Schwerbehinderte in Westfalen

17.01.2017 Peter Wittkampf

Inhalt

Am 31.12.2015 waren in Westfalen insgesamt 843.366 Menschen – und damit etwa jeder zehnte Einwohner – schwerbehindert.

Als schwerbehindert gelten laut Sozialgesetzbuch IX jene Menschen, die einen Grad der Behinderung von mindestens 50% aufweisen. Für sie gelten besondere Nachteilsausgleiche, z.B. im öffentlichen Nahverkehr, auf Parkplätzen und in arbeitsrechtlichen, steuerlichen und finanziellen Belangen. Die Kreise bzw. kreisfreien Städte stellen Ausweise aus, auf denen jeweils der Grad und die Art der Behinderung vermerkt sind. Gründe für die Behinderungen können in körperlichen Funktionseinschränkungen, aber auch z.B. in zerebralen (= das Gehirn betreffenden) oder geistig-seelischen Störungen liegen.

Tab. 1: Anteil der Schwerbehin- derten an der Bevölkerung in % (Quelle: www.it.nrw.de)

Entwicklungstendenzen

Im Vergleich zum Jahresende 2005 hat sich in Westfalen der Prozentsatz schwerbehinderter Menschen bis zum Jahresende 2015 von etwa 9,0 auf 10,2 erhöht. Eine wesentliche Ursache hierfür ist die deutliche Zunahme speziell jener Behinderungen, die statistisch unter "Querschnittslähmung, zerebrale Störungen, geistig-seelische Behinderung, Suchtkrankheit" zusammengefasst werden. Für das Land Nordrhein-Westfalen insgesamt ergibt sich von 2005 bis 2015 eine Zunahme der Schwerbehinderungen in dieser Gruppe von 24%, im Landesteil Westfalen lag die entsprechende Steigerungsrate bei 17,8%.

Zu den häufigsten psychischen Erkrankungen zählen Angststörungen, Alkoholprobleme und Depressionen. Diese Ursachen führen immer häufiger auch zu Frührenten, wobei die Frühverrentungen wegen Depression laut Gesundheitsbericht 2015 des Landes Nordrhein-Westfalen jährlich um 25% ansteigen. Im Jahr 2012 betrug der Anteil der Frühverrentungen wegen psychischer Störungen insgesamt 46%, bei Frauen sogar 51%.

Zusätzlich zu der tatsächlichen und deutlichen zahlenmäßigen Zunahme solcher Erkrankungen könnte sich auch die veränderte Einstellung gegenüber psychischen Störungen statistisch bemerkbar machen. Die Bereitschaft, offen mit Krankheiten dieser Art umzugehen und sie ernst zu nehmen, ist größer geworden, sodass auch hierdurch die Anzahl der erfassten Fälle zusätzlich etwas angestiegen sein dürfte.

Die anderen, rein körperlichen Ursachengruppen für Schwerbehinderung, also z.B. der Verlust oder die Funktionseinschränkung von Gliedmaßen, Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule oder der inneren Organe, Blindheit, Taubheit usw. haben sich in dem Zehnjahreszeitraum von 2005 bis 2015 in ihren Prozentanteilen nur unwesentlich verändert, z.T. gibt es dort sogar leichte Rückgänge der Zahl der hierdurch schwerbehinderten Menschen.

Die westfälischen Städte bzw. Kreise, die von 2005 bis 2015 die deutlichsten prozentualen Erhöhungen der Gesamtzahl schwerbehinderter Menschen verzeichneten, sind in Tabelle 1 aufgeführt.

Abb. 1: Schwerbehinderte in den Kreisen / kreisfreien Städten Westfalens (Stand: 31.12.2015) (Quelle: www.it.nrw.de)

Räumliche Unterschiede

Vom rechnerischen Durchschnittswert von 10,2% schwerbehinderter Menschen in Westfalen (2015) weichen manche Städte und Kreise z.T. signifikant ab. Während der Kreis Paderborn mit 7,4% den niedrigsten Wert innerhalb Westfalens aufweist, liegen vor allem die Ruhrgebietsstädte deutlich über dem Durchschnittswert. In Herne sind 15,2% der Bevölkerung als schwerbehindert eingestuft, in Bochum, Dortmund und Gelsenkirchen sind es jeweils 12 bis 13%, in Hagen, aber auch im Ennepe-Ruhr-Kreis jeweils 13 bis 14%. Die beiden wichtigsten Gründe hierfür könnten folgende sein:

  • Bei den möglichen körperlichen Gründen für eine Behinderung zeigen sich in diesen Teilregionen nur geringe Auffälligkeiten. Anders dagegen bei den psychischen Störungen. Hier liegen diese Teilregionen deutlich über dem Durchschnitt. Wissenschaftler des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim, die zu diesem Problemfeld Untersuchungen durchgeführt und 2015 veröffentlicht haben, liefern hierzu eine mögliche Erklärung. Nach ihren Untersuchungen ist die psychische Belastung der Menschen in Großstädten sowohl signifikant größer als auch medizinisch nachweisbar und erklärbar. Angsterkrankungen und Depressionen träten, so heißt es, bei Stadtbewohnern zu knapp 40% häufiger auf als bei Menschen auf dem Land. Bestimmte Gehirnpartien, vor allem die sog. Amygdala im limbischen System, würden durch Stress bei Bewohnern großer Städte stärker belastet als bei Menschen in kleineren Städten oder Dörfern. Gebäude- und Bewohnerdichte, Lärm, Vereinsamung in der Anonymität usw. könnten dabei eine Rolle spielen.
    Stressforscher der Berliner Charité kommen außerdem zu dem Ergebnis, dass mit der Größe einer Stadt, in der man aufgewachsen ist, das Schizophrenie-Risiko steigt.
Tab. 2: Besonders hohe Anteile an Schwerbehinderten in der Alters- gruppe 75 Jahre und älter (in % der jeweiligen Altersgruppe der Stadt / des Kreises) am 31.12.2013 (Quelle: www.it.nrw.de, Kommunalprofile)
  • Bedeutung für die überdurchschnittlichen Anteile an Schwerbehinderten im Ruhrgebiet und im Ennepe-Ruhr-Kreis könnte auch die Tatsache haben, dass dort teilweise die Altersgruppen der Menschen über 65 Jahre etwas stärker vertreten sind als in anderen Teilregionen. Bei den Älteren ist die Wahrscheinlichkeit einer schweren Behinderung größer als bei jüngeren Menschen. In der Tat sind etwa im Kreis Paderborn nur 17,2% der Bevölkerung 65 Jahre oder älter, während es z.B. im Ennepe-Ruhr-Kreis 23,2% sind, im Kreis Recklinghausen 22%, in Herne 21,9% und in Bochum 21,8%.

Beide möglichen Ursachenkomplexe zusammen führen in Westfalen zu sehr unterschiedlichen Anteilen schwerbehinderter Menschen speziell der Altersgruppe ab 75 Jahren. In mehreren Ruhrgebietsstädten waren Ende 2013 mehr als 35% aller 75 – 80-Jährigen und etwa die Hälfte aller Über-80-Jährigen schwerbehindert (Tab. 2), während sonst Werte um 20% bzw. um 30% dominieren. Hierbei könnten sich im Ruhrgebiet evtl. auch die besonderen Arbeits- und Umweltbelastungen der früheren Jahrzehnte bemerkbar machen.

Abb. 2: In den Freckenhorster Werkstätten (Warendorf) finden mehr als 1.500 Behinderte Arbeit (Stand 2016) (Foto: P. Wittkampf)

Schwerbehinderte auf dem Arbeitsmarkt

Arbeitgeber mit 20 oder mehr Beschäftigten sind gesetzlich verpflichtet, mindestens 5% der Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten zu besetzen, andernfalls müssen sie Ausgleichsabgaben zahlen. In Westfalen betrug diese Beschäftigungsquote (IST-Quote) im Berichtsjahr 2014 insgesamt 4,8%. Die Abweichungen von der gesetzlich vorgegebenen Mindestquote waren durchweg gering. Am niedrigsten war die Quote mit jeweils 3,7% in den Kreisen Herford und Minden-Lübbecke, mit Abstand am höchsten in Herne (13,7%).

Etwa 92.000 Schwerbehinderte arbeiten in Westfalen im allgemeinen Arbeitsmarkt (s. Beitrag Grothues).

Trotz der Inklusionsbemühungen betrug jedoch in Westfalen im Jahr 2015 die Arbeitslosenquote für Schwerbehinderte insgesamt 13,9%, in absoluten Zahlen betrifft dies ca. 21.700 Menschen.

Viele Schwerbehinderte, die auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Chance haben, arbeiten in Werkstätten für behinderte Menschen (Abb. 2; s. Beitrag Siemer). In Westfalen sind dies ca. 42.000 Personen. Pro Jahr steigt deren Zahl um etwa 450, vor allem durch den Anstieg psychischer Erkrankungen.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2017