Die Senne – eine Landschaft wechselnder Wertschätzung

01.01.2007 Ernst Th. Seraphim

Landschaften sind Gegenstand der geographischen Forschung, aber auch Objekt der öffentlichen Meinung, die den jeweiligen Zeitgeist spiegelt und auch für gesteuerte Parolen empfänglich ist. Das gilt auch für die Senne, über die so viel geschrieben (und geredet) worden ist wie über keine andere Landschaft Westfalens und wohl auch weit darüber hinaus, wobei sie, im Gegensatz etwa zu den Lössbörden, in ganz unterschiedlicher Weise bewertet wurde.

Aus geologischer und geomorphologischer Sicht, die wohl nicht im Verdacht steht, im Dienst einer Lobby zu stehen, handelt es sich bei der Senne um einen vom Fuß des Bielefelder Osnings und des Lippischen Waldes (Teile des Teutoburger Waldes) nach Südwesten zuerst ziemlich steil, dann immer flacher einfallenden quartären Sedimentationskörper, der trotz einer zeitweilig behaupteten Einförmigkeit eine bemerkenswerte Feingliederung und Vielgestaltigkeit aufweist. Dies ist sowohl auf seine Bodenverhältnisse als auch seine Morphologie und Hydrographie zurückzuführen, die ein buntes Mosaik an Pflanzengesellschaften und eine artenreiche Fauna bedingen. An die naturgegebenen Voraussetzungen anknüpfend, hat der Mensch im Zuge der Besitzergreifung von der Landschaft seit der Bronzezeit eine unterschiedliche Entwicklung ihrer Teile bewirkt.
Abb. 1: Die Senne und angrenzende Naturräume (Quelle: E. Th. Seraphim 1977, leicht verändert)

Die ältesten Zeugnisse der menschlichen Einflussnahme auf die Landschaft sind Hügelgräber, die sich in beträchtlicher Anzahl längs des Gebirgsrandes und vor den Pässen finden. Wahrscheinlich diente sie bereits damals wie dann auch später während des gesamten Mittelalters als Weideland, so dass der hier ursprünglich stockende Wald gelichtet und auf den sauren Podsolböden weitgehend durch Calluna-Heide ersetzt wurde. Bezeichnungen wie Stapelager-, Wistinghauser- und Oerlinghauser Senne (Abb. 1) erinnern noch heute an die damalige Inanspruchnahme, an der besonders die Haupthöfe Niederbarkhausen, Wistinghausen und Stapelage beteiligt waren.

Als es um die Wende des 19. zum 20. Jh. in der als Senne bezeichneten Landschaft, die etwa 250 km2 umfasst, noch große, mit Heide bewachsene Flächen gab, entdeckten heimische wie auch auswärtige Maler (z. B. Ludwig Menke, Paul Koken, Ernst Rötteken und Hermann Osthoff), Schriftsteller und Dichter (z. B. Ludwig Altenbernd, Margarete Windthorst und auch Hermann Löns) den ungewöhnlichen Reiz dieser Landschaft, worauf ein Funke der Begeisterung auf ihre Bewohner übersprang. Die Identifizierung mit der Landschaft machte es möglich, dass Richard Schirrmann, der Begründer des Deutschen Jugendherbergswerkes, von "unserer Senne" sprechen konnte. Sie war nun nicht mehr allein Inbegriff von Armut und Bedürfnislosigkeit, sondern auch zur Heimat geworden. Dies äußert sich bis in die Gegenwart in den Namen von Firmen, Erzeugnissen, Fachgeschäften und Vereinen, in denen "Senne" oder "Heide" enthalten und werbewirksam sind.

Freilich hat sich mit dem Schwund der Heide als Folge der Einrichtung großflächiger Anlagen wie Flugplätzen (Oerlinghausen, Windelsbleiche, Bad Lippspringe), Sportplätzen und Friedhöfen (Sennefriedhof Bielefeld), dem Bau von Justiz-Vollzugsanstalten (Staumühle, Senne) und der Ausweisung von Industrie- und Gewerbegebieten sowie Wohnsiedlungen, Krankenanstalten und Kasernen (Standort Augustdorf, Sennelager) in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s die Auffassung verbreitet, dass mit der Senne in erster Linie der 1892 eingerichtete Truppenübungsplatz Senne zu verstehen sei. Sein Offenland entspricht, trotz seiner Prägung durch die militärische Nutzung, noch am ehesten der Vorstellung von einer Heidelandschaft (s. Beitrag Hetzel/Schmitt). Damit erklärt sich, wenn man von den persönlichen Interessen einiger Jäger, Golfspieler, Fallschirmspringer, Angler und Reiter absieht, die hier Sonderrechte genießen, die hohe Wertschätzung gerade dieses Teiles der Senne als potenzielles Großschutzgebiet, das nach Aufgabe der militärischen Nutzung zusammen mit anderen Flächen als Nationalpark ausgewiesen werden soll und damit auch für die übrige Bevölkerung im Rahmen der für Nationalparke üblichen Regelungen zugänglich würde.

Während die Aufgabe des Übungsplatzes z. Z. nicht abzusehen ist und er in Ablösung des Besatzungsrechts laut NATO-Truppenstatut und bestimmter Zusatzabkommen für die britischen Streitkräfte bis auf weiteres als unverzichtbar gilt, verfolgt der Zweckverband "Naturpark Eggegebirge und südlicher Teutoburger Wald", in den auch Teile der Senne integriert sind, das Ziel, ein Naturschutzgroßprojekt (NGP) in der Senne außerhalb des Übungsplatzes zu verwirklichen. Einen Ansatz, verlorene Identität zurückzugewinnen, kann man auch in einer seit 2004 bestehenden Bürgerinitiative im lippischen Teil der Senne erblicken, die Ausgliederung des Geländes des zerstörten fürstlichen Jagdschlosses Lopshorn aus dem Übungsplatz und dessen Wiederaufbau mit neuer Zweckbestimmung zu erreichen.

Abb. 2: Naturräumliche Feingliederung der südöstlichen Senne, schematisch (Quelle: E. Th. Seraphim 1998)

Wenn hier von der Wertschätzung der Senne die Rede ist, dann sollte man neben diesen ideellen Motiven nicht das auch vorhandene materielle Interesse an der Landschaft unterschätzen. So dominierten z. B. bei dem Abbau des Geschiebelehms bei Stukenbrock, Schloß Holte, Friedrichsdorf und SenneI für die Ziegelherstellung und der Verfüllung der Gruben mit dem damals noch unsortierten Müll, dessen Sickerwässer das Grundwasser beeinträchtigen, eher kurzfristige ökonomische Interessen. Entsprechendes gilt für zahlreiche Sand- und Kiesgruben in der Senne. Wenn sich einige unverfüllte Gruben zu wertvollen Lebensräumen für Flora und Fauna entwickelt haben, so ist doch nicht zu übersehen, dass das sennetypische Landschaftsbild, das durch Dünenfelder, Trocken- und Nasstäler, Heidemoore und Erlenbrüche gekennzeichnet war, vielfach verloren gegangen ist. In diesem Zusammenhang sei noch einmal auf den Truppenübungsplatz verwiesen. Da in ihm Abgrabungen und Deponien wesentlich seltener sind und Bunker, Schießbahnen und Stauteiche reparabel erscheinen (weniger die leider vorhandenen Munitions-Altlasten), vermittelt das dortige Landschaftsbild noch einen Eindruck von der naturräumlichen Feingliederung dieses Teiles der Senne (Abb.2).

An den Gebirgsrand lehnt sich bei etwa 220 m über NN zunächst die Obere Senne, ein maximal fünf km breiter Geländestreifen, an. Den hier abgelagerten saaleeiszeitlichen Schmelzwassersanden sind in beträchtlichem Umfang auch Kalkscherben aus der nächstgelegenen Schichtrippe des Gebirges beigemengt, die hierhin vorwiegend durch periglaziale Solifluktion gelangten. Zahlreiche Trockentäler, die entstanden, als der Boden nicht von einer dichten Pflanzendecke geschützt war, tragen zu einer Belebung des Reliefs bei. Da in der Oberen Senne, im Gegensatz zu den anderen Teillandschaften, echte Dünen fehlen, ist anzunehmen, dass die Sande, die sich in den weit hangauf erstreckenden Trockendellen des Gebirges abgelagert haben, hier ihren Ursprung haben.

Unterhalb der 150 - 160 m-Höhenlinie, in der Mittleren Senne, ist der naturbedingte Formenschatz wesentlich reichhaltiger. Hier stößt man auf zahlreiche feuchte, tief in den Sennesand eingeschnittene, teilweise schluchtartige Täler, deren Bäche aus Sickerquellen gespeist werden, die an der Unterkante der Talböschungen über der eiszeitlichen Grundmoräne austreten. Das nur noch sanft nach SW einfallende Gelände ist stellenweise von Dünen besetzt, in deren Ausblasungswannen sich Heidemoore und kleine Heideweiher gebildet haben.

Die Untere Senne beginnt bei etwa 110 m über NN dort, wo die Transportkraft des langsamer fließenden Wassers der Bäche erlahmt und die Akkumulation gegenüber der Erosion überwiegt. Die deshalb bei Hochwasser aus ihrem Bett ausgebrochenen Bäche haben sich in ihr tiefer gelegenes Umland ergossen und dort zur Bildung von Flachmooren geführt. Nach einer Nutzungsphase als Feuchtgrünland und der sog. Flurbereinigung, in der dieser Landstrich überwiegend trockengelegt wurde, wird in der Unteren Senne heute vielfach Ackerbau betrieben, wobei der Anbau von Mais im Vordergrund steht. Mit dieser Umgestaltung der Landschaft haben viele Arten ihren Lebensraum verloren. Durch eine Reihe von Förderprogrammen (u. a. Feuchtwiesenprogramm) und Verordnungen (u. a. Gülleverordnung) der Landesregierung NRW, die den Schritt der Landwirtschaft von der reinen Produktionsbiologie zu einer ökologisch verträglichen Bewirtschaftung begleitet haben, sind auch einige Teile der Unteren Senne bis in die Gegenwart naturnah erhalten geblieben.

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Weiterführende Literatur/Quellen

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Erstveröffentlichung 2007