Waterfront Redevelopment in Münster: Vom Stadthafen zum Kreativkai

23.12.2019 Christian Krajewski

Inhalt

Mit der Umgestaltung von Teilen seines Stadthafens folgt das westfälische Oberzentrum Münster einem weltweiten Trend, der als Revitalisierung von brachgefallenen bzw. mindergenutzten Hafen- und Uferzonen oder Waterfront Redevelopment bezeichnet wird. Solche Transformationsprozesse sind vor dem Hintergrund weltweiter ökonomischer Restrukturierungen (u.a. Globalisierung, Wandel von der Indus­trie- zur Dienstleistungsgesellschaft), Veränderungen der Hafenarbeit und auch einer Neubewertung des stadträumlichen Kontextes von Stadt und Hafen ("Öffnung zum Wasser") einzuordnen.

Abb. 1: Nördliche Uferpromenade am Kreativkai (Stadthafen I) (Foto: C. Krajewski 2010)

Städtebauliche Erneuerung und Nutzungswandel

Nachdem die Leerstände auf dem Areal des am Dortmund-Ems-Kanal gelegenen Stadthafens I in Münster durch den stetigen Rückgang des Güterumschlags sowie Betriebsverlagerungen seit den 1970er Jahren zugenommen hatten, siedelten sich seit Mitte der 1980er Jahre in den Kontoren und Lagerhallen am nördlichen Ufer des Stadthafens mehrere Künstlerateliers, kleinere Druckerwerkstätten sowie Architekten- und Designbüros an. Aufgrund der zentralen, innenstadtnahen Lage und der guten Verkehrsanbindung wuchs auch das Investoreninteresse an dem Standort. Nach dem Auslaufen von Erbpachtverträgen 1996 hat die Stadtverwaltung mit der baulichen Entwicklung des 75 ha großen Hafenareals begonnen ("Erneuerungsschwerpunkt Südost"), die seit 2004 als "Integriertes Handlungskonzept Stadthäfen Münster" fortgeführt wird (zugleich Masterplan, Fortschreibung 2012). In Anlehnung an die bereits entstandenen Strukturen wurde 1997 zudem in Kooperation mit den Stadtwerken als Eigentümerin des Stadthafen I-Gebietes das Nutzungskonzept "Kreativkai" entwickelt, nach welchem am Nordufer des Stadthafens "kreative Dienstleistungen und Kultur" in attraktiver wasserseitiger Lage angesiedelt werden sollten. Mit dem Bau des Hafenplatzes 1997, der das "Eingangstor" zum wieder sichtbar und zugänglich gemachten Hafen bildet, dem Neubau des Stadtwerke-Verwaltungssitzes sowie der Verlagerung des Wolfgang-Borchert-Theaters in die ehemalige Molkereizentrale 1999 (Umzug 2014 auf die Hafensüdseite) begannen die Erneuerungsmaßnahmen am nördlichen Hafenufer und in dessen Umfeld, ergänzt um nahegelegene Freizeitnutzungen.

Mit der Eröffnung des Atelierspeichers 2004 (mit 32 Künstlerateliers sowie der "Kunsthalle Münster" in einem denkmalgeschützten, ehemaligen Kornspeicher) erfolgte ein zweiter Aufwertungsimpuls am fortan "Kreativkai" genannten Nordufer. Unabhängig davon startete dort in den 2000er Jahren auch die rein privatwirtschaftlich getragene Revitalisierung. Mit der bis 2010 erfolgten Fertigstellung von bisher sieben Neubauten ist ein konsistentes, der Hafenumgebung angemessenes Architekturensemble entstanden, das im Zusammenspiel mit den erhaltenen, umgenutzten Industriebauten einen harmonischen Kontrast bildet und das sich schnell am Büromarkt etabliert hat. Allerdings zeugen heute nur noch wenige hafentypische Relikte von der industriegeschichtlichen Vergangenheit des Areals. In den gut ausgestatteten Neubauflächen werden mit bis zu 14 Euro pro m2 Spitzenmieten auf dem Münsterschen Büro-Immobilienmarkt erzielt. Zwischen 1997 und 2010 sind durch Umnutzung und Neubauten rund 50.000 m2 gastronomische, kreativ-kulturelle, Atelier- und Büroflächen entstanden.

Tab. 1: Wandel der Nutzungsstrukturen am Stadthafen I in Münster (Quellen: Eigene Erhebungen, Institut für Geographie 2007/10/17, Stadt Münster 1997)

Aktuelle Nutzungsstrukturen und Entwicklungen

Mit dem Revitalisierungs- und Aufwertungsprozess haben sich seit Ende der 1990er Jahre in den umgenutzten und neu entstandenen Gebäuden am Nordkai immer mehr Dienstleistungsunternehmen angesiedelt. Heute sind dort etwa 220 Unternehmen ansässig. Ihr Spektrum reicht von der Kreativwirtschaft (40% der Unternehmen; Schwerpunkte "Musik, visuelle und darstellende Kunst" so­wie Technologie-, Planungs- und Ar­chitekturbüros), über Rechts- und Wirtschaftswesen (25%) bis zur Gastronomie (7%) und entspricht damit durchaus dem angestrebten Nutzungsmix. Abbildung 2 zeigt die aktuellen, erdgeschossbezogenen Nut­zungsstrukturen am Stadthafen I. Der nördliche Teil um den Hafenweg hat sich seit 1997 umfassend gewandelt (Tab. 1): Speditionen, Lager und Großhandel sowie Produzierendes Ge­werbe sind nahezu verschwunden. Mittlerweile 15 Gaststätten mit Außengastronomie haben am Nordufer stattdessen eine attraktive Ausgehmeile entstehen lassen (Abbn. 1 u. 2). Zur starken Belebung hat auch die neu gestaltete Kaipromenade beigetragen.

Abb. 2: Nutzungsstrukturen (Erdgeschoss) im Hafenviertel und am Kreativkai in Münster (2017) (Entwurf: C. Krajewski; Quelle: Eigene Erhebungen 2017)

Die fast 15 Jahre durch interessante Zwischennutzungen geprägten Osmo-Fabrikhallen (Restaurant und Diskothek "Heaven" mit "Coconut-Beach", Kreativunternehmen) am östlichen Ende des Hafenweges sind 2018/19 abgerissen worden, um Neubauprojekten Platz zu machen. An der Uferlinie soll der Kreativkai durch drei Neubaukomplexe mit Dienstleistungs-, Büro- und Wohnnutzungen fortgesetzt werden. Zusammen mit dem Projekt Neuhafen im rückwärtigen Bereich und inklusive eines 25%-Anteils an sozial förderbarem Wohnraum soll ein urbanes, mischgenutztes Quartier entstehen. Für das mit rd. 4.900 m2 Verkaufsfläche geplante und in Teilen bereits errichtete "Hafen-Center" auf dem benachbarten Areal muss nach einem 2019 gerichtlich erwirkten Baustopp vor einem veränderten Weiterbau an dem Stadtbereichszentrum zunächst eine politisch konsensfähige Lösung gefunden und ein neuer Bebauungsplan aufgestellt werden.

Seit 2016 hat auch die Revitalisierung am Südufer an Fahrt gewonnen. Zwar wird der südliche Bereich an der Straße "Am Mittelhafen" weiterhin durch Energieversorgungseinrichtungen der Stadtwerke und weiteres Gewerbe geprägt bleiben, in den letzten Jahren sind an der Wasserseite jedoch bereits neue Büro- und Gewerbenutzungen (z.B. "Hafen-Käserei") in Neubauten entstanden. Die Bedeutung urban-kreativer Milieus und kultur- und kreativwirtschaftlicher Nutzungen spiegelt sich in der Förderung des gemeinnützigen Kulturzentrums "B-Side" wider, welches in einem ehemaligen Speichergebäude langfristig lokalisiert bleiben soll.

Umfeldaufwertung und Gentrification

Auch die Straßen im nördlich gelegenen Hansaviertel sind von den Aufwertungsprozessen erfasst worden, wie zahlreiche Gebäudesanierungen, -verkäufe und Neubauten sowie die Etablierung mehrerer In-Lokale am Hansaring zeigen. Mit der städtebaulichen und funktionalen Aufwertung des Hafenquartiers haben sich allerdings im letzten Jahrzehnt auch soziale Austausch- und sozioökonomische Aufwertungsprozesse innerhalb der Wohnbevölkerung deutlich verstärkt. Zusammengenommen werden diese Prozesse als Gentrification bezeichnet (s. Beitrag Krajewski). Die Bewohnerschaft des Hansaviertels ist seit Jahren mit den negativen Begleiterscheinungen des Szenestandortes, wie deutlich steigenden Mietpreisen sowie Verkehrs- und Lärmbelästigungen, vor allem in den Abendstunden, konfrontiert.

Kreativkai als Imagefacette des neuen Münsters

Mit den erhaltenen, hafentypischen Gebäuden in Verbindung mit moderner Neubau-Architektur und dem entstandenen Nutzungsmix aus Kreativwirtschaft, Künstlerateliers, Dienstleistungen, der Gastronomiezeile am Kreativkai, Freizeit- und Erholungsnutzungen sowie Gewerbeeinrichtungen gehört der Stadthafen mit seinem Umfeld heute zu den Top-Adressen in Münster und dem Münsterland. Der Bereich um den Kreativkai hat sich in den letzten 20 Jahren zu einem attraktiven Innenstadtquartier für Einwohner und Besucher Münsters entwickelt. Das Stadtbild ist dadurch um ein zusätzliches Alleinstellungsmerkmal und eine positive Imagefacette ergänzt worden. Insgesamt ist die Revitalisierung des Stadthafens I in Münster im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung grundsätzlich als erfolgreich zu bewerten. Sie steht aber, bezogen auf die zukünftigen Entwicklungen, aktuell vor der Herausforderung, hinsichtlich einer stärker partizipativen Stadtentwicklung und angesichts existierender Proteste und Initiativen gegen die Großprojekte die Bürgerinnen und Bürger noch besser in den Prozess einzubeziehen. Zudem gilt es, die hohe Lebensqualität in den benachbarten Stadtvierteln durch bezahlbaren Wohnraum und ein zeitgemäßes Verkehrs- und Mobilitätsmanagement zu erhalten.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007, Aktualisierungen 2010 u. 2019