgt insgesamt 608 Mio. m3. Dies entspricht fast dem dreifachen Fassungsvermögen der Bleilochtalsperre in Thüringen, der größten Talsperre Deutschlands. Die anfallenden Kosten belaufen sich auf etwa 55 Mio. Euro pro Jahr und werden derzeit noch von den Bergbaubetreibern und den Rechtsnachfolgern ehemaliger Bergwerke getragen. Diese sog. "Ewigkeitskosten" fallen an, solange Menschen im Ruhrgebiet leben und der dauerhafte Betrieb von Pumpwerken eine flächenhafte Überflutung verhindern soll.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2010